§ 26. Hobbes' Gedanken über die Philosophie, ihre Materie, Form und Einteilung

[84] Objekt der Philosophie ist jeder Körper, der als irgendwie entstanden vorgestellt und irgendwie verglichen werden[84] kann, d. i. alles, was zusammengesetzt und aufgelöst werden kann, was eine Entstehung oder Eigenschaft hat. Was daher unentstanden ist oder keine Beschaffenheit hat, ist nicht Gegenstand der Philosophie, denn sie beschäftigt sich damit allein, die Eigenschaften aus der Ursache oder die Ursache aus den Eigenschaften zu erkennen. Die Philosophie als bloße Körperlehre schließt daher von sich die Theologie aus, die Lehre von der Natur und den Eigenschaften Gottes als des Ewigen, Unerzeugten, Unbegreiflichen, kurz, alles, was nicht Körper oder Körperbeschaffenheit ist. (»Logica«, c. 1, § 8)

Unendliches ist also nicht Gegenstand der Philosophie. Vom Unendlichen gibt es keine Vorstellung; nicht der Mensch noch sonst ein endliches Wesen, nur das Unendliche selbst kann vom Unendlichen einen Begriff haben. Alles, was wir wissen, haben wir nur von unsern sinnlichen Vorstellungen oder Bildern. Das Wissen und der Verstand sind selbst weiter nichts als eine von dem Drucke der äußern Objekte auf die Organe erregte Bewegung des Gemütes. Alle unsere Begriffe sind darum nur Begriffe vom Endlichen. Von Gott wissen wir nur so viel, daß er existiert, daß er schlechtweg ist und in Beziehung auf uns Gott, d. i. König, Herr und Vater, ist. (»Physica«, c. 26, § 1, u. »De Cive«, c. 15, § 14)

Die Philosophie ist daher nichts anderes als die durch richtiges Denken oder Schließen erlangte Kenntnis der Wirkungen oder Erscheinungen aus ihren Ursachen und der möglichen Ursachen aus ihren Erscheinungen oder Wirkungen. Sie hat auch keinen andern Zweck, als dem menschlichen Leben Nutzen und Vorteil zu bringen. (»Log.«, c. 1, § 2 u. 6)

Da die Philosophie bloße Körperlehre ist, es aber zwei voneinander verschiedene Gattungen von Körpern gibt, wovon der eine, durch die Natur zusammengefügt, der natürliche Körper, der andere aber, durch den Willen der Menschen vermittelst Verträge gemacht, Staat heißt, so sind die Natur– und Staatsphilosophie die zwei Hauptteile der Philosophie. Da aber die Erkenntnis des Staates die Erkenntnis von den Neigungen, Affekten und Sitten der Menschen voraussetzt, so zerfällt die Staatsphilosophie wieder in zwei Teile, nämlich in die Ethik, die von den Neigungen und Sitten, und in[85] die Politik, die von den Pflichten der Bürger handelt. (l. c., § 9)

Die Naturphilosophie aber besteht aus der Ontologie oder philosophia prima, welche von dem allgemeinsten Gegenstand, dem Körper und dessen Akzidenzen, der Größe und Bewegung, handelt, der Lehre von den Verhältnissen, der Bewegung und der Größen (der angewandten Mathematik und Geometrie) und der eigentlichen Physik oder der Lehre von den Naturerscheinungen. (»Leviath.«, c. 9, und überhaupt Sect. I, »De Corp.«) Voran geht aber als das »Licht der Vernunft« (ad lectorem50) die Logik, deren Gegenstand die Zeichen und Merkmale der Gedanken, die Namen oder Worte sind, weil ohne sie sich keine Wissenschaft erwerben läßt und von ihrem richtigen Gebrauch allein die Richtigkeit unsers Denkens und Schließens abhängt.

Die Tätigkeit der Philosophie, das Denken oder Schließen, ist nichts weiter als ein Rechnen. Das Rechnen nämlich besteht in der Erkenntnis der Summe, wenn mehrere Dinge gleichzeitig zueinander hinzugesetzt werden, und des Restes, wenn eines von dem andern abgezogen worden ist. Alles Denken reduziert sich daher auf die Operationen des Addierens oder Subtrahierens; denn das Rechnen beschränkt sich nicht bloß auf Zahlen, es kann auch die Größe zur Größe, die Bewegung zur Bewegung, die Zeit zur Zeit usw. hinzugesetzt und wieder davon abgezogen werden. (»Log.«, c. 1, § 2 et 3)

Da das Denken überhaupt nur eine ganz äußerliche Operation ist, nichts weiter als ein Addieren und Subtrahieren, und die Philosophie nur erzeugbare und auflösbare Dinge zu ihrem Objekte hat, so ist sie ganz in dem Sinne wie die Mathematik eine demonstrative Wissenschaft, und dieselbe Gewißheit der Beweise, die das Eigentümliche der Geometrie ausmacht, kann auch in der Philosophie stattfinden, wenn nur die Definitionen (d. i. die ersten Sätze, die Prinzipien der Demonstration) richtig sind. (l. c., c. 6, § 16 et 13)[86] Bei den Dingen, die eine Ursache und Entstehung haben, muß daher die Philosophie in der Definition derselben die Ursache oder Entstehungsweise angeben, also z.B. den Kreis definieren als eine Figur, die aus der Umdrehung einer geraden Linie in der Ebene entsteht, denn der Zweck der Demonstration ist die Erkenntnis der Ursachen und Entstehungsweisen der Dinge. (l. c.)

Durch diese Demonstration jedoch, die aus ihrer Entstehung eine Materie ableitet und daher eine Demonstration a priori ist, können wir nur die Dinge erkennen, deren Erzeugung von unserer eigenen Willkür abhängt. Die meisten die Größe betreffenden Lehrsätze können daher bewiesen werden; denn da die Ursachen der Eigenschaften, welche die einzelnen Figuren haben, in den Linien liegen, die wir selbst ziehen, und die Entstehung der Figuren also von unserm Willen abhängt, so wird zur Erkenntnis jeder eigentümlichen Beschaffenheit einer Figur weiter nichts erfordert, als daß wir genau alles erwägen, was sich aus der Konstruktion ergibt, die wir in der Zeichnung der Figur selbst machen. Die Ursachen der natürlichen Dinge aber sind nicht in unserer Gewalt und überdem noch ihr wichtigster Teil (der Äther nämlich) unsichtbar; bei ihnen können wir daher ihre Eigenschaften nicht aus ihren Ursachen, sondern wir müssen vermittelst der Demonstration a posteriori aus den Wirkungen und Erscheinungen ihre Ursachen ableiten. Indes, da sich auch die Physik, die Wissenschaft von der Natur, auf die Geometrie, die Größenlehre, stützt, indem die Erkenntnis der Bewegung, die alles in der Natur bewirkt, die Erkenntnis der Quantität voraussetzt, so gibt es auch in der Physik manche a priori demonstrierbare Gegenstände. Die Politik und Ethik dagegen als die Wissenschaften vom Gerechten und Ungerechten, vom Billigen und Unbilligen können a priori demonstriert werden, weil wir selbst die Urheber der Verträge und Gesetze sind, welche die Prinzipien und Ursachen des Rechten und Billigen sind; denn ehe es Gesetze und Verträge gab, war weder Recht noch Unrecht.51 (»De Homine«, c. 10, § 5)[87] Das Eigentümliche der methodischen Demonstration besteht nun näher darin, daß 1. die ganze Reihe der Schlüsse den Gesetzen des Syllogismus gemäß ist, 2. daß die Prämissen der einzelnen Schlüsse bis auf die ersten Definitionen vorher demonstriert sind, 3. daß nach den Definitionen der weitere Fortgang in der nämlichen Weise geschieht, in der der Lehrende jedes einzelne gefunden hat, daß also zuerst die Gegenstände demonstriert werden, welche den allgemeinsten Definitionen am nächsten liegen und den Inhalt der Philosophie, welche die erste Philosophie, philosophia prima, heißt, ausmachen; hierauf die Gegenstände, welche durch die Bewegung schlechtweg demonstriert werden können, also die Gegenstände der Geometrie; nach diesen die Dinge, welche durch sichtbare Bewegung wie Stoß und Zug bewiesen werden können. Von hieraus wird fortgegangen zur Bewegung der unsichtbaren Teile oder der Veränderung und zur Lehre vom Sinne und der Einbildungskraft, d. i. zur Physik, und von dieser endlich zur Moral, die die Bewegungen der Seele betrachtet, wie Hoffnung, Begierde, Liebe Haß, Furcht, worin die ersten Gründe der Pflichten oder Politik enthalten sind. (»Log.«, c. 6, § 17)

50

Sehr interessant ist dieses kurze Vorwort, worin er den genetischen Gang seiner Philosophie nach dem Vorbild der mosaischen Genesis zeichnet.

51

Die Art, wie H. das Denken und die Demonstration auffaßt, ist nicht nur deswegen interessant, weil sie die mechanische Äußerlichkeit seiner Denkweise deutlich darstellt, sondern auch deswegen, weil in ihr schon die Kantische Ansicht vom Denken enthalten ist, namentlich wie sie Jakobi aussprach und erfaßte, demzufolge das Denken ein äußerlicher Mechanismus ist, sich nur begreifen läßt, was sich konstruieren läßt, nur das aber konstruiert werden kann, was man selbst erzeugen, machen kann, und daher ein begreifendes Wissen vom Ewigen, Unendlichen unmöglich ist.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 84-88.
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