[117] 23. rūpa-upanyāsāc ca
auch wegen der Schilderung seiner Gestalt.

Hierzu kommt, dass, nachdem in den auf die Stelle »noch höher als das höchste Unvergängliche« unmittelbar folgenden Worten: »aus ihm entsteht der Odem« (Muṇḍ. 2, 1, 3), die Schöpfung der Wesen vom Odem abwärts bis zur Erde hin gelehrt worden, die Gestalt eben jenes Mutterschosses der Wesen, wie sie aus allem Erschaffenen zusammengesetzt ist, in anschaulicher Weise geschildert wird, indem es heisst (Muṇḍ. 2, 1, 4):


»Sein Haupt ist Feuer, seine Augen Mond und Sonne,

Die Himmelsgegenden die Ohren, seine Stimme ist des Veda Offenbarung.

Wind ist sein Hauch, sein Herz die Welt, aus seinen Füssen Erde; –

Er ist das inn're Selbst in allen Wesen.«


Diese Schilderung passt nur auf den höchsten Gott, weil er die Ursache aller seiner Umwandlungen ist, nicht auf die individuelle Seele, deren Machtgrösse eine beschränkte ist; und ebensowenig[117] ist diese Schilderung der Gestalt bei der Urmaterie zulässig, weil auf sie nicht passt, dass sie das innere Selbst der Wesen sei. Somit ergiebt sich, dass unter dem Mutterschosse der Wesen nur der höchste Gott und nicht die beiden anderen verstanden werden können. Aber woher wissen wir, dass die hier geschilderte Gestalt auf den Mutterschoss der Wesen sich bezieht? Daher, weil von diesem vorher die Rede war, und weil die Worte »aus ihm« auf dieses Vorhergehende zurückweisen. Da in diesem von dem Mutterschosse der Wesen gehandelt wurde, so folgt, dass auch die Worte: »aus ihm entsteht der Odem« – »er ist das innere Selbst in allen Wesen« u.s.w. nur auf den Mutterschoss der Wesen sich beziehen können; ähnlich wie, wenn von einem Lehrer die Rede war, und es weiter heisst: »von ihm lass dich belehren, er hat die Veda's und die Vedā ga's durchstudiert«, dieses Wort sich nur auf den Lehrer | beziehen kann. – ›Aber wie kann dem mit den Eigenschaften der Unsichtbarkeit u.s.w. ausgestatteten Mutterschosse der Wesen eine individuelle Gestalt zugeschrieben werden?‹ – Hierin liegt kein Fehler, weil die Stelle nur bezweckt, die Allbeseelung durch denselben zu lehren, nicht aber ihm eine individuelle Gestalt zu geben; und es steht damit ähnlich wie mit der [auch nicht buchstäblich zu nehmenden] Stelle: »ich bin die Nahrung, ich bin die Nahrung, und ich bin der Esser der Nahrung« (Taitt. 3, 10, 6.)

Andere hingegen meinen, dass diese Schilderung der Gestalt sich gar nicht auf den Mutterschoss der Wesen beziehe, weil sie mitten unter solchen Dingen vorkommt, die entstanden sind; denn vorher hiess es (Muṇḍ. 2, 1, 3):


»Aus ihm entsteht der Odem, der Verstand und alle Sinne,

Aus ihm entstehen Äther, Wind und Feuer

Das Wasser und, alltragende, die Erde;« –


hier werden die Wesen vom Odem an bis zur Erde hin ihrer Entstehung nach geschildert; und ebenso ist wieder in dem, was auf die fraglichen Worte folgt, von einem Entstehen die Rede, von den Worten an: »aus ihm entsteht das Feuer, dessen Holz die Sonne ist« (Muṇḍ. 2, 1, 4) bis zu den Worten »aus ihm die Kräuter all' mit ihren Säften« (Muṇḍ. 2, 1, 9.) Wie kann zwischen diesen beiden Stellen, die beide von Entstandenem reden, plötzlich ohne Veranlassung eine Schilderung der Gestalt des Mutterschosses der Wesen zwischeneingeschoben werden? Auch die Lehre von der Allbeseelung [braucht hier noch nicht verstanden zu werden, denn sie] wird erst nach Abschluss der Darstellung von der Schöpfung ausgesprochen in den Worten »Geist nur ist dieses All, das Werk« u.s.w. (Muṇḍ. 2, 1, 10.) Nun sehen wir aber weiter, wie von Schrift und Smṛiti die Entstehung des[118] Prajāpati als der im Universum verkörperten Seele geschildert wird; z.B. wenn es heisst (Ṛigv. 10, 121, 1):


»Als gold'ner Keim ging er hervor zu Anfang;

Geboren, war er einz'ger Herr der Schöpfung;

Er stützt die Erde und den Himmel droben:

Wer ist der Gott, dass wir ihm opfernd dienen?«


Die Worte »ging er hervor« bedeuten soviel wie, »ward er geboren.« Ähnlich heisst es (Mārkaṇḍeya-purāṇam 45, 64):


»Er ist der Erste der Verkörperten,

Er heisst der Geist, | der Wesen Anfangsschöpfer,

Er ging hervor am Anfang als der Brahmįn.«


Auf diesen erschaffenen Purusha [wenn wir uns entschliessen, ihn und nicht den höchsten Ātman in der Schilderung Muṇḍ. 2, 1, 4 zu erkennen] würde es auch passen, dass er »das innere Selbst in allen Wesen« ist, sofern er als Lebenshauch im Innern aller Wesen seinen Standort hat. – Wer diese Auffassung teilt, der muss das Sūtram so erklären, dass erst die später in den Worten »Geist nur ist dieses All, das Werk« u.s.w. (Muṇḍ. 2, 1, 10) folgende »Schilderung seiner Gestalt« als des Allgestaltigen dem Zwecke dient, den höchsten Gott zu lehren.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 117-119.
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