[86] 1. sarvatra-prasiddha-upadeçât
weil sie das allerwärts Angenommene lehren.

In der Schrift heisst es wie folgt: »Gewisslich dieses Weltall ist Brahman; als Tajjalân [in ihm werdend, vergehend, atmend][86] soll man es ehren in der Stille. – Fürwahr, aus Willen (kratu) ist der Mensch gebildet; wie sein Wille ist in dieser Welt, | danach wird der Mensch, wenn er dahingeschieden; darum möge man trachten nach [gutem] Willen. – Manas (Geist) ist sein Stoff, Odem sein Leib« u.s.w. (Chând. 3, 14.) – Es erhebt sich die Frage, ob hier nicht, weil das Bestehen aus Manas als Stoff u.s.w. als Qualitäten vorkommen, irgend eine verkörperte Seele als Gegenstand der Verehrung angewiesen wird, oder ob das höchste Brahman damit gemeint ist?

Angenommen also, ›es handele sich um eine verkörperte Seele; warum? weil eine solche, als der Oberherr über die Organe des Wirkens, anerkanntermassen mit Manas u.s.w. verbunden ist, nicht aber das höchste Brahman, welches vielmehr von der Schrift »der odemlose, manaslose, reine« (Muṇḍ. 2, 1, 2) genannt wird.‹ – Aber wurde nicht in den Worten »gewisslich dieses Weltall ist Brahman« das Brahman mit seinem eignen Namen erwähnt? Wie kann man also auf den Gedanken kommen, dass es sich hier um die Verehrung eines verkörperten Âtman handele? – ›Das hat nichts zu sagen, indem der Zweck dieser Stelle gar nicht der ist, eine Verehrung des Brahman vorzuschreiben, sondern vielmehr nur, die Stille [des Gemütes] zu empfehlen; daher es heisst: »gewisslich dieses Weltall ist Brahman; als Tajjalân soll man es ehren in der Stille.« Das heisst mit andern Worten: weil diese ganze, durch Umwandlung entstandene Welt in Wahrheit nur Brahman ist, indem sie aus ihm geboren (tajja), in ihm vergehend (talla) und in ihm atmend (tadan) ist, und weil, sofern das Weltall nur diese eine Seele ist, alle Leidenschaften u.s.w. unangemessen sind, darum soll man die Verehrung in der Stille [des Gemütes] üben. Ist aber der Zweck dieser Stelle nur die Vorschrift der Gemütsruhe, so kann man nicht aufrecht halten, dass sie eine Verehrung des Brahman enthalte; vielmehr wird die Verehrung, um die es sich hier handelt, durch die Worte: »darum möge man trachten nach Willen« vorgeschrieben. | »Wille«, (kratu) bedeutet Entschluss, Absicht, und mit Bezug auf ihn heisst es: »Manas ist sein Stoff, Odem sein Leib«, worin ein Merkmal der individuellen Seele liegt. Wir behaupten also, dass sich diese Verehrung auf die individuelle Seele bezieht; und wenn es weiter heisst: »allwirkend ist er, allwünschend« (Chând. 3, 14, 2), so lässt sich auch dieses Schriftwort, zufolge des Wechsels [ihrer Wanderungen], auf die individuelle Seele beziehen. Ferner wenn es heisst: »dieser ist meine Seele im innern Herzen, kleiner als ein Reiskorn oder Gerstenkorn« (Chând. 3, 14, 3), so passt das Wohnen in dem Herzen und das Sehrkleinsein wohl auf die, eine Nadelspitze grosse (vgl. Çvet. 5, 8), individuelle Seele, nicht aber auf das unbegrenzte Brahman.‹ – Aber heisst es nicht weiter: »er ist grösser als die Erde« u.s.w.; und würde dieses nicht,[87] von der begrenzten [individuellen Seele] gesagt, unpassend sein? – ›Darauf erwidern wir, dass die übermässige Kleinheit und die übermässige Grösse nicht beide auf das Nämliche bezogen werden können, weil sie sich widersprechen; muss man aber bei einem von beiden stehen bleiben, so ist es billig, bei der Kleinheit stehen zu bleiben, weil sie zuerst erwähnt wurde. Die Grösse hingegen mag sich auf das Brahman-sein derselben beziehen. Steht es nun also fest, dass von der individuellen Seele die Rede ist, so darf man auch die Erwähnung des Brahman am Schlusse: »dieses ist das Brahman« (Chând. 3, 14, 4) gleichfalls, um sie im Sinne des Themas aufzufassen, nur auf die individuelle Seele beziehen. Somit ist es die individuelle Seele, deren Verehrung auf Grund ihrer Beschaffenheiten, sofern »Manas ihr Stoff« u.s.w. ist, hier befohlen wird.‹

Auf diese Annahme erwidern wir, dass es nur das höchste Brahman sein kann, welches hier in seinen Qualitäten: »Manas ist sein Stoff« u.s.w. der Verehrung empfohlen wird; warum? »weil sie das allerwärts Angenommene lehren«; d.h.: die in allen Vedântatexten angenommene, durch das Wort »Brahman« bezeichnete Weltursache, welche | auch hier zu Anfang der Stelle durch die Worte: »gewisslich dieses Weltall ist Brahman«, erwähnt wurde, eben diese wird, als bestimmt durch die Qualitäten, nach denen »Manas ihr Stoff« u.s.w. ist, hier zur Sprache gebracht. Und auf diese Weise braucht kein Aufgeben des Themas und Übergehen auf ein Nichtthema hier angenommen zu werden. – ›Aber wir sagten doch, dass das Brahman im Eingange der Stelle nur um der Vorschrift der Gemütsruhe willen, nicht aber um seiner selbst willen erwähnt werde?‹ – Darauf antworten wir: wenn auch das Brahman um der Vorschrift der Gemütsruhe willen erwähnt wurde, so steht es doch in unmittelbarer Nachbarschaft der Aussprüche, dass »Manas sein Stoff« u.s.w. sei; die individuelle Seele hingegen kommt weder in der Nähe dieser Aussprüche vor, noch wird sie überhaupt nur nach ihrem eigentlichen Namen erwähnt, [während für Brahman beides der Fall ist;] das ist der Unterschied.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 86-88.
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