I

[233] In dem Abschnitt über die proudhonistische Lösung der Wohnungsfrage wurde gezeigt, wie sehr das Kleinbürgertum bei dieser Frage direkt interessiert ist. Aber auch das Großbürgertum hat ein sehr bedeutendes, wenn auch indirektes Interesse daran. Die moderne Naturwissenschaft hat nachgewiesen, daß die sogenannten »schlechten Viertel«, in denen die Arbeiter zusammengedrängt sind, die Brutstätten aller jener Seuchen bilden, die von Zeit zu Zeit unsre Städte heimsuchen. Cholera, Typhus und typhoide Fieber, Blattern und andre verheerende Krankheiten verbreiten in der verpesteten Luft und dem vergifteten Wasser dieser Arbeiterviertel ihre Keime; sie sterben dort fast nie aus, entwickeln sich, sobald die Umstände es gestatten, zu epidemischen Seuchen, und dringen dann auch über ihre Brutstätten hinaus in die luftigeren und gesunderen, von den Herren Kapitalisten bewohnten Stadtteile. Die Kapitalistenherrschaft kann nicht ungestraft sich das Vergnügen erlauben, epidemische Krankheiten unter der Arbeiterklasse zu erzeugen; die Folgen fallen auf sie selbst zurück, und der Würgengel wütet unter den Kapitalisten ebenso rücksichtslos wie unter den Arbeitern.

Sobald dies einmal wissenschaftlich festgestellt war, entbrannten die menschenfreundlichen Bourgeois in edlem Wetteifer für die Gesundheit ihrer Arbeiter. Gesellschaften wurden gestiftet, Bücher geschrieben, Vorschläge entworfen, Gesetze debattiert und dekretiert, um die Quellen der immer wiederkehrenden Seuchen zu verstopfen. Die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter wurden untersucht und Versuche gemacht, den schreiendsten Übelständen abzuhelfen. Namentlich in England, wo die meisten großen Städte bestanden und daher das Feuer den Großbürgern am heftigsten auf die Nägel brannte, wurde eine große Tätigkeit entwickelt; Regierungskommissionen wurden ernannt, um die Gesundheitsverhältnisse der arbeitenden[233] Klasse zu untersuchen; ihre Berichte, durch Genauigkeit, Vollständigkeit und Unparteilichkeit vor allen kontinentalen Quellen sich rühmlich auszeichnend, lieferten die Grundlagen zu neuen, mehr oder weniger scharf eingreifenden Gesetzen. So unvollkommen diese Gesetze auch sind, so übertreffen sie doch unendlich alles, was bisher auf dem Kontinent in dieser Richtung geschehn. Und trotzdem erzeugt die kapitalistische Gesellschaftsordnung die Mißstände, um deren Kur es sich handelt, immer wieder mit solcher Notwendigkeit, daß selbst in England die Kur kaum einen einzigen Schritt vorgerückt ist.

Deutschland brauchte, wie gewöhnlich, eine weit längere Zeit, bis die auch hier chronisch bestehenden Seuchenquellen zu derjenigen akuten Höhe sich entwickelten, die notwendig war, um das schläfrige Großbürgertum aufzurütteln. Indes, wer langsam geht, geht sicher, und so entstand auch bei uns schließlich eine bürgerliche Literatur der öffentlichen Gesundheit und der Wohnungsfrage, ein wässeriger Auszug ihrer ausländischen, namentlich englischen, Vorgänger, dem man durch volltönende, weihevolle Phrasen den Schein höherer Auffassung anschwindelt. Zu dieser Literatur gehört: Dr. Emil Sax, »Die Wohnungszustände der arbeitenden Glossen und ihre Reform«, Wien 1869.

Ich greife, um die bürgerliche Behandlung der Wohnungsfrage darzulegen , dies Buch nur deswegen heraus, weil es den Versuch macht, die bürgerliche Literatur über den Gegenstand möglichst zusammenzufassen. Und eine schöne Literatur ist es, die unsrem Verfasser als »Quelle« dient! Von den englischen Parlamentsberichten, den wirklichen Hauptquellen, werden nur drei der allerältesten mit Namen genannt; das ganze Buch beweist, daß der Verfasser nie auch nur einen davon angesehn hat; dagegen wird uns eine ganze Reihe von gemeinplätzlich bürgerlichen, wohlmeinend spießbürgerlichen und heuchlerisch philanthropischen Schriften vorgeführt; Ducpétiaux, Roberts, Hole, Huber, die Verhandlungen der englischen Sozialwissenschafts- (oder vielmehr Kohl-) Kongresse, die Zeitschrift des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen in Preußen, der östreichische amtliche Bericht über die Pariser Weltausstellung, die amtlichen bonapartistischen Berichte über dieselbe, die »Illustrierte Londoner Zeitung«, »Über Land und Meer« und endlich »eine anerkannte Autorität«, ein Mann von »scharfsinniger, praktischer Auffassung«, von »überzeugender Eindringlichkeit der Rede«, nämlich – Julius Faucher! Es fehlt in dieser Quellenliste nur noch die »Gartenlaube«, der »Kladderadatsch« und der Füsilier Kutschke.

Damit über den Standpunkt des Herrn Sax kein Mißverständnis aufkommen könne, erklärt er Seite 22:

[234] »Wir bezeichnen mit Sozialökonomie die Volkswirtschaftslehre in ihrer Anwendung auf die sozialen Fragen, genauer ausgedrückt, den Inbegriff der Mittel und Wege, welche uns diese Wissenschaft bietet, auf Grund ihrer ›ehernen‹ Gesetze innerhalb des Rahmens der gegenwärtig herrschenden Gesellschaftsordnung, die sogenannten (!) besitzlosen Klassen auf das Niveau der Besitzenden emporzuheben.«

Wir gehen nicht ein auf die konfuse Vorstellung, daß die »Volkswirtschaftslehre« oder politische Ökonomie sich überhaupt mit andern als »sozialen« Fragen beschäftige. Wir gehn gleich auf den Hauptpunkt los. Dr. Sax verlangt, die »ehernen Gesetze« der bürgerlichen Ökonomie, der »Rahmen der gegenwärtig herrschenden Gesellschaftsordnung«, mit andern Worten, die kapitalistische Produktionsweise soll unverändert bestehn bleiben, und doch sollen die »sogenannten besitzlosen Klassen auf das Niveau der Besitzenden« emporgehoben werden. Nun ist es aber eine unumgängliche Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, daß eine nicht sogenannte, sondern wirkliche besitzlose Klasse vorhanden ist, die eben nichts zu verkaufen hat als ihre Arbeitskraft, und die daher auch gezwungen ist, den industriellen Kapitalisten diese Arbeitskraft zu verkaufen. Die Aufgabe der von Herrn Sax erfundenen neuen Wissenschaft der Sozialökonomie besteht also darin: die Mittel und Wege zu finden, wie innerhalb eines Gesellschaftszustands, der begründet ist auf dem Gegensatz von Kapitalisten, Inhabern aller Rohmaterialien, Produktionsinstrumente und Lebensmittel einerseits, und von besitzlosen Lohnarbeitern, die nur ihre Arbeitskraft und weiter nichts ihr eigen nennen, andrerseits, wie innerhalb dieses Gesellschaftszustands alle Lohnarbeiter in Kapitalisten verwandelt werden können, ohne aufzuhören, Lohnarbeiter zu sein. Herr Sax meint diese Frage gelöst zu haben. Vielleicht wird er so gut sein, uns zu zeigen, wie man alle Soldaten der französischen Armee, von denen ja seit dem alten Napoleon jeder seinen Marschallstab im Tornister trägt, in Feldmarschälle verwandeln kann, ohne daß sie aufhören, gemeine Soldaten zu sein. Oder wie man es fertig bringt, alle 40 Millionen Untertanen des Deutschen Reichs zu deutschen Kaisern zu machen.

Es ist das Wesen des bürgerlichen Sozialismus, die Grundlage aller Übel der heutigen Gesellschaft aufrechterhalten und gleichzeitig diese Übel abschaffen zu wollen. Die bürgerlichen Sozialisten wollen, wie schon das »Kommunistische Manifest« sagt, »den sozialen Mißständen abhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern«, sie wollen »die Bourgeoisie ohne das Proletariat«. Wir haben gesehn, daß Herr Sax die[235] Frage genau ebenso stellt. Ihre Lösung findet er in der Lösung der Wohnungsfrage; er ist der Ansicht, daß

»durch Verbesserung der Wohnungen der arbeitenden Klassen dem geschilderten leiblichen und geistigen Elend mit Erfolg abzuhelfen und dadurch – durch umfassende Besserung der Wohnungszustände allein – der überwiegende Teil dieser Klassen aus dem Sumpf ihrer oft kaum menschenwürdigen Existenz zu den reinen Höhen materiellen und geistigen Wohlbefindens emporzuheben wäre«. (Seite 14.)

Nebenbei bemerkt, liegt es im Interesse der Bourgeoisie, die Existenz eines durch die bürgerlichen Produktionsverhältnisse geschaffenen und deren Fortbestand bedingenden Proletariats zu vertuschen. Daher erzählt uns Herr Sax, Seite 21, daß unter arbeitenden Klassen alle »unbemittelten Gesellschaftsklassen«, »kleine Leute überhaupt, als Handwerker, Witwen, Pensionisten (!), subalterne Beamte usw.« neben den eigentlichen Arbeitern zu verstehn sind. Der Bourgeoissozialismus reicht dem kleinbürgerlichen die Hand.

Woher kommt nun die Wohnungsnot? Wie entstand sie? Herr Sax darf als guter Bourgeois nicht wissen, daß sie ein notwendiges Erzeugnis der bürgerlichen Gesellschaftsform ist; daß eine Gesellschaft nicht ohne Wohnungsnot bestehen kann, in der die große arbeitende Masse auf Arbeitslohn, also auf die zu ihrer Existenz und Fortpflanzung notwendige Summe von Lebensmitteln, ausschließlich angewiesen ist; in der fortwährend neue Verbesserungen der Maschinerie usw. Massen von Arbeitern außer Arbeit setzen; in der heftige, regelmäßig wiederkehrende industrielle Schwankungen einerseits das Vorhandensein einer zahlreichen Reservearmee von unbeschäftigten Arbeitern bedingen, andrerseits zeitweilig die große Masse der Arbeiter arbeitslos auf die Straße treiben; in der Arbeiter massenhaft in den großen Städten zusammengedrängt werden, und zwar rascher, als unter den bestehenden Verhältnissen Wohnungen für sie entstehn, in der also für die infamsten Schweineställe sich immer Mieter finden müssen; in der endlich der Hausbesitzer, in seiner Eigenschaft als Kapitalist, nicht nur das Recht, sondern, vermöge der Konkurrenz, auch gewissermaßen die Pflicht hat, aus seinem Hauseigentum rücksichtslos die höchsten Mietpreise herauszuschlagen. In einer solchen Gesellschaft ist die Wohnungsnot kein Zufall, sie ist eine notwendige Institution, sie kann mitsamt ihren Rückwirkungen auf die Gesundheit usw. nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird. Das aber darf der Bourgeoissozialismus nicht wissen. Er darf sich die Wohnungsnot nicht aus den Verhältnissen erklären. Es bleibt ihm also kein anderes Mittel übrig, als sie mit moralischen Phrasen aus der Schlechtigkeit der Menschen zu erklären, sozusagen aus der Erbsünde.

[236] »Und da ist nicht zu verkennen – und folglich nicht zu leugnen« (kühner Schluß!) – »daß die Schuld... einesteils an den Arbeitern selbst liegt, den Wohnungsbegehrenden, andern und zwar weit größeren Teils aber an denjenigen, welche die Befriedigung des Bedürfnisses übernehmen, oder, obwohl sie über die erforderlichen Mittel gebieten, auch nicht übernehmen, an den besitzenden, höheren Gesellschaftsklassen. Die Schuld auf seiten der letzteren... besteht darin, daß sie es sich nicht angelegen sein lassen, für ausreichendes Angebot guter Wohnungen zu sorgen.«

Wie Proudhon uns aus der Ökonomie in die Juristerei, so versetzt uns hier unser Bourgeoissozialist aus der Ökonomie in die Moral. Und nichts ist natürlicher. Wer die kapitalistische Produktionsweise, die »ehernen Gesetze« der heutigen bürgerlichen Gesellschaft, für unantastbar erklärt, und doch ihre mißliebigen, aber notwendigen Folgen abschaffen will, dem bleibt nichts übrig, als den Kapitalisten Moralpredigten zu halten, Moralpredigten, deren Rühreffekt sofort wieder durch das Privatinteresse und nötigenfalls durch die Konkurrenz in Dunst aufgelöst wird. Diese Moralpredigten gleichen genau denen der Henne am Rande des Teichs, auf dem ihre ausgebrüteten Entchen lustig herumschwimmen. Die Entchen gehn aufs Wasser, obwohl es keine Balken, und die Kapitalisten stürzen sich auf den Profit, obwohl er kein Gemüt hat. »In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf«, sagte schon der alte Hansemann, der das besser kannte als Herr Sax.

»Die guten Wohnungen stehn so hoch im Preise, daß es dem größten Teil der Arbeiter ganz und gar unmöglich ist, davon Gebrauch zu machen. Das große Kapital... hält sich von den Wohnungen für die arbeitenden Klassen scheu zurück... So fallen denn diese Klassen mit ihrem Wohnungsbedürfnisse zum größten Teil der Spekulation anheim.«

Abscheuliche Spekulation – das große Kapital spekuliert natürlich nie! Aber es ist nicht der böse Wille, es ist nur die Unwissenheit, die das große Kapital verhindert. In Arbeiterhäusern zu spekulieren:

»Die Hausbesitzer wissen gar nicht, welch große und wichtige Rolle eine normale Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses... spielt, sie wissen nicht, was sie den Leuten tun, wenn sie ihnen, wie die Regel, so unverantwortlich schlechte, schädliche Wohnungen anbieten, und sie wissen endlich nicht, wie sie sich selbst damit schaden.« (Seite 27.)

Die Unwissenheit der Kapitalisten bedarf aber der Unwissenheit der Arbeiter, um mit ihr die Wohnungsnot zu erzeugen. Nachdem Herr Sax zugegeben, daß die »alleruntersten Schichten« der Arbeiter, »um nicht ganz obdachlos zu bleiben, wo und wie immer ein Nachtlager zu suchen bemüßigt (!) und in dieser Beziehung völlig wehr- und hülflos sind«, erzählt er uns:

[237] »Denn es ist eine allbekannte Tatsache, wie viele unter ihnen« (den Arbeitern) »aus Leichtsinn, vorwiegend aber aus Unwissenheit, ihrem Körper die Bedingungen naturgemäßer Entwickelung und gesunder Existenz, fast möchte man sagen, mit Virtuosität, entziehn, indem sie von einer rationellen Gesundheitspflege, insbesondere aber davon, welch enorme Bedeutung der Wohnung in dieser zukommt, nicht den mindesten Begriff haben.« (Seite 27.)

Nun aber kommt das bürgerliche Eselsohr heraus. Während bei den Kapitalisten die »Schuld« sich in Unwissenheit verflüchtigte, ist bei den Arbeitern die Unwissenheit nur der Anlaß zur Schuld. Man höre:

»So kommt es« (nämlich durch die Unwissenheit), »daß sie sich, wenn sie nur etwas an der Miete ersparen, in dunkle, feuchte, unzureichende, kurz allen Anforderungen der Hygiene Hohn sprechende Wohnungen ziehn... daß oft mehrere Familien in eine einzige Wohnung, ja, ein einziges Zimmer sich zusammen mieten – alles, um möglichst wenig für die Wohnung auszugeben, während sie daneben auf Trunk und allerlei eitle Vergnügungen ihr Einkommen in wahrhaft sündhafter Weise verschleudern.«

Das Geld, das die Arbeiter »auf Branntwein und Tabak verschwenden« (Seite 28), das »Wirtshausleben mit all seinen beklagenswerten Folgen, das wie ein Bleigewicht den Arbeiterstand immer wieder in den Schlamm hinabzieht«, liegt Herrn Sax in der Tat wie ein Bleigewicht im Magen. Daß unter den gegebenen Verhältnissen die Trunksucht unter den Arbeitern ein notwendiges Produkt ihrer Lebenslage ist, ebenso notwendig wie Typhus, Verbrechen, Ungeziefer, Gerichtsvollzieher und andere gesellschaftliche Krankheiten, so notwendig, daß man die Durchschnittszahl der der Trunksucht Verfallenden vorher berechnen kann, das darf Herr Sax wieder nicht wissen. Übrigens sagte schon mein alter Elementarlehrer: »Die Gemeinen gehen in das Fuselhaus, und die Vornehmen gehn in den Klub«, und da ich in beiden gewesen bin, kann ich die Richtigkeit bezeugen.

Das ganze Gerede von der »Unwissenheit« beider Teile läuft hinaus auf die alten Redensarten von der Harmonie der Interessen von Kapital und Arbeit. Wenn die Kapitalisten ihr wahres Interesse kennten, würden sie den Arbeitern gute Wohnungen liefern und sie überhaupt besserstellen; und wenn die Arbeiter ihr wahres Interesse verständen, würden sie nicht striken, nicht Sozialdemokratie treiben, nicht politisieren, sondern hübsch ihren Vorgesetzten, den Kapitalisten, folgen. Leider finden beide Teile ihre Interessen ganz woanders als in den Predigten des Herrn Sax und seiner zahllosen Vorgänger. Das Evangelium von der Harmonie zwischen Kapital und Arbeit ist nun schon an die fünfzig Jahre gepredigt worden; die bürgerliche Philanthropie hat es sich schweres Geld kosten lassen, diese Harmonie durch[238] Musteranstalten zu beweisen; und wie wir später sehen werden, sind wir heute grade so weit wie vor fünfzig Jahren.

Unser Verfasser geht nun an die praktische Lösung der Frage. Wie wenig revolutionär der Vorschlag Proudhons war, die Arbeiter zu Eigentümern ihrer Wohnungen zu machen, geht schon daraus hervor, daß der bürgerliche Sozialismus diesen Vorschlag schon vor ihm praktisch auszuführen versucht hatte und noch versucht. Auch Herr Sax erklärt, daß die Wohnungsfrage vollständig nur durch Übertragung des Eigentums der Wohnung an die Arbeiter zu lösen sei (S. 58 und 59). Mehr noch, er verfällt in dichterische Verzückung bei diesem Gedanken und bricht in folgenden Begeisterungsschwung aus:

»Es ist etwas Eigentümliches um die im Menschen liegende Sehnsucht nach Grundbesitz, einen Trieb, den selbst das fieberhaft pulsierende Güterleben der Gegenwart nicht abzuschwächen vermochte. Es ist dies das unbewußte Gefühl von der Bedeutung der wirtschaftlichen Errungenschaft, die der Grundbesitz darstellt. Mit ihm bekommt der Mensch einen sicheren Halt, er wurzelt gleichsam fest in dem Boden, und jede Wirtschaft (!) hat in demselben die dauerhafteste Basis. Doch weit über diese materiellen Vorteile reicht die Segenskraft des Grundbesitzes hinaus. Wer so glücklich ist, einen solchen sein zu nennen, hat die denkbar höchste Stufe wirtschaftlicher Unabhängigkeit erreicht; er hat ein Gebiet, worauf er souverän schalten und walten kann, er ist sein eigner Herr, er hat eine gewisse Macht und einen sichern Rückhalt für die Zeit der Not; es wächst sein Selbstbewußtsein und mit diesem seine moralische Kraft. Daher die tiefe Bedeutung des Eigentums in der vorliegenden Frage... Der Arbeiter, hülflos heute den Wechselfällen der Konjunktur ausgesetzt, in steter Abhängigkeit von dem Arbeitgeber, würde dadurch bis zu einem gewissen Grad dieser prekären Lage entrückt, er würde Kapitalist und gegen die Gefahren der Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit durch den Realkredit, der ihm infolgedessen offenstände, gesichert. Er würde dadurch aus der besitzlosen in die Klasse der Besitzenden emporgehoben.« (Seite 63.)

Herr Sax scheint vorauszusetzen, daß der Mensch wesentlich Bauer ist, sonst würde er nicht den Arbeitern unserer großen Städte eine Sehnsucht nach Grundbesitz andichten, die sonst niemand bei ihnen entdeckt hat. Für unsre großstädtischen Arbeiter ist Freiheit der Bewegung erste Lebensbedingung und Grundbesitz kann ihnen nur eine Fessel sein. Verschafft ihnen eigne Häuser, kettet sie wieder an die Scholle, und ihr brecht ihre Widerstandskraft gegen die Lohnherabdrückung der Fabrikanten. Der einzelne Arbeiter mag sein Häuschen gelegentlich verkaufen können, bei einem ernstlichen Strike oder einer allgemeinen Industriekrise aber würden sämtliche den betreffenden Arbeitern gehörenden Häuser zum Verkauf auf den[239] Markt kommen müssen, also gar keine Käufer finden oder weit unter Kostpreis losgeschlagen werden. Und wenn sie alle Käufer fänden, so wäre ja die ganze große Wohnungsreform des Herrn Sax wieder in nichts aufgelöst, und er könnte wieder von vorn anfangen. Indes, Dichter leben in einer Welt der Einbildung, und so auch Herr Sax, der sich einbildet, der Grundbesitzer habe »die höchste Stufe wirtschaftlicher Unabhängigkeit erreicht«, er habe »einen sichern Rückhalt«, »er würde Kapitalist und gegen die Gefahren der Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit durch den Realkredit, der ihm infolgedessen offenstände, gesichert« usw. Herr Sax sehe sich doch die französischen und unsre rheinischen kleinen Bauern an; ihre Häuser und Felder sind mit Hypotheken über und über beschwert, ihre Ernte gehört ihren Gläubigern, ehe sie geschnitten ist, und auf ihrem »Gebiet« schalten und walten nicht sie souverän, sondern der Wucherer, der Advokat und der Gerichtsvollzieher. Das ist allerdings die denkbar höchste Stufe der wirtschaftlichen Unabhängigkeit – für den Wucherer! Und damit die Arbeiter so rasch wie möglich ihr Häuschen unter dieselbe Souveränität des Wucherers bringen, weist sie der wohlwollende Herr Sax vorsorglich auf den ihnen offenstehenden Realkredit hin, den sie in Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit benutzen können, statt der Armenpflege zur Last zu fallen.

Jedenfalls hat nun Herr Sax die anfangs gestellte Frage gelöst: der Arbeiter »wird Kapitalist« durch Erwerb eines eignen Häuschens.

Kapital ist Kommando über die unbezahlte Arbeit andrer. Das Häuschen des Arbeiters wird also nur Kapital, sobald er es einem Dritten vermietet und in der Gestalt der Miete sich einen Teil des Arbeitsprodukts dieses Dritten aneignet. Dadurch, daß er es selbst bewohnt, wird das Haus gerade daran verhindert, Kapital zu werden, ebenso wie der Rock in demselben Augenblick aufhört, Kapital zu sein, wo ich ihn vom Schneider kaufe und anziehe. Der Arbeiter, der ein Häuschen im Wert von tausend Talern besitzt, ist allerdings kein Proletarier mehr, aber man muß Herr Sax sein, um ihn einen Kapitalisten zu nennen.

Das Kapitalistentum unsres Arbeiters hat aber noch ein andre Seite. Nehmen wir an, in einer gegebenen Industriegegend sei es die Regel geworden, daß jeder Arbeiter sein eignes Häuschen besitzt. In diesem Fall wohnt die Arbeiterklasse jener Gegend frei; Unkosten für Wohnung gehn nicht mehr ein in den Wert ihrer Arbeitskraft. Jede Verringerung der Erzeugungskosten der Arbeitskraft, d.h. jede dauernde Preiserniedrigung der Lebensbedürfnisse des Arbeiters kommt aber »auf Grund der ehernen Gesetze der Volkswirtschaftslehre« einer Herabdrückung des Werts der Arbeitskraft gleich und hat daher schließlich einen entsprechenden Fall im[240] Arbeitslohn zur Folge. Der Arbeitslohn würde also durchschnittlich um den ersparten Durchschnittsmietbetrag fallen, d.h. der Arbeiter würde die Miete für sein eignes Haus zahlen, aber nicht, wie früher, in Geld an den Hausbesitzer, sondern in unbezahlter Arbeit an den Fabrikanten, für den er arbeitet. Auf diese Weise würden die im Häuschen angelegten Ersparnisse des Arbeiters allerdings gewissermaßen zu Kapital, aber Kapital nicht für ihn, sondern für den ihn beschäftigenden Kapitalisten.

Herr Sax bringt es also nicht einmal auf dem Papier fertig, seinen Arbeiter in einen Kapitalisten zu verwandeln.

Beiläufig bemerkt, gilt das oben Gesagte von allen sogenannten sozialen Reformen, die auf Sparen oder auf Verwohlfeilung der Lebensmittel des Arbeiters hinauslaufen. Entweder werden sie allgemein, und dann folgt ihnen eine entsprechende Lohnherabsetzung, oder aber sie bleiben ganz vereinzelte Experimente, und dann beweist ihr bloßes Dasein als einzelne Ausnahme, daß ihre Durchführung im großen mit der bestehnden kapitalistischen Produktionsweise unvereinbar ist. Nehmen wir an, in einer Gegend gelinge es, durch allgemeine Einführung von Konsumvereinen die Lebensmittel der Arbeiter um 20 Prozent wohlfeiler zu machen; so müßte der Arbeitslohn auf die Dauer dort um annähernd 20 Prozent fallen, d.h. in demselben Verhältnis, in dem die betreffenden Lebensmittel in den Lebensunterhalt der Arbeiter eingehn. Verwendet der Arbeiter z.B. durchschnittlich drei Viertel seines Wochenlohns auf diese Lebensmittel, so fällt der Arbeitslohn schließlich um 3/4 x 20 = 15 Prozent. Kurzum: sobald eine derartige Sparreform allgemein geworden, erhält der Arbeiter in demselben Verhältnis weniger Lohn, als ihm seine Ersparnisse erlauben, wohlfeiler zu leben. Gebt jedem Arbeiter ein erspartes, unabhängiges Einkommen von 52 Taler, und sein Wochenlohn muß schließlich um einen Taler sinken. Also: je mehr er spart, desto weniger Lohn erhält er. Er spart also nicht in seinem eignen Interesse, sondern in dem des Kapitalisten. Was bedarf es mehr, in ihm »die erste wirtschaftliche Tugend, den Sparsinn... auf das mächtigste anzuregen«? (S. 64.)

Übrigens sagt uns Herr Sax auch gleich darauf, daß die Arbeiter Hausbesitzer werden sollen nicht sowohl in ihrem eignen Interesse, als in dem der Kapitalisten:

»Doch nicht der Arbeiterstand, auch die Gesellschaft im ganzen hat das höchste Interesse daran, möglichst viele ihrer Glieder mit dem Boden verknüpft (!) zu sehen« (ich möchte Herrn Sax wohl einmal in dieser Positur sehn) »... Alle die geheimen[241] Kräfte, die den Vulkan, die soziale Frage genannt, der unter unsern Füßen glüht, entflammen, die proletarische Verbitterung, der Haß... die gefährlichen Begriffsverwirrungen... sie müssen zerstäuben wie die Nebel vor der Morgensonne, wenn... die Arbeiter selbst auf jenem Wege in die Klasse der Besitzenden übergehen.« (S. 65.)

In andern Worten: Herr Sax hofft, daß die Arbeiter durch eine Verschiebung ihrer proletarischen Stellung, wie sie der Hauserwerb herbeiführen müßte, auch ihren proletarischen Charakter verlieren und wieder gehorsame Duckmäuser werden gleich ihren ebenfalls hausbesitzenden Vorfahren. Die Proudhonisten mögen sich das zu Gemüte führen.

Hiermit glaubt Herr Sax die soziale Frage gelöst zu haben:

»Die gerechtere Verteilung der Güter, das Sphinxrätsel, an dessen Lösung sich schon viele vergeblich versuchten, liegt sie nicht so als greifbares Faktum vor uns, ist sie nicht damit den Regionen der Ideale entrückt und in den Bereich der Wirklichkeit getreten? Und wenn realisiert, ist damit nicht eins der höchsten Ziele erreicht, das selbst die Sozialisten der extremsten Richtung als den Gipfelpunkt ihrer Theorien hinstellen?« (S. 66.)

Es ist ein wahres Glück, daß wir uns bis hierher durchgearbeitet haben. Dieser Jubelruf bildet nämlich den »Gipfelpunkt« des Saxschen Buchs, und von jetzt an geht es wieder sachte bergunter, aus »den Regionen der Ideale« auf die platte Wirklichkeit, und wenn wir unten ankommen, werden wir finden, daß sich nichts, aber auch gar nichts in unsrer Abwesenheit geändert hat.

Den ersten Schritt bergab läßt uns unser Führer tun, indem er uns belehrt, daß es zwei Systeme von Arbeiterwohnungen gibt: das Cottagesystem, wo jede Arbeiterfamilie ihr eignes Häuschen und womöglich Gärtchen hat, wie in England, und das Kasernensystem der großen, viele Arbeiterwohnungen enthaltenden Gebäude, wie in Paris, Wien usw. Zwischen beiden stehe das in Norddeutschland übliche System. Nun sei zwar das Cottagesystem das einzig richtige, und das einzige, wobei der Arbeiter das Eigentum an seinem Hause erwerben könne; auch habe das Kasernensystem sehr große Nachtelle für Gesundheit, Moralität und häuslichen Frieden – aber leider, leider sei das Cottagesystem grade in den Mittelpunkten der Wohnungsnot, in den großen Städten, wegen der Bodenteurung unausführbar, und man könne noch froh sein, wenn man dort, statt großer Kasernen, Häuser zu 4 bis 6 Wohnungen errichte oder den Hauptmängeln des Kasernensystems durch allerhand bauliche Künsteleien abhelfe. (S. 71-92.)

Nicht wahr, wir sind schon ein gutes Stück heruntergekommen? Die Verwandlung der Arbeiter in Kapitalisten, die Lösung der sozialen Frage,[242] das jedem Arbeiter eigentümlich gehörende Haus – das alles ist oben in »den Regionen der Ideale« geblieben; wir haben uns nur noch damit zu beschäftigen, das Cottagesystem auf dem Lande einzuführen und in den Städten die Arbeiterkasernen so erträglich wie möglich einzurichten.

Die bürgerliche Lösung der Wohnungsfrage ist also eingestandenermaßen gescheitert – gescheitert an dem Gegensatz von Stadt und Land. Und hier sind wir an dem Kernpunkt der Frage angelangt. Die Wohnungsfrage ist erst dann zu lösen, wenn die Gesellschaft weit genug umgewälzt ist, um die Aufhebung des von der jetzigen kapitalistischen Gesellschaft auf die Spitze getriebenen Gegensatzes von Stadt und Land in Angriff zu nehmen. Die kapitalistische Gesellschaft, weit entfernt, diesen Gegensatz aufheben zu können, muß ihn im Gegenteil täglich mehr verschärfen. Dagegen haben schon die ersten modernen utopistischen Sozialisten, Owen und Fourier, dies richtig erkannt. In ihren Mustergebäuden existiert der Gegensatz von Stadt und Land nicht mehr. Es findet also das Gegenteil statt von dem, was Herr Sax behauptet: nicht die Lösung der Wohnungsfrage löst zugleich die soziale Frage, sondern erst durch die Lösung der sozialen Frage, d.h. durch die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, wird zugleich die Lösung der Wohnungsfrage möglich gemacht. Die Wohnungsfrage lösen wollen und die modernen großen Städte forterhalten wollen, ist ein Widersinn. Die modernen großen Städte werden aber beseitigt erst durch die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, und wenn diese erst in Gang gebracht, wird es sich um ganz andere Dinge handeln, als jedem Arbeiter ein ihm zu eigen gehörendes Häuschen zu verschaffen.

Zunächst wird aber jede soziale Revolution die Dinge nehmen müssen, wie sie sie findet, und den schreiendsten Übeln mit den vorhandenen Mitteln abhelfen müssen. Und da haben wir schon gesehn, daß der Wohnungsnot sofort abgeholfen werden kann durch Expropriation eines Teils der den besitzenden Klassen gehörenden Luxuswohnungen und durch Bequartierung des übrigen Teils.

Wenn nun Herr Sax im Verfolg wieder aus den großen Städten herausgeht und ein langes und breites redet über Arbeiterkolonien, die neben den Städten angelegt werden sollen, wenn er alle die Schönheiten solcher Kolonien schildert, mit ihrer gemeinsamen »Wasserleitung, Gasbeleuchtung, Luft- oder Warmwasserheizung, Waschküchen, Trockenstuben, Badekammern u. dgl.«, mit »Kleinkinderbewahranstalt, Schule, Betsaal (!), Lesezimmer, Bibliothek... Wein- und Bierstube, Tanz- und Musiksaal in allen Ehren«, mit Dampfkraft, die in alle Häuser geleitet werden und so »die Produktion in gewissem Umfang aus den Fabriken in die häusliche Werkstätte[243] zurückverlegen« kann – so ändert das an der Sache nichts. Die Kolonie, wie er sie schildert, ist von Herrn Huber den Sozialisten Owen und Fourier direkt abgeborgt und bloß durch Abstreifung alles Sozialistischen total verbürgert. Dadurch aber wird sie erst recht utopistisch. Kein Kapitalist hat ein Interesse daran, solche Kolonien anzulegen, wie denn auch nirgendwo in der Welt eine solche besteht, außer in Guise in Frankreich; und diese ist gebaut von einem Fourieristen, nicht als rentable Spekulation, sondern als sozialistisches Experiment.3 Ebensogut hätte Herr Sax die im Anfang der vierziger Jahre von Owen in Hampshire gegründete und längst untergegangene kommunistische Kolonie Harmony Hall zugunsten seiner bürgerlichen Projektenmacherei anführen können.

Indes ist all dies Gerede von Kolonisation nur ein lahmer Versuch, wieder in die »Regionen der Ideale« emporzufliegen, der auch sofort wieder fallengelassen wird. Wir gehn nun wieder flott bergab. Die einfachste Lösung ist nun die,

»daß die Arbeitgeber, die Fabrikherren, den Arbeitern zu entsprechenden Wohnungen verhelfen, sei es, daß sie diese selbst herstellen, sei es, daß sie die Arbeiter zu eigner Bautätigkeit aufmuntern und unterstützen, indem sie ihnen Grund und Boden zur Verfügung stellen, das Baukapital vorschießen usw.« (S. 106.)

Hiermit sind wir wieder aus den großen Städten heraus, wo von alledem keine Rede sein kann, und aufs Land zurückversetzt. Herr Sax beweist nun, daß es hier im Interesse der Fabrikanten selbst liegt, ihren Arbeitern zu erträglichen Wohnungen zu verhelfen, einerseits als gute Kapitalanlage, andrerseits, weil die daraus unfehlbar

»resultierende Hebung der Arbeiter... eine Steigerung ihrer körperlichen und geistigen Arbeitskraft nach sich ziehen muß, was natürlich... nicht minder... dem Arbeitgeber zugute kommt. Damit ist aber auch der rechte Gesichtspunkt für die Beteiligung der letzteman der Wohnungsfrage gegeben: Sie erscheint als Ausfluß der latenten Assoziation, der meist unter dem Gewande humanitärer Bestrebungen verborgenen Sorge der Arbeitgeber für das leibliche und wirtschaftliche, geistige und sittliche Wohl ihrer Arbeiter, welche sich durch ihre Erfolge, Heranziehung und Sicherung einer tüchtigen, geschickten, willigen, zufriedenen und ergebenen Arbeiterschaft von selbst pekuniär entlohnt.« (S. 108.)

Die Phrase der »latenten Assoziation«, womit Huber dem bürgerlich-philanthropischen Gefasel einen »höheren Sinn« unterzuschieben versuchte,[244] ändert an der Sache nichts. Auch ohne diese Phrase haben die großen ländlichen Fabrikanten, namentlich in England, längst eingesehn, daß die Anlage von Arbeiterwohnungen nicht nur eine Notwendigkeit, ein Stück der Fabrikanlage selbst ist, sondern sich auch sehr gut rentiert. In England sind auf diese Weise ganze Dörfer entstanden, von denen manche sich später zu Städten entwickelt haben. Die Arbeiter aber, statt den menschenfreundlichen Kapitalisten dankbar zu sein, haben von jeher sehr bedeutende Einwendungen gegen dies »Cottagesystem« gemacht. Nicht nur, daß sie Monopolpreise für die Häuser zahlen müssen, weil der Fabrikant keine Konkurrenten hat; sie sind bei jedem Strike sofort obdachlos, da der Fabrikant sie ohne weiteres an die Luft setzt und dadurch jeden Widerstand sehr erschwert. Das Nähere kann man in meiner »Lage der arbeitenden Klasse in England« S. 224 und 228 nachlesen. Aber Herr Sax meint, dergleichen »verdiene doch kaum eine Widerlegung«. (S. 111.) Und will er nicht dem Arbeiter das Eigentum an seinem Häuschen verschaffen? Allerdings, aber da »die Arbeitgeber in der Lage sein müßten, über die Wohnung stets zu verfügen, um, wenn sie einen Arbeiter entlassen, für den Ersatzmann Raum zu haben«, so – nun ja, so müßte »durch Verabredung der Widerruflichkeit des Eigentums für jene Fälle vorgesehen werden«! (S. 113.)4

Diesmal sind wir unerwartet rasch heruntergekommen. Erst hieß es: Eigentum des Arbeiters an seinem Häuschen; dann erfahren wir, daß das in den Städten unmöglich und nur auf dem Lande durchführbar; jetzt wird uns erklärt, daß dies Eigentum auch auf dem Lande nur ein »durch Verabredung widerrufliches« sein soll! Mit dieser von Herrn Sax neu entdeckten Sorte von Eigentum für die Arbeiter, mit dieser ihrer Verwandlung in[245] »durch Verabredung widerrufliche« Kapitalisten, sind wir glücklich wieder auf ebener Erde angekommen und haben hier zu untersuchen, was die Kapitalisten und sonstigen Philanthropen zur Lösung der Wohnungsfrage wirklich getan haben.

3

Und auch diese ist schließlich eine bloße Heimat der Arbeiter-Ausbeutung geworden. Siehe den Pariser »Socialiste«, Jahrgang 1886. [Anmerkung von Engels zur Ausgabe von 1887.]

4

Auch hierin haben die englischen Kapitalisten längst alle Herzenswünsche des Herrn Sax nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen. Montag, den 14. Oktober 1872, hatte in Morpeth der Gerichtshof zur Feststellung der Parlaments-Wählerlisten über den Antrag von 2000 Bergarbeitern auf Eintragung ihrer Namen in die Liste zu entscheiden. Es stellte sich heraus, daß der größte Teil dieser Leute nach dem Reglement der Grube, wo sie arbeiteten, nicht als Mieter der von ihnen bewohnten Häuschen, sondern nur als darin geduldet anzusehn seien und ohne jede Kündigung jederzeit an die Luft gesetzt werden konnten. (Grubenbesitzer und Hauseigentümer waren natürlich eine und dieselbe Person.) Der Richter entschied, daß diese Leute keine Mieter, sondern Knechte seien und als solche zur Eintragung nicht berechtigt. (»Daily News«, 15. Oktober 1872.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 18, S. 233-246.
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