III. Von den Begehrungen, den Leidenschaften, der Liebe, dem Hass, der Hoffnung, der Furcht und dem Willen in einem Menschen, der auf den Geruchsinn beschränkt ist.

[41] 1. Wir haben eben gezeigt, worin die verschiedenen Arten der Bedürfnisse bestehen und wie sie die Ursache[41] der Lebhaftigkeitsgrade sind, mit denen die Seelenvermögen sich einem Gute zuwenden, dessen Genuss nothwendig wird. Das Begehren ist nun nichts Anderes, als eben die Thätigkeit dieser Vermögen, wenn sie sich auf die Sache richten, nach der wir ein Bedürfniss fühlen.

2. Alles Begehren setzt also voraus, dass die Statue die Vorstellung von etwas Besserem hat, als das ist, was sie augenblicklich ist, und dass sie über den Unterschied zweier auf einander folgender Zustände urtheilt. Sind sie wenig verschieden, so leidet sie durch die Entbehrung der begehrten Daseinsweise weniger, und ich nenne das Gefühl, welches sie an sich erfährt, Missbehagen oder leichte Unzufriedenheit. Die Thätigkeit ihrer Vermögen, ihre Begehrungen sind alsdann schwächer. Dagegen leidet sie mehr, wenn der Unterschied beträchtlich ist, und ich nenne den Eindruck, den sie empfindet, Unruhe oder selbst Qual; die Thätigkeit ihrer Vermögen, ihre Begehrungen sind alsdann lebhafter. Der Maassstab des Begehrens ist demnach der zwischen diesen beiden Zuständen wahrgenommene Unterschied, und man braucht sich nur daran zu erinnern, wie die Thätigkeit der Vermögen Lebhaftigkeit gewinnen oder verlieren kann, um alle Abstufungen zu kennen, deren die Begehrungen fähig sind.

3. Sie haben z.B. nie mehr Heftigkeit, als wenn die Vermögen der Statue sich auf ein Gut richten, dessen Entbehrung darum eine grössere Unruhe erzeugt, weil es von der gegenwärtigen Lage am weitesten verschieden ist. Solchenfalls kann sie nichts von diesem Objekte abziehen; sie ruft es sich zurück, stellt es vor, alle ihre Vermögen beschäftigen sich einzig mit ihm. Folglich gewöhnt sie sich, je mehr sie es begehrt, um so mehr daran, es zu begehren. Kurz, sie hat für dasselbe das, was man eine Leidenschaft nennt, d.h. ein Begehren, das kein anderes aufkommen lässt oder wenigstens vorherrschend ist.

4. Diese Leidenschaft bleibt, so lange das Gut, das ihr Objekt ist, noch als das angenehmste erscheint, und dessen Entbehrung von denselben Gefühlen der Unruhe begleitet ist. Aber sie wird durch eine andere ersetzt, wenn die Statue Gelegenheit hat, sich an ein neues Gut zu gewöhnen, dem sie den Vorzug geben muss.[42]

5. Sobald es in ihr Genuss, Leiden, Bedürfniss, Leidenschaft giebt, so giebt es auch Liebe und Hass. Denn sie liebt einen angenehmen Duft, den sie geniesst oder begehrt. Sie hasst einen unangenehmen Geruch, unter dem sie leidet: endlich liebt sie einen weniger angenehmen Geruch weniger, den sie gegen einen andern vortauschen möchte. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur daran zu denken, dass Lieben immer gleichbedeutend ist mit Genuas haben oder mit Begehren, und Hassen desgleichen mit dem Erleiden von Missbehagen, Migsvergnügen, einem Objekte gegenüber.

6. Wie es mehrere Grade der Unruhe, welche die Entbehrung eines liebenswerthen Objekts verursacht, und des Missvergnügens, das der Anblick eines verhassten Objekts erregt, geben kann, so muss man deren gleichfalls in der Liebe und im Hasse unterscheiden. Wir haben dafür sogar Wörter, wie Geschmack, Hang, Neigung; Abneigung, Widerwillen, Ekel. Kann man auch für diese Wörter nicht »Liebe« und »Hass« setzen, so sind doch die Gefühle, welche sie ausdrücken, nur ein Anfang zu diesen Leidenschaften. Sie unterscheiden sich nur durch ihren schwächeren Grad.

7. Uebrigens ist die Liebe, deren unsere Statue fähig ist, nur die Liebe zu sich selbst, oder das, was man Eigenliebe nennt. Denn sie liebt in der That nur sich, weil das von ihr Geliebte nur ihre eigenen Daseinsweisen sind.

8. Hoffnung und Furcht entstehen aus derselben Ursache, wie Liebe und Hass.

Infolge der Gewöhnung, angenehme und unangenehme Empfindungen an sich zu erfahren, urtheilt unsere Statue, dass sie deren wieder erfahren könne. Wenn dieses Urtheil sich mit der Liebe zu einer zusagenden Empfindung verbindet, so erzeugt es Hoffnung, und wenn mit dem Hasse gegen eine nicht zusagende Empfindung, so bildet es Furcht. In der That heisst hoffen: sich mit dem Genusse eines Gutes schmeicheln, fürchten: sich von einem Uebel bedroht sehen. Es erhellt, dass Hoffnung und Furcht zur Erhöhung der Begehrungen beitragen. Ans dem Kampfe dieser beiden Gefühle entstehen die heftigsten Leidenschaften.

9. Die Erinnerung daran, dass sie einige ihrer Begehrungen befriedigt hat, lässt unsere Statue um so mehr[43] hoffen, auch anderen genügen zu können, als sie aus Unkenntniss der entgegenstehenden Hindernisse nicht einsieht, warum das Begehrte nicht ebenso in ihrer Macht stehen sollte, wie das, was sie bei anderen Gelegenheiten begehrt hat. Zwar kann sie sich dessen nicht vergewissern, aber sie hat auch keinen Beweis vom Gegentheil. Besonders wenn sie sich erinnert, dass eben das Begehren, das sie hegt, früher vom Genusse gefolgt war, so wird sie sich, je grösser ihr Bedürfniss ist, um so mehr der Hoffnung hingeben. Mithin tragen zwei Ursachen zu ihrer Zuversicht bei: die Erfahrung, ein ähnliches Begehren befriedigt zu haben, und das Interesse daran, dass es wieder geschieht.7 Von nun an beschränkt sie sich nicht mehr auf das Begehren: sie will; denn unter Wille versteht man ein gebieterisches und so beschaffenes Begehren, dass wir denken, eine begehrte Sache stehe in unserer Macht.

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 41-44.
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