Dreiundzwanzigstes Kapitel

[52] Aus der bisherigen Darstellung ergiebt sich nunmehr, dass alle Schlüsse in den übrigen Figuren durch die allgemein lautenden Schlüsse der ersten Figur vollendet und darauf zurückgeführt werden. Dass es nun mit allen Schlüssen sich so verhält, wird nunmehr sich ergeben, wenn ich gezeigt haben werde, dass überhaupt jeder Schluss in einer dieser Figuren erfolgt.

Jede Beweisführung und jeder Schluss muss darthun, dass Etwas in einem Andern enthalten oder nicht[52] enthalten ist und dass dies entweder allgemein oder beschränkt stattfindet; auch muss dies entweder geradezu oder vermittelst einer Voraussetzung dargelegt werden; zu letzterem Verfahren gehören auch die Beweise durch die Unmöglichkeit des Gegentheils. Ich werde daher zuerst die direkten Beweise besprechen; ist es bei diesen dargelegt worden, so wird dasselbe auch für die Beweise aus der Unmöglichkeit des Gegentheils, und für die von einer Voraussetzung ausgehenden Beweise sich als gültig ergeben.

Wenn also für A in Bezug auf B ein Schluss soll gewonnen werden, sei es, dass A in B enthalten oder nicht-enthalten sei, so muss Etwas in Bezug auf ein Anderes angesetzt werden. Geschieht dies mit dem A unmittelbar in Bezug auf B, so ist dies eine ursprüngliche Annahme. Geschieht dies aber mit dem A zwar in Bezug auf C, aber nicht mit dem C in Bezug auf ein Anderes, noch mit Etwas in Bezug auf G, noch mit einem Anderen in Bezug auf A, so ergiebt sich kein Schluss, denn wenn nur Eines in Bezug auf ein Anderes gesetzt wird, so ergiebt sich keine nothwendige Folge. Man muss also noch einen anderen Satz hinzunehmen. Wenn nun das A in Bezug auf ein Anderes gesetzt wird, oder ein Anderes in Bezug auf A oder ein Anderes in Bezug auf C, so kann zwar ein Schluss sich ergeben, aber er wird durch diese angenommenen Sätze nicht über B lauten und dies wird auch dann nicht der Fall sein, wenn das C von einem Anderes und dieses wieder von einem Anderen und letzteres wieder von einem Anderen ausgesagt wird, ohne dass C mit B zusammengebracht wird; denn auch dann wird kein Schluss des A in Bezug auf B sich ergeben. Ich sage also, dass überhaupt niemals ein Schlusssatz, welcher Eins von dem Anderen aussagt, sich ergeben wird, wenn nicht ein Mittleres hinzugenommen wird, was sich zu jedem von jenen beiden nach irgend einer Kategorie verhält. Denn der Schluss ergiebt sich überhaupt aus Vordersätzen und zwar ein Schluss über dieses aus Vordersätzen über dieses, und ein Schluss dieses Einen in Bezug auf dieses Andere aus Vordersätzen, welche dieses Eine von diesem Anderen aussagen. Denn unmöglich kann man einen Satz über B aufstellen, welcher von B nichts bejaht oder verneint und ebensowenig kann[53] man einen Satz, wonach A von dem B etwas aussagt, gewinnen, wenn man keinen beiden gemeinsamen Begriff hinzunimmt, sondern von A und von B, nur etwas jedem eigenthümliches bejaht oder verneint. Es muss deshalb ein Mittleres für beide gewonnen werden, welches diese Aussagen verknüpft, wenn ein Schlusssatz von diesem auf jenes zu Stande kommen soll. Wenn also etwas beiden Gemeinsames hinzugenommen werden muss und dies auf dreifache Art stattfinden kann (dann entweder sagt A etwas von C und C etwas von B aus, oder C sagt etwas von beiden, d.h. dem A und dem B aus, oder diese beiden sagen etwas von C aus), so ergeben sich die drei besprochenen Schlussfiguren und es erhellt also, dass jeder Schluss nur in einer dieser drei Figuren erfolgen kann. Dieser Ausspruch gilt auch, wenn die Verbindung des A mit dem B durch mehrere Mittelbegriffe erfolgt; denn auch bei diesen vielen Sätzen wird die Schlussfigur dieselbe bleiben.

Es ist also klar, dass die direkten Schlüsse durch die genannten drei Figuren vollendet werden; aber dass dies auch für die Schlüsse vermittelst der Unmöglichkeit des Gegentheils gilt, erhellt aus Folgenden. Alle solche Schlüsse vermittelst des Unmöglichen erschliessen ein Falsches und beweisen den ursprünglichen Satz vermittelst einer Annahme, indem, wenn das Gegentheil desselben angenommen wird, etwas Unmögliches sich ergiebt. So wird bewiesen, dass der Durchmesser nicht von den Seiten des Quadrats gemessen werden könne, weil, wenn man annimmt, er könne davon gemessen werden, folgt, dass das ungerade dem Geraden gleich sei. Hier wird die Gleichheit des Ungeraden mit dem Geraden durch einen Schluss abgeleitet und es wird so durch eine Voraussetzung gezeigt, dass der Durchmesser nicht von den Seiten gemessen werden kann, da aus der entgegengesetzten Annahme etwas Falsches sich ergiebt. Das Schliessen vermittelst der Unmöglichkeit besteht also darin, dass man darlegt, wie aus der anfänglich angenommenen Voraussetzung etwas Unmögliches sich ergiebt. Da sonach bei den auf das Unmögliche führenden Schlüssen der Schluss auf das Falsche direkt erfolgt und der ursprüngliche Satz vermittelst einer Voraussetzung bewiesen wird, und ich vorher dargelegt habe, dass die direkten Schlüsse[54] sich durch jene drei Figuren vollziehen, so erhellt, dass auch die vermittelst der Unmöglichkeit des Gegentheils geführten Schlüsse durch diese drei Figuren sich vollziehen. Ebenso ist es auch bei den übrigen, auf einer Voraussetzung beruhenden Schlüssen; denn in allen geschieht ein Schluss mit Bezug auf etwas Hinzugenommenes und der ursprüngliche Satz wird vermöge eines Zugeständnisses oder vermöge einer anderen Voraussetzung gefolgert. Ist dies richtig, so muss jeder Beweis und jeder Schluss vermittelst der vorgenannten Figuren geführt werden und nachdem dies bewiesen worden, erhellt, dass jeder Schluss seine Vollendung durch die erste Figur erhält und auf die in dieser Figur allgemein lautenden Schlüsse zurückgeführt wird.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 52-55.
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