Viertes Kapitel

[70] So viel in Bezug auf die hier auftretenden Bedenken; aber giebt es wohl für das Was einen Schluss und Beweis oder nicht, wie letzteres nach der vorgehenden Ausführung angenommen wurde ? Der Schluss legt nun etwas in Bezug auf ein Anderes, und zwar durch ein Mittleres dar; das Was ist dagegen etwas dem Gegenstande Eigenthümliches und in dem Was wird das Wesen des Gegenstandes ausgesagt. Dieses beides muss sich also umkehren lassen. Wenn also A etwas Eigenthümliches von C ist, so ist es ein solches offenbar auch von B und ebenso B von C, so dass mithin sie alle das Eigenthümliche von einander sind. Auch muss, wenn A als zu dem Was gehörig in allen B enthalten ist und wenn B allgemein von allen C als zu deren Was gehörig ausgesagt wird, dann A als in dem Was von C befindlich ausgesagt werden. Wenn aber die Vordersätze nicht so verdoppelt genommen werden, so ist es nicht nothwendig, dass A von C als zu dessen Was gehörig ausgesagt werde; wenn nämlich A zwar in dem Was des B enthalten ist, aber B nicht in dem Was der Dinge, von denen es ausgesagt wird. Somit müssen also sowohl A wie B das Wesen von C enthalten und es wird also auch B das Was von C enthalten. Wenn aber beide, A und B das Was und das wesentliche Was von C enthalten, so wird das wesentliche Was von C auch schon in dem vorausgehenden Mittelbegriff enthalten sein.

Wenn es also überhaupt angeht, zu beweisen, welches das Was z.B. des Menschen ist, so mag C der Mensch sein und A das Was desselben, also das zweifüssige Geschöpf oder sonst etwas anderes. Will man nun dies durch einen Schluss beweisen, so muss A von allen B ausgesagt werden können; und es wird hierfür ein anderer Mittelbegriff nöthig sein, welcher mithin ebenfalls das Was des Menschen enthält. Somit setzt man schon das, was man erst beweisen soll, denn B ist schon das Was des Menschen.

Man muss dies vorzüglich bei solchen Vordersätzen in Betracht nehmen, welche zu den obersten und unvermittelten gehören, da hier das, was ich gesagt, am deutlichsten[71] hervortritt. Wer also durch Vordersätze, die sich umkehren lassen, beweisen will, z.B. was die Seele, oder was der Mensch, oder sonst irgend ein Ding ist, der setzt das erst zu Beweisende schon voraus; z.B. wenn jemand behauptet, die Seele sei das, was sich selbst die Ursache seines Lebens sei und ein solches sei die Zahl, welche sich selbst bewege. Hier muss man nothwendig im Voraus annehmen, dass die Seele sei wie eine sich selbst bewegende Zahl und man nimmt damit schon an, dass sie das sei, was sie ist. Denn wenn A dem B blos zukommt und ebenso B dem C, so wird A nicht das wesentliche Was von C sein, sondern es wird blos wahr sein, dass A in C enthalten ist; denn dies gilt auch für den Fall, wenn A etwas der Art ist, was von jedem B ausgesagt werden kann. Denn man kann z.B. wohl das »Geschöpf sein« von allen Menschen aussagen; denn es ist wahr, dass alles was Mensch ist, auch ein Geschöpf ist, wie auch, dass jeder Mensch ein Geschöpf ist; allein man kann dies nicht in dem Sinne, dass beide eines seien; und wenn man es nicht in diesem Sinne nehmen kann, so kann man auch nicht schliessen, dass A von dem C das wesentliche Was und dessen Wesen bilde. Setzt man aber ein A in diesem Sinne, so hat man bei dem Beweise schon vorher gesetzt, dass B als das wesentliche Was in dem Was von C enthalten ist und man hat dann keinen Beweis geführt, sondern hat das zu Beweisende gleich im Beginne als wahr vorausgesetzt.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 70-72.
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