§ 58. Allgemeine und nähere Bestimmung des Geistes

[194] »Daraus, daß ich bin, obgleich ich an allem zweifle und von allem abstrahiert habe«, sagt C. weiter, »erkenne ich nun zugleich, daß ich nichts weiter als ein denkendes Wesen bin. Denn nur das Denken allein ist unabsonderlich von mir, und wenn ich gleich von allem annehme, daß es nicht ist,[194] von allem abstrahiere, so bin ich doch, indem und inwiefern ich denke, das Denken ist also meine Substanz, ich bin ein denkendes Wesen. Aber was ist dieses? Ein zweifelndes, einsehendes, bejahendes, verneinendes, nicht wollendes, auch vorstellendes und empfindendes Wesen. Denn bin ich es nicht selbst, der ich an allem zweifle, etwas aber doch einsehe, der ich dieses eine als wahr behaupte, das übrige verneine, wünsche, mehreres zu wissen, nicht getäuscht werden will, vieles auch wider meinen Willen vorstelle und viele Sinnenvorstellungen empfange? Was davon könnte von meinem Denken unterschieden, was von mir selbst abgesondert genannt werden? Denn was könnte klarer und gewisser sein, als daß ich es selbst bin, der zweifelt, der einsieht, der will? Aber eben ich bin auch derselbe, der vorstellt, denn wenn auch kein vorgestellter Gegenstand existierte, so hat doch diese meine Kraft des Vorstellens positive Existenz und gehört zu meinem Denken, und ebenso bin auch ich es, der fühlt.« (Medit. II)

»Dessen bin ich also gewiß, daß ich ein denkendes Wesen bin. Was wird aber dazu erfordert, daß ich einer Sache gewiß bin? Was gibt mir diese Gewißheit? Nichts andres als die Erkenntnis, daß dieser erste Satz nichts weiter enthält als einen klaren und deutlichen Begriff von dem, was ich behaupte. Aber dieser Begriff würde nicht hinreichen, mir die Gewißheit von der Wahrheit dieses Satzes zu geben, wenn es möglich wäre, daß je etwas, was ich so klar und deutlich einsehe, falsch wäre, und ich kann daher wohl zum Behuf meiner Erkenntnis als allgemeine Regel aufstellen, daß alles wahr ist, was ich klar und deutlich einsehe.« (Medit. III)

»Da ich in und durch die Abstraktion von allem Sinnlichen und Körperlichen, durch die Verneinung ihrer Existenz mein Wesen gefunden, erkannt habe, daß ich allein nur vom Denken nicht abstrahieren kann, es folglich mein Wesen ist, so erkenne ich daraus, daß die Erkenntnis meiner selbst als Geistes oder denkenden Wesens, d. i. eben die Erkenntnis des Geistes, durchaus nicht abhängen kann von der Erkenntnis der sinnlichen Dinge, von denen ich ja noch gar nicht weiß, daß sie sind, und daß nichts von allem dem, was ich vermittelst der Imagination, d. i. der sinnlichen Vorstellungen, fassen kann, nichts von allen sinnlich vorstellbaren[195] Dingen zum Begriffe des Geistes oder meiner selbst gehöre.« (Medit. II) »Der Geist kann daher für sich allein vollständig und deutlich erkannt werden ohne irgendeine von den Formen oder Attributen, die zum Körper gehören; sein Begriff enthält nichts von dem, was zum Begriff des Körpers gehört.« (Resp. IV, p.123; Resp. V, p.59) »Der Geist ist daher realiter unterschieden vom Körper, denn ich kann ihn klar und deutlich ohne diesen begreifen; und daraus, daß ich weiß, daß ich bin, und erkenne, daß nichts weiter zu meiner Natur oder meinem Wesen gehört, als daß ich ein denkendes Wesen bin, schließe ich mit Recht, daß mein Wesen darin allein besteht, daß ich ein denkendes Wesen bin. Denn wenn ich gleich, wie sich später zeigen wird, einen mir eng verbundenen Körper habe, so bin ich doch gewiß, daß ich wahrhaft vom Körper unterschieden bin und ohne ihn existieren kann, weil ich von der einen Seite einen klaren und deutlichen Begriff von mir selbst als einem denkenden, nicht ausgedehnten Wesen habe und auf der andern Seite einen deutlichen Begriff vom Körper, inwiefern er ein ausgedehntes, kein denkendes Wesen ist.« (Medit. VI) Unser Geist hat daher weder Farbe noch Geruch noch Geschmack noch sonst etwas, was zum Körper gehört; es ist darum unmöglich, ihn durch eine sinnliche Vorstellung zu fassen oder sich ein Bild von ihm zu machen, denn die Seele oder der »Geist erfaßt sich nur durch die reine Intelligenz.« (»Epist.«, P. III, Ep. 113, P. I, Ep. 30) »Gleichwohl ist aber der Geist nicht unbegreiflich, im Gegenteil, wie wir alles durch ihn begreifen, so ist er auch begreiflicher als alle Dinge. Ja, der Geist wird eher und gewisser erkannt als irgendein körperliches Ding, denn ihn haben wir bereits erfaßt, die Existenz von etwas anderem aber bezweifeln wir noch. Er ist das Gewisseste, das Klarste von der Welt, das Allerbekannteste. Dies zeigt sich aber darin: Je mehr Attribute wir von einer Substanz erkennen desto vollkommner sehen wir ihre Natur ein, und wie wir z.B. am Wachse verschiedene Attribute unterscheiden können, die Härte, die Weiße usw., so können wir ebenso viele im Geist unterscheiden, erstlich die Eigenschaft oder Kraft, die Weiße zu erkennen, dann die, die Härte zu erkennen usw. Hieraus folgt aber, daß von keinem Dinge so viele Attribute erkannt werden können als von unserm Geiste;[196] denn so viele wir auch nur immer an irgendeiner andern Sache erkennen, so viele können auch im Geiste gezählt werden, weil er sie erkennt, und seine Natur ist daher die allerbekannteste. Denn auch das Gefühl, auch das Sehen sind Bestimmungen, Attribute des Geistes. Denn hier ist nicht die Rede von den Empfindungen, die vermittelst der Organe in uns vorgehen (d. i. von den Empfindungen, wiefern sie auf sinnliche Objekte gerichtet, Bestimmungen an diesen ausdrücken, Sinnliches im Unterschiede von mir affirmieren), sondern von dem Bewußtsein der Empfindung (d. i. von dem Gefühl, inwiefern es eins mit dem Denken ist, eins mit meiner Selbstgewißheit, eins mit meiner Beziehung auf mich selbst).« (Resp. V, p. 62, u. »Princ. Phil.«, P. I, § 8) »Aus der Abstraktion des Geistes vom Sinnlichen ergibt sich ferner auch noch, daß es von rein geistigen Objekten keine eigentliche Erinnerung gibt, denn sie werden das erste Mal, wo sie vorkommen, ebensogut gedacht als das zweite Mal, und daß das denkende Wesen zur Ausübung seiner (der denkenden) Tätigkeit keines andern Objektes bedarf, wenn es gleich dieselbe auch auf materielle Dinge, wenn es sie prüft, ausdehnen kann.« (»Epist.«, P. II, Ep. 16; »R. de C. ad C. L. R. Ep.«, p. 144)

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 194-197.
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