[88] 2. vivakshita-guṇa-upapatteç ca
und weil die beabsichtigten Eigenschaften zutreffen.

»Beabsichtigt« bedeutet hier das, was zu sagen gewünscht wird. Zwar ist der Veda kein Werk von Menschenhand, ist nicht etwas, das uns irgend jemand sagte; daher auch bei ihm ein [derartiger][88] Wunsch als Zweck nicht angenommen werden kann. Inzwischen kann doch bildlich von einem solchen die Rede sein, sofern als Frucht [des Wunsches] dabei besteht, dass wir etwas [im Veda Vorkommendes] uns zu eigen machen. Denn auch im gemeinen Leben nennen wir das, was in den Worten so dargelegt wird, dass wir es uns zu eigen machen sollen, das Beabsichtigte, und was wir uns nicht zu eigen machen sollen das Nicht-Beabsichtigte. Ebenso bildet auch im Veda das, was ausgesprochen wird, damit wir es uns aneignen, das Beabsichtigte, das Übrige das Nicht-Beabsichtigte. Aneignung und Nichtaneignung aber richten sich bei einem Vedatexte danach, ob etwas als Zweck vorliegt oder nicht vorliegt.

So bedeuten auch hier [in unserm Sûtram] »die beabsichtigten Eigenschaften« diejenigen, welche hingestellt werden, damit wir sie zum Zwecke der Verehrung acceptieren. Diese also, nämlich dass »sein Ratschluss Wahrheit« ist u.s.w., treffen zu auf das höchste Brahman. Denn dass sein Ratschluss Wahrheit ist, passt auf den höchsten Âtman, sofern derselbe in Bezug auf Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der Welt eine unbegrenzte Machtvollkommenheit besitzt. Und als Eigenschaften des höchsten Âtman werden ja auch an der Stelle »das Selbst, das sündlose« u.s.w. (Chând. 8, 7, 1) erwähnt, dass »sein Wünschen wahrhaft, wahrhaft sein Ratschluss« sei (Chând. 8, 7, 1.) Und die weiteren Worte [an unserer Stelle Chând. 3, 14, 2] »sein Selbst die Unendlichkeit« [wörtlich: sein Selbst ist der akaça, Äther, Raum] u.s.w. besagen, dass sein Selbst dem [unendlichen] Räume vergleichbar ist. Die Ähnlichkeit aber des Brahman mit dem Raume besteht darin, dass beide unter anderm die Eigenschaft der Allgegenwart (sarvagatatvam) besitzen. Und eben darauf weisen auch die Worte: »er ist grösser als die Erde« u.s.w. (Chând. 3, 14, 3) hin. Aber auch wenn man die Stelle dahin erklärt, dass sein Selbst dem Raume [nicht vergleichbar, sondern] gleich sei, so passt auch dieses zu dem die ganze Welt hervorbringenden und alles beseelenden Brahman, dass der Raum sein Selbst ist; und aus eben diesem Grunde heisst es weiter von dem Âtman, er sei: »allwirkend« u.s.w., [»allwünschend, allriechend, allschmeckend, das All umfassend, schweigend, unbekümmert«]. In dieser Weise treffen die hier zum Zwecke der Verehrung »beabsichtigten Eigenschaften« auf das Brahman zu. Wenn aber behauptet wurde, dass die Stelle »Manas ist sein Stoff, Odem sein Leib« | ein Merkmal der individuellen Seele enthalte, welches auf das Brahman nicht passe, so erklären wir, dass auch dieses [Merkmal] auf Brahman passt, sofern die der individuellen Seele zukommenden Qualitäten wie »Manas ist sein Stoff« u.s.w. auch dem Brahman zukommen, weil dasselbe die Seele von allem ist. Und in diesem Sinne heisst es von Brahman in der Schrift (Çvet. 4, 3):[89]


»Du bist das Weib, du bist der Mann, das Mädchen und der Knabe,

Geboren, wächst du allerwärts, du wankst als Greis am Stabe;«


und die Smṛiti sagt (Bhag. G. 3, 13):


»Nach allen Seiten streckt es Füss' und Hände,

Nach allen Seiten Augen, Haupt und Mund;

Nach allen Seiten hört es in den Räumen,

Umhüllend allerwärts das Weltenrund.«


Was aber die Schriftstelle »der odemlose, manaslose, reine«, (Muṇḍ. 2, 1, 2) betrifft, so bezieht sich dieselbe auf das reine [d.h. attributlose] Brahman; die gegenwärtige Stelle hingegen, »Manas ist sein Stoff, Odem sein Leib«, bezieht sich auf das attributhafte Brahman; das ist der Unterschied. Also, »weil die beabsichtigten Eigenschaften zutreffen«, darum ist es das höchste Brahman, auf welches hier zum Zwecke der Verehrung hingewiesen wird.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 88-90.
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