Dreizehntes Kapitel

[26] Das Wissen, dass Etwas ist und das Wissen, warum Etwas ist, unterscheidet sich schon in ein und derselben Wissenschaft und zwar in zweifacher Weise; einmal darin, dass der Schluss nicht durch unvermittelte Sätze geschieht (denn dann wird nicht die erste Ursache gesetzt, während doch das Wissen des Warum die oberste Ursache befasst); zweitens darin, dass der Schluss zwar auf unvermittelte Sätze gestützt wird, aber doch nicht aus seiner Ursache abgeleitet wird, sondern aus einem Mittelbegriff[26] der sich mit der Ursache austauscht; indem jener bekannter ist. Denn es kann kommen, dass von solchen Begriffen, wo einer für den anderen als Ausgesagtes benutzt werden kann, die Nicht-Ursache mitunter bekannter ist und deshalb der Beweis darauf gestützt wird; so z.B. wenn die Nähe der Planeten darauf gestützt wird, dass sie nicht funkeln. Denn es bedeute C die Planeten, B das Nicht-funkeln und A das Nahe-sein. Hier kann in Wahrheit B von C ausgesagt werden, denn die Planeten funkeln nicht; allein auch das A kann von dem B ausgesagt werden; denn das, was nicht funkelt, ist nahe, wie man entweder durch Induktion oder durch Sinneswahrnehmung feststellen kann. Somit muss auch A in C enthalten sein und somit ist bewiesen, dass die Planeten nahe sind. Ein solcher Schluss wird nicht aus dem Warum, sondern aus dem Dass abgeleitet; denn die Planeten sind nicht deshalb nahe, weil sie nicht funkeln, sondern weil sie nahe sind, funkeln sie nicht. Es lässt sich aber auch dieses durch jenes beweisen und ein solcher Beweis beruht dann auf dem Warum. Es seien z.B. C die Planeten, B das Nahe-sein, A das Nicht-funkeln. Hier ist auch B in C enthalten und A, das Nicht-funkeln in B enthalten; folglich ist auch A in C enthalten und der Schluss ruht dann nur auf dem Warum, denn es ist dann die erste Ursache gesetzt und daraus der Schluss abgeleitet. Ebenso verhält es sich bei dem Beweise, dass der Mond wegen seiner Lichtzunahme eine Kugel sei; denn wenn ein so zunehmender Körper eine Kugel ist und der Mond so zunimmt, so ist klar, dass er eine Kugel sein muss. Hier ist der Schluss darauf gestützt, dass es sich so verhält; wird aber der Mittelbegriff versetzt, so ergiebt sich ein Schluss aus dem Warum; denn bei dem Monde ist seine Lichtzunahme nicht die Ursache von seiner Kugelgestalt, sondern weil er die Gestalt einer Kugel hat, nimmt er in seinem Lichte in dieser besondern Art zu. Es ist dann C der Mond, B die Kugelgestalt, A die Lichtzunahme. In Fällen, wo der Mittelbegriff sich nicht vertauschen lässt und die Nicht-Ursache bekannter ist, wird nur das Dass, aber nicht das Warum bewiesen. Dies findet auch bei Schlüssen statt, wo der Mittelbegriff nicht zwischen dem Ober- und dem Unterbegriff steht, sondern ausserhalb derselben;[27] auch dann wird nur das Dass aber nicht das Warum bewiesen, weil die Ursache nicht genannt wird. Z.B. wenn man auf die Frage, weshalb die Mauer nicht athmet, antwortet, weil sie kein Thier ist. Denn wäre dies die Ursache des Nicht-athmens, so müsste das Thier die Ursache des Athmens sein. Wenn nämlich die Verneinung die Ursache des Nicht-seins ist, so muss die Bejahung die Ursache des Seins enthalten; so, wenn das Warme und das Kalte sich nicht in richtigem Verhältniss befinden und deshalb der Mensch nicht gesund ist, so muss das richtige Verhältniss von Warm und Kalt die Ursache des Gesund-seins sein; und ebenso muss wenn die Bejahung die Ursache des Seins ist, die Verneinung die Ursache des Nicht-seins sein. Indess trifft bei dem gegebenen Beispiele das Gesagte nicht ein, denn nicht alle Thiere athmen. Der Schluss vermittelst einer solchen Ursache vollzieht sich in der zweiten Figur. Es sei z.B. A das Thier, B das Athmen, C die Mauer. Hier ist A in dem ganzen B enthalten (denn jedes Athmende ist ein Thier), aber A ist in keinem C enthalten, also ist auch B in keinem C enthalten; also athmet die Mauer nicht. Solche Aufstellung der Ursachen gleicht den übertriebenen Aussprüchen, und geschieht, wenn man den weiter abstehenden Begriff zum Mittelbegriff nimmt, wie z.B. in dem Ausspruche des Anacharsis, dass es bei den Skythen keine Flötenbläser gebe, weil dort es keine Weinstöcke gebe.

Dies sind sonach die Unterschiede der Schlüsse auf das Dass und auf das Warum innerhalb ein und derselben Wissenschaft und in Bezug auf die Stellung der Mittelbegriffe. In anderer Weise unterscheiden sich die Schlüsse aus dem Warum von denen aus dem Dass dann, wenn jeder aus einer andern Wissenschaft abgeleitet wird. Dies ist bei allen Wissenschaften der Fall, die sich so zu einander verhalten, dass die eine der andern untergeordnet ist, wie z.B. die Optik der Geometrie, die Mechanik der Stereometrie, die Harmonielehre der Arithmetik und die Lehre von den Himmelserscheinungen der Astronomie. Einige solcher Wissenschaften haben auch gleiche Namen; so heisst Astronomie sowohl die mathematische, wie die zur Schifffahrt nöthige; und Harmonielehre heisst sowohl die mathematische, wie die das Gehör betreffende.[28] In solchen Fällen haben die auf der Sinneswahrnehmung beruhenden Wissenschaften das Wissen des Dass und die mathematischen das Wissen des Warum; denn die Mathematiker besitzen die Beweise aus den Ursachen, aber wissen oft das Dass nicht, da ja die Betrachter des Allgemeinen manches von den darunter gehörigen Einzelnen nicht wissen, weil sie darauf nicht achten. Dergleichen Wissen ist da vorhanden, wo es die Formen der Dinge als etwas seinem Wesen nach Verschiedenes gebraucht, denn das mathematische Wissen beschäftigt sich mit den Formen und nicht mit den denselben unterliegenden Gegenständen; denn wenn auch die Geometrie sich mit einem unterliegenden Gegenstande beschäftigt, so geschieht es doch nicht mit dem unterliegenden Gegenstande als solchen. So wie sich die Optik zur Geometrie verhält, so verhält sich ein anderes Wissen, z.B. das über den Regenbogen zu der Optik. Das Wissen, dass der Regenbogen so ist, gehört dem Physiker an, aber das Wissen, warum er so ist, gehört dem Optiker an und zwar entweder durchaus oder mit Hülfe mathematischer Sätze. Uebrigens verhalten sich auch viele andere, einander nicht untergeordnete Wissenschaften so zu einander, z.B. die Arzneiwissenschschaft zur Geometrie. So weiss z.B. der Arzt, dass die kreisrunden Wunden schwerer heilen, aber der Geometer weiss, warum dies der Fall ist.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 26-29.
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