C: Plato

[21] Nach den philosophischen Lehren, die wir bisher behandelt haben, kam das platonische System, das sich in den meisten Beziehungen den früheren anschloß, daneben aber auch manches Eigentümliche und von der Philosophie der Italiker Abweichende aufwies.

In seiner Jugend zuerst mit Kratylos vertraut und in die Lehre des Heraklit eingeweiht, wonach alles Sinnliche sich in stetem Flusse befindet und keine wissenschaftliche Erkenntnis zuläßt, hielt Plato an dieser Überzeugung auch später fest. Dann wandte er sich dem Sokrates zu, der die Fragen des sittlichen Lebens behandelte, die Fragen des natürlichen Daseins unberührt ließ, in jenen nach den allgemeinen Begriffen suchte, und als der Erste das wissenschaftliche Denken in der Definition der Begriffe seinen Abschluß finden ließ. So kam Plato zu der Ansicht, daß es sich im wissenschaftlichen Verfahren um andere Objekte als um das Sinnliche handle, durch die Überlegung, daß von dem Sinnlichen, das in steter Umwandlung begriffen sei, es unmöglich sei einen allgemeingültigen Begriff zu bilden. Dieses in Begriffen Erfaßbare nannte er Ideen; das Sinnliche aber, meinte er, liege außerhalb derselben und empfange nur nach ihnen seine Benennung; denn in der Form der Teilnahme an den Ideen habe die Vielheit dessen, was nach ihnen benannt wird, sein Sein. An dieser »Teilnahme« ist nun nur der Ausdruck neu. Denn schon die Pythagoreer lehrten, das Seiende sei durch »Nachahmung« der Zahlen; Plato aber lehrt, es sei durch Teilnahme an den Ideen. Welcher Begriff indessen mit jener Teilnahme oder mit dieser Nachahmung zu verbinden sei, das haben sie als offene Frage stehen lassen. Außerdem kennt Plato noch als ein drittes zwischen dem Sinnlichen und den Ideen die mathematischen Objekte, die sich von dem Sinnlichen dadurch unterscheiden, daß sie ewig und unbeweglich sind, von den Ideen aber dadurch, daß sie jede in unbestimmter Vielheit gleichartiger Exemplare existieren, während die Idee als solche ein schlechthin Einheitliches für sich sei. Da er aber die Ideen als die Ursachen des Anderen betrachtet, so gelten ihm die Elemente derselben für die Elemente alles Seienden. So setzte er das Groß-und-Kleine als Prinzip im Sinne der Materie und das Eine im Sinne der Substanz: aus jenem beständen der Teilnahme an dem Einen zufolge die Ideen.

Darin, daß er das Eine als Substanz faßte und das Eine und die Zahlen[21] nicht bloß von anderem ausgesagt werden ließ, näherte er sich der Ausdrucksweise der Pythagoreer, und ebenso darin, daß er die Zahlen als die Ursachen für die Wesenheit des Übrigen ansah. Dagegen ist dies das Eigentümliche bei ihm, daß er das Unbegrenzte nicht als Einheit sondern als Zweiheit faßt und das Groß-und-Kleine zu seinen Elementen macht, ferner, daß er die Zahlen neben die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände getrennt von ihnen stellt, während jene die Zahlen als die Dinge selbst und das Mathematische nicht als ein Mittleres zwischen den Ideen und den Dingen ansehen. Dies, daß er das Eine und die Zahlen neben die Dinge stellt im Gegensätze zu den Pythagoreern, sowie die Einführung der Ideen ergab sich ihm aus dem Hinblick auf das begriffliche Denken – denn seine Vorgänger hatten sich mit Dialektik noch nicht befaßt; – daß er aber das den Ideen Entgegengesetzte als eine Zweiheit faßte, ergab sich ihm daraus, daß sich die Zahlen, von den ursprünglichen, den Primzahlen und den ungeraden, abgesehen, aus jener Zweiheit wie aus einer Art von formbarem Stoff leicht erzeugen lassen. Gleichwohl zeigt die erfahrungsmäßige Wirklichkeit das Gegenteil, und die Konstruktion ist wenig annehmbar. Man läßt aus derselben Materie eine Vielheit von Dingen hervorgehen, die Idee dagegen soll nur ein einziges Mal erzeugen; in Wirklichkeit kommt aus einer Materie nur ein einziger Tisch; der aber, der die Form heranbringt, ist selbst nur einer und wird doch der Urheber einer Vielheit Ganz ähnlich ist es im Verhältnis des Männlichen zum Weiblichen. Denn das Weib wird durch eine Begattung befruchtet, der Mann hingegen vermag viele Weiber zu befruchten. Und doch müßten rechtmäßigerweise jene Anschauungen an diesen Vorgängen ihre Illustration finden.

Das nun sind die Bestimmungen, die Plato über den Gegenstand unserer Untersuchung gegeben hat. Aus unserer Darstellung ergibt sich, daß er nur zwei Prinzipien, ein begriffliches und ein materielles, verwendet; – denn die Ideen sind die Ursachen der begrifflichen Bestimmtheit für die Dinge, und das Eins ist diese Ursache für die Ideen; – und auf die Frage, was die Materie ist, die als Substrat dient, und auf Grund deren im Sinnlichen von Ideen, in den Ideen vom Einen die Rede ist, antwortet er, sie sei eine Zweiheit, das Groß-und-Kleine. Den Grund des Guten und des Schlechten, des Zweckmäßigen und des Zweckwidrigen hat er in den beiden Elementen gefunden, in dem einen die Ursache des Zweckmäßigen, in dem andern die Ursache des Gegenteils, eine Erklärung, um die sich, wie oben nachgewiesen, schon einige der älteren Philosophen, wie Empedokles und Anaxagoras, bemüht hatten.[22]

Quelle:
Aristoteles: Metaphysik. Jena 1907, S. 21-23.
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