§ 49. Das Wesen und die Eigenschaften der ewigen Natur

[151] Die Natur ist anders nichts als Eigenschaften der Annehmlichkeit der eignen, entstandenen Begierde, welche Begierde in der Schiedlichkeit des hauchenden Worts als der hauchenden Kraft entstehet, da sich die Eigenschaften ins Wesen einführen. So heißet dasselbe Wesen ein natürlich Wesen und ist nicht Gott selber, denn Gott durchwohnt wohl die Natur, aber die Natur begreifet ihn nur so weit, als sich die Einheit Gottes mit in das natürliche Wesen eingibet und auch wesentlich machet, als ein Lichtwesen, welches in der Natur in sich selber würket und die Natur durchdringet und penetrieret, sonst ist die Einheit Gottes der Natur als der begierlichen Annehmlichkeit unbegreiflich. (»Clavis«, § 25)

Die Natur entstehet in dem ausgefloßnen Worte göttlicher Empfindlichkeit und Wissenschaften, und ist eine stets währende Bildung und Formierung der Wissenschaften und Empfindnüs: Was das Wort durch die Weisheit würket, das bildet und formieret die Natur in Eigenschaften. Sie ist wie der Zimmermann, welcher das Haus bauet, welches das Gemüte hat zuvorhin in sich gemodelt; also auch allhier zu verstehen, was das ewige Gemüt in der Weisheit Gottes, in der göttlichen Kraft modelt und in eine Ideam führet, das bildet die Natur in eine Eigenschaft. (§ 26, 27)

Die Natur stehet in ihrem ersten Grunde in sieben Eigenschaften, und teilen sich die Sieben in unendlich aus. Die erste Eigenschaft der Natur ist die Begierde, die machet Herbe, Schärfe, Härte, Kälte und Wesen. Also verstehen wir, daß die Begierlichkeit sei der Grund zur Ichheit, daß aus nichts etwas würde, wie uns denn zu betrachten ist, daß sie der Anfang dieser Welt gewesen sei, dadurch Gott alle Dinge habe ins Wesen gebracht. Die andere Eigenschaft ist die Bewegnüs oder Einziehen der Begierde, die machet Stechen, Brechen und Schneidung der Härte, die zerschneidet[151] die angezogene Begierde und bringet sie in Vielheit und ist ein Grund des bittern Wehes und auch die wahre Wurzel zum Leben, ist ein Anfang dieser Welt, der Separator oder Scheider in den Kräften gewesen, damit der Schöpfer, als der Wille Gottes alle Dinge aus dem Mysterio Magno in eine Form gebracht. Die dritte Eigenschaft ist die Empfindlichkeit in der Zerbrechung der herben Härte und ist der Grund der Angst und des natürlichen Willens, darinnen der ewige Wille will offenbar werden. Diese Empfindlichkeit ist die Ursach des Feuers, auch des Gemüts und der Sinnen. So nicht Empfindlichkeit wäre, so wüßte der Wille nichts von Eigenschaften, denn er wäre nur einig. In diesen drei ersten Eigenschaften stehet das Fundament des Zorns und der Höllen und alles dessen, was grimmig ist. (§ 28-31 u. 41-43)

Die vierte Eigenschaft oder Gestalt der ewigen Natur ist das geistliche Feuer, darinnen das Licht als die Einheit offenbar wird, dann der Glanz des Feuers urständet von der ausgefloßnen Einheit, welche sich hat mit in die natürliche Begierde eingegeben, und des Feuers Qual und Brennen als die Hitze urständet von der scharfen Verzehrlichkeit der drei ersten Eigenschaften. (§ 48, 49) Dieses geschieht also: Die ewige Einheit oder die Freiheit ist die sanfte Stille und lieblich gleich einem sanften Wohltun, und daß man nicht aussprechen mag, was für eine Sänfte außer der Natur in der Einheit Gottes sei, und die drei Eigenschaften zur Natur seind scharf, peinlich, schrecklich; in diesen drei peinlichen Eigenschaften stehet der ausgeflossene Wille, welcher durchs Wort oder göttliche Hauchen entstanden ist, und stehet auch die Einheit darinnen. So sehnet sich der Wille nach der Einheit, und die Einheit sehnet sich nach der Empfindlichkeit als nach dem feurischen Grunde, also sehnet eines in das ander, und wann das geschieht, verstehet das Sehnen, so ist's wie ein Schrack oder Blitz, gleich als riebe man Stahl und Stein aneinander oder gösse Wasser ins Feuer, im Gleichnüs geredet. (§ 48, 49)

In diesem Blick empfindet die Einheit die Empfindlichkeit, und der Wille empfähet die sanfte Einheit, also wird die Einheit ein Glast (Glanz) des Feuers, und das Feuer wird ein Liebebrennen, denn es empfähet Essenz oder Kraft von der sanften Einheit. Das Feuer ist ein Gegenwurf der[152] großen Liebe der Einheit Gottes; denn also wird die ewige Lust empfindlich, und diese Empfindlichkeit der Einheit heißet Liebe als ein Brennen oder Leben in der Einheit Gottes, und nach solchem Liebebrennen heißet sich Gott einen barmherzigen, lieben Gott, denn die Einheit Gottes liebet oder durchdringt den peinlichen Willen des Feuers. Darumb stehet im Feuer und Licht das Leben aller Dinge. (§ 50, 54, 57)

Die fünfte Eigenschaft ist nun das Liebefeuer oder des Lichtes Kraft und Welt. Mit dieser fünften Eigenschaft wird das andere Principium als die englische Welt verstanden, denn es ist die Bewegnüs der Einheit, da alle Eigenschaften der feurigen Natur in Liebe brennen. Ein Gleichnüs dieses Grundes und Wirkung des Feuers siehet man an einer angezündeten Kerzen: In der Kerzen liegt alles ineinander, und ist doch keine Eigenschaft vor der andern offenbar, bis sie angezündet wird, so siehet man ein Feuer, Öl, Licht, Luft und Wasser aus der Luft, es werden alle vier Elemente darinnen offenbar, welche zuvor in einem einigen Grunde verborgen liegen. Also wird in Gott in der Eigenschaft des Feuers die Einheit unterschiedlich und offenbar. (§ 58, 61, 62)

Die sechste Eigenschaft der ewigen Natur ist der Schall, Hall oder die Verständnüs, denn im Feuerblitz werden die Eigenschaften alle lautbar, der Schall ist der Verstand, darinnen die Eigenschaften einander alle verstehen. Nach der Offenbarung der heil. Dreifaltigkeit mit dem Ausfluß der Einheit ist dieser Schall oder Hall das göttliche würkende Wort als der Verstand in der ewigen Natur, dadurch sich die übernatürliche Wissenschaft offenbaret, und nach der Natur und Kreatur ist er die Erkenntnüs Gottes, darinnen der natürliche Verstand Gott erkennet. Dann der natürliche Verstand ist ein Gegenwurf und Ausfluß aus göttlicher Verständnüs. (§ 69, 70)

Die siebente Eigenschaft ist das Wesen als ein Subjectum oder Gehäuse der andern sechs, darinnen sie alle wesentlich sind wie die Seele mit dem Leibe; in der siebenten stehen alle Eigenschaften im Temperamento als in einem einigen Wesen83: Gleichwie sie aus der Einheit alle entspringen,[153] also gehen sie wieder alle in einem Grunde ein, und ob sie gleich in unterschiedlicher Art und Eigenschaften würken, so ist es doch allhier nur ein einig Wesen, dessen Kraft heißet Tinktur als ein heilig penetrierend Wesen. (§ 73)

In diesen sieben Eigenschaften muß man allemal zwei Wesen verstehen. Als erstlich nach dem Abgrund. Durch solche Eigenschaften verstehet man das göttliche Wesen als den göttlichen Willen mit der ausfließenden Einheit Gottes, welche mit durch die Natur ausfleußt und sich in Annehmlichkeit zur Schärfe einführet, dadurch die ewige Liebe empfindlich und würklich sei und daß sie etwas habe, das da leidende ist, darinnen sie sich möge offenbaren und darinnen sie erkannt werde, davon sie wieder geliebet und gebäret werde als die peinlich leidende Natur, welche in der Liebe in eine ewige Freudenreich gewandelt wird: Wenn sich die Liebe im Feuer, im Lichte offenbaret, so überflammet sie die Natur und durchdringet sie wie die Sonne ein Kraut und das Feuer das Eisen. (§ 36)

Das ander Wesen ist der Natur eigen Wesen, welches peinlich und leidende ist, und ist der Werkzeug des Würkers, denn wo keine Leidenheit ist, da ist auch keine Begierde nach der Erlösung oder etwas Bessers, und wo nun keine Begierde nach etwas Bessers ist, allda innen ruhet ein Ding in sich selber, und darumb führet sich die ewige Einheit durch ihren Ausfluß und Siedligkeit in Natur, auf daß sie einen Gegenwurf habe, darinnen sie sich offenbaret, auf daß sie etwas liebe und wiederum von dem Etwas geliebet werde, daß also ein empfindlich Würken und Wollen sei. (§ 37)

Es ist fürnehmlich zu merken, daß allemal die erste und siebente Eigenschaft für eins gerechnet werden, und auch die andere und sechste für eine, sowohl die dritte und fünfte für eine, die vierte ist allein das Scheideziel, denn es sind nur drei Eigenschaften der Natur nach der Offenbarung[154] der Dreiheit Gottes. Als die erste, die Begierde, die wird Gott dem Vater zugeeignet und ist nur ein Geist, und in der siebenten ist die Begierde wesentlich. Die ander wird dem Sohn als die göttliche Kraft zugeeignet, die ist in der andern Zahl nur ein Geist, aber in der sechsten ist sie die verständige Kraft. Die dritte wird Gott dem heil. Geist nach seiner Offenbarung zugeeignet und ist im Anfang der dritten Eigenschaft nur ein Feuergeist, aber in der fünften Eigenschaft ist die große Liebe darinnen offenbar. Also ist der Ausfluß göttlicher Offenbarung nach den dreien Eigenschaften im ersten Principio vor dem Licht natürlich und im andern Principio im Lichte geistlich. (§ 75-79)

83

Oettinger (in der zit. Schrift T. V, p. 385) erklärt diese beiden letzten Eigenschaften also: »Die sechste ist die Quelle aller Sinnlichkeit, Perzeption und Apperzeption. Die Kabbalisten heißen sie Jesod. Die siebente macht, daß alle in einer unzerstörlichen Leiblichkeit beisammen bestellen, und diese heißt eigentlich Substanz, wann ein geistlich Wesen seinen unzerstörlichen Leih durch die vollkommene Ordnung und Zusammenwürkung der sechs vorhergehenden Sephiren bekommt.«

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 151-155.
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