Drittes Buch

[58] Jene hatte ihren Gesang schon beendet, und noch immer saß ich da, begierig, mehr zu hören, staunend, mit lauschendem Ohr, von dem Zauber des Liedes gebannt. Nach einer Weile aber sprach ich: »O du höchster Trost aller bedrängten Seelen, wie sehr hat mich schon die überzeugende Kraft deiner Lehren und der süße Wohllaut deines Gesanges erquickt! Schon halte ich mich nicht mehr für so wehrlos gegenüber den Schlägen des Schicksals, ich fürchte mich nicht mehr vor den kräftigeren Heilmitteln, die du vorhin in Aussicht gestellt hast, sondern ich sehne mich nach ihnen mit heißem Verlangen!« Sie entgegnete: »Ich habe das schon bemerkt, als du meinen Worten in schweigender Aufmerksamkeit lauschtest, und ich habe diese Wandlung deines Sinnes erwartet oder vielmehr selber herbeigeführt. Was aber noch übrig ist, das brennt zwar auf der Zunge, aber wenn es ins innere des Körpers aufgenommen ist, so wirkt es heilend und lindernd. Wenn du aber, wie du sagst, so sehr danach verlangst, mehr zu hören: welch brennende Sehnsucht wird dich dann erst erfassen, wenn du erkennst, wohin ich dich führen will!« – »Wohin denn?« fragte ich. – »Zum wahren Glück,« sagte sie, »zu jenem Glück, von dem dein Geist zwar schon eine traumhafte Ah nung hat, das er aber noch nicht völlig erkennen kann, da trügerische Bilder seine Augen noch blenden!« – »Wohlan,« rief ich, »zeige mir, ich beschwöre dich, ohne Zaudern die wahre Glückseligkeit!« – »Mit Freuden bin ich dazu bereit,« entgegnete sie, »aber zuvor muß ich noch eine dir näher liegende Sache besprechen und erläutern, damit du, wenn du hier klar siehst, auf der[58] andern Seite auch das Bild der wahren Glückseligkeit zu erkennen vermagst!«

Willst mit Erfolg du den Acker bestellen,

Mußt du entfernen zuvor das Gestrüppe,

Mußt ihn befreien von Dornen und Steinen:

Reicher dann lacht dir die kommende Ernte!

Hast du gekostet von bitterer Speise,

Süßer dann mundet das Werk dir der Bienen!

Brachte der Südwind Donner und Regen,

Dann um so schöner erglänzen die Sterne,

Und nach dem nächtlichen Dunkel verkündet

Lucifer immer das Nahen des Tages!

Darum auch du, der nach trügendem Glück

Strebte bisher: befreie dich endlich!

Siehe, das wahre Glück schauest du nun!

Nachdem sie geendet, saß sie ein Weilchen mit gespanntem und gleichsam in das Innere ihrer eigenen hehren Seele zurückgewandtem Blicke schweigend da. Dann fuhr sie fort: »Alles Dichten und Trachten der Menschen, wie es sich in ihren so mannigfaltigen Bestrebungen bethätigt, schlägt zwar äußerlich sehr verschiedene Wege ein, aber schließlich läuft es doch immer auf das eine letzte Ziel, die Erlangung der Glückseligkeit, hinaus. Diese aber ist das höchste Gut, nach dessen Erlangung nichts mehr zu wünschen übrig bleibt. Es ist das höchste Gut, das alles Begehrenswerte in sich enthält. Denn wenn ihm auch nur das Geringste fehlte, so würde eben noch etwas außer ihm zurückbleiben, das wünschenswert erscheinen könnte, und dann wäre es eben nicht mehr das höchste Gut. Die Glückseligkeit ist also derjenige Zustand, der mit allen Gütern ohne Ausnahme überschüttet und dadurch zum allervollkommensten erhoben ist. Diesen Zustand nun erstreben, wie ich vorhin sagte, alle sterblichen Menschen, wenn auch auf verschiedenen Wegen. In aller Herzen hat die Natur[59] das Verlangen nach dem wahren Gut hineingepflanzt, und dies Verlangen ist nur durch trügenden Irrtum nach falschen Zielen abgelenkt. Die einen sehen das höchste Gut in dem Freisein von jedem Mangel und streben deshalb nach Reichtum und Überfluß. Andere wieder, weil sie dies für das Schätzenswerteste halten, streben danach, sich hohe Würden zu erringen und dadurch eine achtunggebietende Stellung unter ihren Mitbürgern einzunehmen. Noch andere sehen in der höchsten Macht das höchste Gut, und deshalb wollen sie entweder selber herrschen oder sie suchen sich an die Herrschenden heranzudrängen und Einfluß auf sie zu gewinnen.

Diejenigen wieder, die den Ruhm für das Höchste halten, suchen durch hervorragende Thaten im Kriege oder im Frieden ihren Namen bekannt zu machen. Den meisten aber ist die Freude und die Lust der einzige Wertmesser des Glücks, dessen Gipfel sie im völligen Aufgehen im Genuß erblicken. – Es giebt endlich auch solche, die nach einem der genannten Dinge streben, aber nur um dadurch eines andern teilhaftig zu werden: so wünschen sich einige Reichtümer, um durch sie Macht zu gewinnen oder sich Vergnügen und Lust bereiten zu können, andere dagegen streben nach Macht, um dadurch zu Reichtum oder zu Ruhm zu gelangen.

So richtet sich also alles Thun und Wünschen der Menschen auf die genannten Dinge und noch auf manche andere, wie z.B. auf Vornehmheit und Volksgunst, weil diese einen gewissen Glanz verleihen, oder auf den Besitz von Gattin und Kindern, zur Verschönerung des häuslichen Lebens, und was endlich die Freunde anlangt, so sind diejenigen, die diesen Namen in seiner edelsten Bedeutung führen, nicht ein Geschenk des Glücks, sondern ein Lohn der Tugend, die andern aber sind willkommen, teils zur Vermehrung der Macht, teils aber nur zur Unterhaltung.

Ferner werden bekanntlich auch körperliche Vorzüge zu den höchsten Gütern gerechnet. Körperliche Kraft und Größe[60] scheint nämlich Macht zu gewährleisten, Schönheit und Zierlichkeit scheint Ansehen und Beliebtheit zu gewinnen, Gesundheit aber den vollsten Genuß des Lebens zu ermöglichen. Und in allen diesen Dingen, in Macht, Beliebtheit und Genuß erstrebt man eben die höchste Glückseligkeit. Denn das, was jemand vor allem andern begehrt, das hält er für das höchste Gut und das höchste Gut haben wir vorhin als die höchste Glückseligkeit definiert. Denjenigen Zustand hält man also für den glückseligsten, den man vor allen andern sich wünscht.

Ich habe dir also jetzt vor Augen geführt, als Formen des menschlichen Glücks: Reichtum, Ehre, Macht, Ruhm und Vergnügen. Epikur betrachtet nun alle diese Dinge einfach an sich und sagt dann ganz folgerichtig, daß für ihn das Vergnügen dies höchste Gut sei, weil eben auch alles andere schließlich dem Geiste Vergnügen bereite.

Ich kehre nun aber zu dem Streben der Menschen zurück, deren Geist ein ihm ursprünglich eigenes Gut wiederzuerlangen begehrt, wenn er sich desselben auch nur noch dunkel als seines Eigentums erinnert und wie ein Trunkener nicht mehr weiß, welcher Weg ihn wieder nach Hause zurückführt.

Irren nun etwa diejenigen, die jeden Mangel von sich fern zu halten trachten? Sicher kann doch aber nichts in dem Maß Glückseligkeit bereiten, wie ein mit allen Gütern gesegneter Zustand, der keines außer ihm liegenden Dinges mehr bedarf und sich selber völlig genügt.

Irren nun aber etwa die, welche das Beste in der Welt für das Achtungs- und Verehrungswürdigste halten? Mit nichten, denn dasjenige, dessen Erreichung das Ziel des Strebens fast aller Sterblichen ist, kann gewiß nichts Wertloses und Verächtliches sein!

Oder ist etwa die Macht nicht zu den Gütern zu zählen? Wie? Kann denn dasjenige für schwach und kraftlos gelten, was sich thatsächlich alle Dinge unterwirft?[61]

Oder ist das Ansehen wertlos? Es ist doch nun einmal so, daß alles, was höchst vortrefflich ist, sich auch des höchsten Ansehens erfreut!

Daß aber die Glückseligkeit auch nicht voll Angst und Trauer und dem Schmerz und Leid unterworfen sein kann, brauche ich wohl gar nicht mehr hinzuzufügen, da ja schon bei den kleinsten Dingen vor allem danach gestrebt wird, daß ihr Besitz uns Genuß und ungetrübte Freude bereite!

Das also ist der Grundzug alles Strebens der Menschen: sie verlangen nach Reichtümern, Ehrenstellen, nach Herrschaft, Ruhm und Lust, weil sie glauben, daß ihnen durch diese Dinge eine sich selbst genügende, alle weiteren Wünsche ausschließende Würde, Macht, Berühmtheit und Freude zu teil werde!

Das höchste Gut ist das Ziel des so unendlich verschiedenen Strebens der Menschen, und es ist nun leicht zu zeigen, wie großen Einfluß auf die nähere Gestaltung dieses Strebens und die Wertschätzung jenes höchsten Gutes der Charakter des einzelnen hat. Denn wenn auch alle das eine Ziel, eben das höchste Gut, vor Augen haben, so sind im einzelnen doch die Ansichten darüber äußerst verschieden und mannigfaltig.


Wie mächtig die Zügel regiert die Natur,

Nach weiten Gesetzen sie weise bewahrt

Und lenkt den unendlichen Kreis der Welt

Und alles umschlingt mit ewigem Band:

Das will ich verkünden in lautem Gesang

Zum Klang der schwingenden Saiten!

Zwar tragen die Löwen aus Punierland

Die glänzenden Fesseln, und nehmen so zahm

Aus der Hand die Speisen, und fürchten so feig

Die strafende Rute des Wärters!

Doch kosten sie wieder das dampfende Blut.

Da bricht die verhaltene wilde Natur

Von neuem hervor mit grausem Gebrüll![62]

Da befrei'n sie den Nacken vom fesselnden Zwang,

Da erfährt als erster die rasende Wut,

Zerfleischt von den Zähnen, der Wärter!

In den Käfig hat man den Vogel gebannt,

Der eben noch sang auf ragendem Zweig.

Da bereitet das Mahl ihm, so reich wie noch nie,

Da füllt ihm den Napf mit Honig so süß

Die liebende Sorge der Menschen.

Doch wenn er dann, hüpfend im engen Gemach,

Den schattenden Wald, den geliebten, erblickt:

Dann stößt er das Futter hinweg mit dem Fuß:

Die Wälder allein ersehnt sein Sinn

Und es ruft die Wälder sein klagender Sang!

Das Bäumchen, von kräftigem Arme gebeugt,

Zur Erde senkt es den Wipfel hinab.

Doch sobald es befreit von der zwingenden Hand,

Da schnellt es von neuem zum Himmel empor!

Wenn Phöbus versank in hesperische Flut,

Dann führt er den Wagen auf heimlichem Pfad

Zu des Aufgangs heimischer Stätte zurück.

So kehrt nun ein jedes zum Ausgang zurück

Und freut sich der Quelle, der einst es entsproß,

Und die einzige Ordnung von festem Bestand

Ist die, die den Anfang dem Ende vereint

Und stets ohne Wandel den Kreislauf vollbringt!


Auch ihr, ihr irdischen Wesen, habt von eurem Ursprung, wenn er euch auch nur als ein unbestimmtes Schattenbild vorschwebt, doch immerhin noch eine gewisse traumhafte Ahnung, und wenn ihr jenes wahre Ziel der Glückseligkeit auch nicht mehr klar und deutlich erkennt, so ist eine gewisse Vorstellung davon euch dennoch geblieben. Zur Glückseligkeit, zu dem wahren Gut, führt euch ein natürlicher Trieb, aber mannigfach wechselnder Irrtum lenkt eure Schritte wieder vom rechten Wege ab. Prüfe doch einmal, ob die Menschen durch die Dinge, in denen sie die Glückseligkeit zu erlangen hoffen, wirklich das vorgesteckte Ziel zu erreichen[63] vermögen! Zwar wenn Schätze und Ehrenstellen oder etwas anderes dieser Art einen Zustand herbeiführen könnten, dem auch nicht ein einziges Gut mehr mangeln würde, dann gebe auch ich zu, daß manche Menschen sehr wohl durch Erlangung jener Dinge glücklich werden können.

Wenn aber jene Dinge das nicht zu halten vermögen, was sie versprechen und manchen Wunsch unerfüllt lassen müssen, dann ist jene angebliche Glückseligkeit doch offenbar als falscher Schein entlarvt!

Zunächst nun will ich dir einmal die Frage vorlegen, dir, der du noch vor kurzem in Überfluß und Reichtum lebtest: Hat inmitten jener überreichen Schätze dein Herz niemals Kummer empfunden wegen irgend eines dir zugefügten Unrechts?«

»Soweit ich mich erinnere,« entgegnete ich, »war mein Geist allerdings niemals so vollkommen frei, daß ihm auch nur für einen Augenblick alles seid gänzlich fern gelegen hätte!«

»Und nicht wahr,« fragte sie weiter, »Kummer hast du immer empfunden, wenn dir entweder etwas fehlte, was du gern gehabt hättest, oder etwas da war, was du nicht haben wolltest?« – »So ist es!« entgegnete ich. – »Du wünschtest also bald die Gegenwart, bald die Abwesenheit irgend eines Dinges oder Zustandes?« – »Das gebe ich zu!« – »Ein jeder empfindet also das Fehlen eines erwünschten Gegenstandes als einen Mangel?« – »Allerdings!« – »Hat denn aber derjenige, der an irgend etwas Mangel leidet, ein vollkommenes Selbstgenügen?« – »Gewiß nicht!« – »Du empfandest also dies Nichtgenügen inmitten all deiner Reichtümer?« – »Ja, das gestehe ich offen!« – »Die Reichtümer,« fuhr sie fort, »sind also durchaus nicht imstande, jeden Mangel fern zu halten und ihren Besitzer zufrieden zu machen, und das ist es gerade, was sie uns zu versprechen scheinen. Außerdem ist nun aber noch wohl zu beachten, daß in der Natur des Geldes durchaus kein Hindernis dafür liegt, daß es seinem Besitzer nicht auch[64] wieder entwendet werde!« – »Das gebe ich zu!« warf ich ein. – »Was ist dazuzugeben?« fuhr sie fort. »Ist es nicht offenkundig, daß es der Mächtige dem Schwächeren täglich gegen dessen Willen entreißt? Haben denn die ewigen Klagen vor den Gerichten etwa einen andern Grund, als daß Geld zurückverlangt wird, das seinem Eigentümer durch Gewalt oder Betrug wider seinen Willen genommen wurde?!« – »Nein,« sagte ich, »es ist leider so, wie du sagst!« – »Es bedarf also jeder des Schutzes und muß äußere Hilfe herbeirufen, um sich sein Geld bewahren zu lassen?« – »Das ist nicht zu leugnen!« – »Er würde aber dieses Schutzes nicht bedürfen, wenn er kein Geld hätte, das er verlieren könnte?« – »Allerdings nicht!« – »Die Sache ist also jetzt vollkommen ins Gegenteil verkehrt! Die Reichtümer, die, wie man glaubte, das Selbstgenügen bewirken sollten, machen ihre Besitzer nur fremden Schutzes bedürftig! Kann also die Bedürftigkeit irgendwie durch Reichtümer gehoben werden? Können die Reichen nicht hungern? Können sie nicht dursten? Sind die Glieder der Wohlhabenden unempfindlich für die winterliche Kälte?! Du wirst nun wohl einwenden, daß die Reichen doch wenigstens die Mittel haben, um den Hunger zu stillen, den Durst zu löschen und die Kälte zu vertreiben. Ja, so kann man sich allerdings mit den Reichtümern wegen jener Mängel trösten, aber ganz aus der Welt schaffen kann man sie nicht damit! Denn wenn auch die Bedürftigkeit, die stets etwas begehrt und stets etwas erfordert, befriedigt werden kann, so muß sie, um eben befriedigt werden zu können, vorher doch thatsächlich vorhanden gewesen sein!

Daß die Natur mit sehr wenigem, die Habsucht aber mit nichts zufrieden ist, davon will ich jetzt nicht reden.

Wenn also die Reichtümer die Bedürftigkeit nicht zu beseitigen vermögen, dieselbe vielmehr ihrerseits erzeugen, wie kann man dann annehmen, daß dieselben volles Genügen zu bringen imstande sind?!«
[65]

Wenn auch in goldnem Strom die Schätze fort und fort,

Ihm doch nimmer genug, fließen dem Geizigen zu;

Schmückt auch des Roten Meeres Perlen seinen Hals,

Pflügen auch hundert und mehr Stiere sein fruchtbares Land:

Der Sorge Zahn verschonet nicht des Lebenden,

Nimmer das eitle Gut folgt in das Grab ihm hinab!


»Nun ist es zwar wahr, daß die Ehrenstellen demjenigen, dem sie zu teil werden, Achtung und Ansehen verschaffen, aber sind denn die staatlichen Würden auch imstande, den Herzen ihrer Inhaber die Tugend einzupflanzen und die Laster daraus zu vertreiben? Im Gegenteil, sie pflegen die Schlechtigkeit nicht zu beseitigen, sondern sie nur in noch hellerem Lichte erscheinen zu lassen! Daher wird ja so oft unser Unwille dadurch erregt, daß jene Würden verworfenen Menschen verliehen werden, und Catull nannte den Nonius einen Tropf, trotzdem er ein kurulisches Amt bekleidete! Du siehst also, welche Schande die Ehrenstellen schlechten Subjekten bringen können, da deren Verworfenheit viel weniger hervortreten würde, wenn sie nicht in dem Glanz des hohen Amtes sich allen sichtbar darstellte! Auch du selbst, haben dich so viele drohende Gefahren dazu bewegen können, das Amt des magister officiorum zusammen mit dem Dekoratus zu verwalten, den du als den nichtswürdigsten Schmeichler und Angeber erkannt hattest?

Wegen der Würden, die sie bekleiden, können wir also diejenigen nicht für ehrbar und achtungswert halten, von denen wir wissen, daß sie jener Ehren durchaus unwürdig sind. Könntest du aber auf der andern Seite von einem mit Weisheit begabten Manne glauben, daß er der Achtung oder gar seiner eigenen Weisheit unwürdig sei?« – »Gewiß nicht!« – »Nein, denn die Tugend hat ihre eigene, ihr von Natur innewohnende Würde, die sie alsbald auch auf diejenigen ausgießt, in deren Herz sie eingezogen ist! Das[66] vermögen die öffentlichen Ehrenämter nicht, es fehlt ihnen also die Zierde eigener, natürlicher Würde!

Das eine ist also wohl zu bemerken: Wenn der Grad der Verächtlichkeit eines Menschen bedingt ist durch die Zahl derjenigen, die ihn verachten, so machen die staatlichen Ehrenstellen, die niemand ehrwürdig machen können, die Bösewichter gerade um so verächtlicher, je mehr Menschen sie ihn und seine Schlechtigkeit vor Augen führen!

Aber nicht ungestraft thun sie dies! Gleiches mit Gleichem vergelten ihnen die Verworfenen, indem sie sie selbst durch ihre Berührung beflecken!

Damit du aber noch deutlicher siehst, wie die wahre Würde nicht durch jene schattenhaften staatlichen Ehren verliehen werden kann, magst du folgendes erwägen: Gesetzt den Fall, es wird jemand, der mehrmals das Konsulat bekleidet hat, durch den Zufall zu barbarischen Völkern verschlagen: wird ihn dann jene Ehre auch in den Augen der Barbaren achtungswert erscheinen lassen? Wäre dies die natürliche Aufgabe und Wirkung der staatlichen Würden, so müßten sie diese ihre Funktion auch bei allen Völkern erfüllen, so wie das Feuer überall seine wärmende Kraft bethätigt! Da dies aber nicht ihre eigene, wesentliche Fähigkeit, sondern nur von den Menschen irrtümlich ihnen angedichtet ist, so schwinden sie dahin, sobald sie zu Leuten kommen, die sie nicht mehr als wirkliche Ehren anerkennen!

So geht es mit ihnen bei den auswärtigen Völkern. Wie ist es aber in ihrer eigenen Heimat, haben sie dort wenigstens unbeschränkte Dauer und Geltung? Da haben wir z.B. die Präfektur. Einst war sie ein hochbedeutendes Staatsamt und ist sie jetzt nicht nur noch ein leerer Name und eine Last für die Männer senatorischen Standes? Einst wurde der für groß gehalten, der das Volk mit Getreide versorgte, und heute? Giebt es heute etwas Verachteteres als die Getreidepräfektur?

Auch hier bestätigt sich also der Satz, daß dasjenige, dem[67] keine eigene Würde innewohnt, seinen Glanz nur durch die jeweilige Wertschätzung der Menschen erhält und auch verliert!

Wenn also jene Ehrenämter ihre Träger nicht wirklich ehrenwert zu machen vermögen, wenn sie vielmehr durch die Verleihung an Unwürdige geschändet werden, wenn sie im Wechsel der Zeiten ihren Glanz verlieren, wenn sie bei anderen Völkern gar nichts gelten: was in aller Welt ist dann an ihnen so verlockend und begehrenswert, daß sie mit Recht allen anderen Dingen vorgezogen werden könnten?!


Ob auch immer den Leib der stolze Nero

Schmückte mit Purpur und edlen Steinen,

War er dennoch verhaßt den Menschen allen

Ob seiner Laster und wilden Begierden.

Oftmals aber verlieh der böse Kaiser

Würdigen Vätern entehrende Würden!

Wer denn könnte die Ehrenämter preisen,

Die uns ein ehrloser Kaiser verliehen?!


Ist nun aber nicht eine Krone oder doch nahe Vertrautheit mit regierenden Häuptern imstande, dem Menschen Macht zu verleihen? Warum nicht, wenn nur das durch sie verliehene Glück ewigen Bestand hat! Reich ist aber die alte Zeit, reich nicht minder auch die neue an Beispielen von Königen, deren Glück sich hernach in Unglück verwandelt hat! O du gewaltige Macht, die du nicht einmal dich selbst zu erhalten imstande bist!

Wenn aber wirklich die Herrschergewalt die Quelle der Glückseligkeit ist, dann muß doch jeder Verlust, jede Beschränkung derselben das Glück mindern und Unglück herbeiführen. So weit ausgedehnte Herrschaftsgebiete es nun aber auch giebt, so müssen doch immer noch zahlreichere Völker übrig bleiben, die nicht mehr der Gewalt eines jeden Königs unterstehen. Es müßte also überall, wo die glückbringende[68] Macht aufhört, Ohnmacht eintreten und dem Herrscher die Glückseligkeit rauben, und es müßte demnach das Gefühl des Unglücks bei sämtlichen Königen vorwiegen! Ein Tyrann, der das Gefährliche seiner Stellung erfahren hatte, verglich die Sorgen und Ängste, die den Herrscher stets begleiten, mit einem Schwert, das über seinem Haupte schwebt! Was aber ist das für eine Macht, die die nagenden Sorgen nicht zu vertreiben und dem Stachel der ewigen Furcht nicht zu entgehen vermag?!

Wohl wünschten die Fürsten, in Sicherheit leben zu können, aber es ist ihnen nicht vergönnt, und trotzdem prahlen sie mit ihrer Macht! Oder kannst du etwa den für mächtig halten, der, wie du siehst, nicht kann, was er will? Kannst du den für mächtig halten, der sich mit Trabanten umgiebt, der selbst vor denen zittert, denen er Schrecken einjagt, der, um den Schein der Macht zu bewahren, sich selbst den Händen dienender Sklaven anzuvertrauen genötigt ist?!

Was soll ich nun, nachdem ich die Schwäche und Machtlosigkeit der Krone selbst schon dargethan habe, noch von denen sagen, die in naher Verbindung mit den Herrschern stehen und Einfluß bei ihnen besitzen? Oft werden diese Leute noch durch den Fürsten selbst, solange seine Macht noch nicht erschüttert ist, vernichtet, oft hat der Sturz des Herrschers auch ihr Verderben mit im Gefolge! Nero zwang den Seneka, seinen Freund und Lehrer, sich selbst die Todesart zu wählen, und den Papinian, der so lange am Hofe des Carakalla mächtig war, gab dieser schließlich selbst den Schwertern der Gardisten preis! Und dabei hatten beide die Absicht gehabt, ihrer Machtstellung zu entsagen, und Seneka wollte sogar alle seine Schätze dem Nero übergeben und sich in ein bescheidenes, beschauliches Leben zurückziehen. Aber wie der Stürzende durch sein eigenes Gewicht in den Abgrund gerissen wird, so war es auch ihnen nicht mehr möglich, diese ihre Pläne zu verwirklichen.[69]

Was ist also das für eine Macht, die ihren eigenen Träger mit Furcht erfüllt, in deren Besitz du nicht sicher sein darfst und die du nicht wieder von dir werfen kannst, wenn du es möchtest!?

Und sind denn solche Freunde ein Schutz für dich, die nicht deine Tugend, sondern dein Glück dir zugeführt hat? Nein! Denn derjenige, den das Glück dir zum Freunde machte, der wird im Unglück dein Feind! Welche Pest aber kann verderbenbringender sein, als ein Feind, der dein volles Vertrauen besitzt?


Wer stark will sein und gewaltig,

der zähme die wilden Begierden,

und beuge, besiegt von der Wollust,

nicht schimpflicher Fessel den Nacken!

Denn gehorcht auch deinen Befehlen

mit Zittern Indiens Ferne,

gehorcht auch die äußerste Thule:

so nenn' ich dich doch nicht gewaltig,

wenn du nicht vermagst zu verscheuchen

die Klagen und bitteren Sorgen!


Der Ruhm aber, wie trügerisch ist er oft und wie wenig ruhmvoll! Nicht unrecht hat Euripides, wenn er in seiner ›Andromache‹ (V. 319-320) sagt:


O Ruhm, o Ruhm, wie viele tausend Sterbliche,

Die nichts gewesen, hobest du zur Macht empor!

(Donner.)


Denn viele Menschen haben schon, lediglich durch die falsche Meinung der Menge, einen großen Namen gewonnen, und das ist doch gewiß das Demütigendste, was sich überhaupt denken läßt! Wer ohne Grund gepriesen wird, muß ja vor den ihm selbst gespendeten Lobsprüchen erröten! Sind die letzteren aber wirklich rechtmäßig verdient, so können sie doch in keiner Weise die eigene Wertschätzung des Weisen[70] erhöhen, der das von ihm geleistete Gute nicht nach dem Urteil des Volkes, sondern nach dem untrüglichen Maßstab des eigenen Gewissens schätzt!

Wenn aber die Bekanntmachung des Namens schon an und für sich etwas Schönes ist, so muß es folgeweise schmachvoll sein, wenn derselbe völlig verborgen und unbekannt bleibt. Da es nun aber, wie ich vorhin schon bemerkte, notwendigerweise viele Völker geben muß, zu denen der Ruf eines einzelnen Menschen niemals zu dringen vermag, so kann es eben vorkommen, daß der, den du für ruhmvoll hältst, auf dem nächsten Teile der Erde jeglichen Ruhmes gänzlich entbehrt!

Hierbei habe ich die bloße Volksgunst gar nicht einmal der Erwähnung für würdig gehalten, weil sie auf keiner Urteilskraft beruht und immer unbeständig ist.

Wer sieht ferner nicht ein, wie leer und eitel der Begriff der Vornehmheit ist! Als Folge des Ruhmes ist sie eigentlich ein fremdes Gut, nämlich ein den Vorfahren wegen ihrer Verdienste gespendetes Lob. Wenn ein solches Lob aber dem Namen hohen Glanz verleiht, so kann dieser Glanz doch eigentlich nur auf diejenigen fallen, die den Ruhm thatsächlich gewonnen haben. Hast du dich also nicht selbst ausgezeichnet, so kann auch der Ruhm eines andern dir keinen Glanz verleihen!

Wenn aber der Adel trotzdem etwas Gutes in sich birgt, so liegt dies meiner Meinung nach darin, daß den Adeligen die Verpflichtung auferlegt zu sein scheint, es ihren großen Ahnen an Tugend gleichzuthun!

Siehe, das ganze Menschengeschlecht stammt aus der gleichen Quelle:

Einer allein ist Vater des Alls, einer regiert die Welten,

Gab der Sonne den hellen Strahl, gab dem Monde die Sichel,

Schloß in der Körper niedres Haus ewige himmlische Seelen!

[71] Also die Sterblichen allzumal sproßten aus edlem Stamme.

Pocht drum nimmer auf Ahnen und Stand: wenn ihr gedenkt der Herkunft,

Wenn ihr des göttlichen Ahnherrn denkt: dann fehlt keinem der Adel,

Als wer, Schändlichem zugewandt, schändet den eignen Ursprung!


Was soll ich nun aber von den fleischlichen Lüsten sagen, um deren willen man oft viel Not und Mühe auf sich nimmt und die doch nach ihrer Befriedigung im Herzen nichts als Reue und Ekel zurücklassen? Wie schreckliche Krankheiten, wie unerträgliche Schmerzen pflegen sie, gleichsam zur Vergeltung für ihre Verworfenheit, dem Körper der Lüstlinge zu verursachen! Welche Annehmlichkeiten ihr Kitzel verursachen könnte, ist mir unerfindlich, aber wie traurig bei ihnen das Ende ist, das weiß ein jeder, der sich einmal an seine eigenen Ausschweifungen erinnern mag! Sind diese wirklich imstande, irgend jemand glücklich zu machen, dann ist gar kein Grund vorhanden, warum man nicht auch dem Vieh die Glückseligkeit zusprechen sollte, bei dem doch alle Wünsche auf die Befriedigung sinnlicher Begierden gerichtet sind!

Eine sehr reine und ehrbare Freude gewährt nun zwar der Besitz von Weib und Kindern, aber nur allzuwahr ist die traurige Thatsache, daß irgend jemand, ich weiß nicht mehr wer, von seinen eigenen Kindern gepeinigt worden ist, und wie sehr die Kinder ein Gegenstand der Angst sein können, daran brauche ich dich nicht zu mahnen, da du es aus Erfahrung weißt und überdies gerade jetzt wieder in so großer Sorge um deine Söhne lebst! – Ich stimme hierin völlig dem Wort des Euripides bei, der denjenigen, der keine Kinder besitzt, gerade wegen dieses Unglücks glücklich preist!


Eine jede süße Wollust

Zum Genusse will verlocken!

[72] Aber gleich den Bienen sieht sie,

Wenn den Honig sie gespendet,

Und im Herzen fühlt den Stachel,

Wer die Lust zu heiß begehrte!


Es ist also ganz zweifellos, daß die genannten Wege zur Glückseligkeit in Wirklichkeit Irrwege sind, die niemand dahin führen können, wohin sie ihn zu führen verheißen. Mit wieviel Schändlichkeiten aber das Wandeln auf diesen Wegen verbunden ist, will ich dir jetzt in Kürze begreiflich machen. Wie ist es denn? Wenn du Schätze ansammeln willst, mußt du sie denen entreißen, die sie besitzen. Wenn du in staatlichen Ehrenämtern glänzen willst, mußt du dich dem, der sie zu vergeben hat, bittend nahen und du, der du über andere durch deine Würde hervorragen willst, mußt dich durch die Demütigung des Bittens erniedrigen! Wenn du Macht gewinnen willst, wirst du den Nachstellungen deiner Unterthanen ausgesetzt und ewig von Gefahr bedroht sein. Strebst du nach Ruhm, so werden dich Widerwärtigkeiten von allen Seiten treffen und Sicherheit und Ruhe wirst du nie mehr empfinden. Willst du ein Leben der Lust führen, so wird dich jeder als den Sklaven des häßlichsten und gebrechlichsten aller Dinge, des Körpers, verachten und verabscheuen. Wie klein und vergänglich ist endlich der Besitz desjenigen, der sich mit körperlichen Vorzügen brüstet! Kann er etwa den Elefanten an Größe, an Kraft den Stier und an Schnelligkeit den Tiger übertreffen? Blickt doch nur auf die Ausdehnung, die Festigkeit und die schnelle Bewegung des Himmels, dann werdet ihr so geringe Dinge nicht mehr bewundern! Und dabei sind die genannten Eigenschaften noch nicht einmal das Bewundernswerteste am Himmel, sondern dies ist vielmehr das weise Gesetz, das ihn regiert! – Wie flüchtig aber und wie kurzlebig ist die Schönheit des Leibes, vergänglicher als die schnell welkende Blume des Frühlings! Hätten aber die Menschen, wie Aristoteles sagt, die Augen des Lynkeus, dessen Blick die[73] Dinge, aus die er fiel, durchdrang, würde dann nicht, wenn man bis in die Eingeweide hineinschaute, selbst ein Körper von der strahlenden Schönheit des Alkibiades häßlich und abstoßend erscheinen?! Also nicht in seiner eigenen Natur liegt die Schönheit eines Körpers, sondern in der Unvollkommenheit der Augen, die ihn anschauen!

Ihr mögt aber des Körpers Vorzüge so hoch schätzen wie ihr wollt, wenn ihr euch dabei nur dessen bewußt bleibt, daß ein dreitägiges hitziges Fieber den so sehr bewunderten zerstören kann!

Der letzte Schluß also, den wir aus allem Gesagten ziehen können, ist der, daß die Dinge, die das verheißene Glück nicht gewähren können, die auch alle zusammengenommen noch kein vollkommenes Gut ausmachen, daß diese keinesfalls die Wege zur Glückseligkeit sein können, geschweige denn selber die Menschen glücklich zu machen vermögen!

Welche Verblendung, ach, leitet vom rechten Pfad

die Menschen ab auf irre Bahn?

Sucht ihr das Gold doch nicht hoch in des Baumes Grün,

noch aus dem Weinstock edlen Stein,

Senkt ihr doch nie das Netz tief in des Berges Schlucht,

damit zum Mahl den Fisch ihr fangt,

Schweift ihr doch nicht umher auf dem Tyrrhener Meer,

wenn ihr den Rehbock jagen wollt!

Kennt doch des Menschen Geist selbst den geheimsten Grund

des Meers, von hoher Flut bedeckt,

Weiß, wo in tiefer See glänzende Perlen ruhn,

und wo die Purpurmuschel lebt,

Kennt auch den Strand, der reich köstlichen Fisch beschert,

und den, der Igeln nur gebiert!

Aber wo weilt das Glück, das sie begehren heiß,

das wissen, ach, die Menschen nicht!

Über dem Sternenzelt wohnt es in lichten Höhn;

sie suchen's tief im Erdenschoß!

[74] Was soll ich wünschen drum diesen Bethörten nun?

Sie mögen suchen Ruhm und Gold;

Haben sie aber erreicht endlich das falsche Glück:

so mögen sie das wahre schaun!


Bis hierher habe ich dir das Wesen des falschen Glücks klar zu machen gesucht. Daß wird genug sein, und wenn du alles vollkommen verstanden hast, so kann ich jetzt dazu übergehen, dir das wahre Glück zu offenbaren!« – »Ich habe aus deinen Ausführungen gelernt,« entgegnete ich, »daß der Reichtum keine Befriedigung, Kronen keine Macht, Ehrenämter keine wahre Ehrwürdigkeit und die Lust kein wirkliches Vergnügen gewähren kann!« – »Hast du denn aber auch die Gründe, warum dies so ist, erkannt?« – »Wie durch eine kleine Spalte glaube ich sie allerdings schon zu schauen, aber mit deiner Hilfe hoffe ich bald zu völliger Klarheit zu gelangen!« – »Der Grund liegt doch klar zu Tage,« fuhr sie nun fort. »Was nämlich von Natur einfach und einheitlich ist, das pflegt der Menschengeist immer zu trennen und das Wahre und Vollkommene ins Falsche und Unvollkommene zu verkehren! Antworte mir nun einmal auf folgende Fragen: Glaubst du, daß das, was von jedem Mangel völlig frei ist, trotzdem der Macht entbehren kann?« – »Nein, das glaube ich nicht!« – »Und mit Recht, denn wenn ein Ding in irgend einer Beziehung mangelhaft ist, so bedarf es notwendigerweise in diesem Punkte des fremden Schutzes!« – »So ist es,« sagte ich. – »Das volle Selbstgenügen und die Macht sind also von gleicher Natur?« – »So scheint es allerdings!« – »Hältst du nun das Mächtige und sich selbst Genügende für verächtlich, oder im Gegenteil für würdig von allen verehrt zu werden?« – »Ohne Zweifel das letztere!« – »Dann können wir also dem Selbstgenügen und der Macht noch die Achtung hinzufügen und diesen drei Dingen denselben Charakter zuerkennen?« – »Das müssen wir wohl, wenn[75] wir der Wahrheit die Ehre geben wollen!« – »Hältst du nun diese Dreiheit für etwas der Beachtung Unwürdiges und Niedriges, oder aber für etwas im höchsten Grade Rühmliches? Bevor du diese Frage beantwortest, bedenke aber wohl, ob das von uns als frei von jedem Mangel, als das Mächtigste und Ehrwürdigste Anerkannte nicht in gewisser Weise doch wieder als unvollkommen erscheinen müßte, wenn wir ihm den Ruhm und auch die Fähigkeit, Ruhm zu gewinnen, absprechen würden!« – »Ich muß allerdings anerkennen,« erwiderte ich hierauf, »daß mit den drei genannten Eigenschaften notwendig auch der höchste Ruhm verbunden sein wird!« – »Dann mußt du aber folgerichtig auch den Ruhm den vorhin genannten Dingen vollständig gleichstellen!« – »Allerdings!« sagte ich. – »Was aber keines außer ihm liegenden Dinges bedarf, was durch seine eigene Kraft alles vermag, was achtunggebietend und ruhmvoll dasteht: muß das nicht offenbar der höchsten Freude teilhaftig sein?« – »Ich kann mir allerdings in keiner Weise vorstellen,« sagte ich, »wie ein so begabtes Wesen irgend welchen Kummer empfinden könnte, und ich muß daher zugeben, daß jene Attribute, solange sie nur ihr eigenes Wesen bewahren, immer auch die höchste Freude gewähren müssen!« – »Aus demselben Grunde,« fuhr sie fort, »muß dann aber auch zugegeben werden, daß die Zufriedenheit, die Macht, die Achtung, der Ruhm und das Vergnügen zwar dem Namen nach verschieden sind, daß aber ihrem Wesen nach kein Unterschied zwischen ihnen besteht!« – »Gewiß, das ist zuzugeben!« – »Das also, was von Natur einfach und einheitlich ist, wird auseinandergetrennt von der menschlichen Verblendung, die den Teil einer unteilbaren Sache erstrebt und daher weder diesen gar nicht getrennt für sich existierenden Teil erreicht, noch auch das Ganze, nach dem sie gar nicht verlangt hat!« – »Wie meinst du das?« fragte ich. – »Ich will sagen,« antwortete sie, »wer nach Reichtümern strebt, der strebt nicht zugleich[76] auch nach Macht. Lieber will er klein und gering geachtet sein und versagt sich auch viele natürliche Lebensgenüsse, um nichts von dem Gelde, das er sammelt, zu verlieren. Auch die Zufriedenheit kann er auf diese Weise nicht erlangen, die Macht fehlt ihm, Beschwerden peinigen ihn, verächtlich ist er durch seine Niedrigkeit und ein unbekanntes Leben führt er im Verborgenen!

Wer anderseits nur nach Macht verlangt, der verschwendet seine Güter, verachtet Vergnügen und Ehre und selbst der Ruhm gilt ihm nichts, wenn er nicht mit Macht verknüpft ist! Und doch, wie vieles fehlt auch ihm zum vollen Glück! Oft leidet er Mangel am Notwendigsten, wird gequält von nagenden Sorgen und sobald er diese nicht mehr zu vertreiben vermag, ist auch seine Macht zu Ende, sie, nach der er so heiß verlangte!

Ähnliche Betrachtungen lassen sich nun auch über die Ehre, den Ruhm und das Vergnügen anstellen. Denn da jedes dieser Dinge mit den übrigen eins ist, so erlangt derjenige, der eins von ihnen ohne die andern erstrebt, auch nicht einmal das, nach dem er verlangte!

Wenn nun aber jemand alle diese Dinge zugleich zu erlangen suchte, so würde er zwar scheinbar nach der Summe aller Glückseligkeit streben. Aber glaubst du, daß er diese in jenen Dingen finden wird, von denen wir gezeigt haben, daß keins von ihnen das, was es verstricht, auch zu leisten vermag?« – »Gewiß nicht!« – »In demjenigen also, was wir in den einzelnen dieser vielbegehrten Dinge zu erreichen glauben, ist die wahre Glückseligkeit in keiner Weise zu finden!« – »Ja,« sagte ich, »ich muß zugeben, das ist vollkommene Wahrheit!« – »Da hast du also,« fuhr sie fort, »das Wesen des falschen Glückes und die Gründe, warum es falsch ist. Wende nun deinen Blick nach der andern Seite, und alsbald wirst du dort das wahre Glück schauen, das ich dir zu zeigen versprochen habe!«

Ich entgegnete: »Was das wahre Glück ist, das kann[77] ja nun auch ein Blinder erkennen und du selbst hast es eben schon angedeutet, als du mir die Gründe für die Falschheit des trügenden Glückes vor Augen führtest. Wenn ich also nicht irre, so ist die vollkommene Glückseligkeit derjenige Zustand, der uns zugleich zufrieden, mächtig, geachtet, berühmt und vergnügt macht. Und damit du siehst, daß ich die Sache nun völlig durchschaue, so füge ich noch hinzu, daß ohne Zweifel dasjenige, das dem Menschen auch nur eine der genannten Eigenschaften, die im Grunde alle eins und dasselbe sind, zu verleihen vermag, daß dies schon vollkommene Glückseligkeit bedeutete!«

»O mein geliebter Schüler!« rief sie nun aus, »glücklich wärst du in dieser Überzeugung, wenn du noch das Folgende hinzufügen würdest!« – »Nun?« – »Glaubst du denn, daß es unter diesen irdischen und hinfälligen Dingen irgend eins giebt, das einen Zustand, wie den vorhin bezeichneten, herbeiführen könnte?!« – »Nein,« sagte ich, »das glaube ich nicht, und ebenso hast auch du dich vorhin, wie ich glaube, mit aller wünschenswerten Deutlichkeit geäußert!« – »Alle diese Dinge,« fuhr sie fort, »können also nur den Schein des Glückes erwecken und den Menschen in Wahrheit nur unvollkommene Güter verleihen. Nicht aber sind sie imstande, das wahre und vollkommene Gut zu gewähren!« – »So ist es,« sagte ich, »das glaube auch ich!« – »Da du also begriffen hast, was das wahre Glück ist und welche Dinge uns nur ein falsches vorspiegeln, so erübrigt nun noch, daß du erkennst, woher du jene wahre Glückseligkeit gewinnen kannst!« – »Ja!« rief ich aus, »das zu erfahren, ist ja schon lange mein brennendster Wunsch!« – »Da es sich aber, wie unser Platon im ›Timäus‹ sagt, auch bei den kleinsten Dingen geziemt, den Beistand der Gottheit anzurufen: was, glaubst du, ist nun unsere Pflicht, wenn wir würdig sein wollen, den Sitz jenes höchsten Gutes aufzufinden?!« – »Den Vater aller Dinge müssen wir anflehen,« sagte ich, »ohne den kein Thun der Menschen wohl[78] begonnen wird!« – »So ist es!« sprach sie. Und dann begann sie den folgenden Gesang:


Der du die Welt regierst nach ewigen, weisen Gesetzen,

Der du die Erde, den Himmel erschufst, und aus ewigem Urquell

Führtest die Zeiten, des Alls unwandelbarer Beweger!

Bildner des flüchtigen Stoffs, befreit von äußerem Antrieb,

Aus deinem eigensten Ich, der makellosen, erhabnen

Güte, befolgend allein das leuchtende, himmlische Vorbild,

Schufst du das All! – Der Schönste du selbst, die schönste der Welten

Hast du, sie schauend im Geist, in den herrlichsten Formen gestaltet,

Hast zu vollendetem Ganzen verknüpft die vollendeten Teile,

Einst die Stoffe mit festem Band, daß Kälte zu Wärme,

Trocknes zu Feuchtem sich fügt, daß nicht das reinere Feuer

Schwebe davon, und lastende Wucht versenke den Erdball!

Siehe, die Seele der Welt, sie thront in der innersten Mitte

Dreifach geteilter Natur, das Einzelne rhythmisch bewegend,

Teilt ihre Kraft und beherrscht die zweifach kreisenden Welten.

Immer sich selber getreu, durchströmt vom göttlichen Geiste,

Führt sie, wie du es gedacht, im Kreise das Himmelsgewölbe.

Leitend aus gleichem Quell die hohen, die niederen Geister,

Läßt du die höchsten frei in des Älthers Räume sich schwingen,

Läßt an dem Himmel, auf Erden die anderen wohnen, und gnädig

Führst zu deinem Feuer zurück, die zu dir sich bekannten!

Vater, auch unseren Geist in des Lichts Regionen erhebe!

Zeige des Guten Quell, gieb gnädig völlige Klarheit!

Zeige dein eigenes Ich dem trunkenen Blicke des Geistes!

Nimm uns hinweg den Wahn und die Bande des irdischen Daseins!

Strahle mit himmlischem Glanz! Denn du, der Tröster der Frommen,

Du giebst Frieden und Ruh'! So gieb dich auch uns zu erkennen,

End' und Beginn, und Führer und Pfand, und Ziel alles Wissens!
[79]

»Da du nun den Begriff sowohl des falschen wie des wahren Glückes erkannt hast, so wird nun zu zeigen sein, wo denn das allervollkommenste, wahre Glück thatsächlich zu finden ist. Dabei aber ist nach meiner Meinung zunächst zu untersuchen, ob ein solches Gut, wie du es vorhin näher bestimmt hast, in der Wirklichkeit überhaupt bestehen kann, damit wir uns nicht von einem leeren Trugbild der Einbildungskraft täuschen lassen, dem keine thatsächliche Wirklichkeit zu Grunde liegt.

Es wird sich nun aber nicht leugnen lassen, daß ein solches Gut wirklich existiert und daß es gleichsam die Quelle aller übrigen geringeren Güter ist. Alles nämlich, was wir als etwas Unvollkommenes bezeichnen, stellt sich als solches nur durch Verminderung des Vollkommenen dar und daraus folgt, wenn es in irgend einer Klasse von Dingen etwas Unvollkommenes giebt, daß es dann notwendigerweise in derselben Art auch etwas Vollkommenes geben muß. Gäbe es jene Vollkommenheit nicht, so wäre es völlig undenkbar, wie sich dann etwas als unvollkommen darstellen könnte, denn die Natur beginnt nicht mit abgeminderten und nicht vollendeten Dingen, sondern von vollständigen und vollkommenen geht sie aus und sinkt dann erst zu diesen letzten abgeschwächten Formen herab. Wenn es also, wie vorhin gezeigt, ein unvollkommenes Glück giebt, das uns vergängliche Güter gewährt, so muß notwendigerweise auch ein ganzes und vollkommenes vorhanden sein!« – »Ja,« sagte ich, »das ist gewiß durchaus richtig gefolgert!« – »Nun laß uns aber sehen,« fuhr sie fort, »wo denn das höchste Gut zu finden sei. – Die gemeinsame Auffassung aller Menschengeister geht dahin, daß Gott, der Urheber aller Dinge, gut sei. Es kann eben nichts Besseres gedacht werden als Gott, und dasjenige, das besser als alles übrige ist, wird doch ohne Zweifel als gut zu bezeichnen sein. So die gewöhnliche Auffassung. Die Vernunft anderseits beweist die Güte Gottes, indem sie zeigt, daß in ihm auch[80] das vollkommene Gut beschlossen sein muß. Wäre es nicht so, so könnte Gott nicht der Urheber aller Dinge sein. Dasjenige nämlich, das im Besitz des höchsten Gutes ist, ragt dadurch über alles andere hervor, weil es früher dagewesen und älter ist, wie es ja überhaupt klar ist, daß alles Vollkommene dem weniger Vollkommenen vorausgehen muß. Damit nun die Schlußfolgerungen sich nicht ins Unendliche verlieren, so ist anzunehmen, daß der höchste Gott auch der Sitz des höchsten und vollkommensten Gutes sei. Da nun aber, wie wir gezeigt haben, das vollkommene Gut auch die wahre Glückseligkeit gewährt, so muß folgeweise auch die wahre Glückseligkeit beim höchsten Gott zu finden sein!«

»Dem stimme ich vollkommen zu!« sagte ich. »Es läßt sich in der That nichts dagegen einwenden!«

»Wenn du aber,« fuhr sie fort, »scharf und unwiderleglich beweisen willst, daß Gott im vollsten Besitze des höchsten Gutes sei, so mußt du die dabei in Betracht kommenden Begriffe auch vollkommen genau und richtig erfassen und anwenden!« – »Wie meinst du das?« fragte ich. – »Du darfst nicht annehmen, daß Gott, der Vater aller Dinge, das höchste Gut, das ihm zugeschrieben wird, von außen her empfangen habe, oder daß es ihm von Natur in der Weise eigen sei, daß er selbst, der Besitzer, und die Glückseligkeit, das Besitztum, als etwas ihrem Wesen nach Verschiedenes zu denken seien. Denn wenn du ein Empfangen von außen her annimmst, so könntest du zu der Ansicht kommen, daß der empfangende Teil hinter dem gebenden an Wert zurückstehe. Daß aber der erstere, also Gott, von allen Dingen das weitaus vollendetste sei, das haben wir ja immer mit vollem Rechte anerkannt. Wenn du aber glaubst, daß das höchste Gut zwar von Natur Gott innewohnt, aber begrifflich von ihm verschieden ist, und wenn wir dann doch von Gott als dem Urheber aller Dinge reden, so beantworte sich, wer kann, die Frage, wer denn so verschiedene Dinge miteinander verbunden habe![81]

Schließlich ist doch auch ein Ding, das von einem andern verschieden ist, nicht wesensgleich mit ihm, das heißt in unserm Fall: was vom höchsten Gut seiner Natur nach verschieden ist, das ist doch nicht das höchste Gut. Von Gott aber zu sagen, er sei nicht das höchste Gut, das wäre Sünde, da es doch ganz gewiß nichts Vortrefflicheres giebt, als eben Gott!

Überhaupt kann es kein Ding geben, das seiner Natur nach besser wäre als sein Urheber, und deshalb muß ich folgerichtig und durchaus wahrheitsgemäß schließen, daß der Urheber aller Dinge seinem Wesen nach eben auch das höchste Gut sei!« – »Ja,« sagte ich, »das ist gewiß richtig.« – »Nun steht aber doch fest, daß das höchste Gut die Glückseligkeit ist?« – »Gewiß!« – »Folglich müssen wir doch auch anerkennen, daß Gott die Glückseligkeit selbst ist!« – »Ja,« sagte ich, »unsere früher aufgestellten Voraussetzungen muß ich aufrecht erhalten, und aus ihnen ergiebt sich das jetzt Gesagte als notwendige Folge.«

»Nun laß uns sehen,« nahm sie wieder das Wort, »ob sich von diesem Standpunkt aus nicht auch mit Sicherheit beweisen läßt, daß zwei voneinander verschiedene höchste Güter nicht existieren können. Von zwei voneinander verschiedenen höchsten Gütern kann offenbar keines mit dem andern identisch sein. Folglich kann keines von beiden vollkommen sein, da jedem das andere fehlt, dessen Inhalt es nicht in seinem eigenen Umfang mit umfaßt. Was aber nicht vollkommen ist, das kann natürlich auch nicht das Höchste sein, und es ist somit auf keine Weise möglich, daß zwei voneinander verschiedene höchste Güter bestehen. Durch unsere Schlußfolgerungen haben wir aber bewiesen, daß sowohl die Glückseligkeit, als auch Gott das höchste Gut ist, und es muß also notwendigerweise die höchste Glückseligkeit identisch sein mit der höchsten Gottheit!« – »Wahrlich!« rief ich aus, »keine Schlußfolgerung kann ein thatsächlich wahrhafteres, fester begründetes und zugleich der Gottheit würdigeres[82] Resultat ergeben!« – »Nun höre aber weiter!« sagte sie. »Wie nämlich die Mathematiker aus bewiesenen Vordersätzen noch etwas zu schließen pflegen, was sie dann als Folgesätze bezeichnen, so will auch ich dir noch ein Corollar, eine Erweiterung, zu dem bereits Gefundenen geben. Also: Da durch Erlangung des höchsten Glückes die Menschen selig werden, die Glückseligkeit aber die Gottheit selbst ist, so werden sie offenbar durch Erlangung der Gottheit glückselig. Wie man aber durch die Erlangung her Gerechtigkeit gerecht, durch Erlangung der Weisheit weise wird, so müssen in derselben Weise diejenigen, welche die Gottheit erlangen, auch selber Gott werden. Jeder Glückselige ist also Gott, und wenn es auch naturgemäß nur einen Gott geben kann, so steht doch nichts im Wege, daß nicht unendlich viele an der Gottheit teilhaben könnten!« – »Beim Himmel!« sagte ich. »Das ist ein schöner, ein köstlicher Folgesatz oder ein köstliches Corollar, wenn dir diese Bezeichnung lieber ist!« – »Allerdings!« sagte sie. »Aber schöner als alles übrige ist noch das, was ich jetzt noch hinzufügen werde, und was sich dem schon Gesagten folgerichtig anschließt!« – »Nun?« – »Die Glückseligkeit scheint vielerlei einzelne Momente in sich zu enthalten. Schließen sich nun alle diese einzelnen Dinge wie verschiedenartige Glieder zu dem einheitlichen Körper der Glückseligkeit zusammen, oder enthält eins von ihnen schon das ganze Wesen der Glückseligkeit in sich, so daß die andern alle nur von ihm wieder abhängen?« – »Möchtest du dies nicht durch nähere Betrachtung deutlicher machen?« bat ich. – »Gewiß,« sagte sie. »Ist nicht die Glückseligkeit ein Gut?« – »Ja,« entgegnete ich, »und zwar das höchste!« – »In dieselbe Beziehung kann man die Glückseligkeit nun aber auch zu all den andern Dingen setzen. Denn Glückseligkeit ist auch die höchste Zufriedenheit und ebenso gelten auch die höchste Macht, Achtung und Berühmtheit und das höchste Ansehen als Glückseligkeit!« – »Nun? Und was weiter?« – »Alle[83] diese Dinge, das Gut, die Zufriedenheit, die Macht und die übrigen: sind sie gleichsam Glieder der Glückseligkeit, oder führen sie alle nur auf das Gut hin, als auf das höchste Ziel?« – »Ich sehe schon,« antwortete ich, »wo du hinaus willst, aber ich möchte gern aus deinem eigenen Munde dein Urteil vernehmen!« – »So höre denn,« fuhr sie fort, »die Entscheidung dieser Sache! Wären alle jene Dinge Glieder der Glückseligkeit, so müßten sie alle voneinander verschieden sein. Das ist nämlich die Natur der Glieder, daß sie untereinander verschieden sind, zusammen aber einen einheitlichen Körper ausmachen. Nun ist aber gezeigt worden, daß jene Dinge nicht voneinander verschieden sind, und demzufolge können es auch keine Glieder sein, wenn man nicht etwa annehmen will, die Glückseligkeit sei aus einem einzigen Gliede zusammengesetzt! Das ist aber ein Widerspruch in sich selbst!« – »Gewiß,« sagte ich, »das leidet keinen Zweifel. Aber ich bin gespannt auf das Folgende!« – »Es ist doch offenbar,« führte sie weiter aus, »daß alles übrige auf das Gute hinstrebt. Streben wir doch nur deswegen nach Zufriedenheit, weil wir sie für etwas Gutes halten. Auch nach Macht verlangen wir nur, weil sie uns ein Gut zu sein scheint, und von der Achtung, dem Ruhm und dem Vergnügen ist dasselbe anzunehmen. Die Summe und der letzte Zweck alles dessen, was wir erstreben, ist also das Gute, und was weder thatsächlich noch scheinbar etwas Gutes in sich enthält, das kann nie der Gegenstand unseres Verlangens sein. Ich erwähne ausdrücklich auch das scheinbar Gute, denn auch das, was von Natur nicht gut ist, wird dennoch, wenn es nur so zu sein scheint, von uns erstrebt, als wäre es ein wahres Gut.

So ist also die Summe, der Kernpunkt und der Zweck alles Begehrenswerten das Gute. Dasjenige aber, um dessen willen ein anderes erstrebt wird, ist doch sicherlich das Begehrteste, begehrter als das, worauf sich zunächst die Wünsche richten. Wenn z.B. jemand seiner Gesundheit wegen zu[84] reiten wünscht, so trägt er nicht so sehr nach der Bewegung des Reitens Verlangen, als vielmehr nach dessen heilsamer Wirkung. Da nun aber alle Dinge um des Guten willen begehrt werden, so sind nicht jene einzelnen Dinge, sondern das Gute selbst in Wahrheit das Ziel der menschlichen Wünsche. Da wir aber ferner schon zugegeben haben, daß der Zweck, um dessen willen alles übrige erstrebt wird, die Glückseligkeit ist, so ist damit auch vollkommen klar, daß das Gute und die Glückseligkeit ihrem Wesen nach eins und dasselbe sind!« – »Ja,« sagte ich, »das ist wirklich sonnenklar!« – »Wir haben aber vorhin auch gezeigt,« fuhr sie fort, »daß Gott und die wahre Glückseligkeit ebenfalls eins und dasselbe sind!« – »Allerdings!« – »Daraus ist nun aber endlich mit Sicherheit zu schließen, daß das Wesen Gottes in nichts anderem als in der höchsten Güte bestehen kann!«


Kommt hierher, ihr alle, die ihr gefesselt

tragt die Rosenketten der falschen Lüste,

der Bezwinger der armen Menschenseelen!

Hier nur winkt euch Ruhe von allen Ängsten,

Hier ein Hafen in ewig holder Stille,

Hier allein ein Asyl der schwer Beladnen!

Was auch immer des Hermus Glanzgestade,

Was beschert der goldene Sand des Tagus,

Was an hellen Demanten und Smaragden

uns der Indus sendet aus heißer Zone:

Alles das kann nimmer den Geist erhellen,

Senkt nur blinder ihn tief in trübes Dunkel!

Jene Dinge, so schön und sinnbethörend,

wachsen tief im innersten Schoß der Erde.

Doch der Glanz, der im Himmel herrscht belebend,

dringt nicht ein in schwankende, finstre Seelen.

Wer zu schauen vermag den Glanz des Himmels,

wird gering dann achten den Strahl der Sonne!
[85]

»Allem diesem,« nahm ich jetzt das Wort, »stimme ich vollkommen zu, denn alles steht in unbestreitbarem logischem Zusammenhang!« – »Wie hoch aber,« fragte darauf meine Gefährtin, »wirst du nun erst die Erkenntnis des Wesens des höchsten Gutes selber schätzen?!« – »Unendlich hoch,« antwortete ich, »wenn ich damit zugleich zur Erkenntnis der Gottheit selber gelangen kann!« – »Darüber werde ich dir durch die unanfechtbarsten Folgerungen Klarheit schaffen,« entgegnete sie, »wenn nur unsere vorhin gewonnenen Schlüsse als sichere Ausgangspunkte bestehen bleiben!« – »Gewiß sollen sie bestehen bleiben!« sagte ich. – »Nun denn!« begann sie. »Haben wir nicht vorhin gezeigt, daß diejenigen Dinge, die von vielen erstrebt werden, darum noch keine wahren und vollkommenen Güter sind, weil sie eben unter sich alle verschieden sind und deshalb das eine das andere nicht mit umfaßt, das einzelne also ein vollständiges und absolutes Gut nicht zu gewähren imstande ist? Haben wir aber nicht andererseits gezeigt, daß diese Dinge dann das wahre Gut ausmachen wenn sie sich zu einer Form und Wirksamkeit vereinigen, so daß z.B. die Zufriedenheit zugleich auch Macht, Achtung, Ruhm und Vergnügen bedeutet? Daß sie aber in keiner Weise zu den begehrenswerten Dingen gerechnet werden können, wenn sie nicht wirklich alle eins und dasselbe sind?!« – »Ja,« antwortete ich, »das ist allerdings bewiesen, und es ist nicht möglich, daran zu zweifeln!« – »Diejenigen Dinge also,« fuhr sie fort, »die, voneinander verschieden und getrennt, durchaus keine Güter sind, werden zu Gütern, sobald sie sich als eins und dasselbe erweisen. Gewinnen sie also nicht die Eigenschaft der Güte eben durch Erlangung der Einheit?« – »So scheint es!« – »Erkennst du nun aber an, daß alles, was gut ist, eben dadurch gut ist, daß es am Guten teilhat? Oder bist du anderer Ansicht?« – »Nein, ich erkenne es an!« – »Dann mußt du aus denselben Gründen auch anerkennen, daß Einheit und Güte identisch sind. Denn Dinge, die von[86] Natur dieselbe Wirkung haben, haben notwendig auch dasselbe Wesen!« – »Gewiß,« sagte ich, »das kann ich nicht leugnen!« – »Weißt du nun auch,« fragte sie weiter, »daß alles, was existiert, solange Bestand und Dauer hat, als es eins ist, und daß es untergeht und sich auflöst, sobald es aufhört, eins zu sein?« – »Wie meinst du das?« fragte ich. – »Es ist ebenso, wie bei den lebenden Wesen!« erläuterte sie. »Solange Körper und Geist vereint sind und in dieser Vereinigung verharren, solange nennt man das Ganze ein lebendes Wesen. Sobald aber die Einheit durch die Trennung beider Teile aufgelöst wird, so geht das lebende Wesen offenbar zu Grunde und hört auf zu bestehen. Ebenso gewährt auch der Körper, solange er durch die Verknüpfung seiner Glieder die eine Form bewahrt, den Anblick einer menschlichen Gestalt. Wenn aber die einzelnen Glieder durch ihre Trennung und Scheidung diese Einheit des Körpers aufgelöst haben, so ist das, was vorhin da war, verschwunden! Und so kann man nun auch alles übrige durchgehen und wird dabei zweifellos finden, daß jedes Ding solange besteht, als es eine Einheit bildet, daß es aber aufhört zu sein, sobald es seine Einheit verliert!« – »Allerdings,« bemerkte ich. »Bei näherer Betrachtung scheint es sich wirklich so zu verhalten!«

»Giebt es nun wohl irgend etwas,« fragte sie weiter, »das, soweit es naturgemäß handelt, den Wunsch zu leben aufgiebt und nach Tod und Untergang Verlangen trägt?« – »Nein!« antwortete ich. »Denn wenn ich alle die Wesen betrachte, die von Natur die Fähigkeit der freien Willensentscheidung haben, so kann ich durchaus nicht finden, daß sie jemals ohne äußeren Zwang den Drang zu leben aufgeben und freiwillig ihren Untergang beschleunigen. Im Gegenteil, jedes Lebewesen sucht stets sein Wohlbefinden zu erhalten und flieht vor Tod und Verderben. Was ich aber von den Kräutern und Bäumen und gar von den völlig leblosen Dingen annehmen soll, darüber bin ich durchaus[87] im Zweifel!« – »Es liegt aber gar kein Grund vor,« entgegnete sie, »in betreff dieser Dinge Zweifel zu hegen. Denn wenn du deinen Blick auf die Kräuter und Bäume richtest, so siehst du zunächst, daß dieselben immer gerade an den für sie passendsten Orten wachsen, wo sie ihrer Natur nach vor dem schnellen Verdorren und Vergehen sicher sind. So wachsen einige in der Ebene, andere auf den Bergen, einige gedeihen im Sumpf, andere klammern sich an den Felsen fest; ja sogar die dürre Sandwüste ist für gewisse Pflanzen ein fruchtbarer Boden; und alle diese Gewächse verdorren, wenn jemand sie an einen andern Ort verpflanzt! Jedem einzelnen giebt die Natur, was ihm zukommt und sorgt dafür, daß es nicht untergeht, solange es überhaupt noch Lebenskraft besitzt. Ferner öffnen sie alle gleichsam ihren Mund im Innern der Erde, saugen ihre Nahrung mit den Wurzeln aus und verteilen die gewonnene Kraft durch Mark und Rinde. Die weichen Bestandteile ferner, wie das Mark, werden im Innern sicher geborgen, nach außen durch die Festigkeit des Holzes geschützt, und schließlich ist noch die Rinde, die alles Übel gleichsam auf sich nehmen muß, zur Abwehr der Unbilden der Witterung herumgelegt! – Wie groß ist ferner die Sorgfalt der Natur, die alles durch eine vielfältige Befruchtung sich fortpflanzen läßt! Wer wird da nicht einsehen, daß dies alles Veranstaltungen sind, die nicht nur ein zeitweiliges Verharren, sondern ein durch Generationen sich fortsetzendes, gleichsam ewiges Leben gewährleisten?!

Ebenso ist es nun aber auch mit den leblosen Dingen. Wünscht sich nicht auch hier ein jedes gerade das, was seinem Wesen am meisten entspricht? Wenn die Flamme durch ihre Leichtigkeit zum Himmel emporsteigt, wenn die Erde durch ihr eigenes Gewicht niedergehalten wird: geschieht dies aus einem andern Grunde, als deswegen, weil eben diese Lagerung, diese Bewegung für die einzelnen Dinge die passendste ist? – Jedes Ding läßt ferner das, was ihm[88] wesensverwandt ist, neben sich bestehen, während es das, was ihm feindlich ist, stört und zu vernichten strebt. – Wir sehen auch, wie die harten Dinge, wie die Steine, eng und fest in ihren Teilen zusammenhalten und der Auflösung widerstehen. Die flüssigen aber, Wasser und Luft, weichen zwar leicht den trennend in sie eindringenden Körpern, aber schnell fließen die getrennten Teile nach Wegräumung des Hindernisses wieder ineinander. Das Feuer aber entzieht sich jeder Teilung.

Ähnlich wie bei den andern Naturgebilden ist es nun auch bei uns, wenn wir nicht auf die freiwilligen Regungen unserer erkennenden Seele, sondern einmal bloß auf die natürlichen Triebe unseres Körpers sehen. Wir verdauen z.B. die aufgenommenen Speisen, ohne etwas dabei zu denken, und wir atmen auch im Schlaf, ohne es zu wissen. Denn auch bei den lebenden Wesen beruht eben der Selbsterhaltungstrieb nicht auf dem bewußten Wollen, sondern auf den Grundgesetzen der Natur überhaupt. Es sucht sogar, unter dem Druck der Verhältnisse, oft der Wille den Tod, den die Natur flieht, und andererseits wird der Zeugungstrieb, der allein die Dauer alles Sterblichen verbürgt, oft durch den Willen beschränkt – die Liebe zum Leben hat also nicht in geistigen Regungen, sondern in einem natürlichen Trieb ihren Grund, indem eben die Vorsehung den durch sie erschaffenen Dingen als sicherste Bürgschaft der Dauer den natürlichen Wunsch verlieh, so lange wie möglich bestehen zu bleiben!

Alles in allem genommen, hast du also durchaus keinen Grund, daran zu zweifeln, daß alle Dinge, die es giebt, von Natur nach beständiger Dauer streben und dem Verderben und dem Tode zu entgehen bemüht sind!«

»Ich gebe zu,« entgegnete ich hierauf, »daß mir jetzt über alle Zweifel, erhaben ist, was mir bis dahin höchst ungewiß erschien!«

»Was aber zu leben und zu dauern verlangt,« nahm[89] meine Gefährtin wieder das Wort, »das wünscht eins zu sein, da ohne die Einheit auch die Existenz nicht würde bestehen können. Nicht wahr?« – »Ohne Frage!« – »Alle Dinge streben also nach Einheit?« – »Allerdings!« – »Haben wir aber nicht vorhin gezeigt, daß die Einheit und das Gute identisch seien?« – »Gewiß!« – »Also streben alle Dinge auch nach dem Guten und du kannst demnach geradezu sagen, daß das Gute selbst das Endziel aller Wünsche ist!« – »Nichts kann in der That wahrer sein als dieser Gedanke!« entgegnete ich. »Denn entweder existiert keine Einheit, auf die alles hinstreben könnte, und des einheitlichen Zieles beraubt schweiften alle Dinge führer- und planlos umher. Oder, wenn es etwas giebt, auf das alles hindrängt, so kann dies nur das höchste aller Güter sein!«

»Groß ist meine Freude, o geliebter Schüler!« rief da meine Lehrmeisterin aus, »daß dein Geist nun den Kernpunkt aller Wahrheit erfaßt und festgestellt hat! Nun ist dir doch auch das klar, was du vor kurzem noch nicht zu wissen behauptetest?« – »Was meinst du denn?« – »Ich meine: du kennst jetzt den Endzweck aller Dinge. Es ist dies in der That dasjenige, was von allen Wesen ohne Ausnahme erstrebt wird, und da dies, wie wir gesehen haben, das Gute ist, so müssen wir sagen, daß das Gute der Endzweck aller Dinge sei!«.


Wer tiefen Sinnes stets nach reiner Wahrheit frug,

Wer nicht erfahren will des Irrgangs falschen Trug,

Der senke tief hinein ins eigne Herz den Blick,

Und halt' in sicherm Kreis den schnellen Geist zurück,

Damit aus jedem Ding, das außer ihm geschieht,

Er für sich selber stets die goldne Lehre zieht!

Was lange hielt verhüllt des Irrtums dunkler Bann,

Wird heller als der Strahl des Phöbus leuchten dann!

Denn noch nicht ganz des Geistes reines Licht verschwand,

Als ihn umfing des Stoffs erstickendes Gewand!

[90] Noch liegt im tiefsten Grund der Wahrheit Keim versteckt,

Den uns aufs neue dann die weise Lehre weckt.

Zu ewig dunklem Wahne wären wir verdammt,

Wenn nicht in tiefster Brust der Wahrheit Feuer flammt!

Die Wahrheit Platon sprach, als er bekannte frei,

Daß alles Lernen nur ein Rückerinnern sei!


Nachdem sie geendet, ergriff ich meinerseits das Wort. »Vollkommen stimme ich mit Platon überein,« sagte ich, »an dessen Lehre du mich nun schon zweimal erinnert hast: zuerst, als ich mein Gedächtnis durch körperliche Leiden verloren hatte, und jetzt, da es mir unter der erdrückenden Last des Kummers abhanden gekommen ist.«

Darauf sagte meine Gefährtin: »Wenn du nun auf das zurückblickst, was wir vorhin gemeinsam festgestellt haben, so wirst du dich nunmehr auch dessen erinnern, was du noch unlängst nicht zu wissen erklärt hast!« – »Und das wäre?« – »Ich meine die Frage nach der Weltregierung!«

»Ich erinnere mich allerdings daran,« sagte ich, »meine Unkenntnis über diesen Punkt früher bekannt zu haben. Obgleich ich nun aber schon ahne, was du sagen wirst, möchte ich es doch gerne ausführlicher aus deinem eigenen Munde vernehmen!«

»Nun wohl!« sagte sie. »Vor kurzem erst hast du es für ganz unzweifelhaft erklärt, daß diese Welt von Gott regiert werde.«

»Das bezweifle ich auch jetzt nicht,« warf ich ein, »noch werde ich es jemals bezweifeln, und ich will dir die Gründe dafür in aller Kürze auseinandersetzen. Ich meine, diese Welt würde sich nie aus so verschiedenen und entgegengesetzten Teilen zu einer Einheit zusammengefügt haben, wenn nicht ein einheitlicher Geist die widersprechenden Teile miteinander verbunden hätte. Das wirklich Vereinigte würde aber infolge der Verschiedenheit seiner Natur ewig wieder auseinanderstreben und sich zu trennen suchen, wenn nicht[91] eine einheitliche Kraft das, was sie verknüpft, auch dauernd zusammenhielte. Der Gang der Natur endlich würde nicht so sicher bestimmt sein, noch würden ihre Bewegungen derartig nach Ort, Zeit, Wirkung, Raum und Eigenschaften geordnet sich vollziehen, wenn nicht ein einheitliches Etwas da wäre, welches, selber beharrend, diese mannigfaltigen Wandlungen leitete. Dieses Eine nun, was es auch immer sei, das dem Erschaffenen Beharren und Bewegung verleiht, nenne ich eben mit der allgemein üblichen Bezeichnung: Gott!«

»Wenn du diesen Glauben hast,« entgegnete die Philosophie, »so wird es nur noch geringer Mühe meinerseits bedürfen, damit du der Glückseligkeit teilhaftig werdest und dein Vaterland gerettet wiedersiehst! Laß uns nun aber zunächst das vorhin Gefundene noch einmal näher anschauen! Haben wir nicht die Zufriedenheit, d.h. das Freisein von jedem Mangel, zur Glückseligkeit gerechnet und sind wir nicht übereingekommen, daß Gott die Glückseligkeit selber sei?« – »Allerdings!« – »Dann wird auch Gott zur Regierung der Welt keine äußeren Hilfsmittel mehr nötig haben, denn wenn er noch irgend einer Sache bedürfte, so könnte von einem vollen Selbstgenügen bei ihm keine Rede sein!« – »Das ist unbestreitbar!« – »Er regiert also alles durch sich ganz allein!« – »Das ist nicht zu leugnen!« – »Haben wir aber nicht auch gezeigt, daß Gott das Gute selbst sei?« – »Gewiß, das haben wir!« – »Also ordnet er auch alles durch das Gute, wenn anders er durch sich selbst alles regiert, er, den wir als das Gute selbst erkannt haben. Und hier haben wir also das Steuer, durch das der Mechanismus der Welt stetig und ohne Störung im Gange erhalten wird!«

»Von ganzem Herzen,« rief ich aus, »stimme ich dieser Erklärung bei, die ich vorhin schon, wenn auch erst dunkel und unbestimmt, erwartete!«

»Ich darf demnach glauben,« fuhr meine Gefährtin fort,[92] »daß deine Augen schon geübter geworden sind im erkennen der Wahrheit! Aber auch das, was ich jetzt noch hinzufügen will, ist nicht weniger beachtenswert!« – »Nun?« – »Da mit Recht angenommen wird, daß Gott das All mit dem Steuer des Guten regiert, und da außerdem, wie ich gezeigt habe, alle Dinge kraft eines natürlichen Triebes dem Guten zustreben: kann man unter diesen Umständen daran zweifeln, daß diese Dinge alle sich freiwillig regieren lassen und sich in einer Art Anschmiegung und Anpassung dem Winke des Lenkers fügen?«

»Nein,« antwortete ich, »daran ist kein Zweifel möglich! Denn dasjenige Regiment ist nicht glückbringend, das von Widerstrebenden als ein schweres Joch und nicht von gerne Gehorchenden als heilsam empfunden wird!«

»Kein Ding also,« fragte die Philosophie weiter, »kann, solange es seiner Natur treu bleibt, Gott entgegen handeln?« – »Nein, gewiß nicht!« – »Und wenn auch ein Ding es versuchen sollte, würde es dann etwas ausrichten können gegen den, den wir kraft seiner Glückseligkeit als den Mächtigsten anerkannt haben?« – »Nein,« sagte ich, »es würde nichts gegen ihn vermögen!« – »Es giebt also gar nichts, was die ser höchsten Güte widerstehen wollte und könnte?« – »Ich glaube nicht!« – »Es steht also fest, daß es die höchste Güte ist, die das All kraftvoll regiert und harmonisch ordnete!«

»O!« rief ich aus. »Wie sehr erfreuen mich nicht nur die Schlüsse, die du in logischen Folgerungen gewonnen hast, sondern auch die Worte selbst, die du gebraucht und die meine Thorheit, die so lange an dem Großen herummäkelte, endlich dazu gebracht haben, daß sie sich ihrer selber schämt!«

»Ja, ja,« versetzte sie; »du erinnerst dich jetzt wohl an die Fabel von den Giganten, die sich frevelnd gegen den Himmel erhoben, schließlich aber von der Kraft der allgütigen Gottheit besiegt wurden! Jetzt wollen wir aber,[93] wenn es dir recht ist, die Resultate unserer Folgerungen selbst einmal zu einander in Widerspruch setzen. Vielleicht, daß gerade aus diesem Widerstreit ein schöner Wahrheitsfunke hervorspringen wird!« – »Wie du willst!« sagte ich.

»Niemand kann doch daran zweifeln,« begann sie nun, »daß Gott Gewalt über alle Dinge hat!« – »Wenigstens wer bei vollem Verstande ist, wird nicht daran zweifeln.« – »Wer aber Gewalt über alle Dinge hat,« fuhr sie fort, »für den giebt es nichts, das er nicht vermöchte!« – »Gewiß nicht!« – »Kann also Gott auch das Böse thun?« – »Ganz sicher nicht!« – »Also existiert das Böse überhaupt nicht,« schloß sie, »da derjenige es nicht thun kann, der alles vermag!« – »Willst du mich zum besten haben,« fragte ich dagegen, »indem du ein unentwirrbares Labyrinth mit deinen Folgerungen herstellst und bald da anfängst, wo du aufgehört hast, bald wieder da aufhörst, wo du den Anfang machtest? Oder willst du Verwirrung hineintragen in die wunderbare Einfachheit des göttlichen Wesens, in dem, wie in einem Kreise, immer eins aus dem andern hervorgeht und alles wieder auf sich selber zurückkommt? Kurz vorher bist du doch erst von der Glückseligkeit ausgegangen, die du das höchste Gut nanntest und der du im höchsten Gott selbst ihren Sitz anwiesest. Von Gott selbst sagtest du, er sei das höchste Gut und voll der höchsten Glückseligkeit, und dann fügtest du noch, gleichsam als Anmerkung, hinzu, daß also niemand glückselig sein könne, als wer zur Wesensgleichheit mit Gott gelange. Von dem Guten sagtest du dann wieder, daß es das Wesen sowohl Gottes als auch der Glückseligkeit ausmache und daß auch jene höchste Einheit wieder identisch mit dem Guten sei, das von allen Wesen ihrer Natur gemäß erstrebt werde. Ferner hast du gesagt, daß Gott mit dem Steuer der höchsten Güte das Weltall regiere, daß ihm alles gutwillig gehorche und daß überhaupt nichts seinem Wesen nach böse sei. Dies alles aber hast du nicht mit von außen herangetragenen, sondern[94] mit inneren, den Dingen selbst entnommenen, logisch einer aus dem andern folgenden Gründen dargethan!«

»Ich habe durchaus keinen Scherz getrieben,« entgegnete darauf die Philosophie, »und wir haben nun mit Gottes gnädigem Beistand, den wir vorher erfleht hatten, die größte und wichtigste Frage vollkommen entschieden. Denn darin liegt das innerste Wesen der Gottheit, daß sie sich nicht aus äußere Dinge ausbreitet und auf sie einwirkt, noch auch ein äußeres Ding in sich selbst aufnimmt, sondern daß sie vielmehr, wie schon Parmenides sagt,


›Gleicher, gerundeter Kugelgestalt vor allem vergleichbar‹


alle einzelnen Dinge in kreisender Bewegung erhält, während sie selbst als Ganzes, als Einheit, in ewiger Unwandelbarkeit beharrt.

Wenn wir aber alle unsere Gründe nicht von außen hergenommen, sondern aus dem Begriff des behandelten Dinges geschöpft haben, so darf dich dies nicht wundern, da du ja den auch von Platon gebilligten Satz gelernt hast, daß die Worte mit den Dingen, von denen sie gesagt werden, übereinstimmen müssen!«


Selig er, der den hellen Quell

höchster Güte zu schaun vermag!

Selig, wer aus des Erdenstaubs

schwerer Fessel sich kühn befreit!

Einst beklagte der Gattin Tod

laut des thrakischen Sängers Lied,

dessen liebliche Weisen einst

vorwärts führten den dichten Wald,

hemmten eilender Ströme Lauf.

Furchtlos nahte bei ihrem Klang

wilden Löwen die Hirschkuh sich.

Hasen flohen den Hund nicht mehr,

den des Liedes Gewalt bezähmt.[95]

Doch als heißer dem Sänger nur

brannt' im Herzen des Schmerzes Qual,

als sein unwiderstehlich Lied

selbst ihm nimmer die Ruhe gab,

da, beklagend der Götter Neid,

lenkt zum Hades den Schritt er hin.

Dort zum Klange des Saitenspiels

süß er schmeichelnde Weisen sang.

Alle Fülle der hehren Kunst,

reichstes Erbe der Mutter ihm,

alle Kraft, die der Schmerz ihm lieh,

den verdoppelt' der Liebe Qual,

faßt zusammen das süße Lied,

fleht um Gnade den finstern Ort,

fleht der Schatten Beherrscher an!

Und mit Staunen den neuen Sang

hört des Kerberos Mißgestalt.

Rachegöttinnen, die so hart

sonst verfolgen des Bösen Schritt,

hemmen nimmer der Thränen Lauf.

Auch das kreisende Rad hält an,

das des Ixion Haupt bewegt.

Seinen brennenden Durst vergißt

selbst der duldende Tantalus!

Ja, der Geier, vom Liede satt,

läßt von Tityos' Leber ab!

Endlich auch unterliegt dem Sang

Hades selber, der Schatten Herr:

»Losgekauft von des Liedes Macht,

führe, Sänger, die Gattin heim!

Doch das eine Gebot vernimm:

Wende nimmer den Blick zurück,

wenn des Tartarus Reich du fliehst!« –

Doch wer hemmte der Liebe Drang,

die sich selber allein Gesetz?!

Dicht am Ausgang zurückgewandt

sah, verlor und verdarb zugleich

Orpheus' Blick das geliebte Weib![96]

Euch auch drohet ein gleiches Los,

die ihr hoch in das Reich des Lichts

dringt mit strebendem Forschergeist:

Euch auch, wenn ihr besiegt den Blick

kehrt zur höllischen Nacht zurück,

geht verloren des Sieges Preis,

wenn ihr den Hades erblicket![97]

Quelle:
Boetius: Die Tröstungen der Philosophie. Leipzig [o.J.], S. 58-98.
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