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§ 69. Ausbildung der Cartesischen Philosophie durch Arnold Geulincx

[241] Eine interessante und konsequente Ausbildung erhielt die Cartesische Philosophie durch Arnold Geulincx (geb. 1625 zu Antwerpen, gest. 1669), den Urheber des sogenannten Okkasionalismus, welcher darum eine besondere, wenngleich kurze Erwähnung und Darstellung verdient.125

Das Prinzip seiner Philosophie ist wie bei C. der Geist, dessen Wesen das Denken ist, und zwar wie bei diesem das Denken, das lediglich nur die Abstraktion und Unterscheidungstätigkeit vom Sinnlichen, nur das auf sich selbst sich beziehende Bewußtsein ist. Der Geist, sagt A. G., oder ich (nämlich als Geist), denn es ist eins, bin etwas von allem Sinnlichen absolut Unterschiedenes, meine Begriffs– und Wesensbestimmung ist einzig das Denken. »Ego sola cognitione volitioneque definior.«

Unter den vielen äußern Objekten aber, die ich von mir unterscheide, d. i. als materielle wahrnehme, finde ich auch ein materielles Objekt, einen Körper, der mit mir enge verbunden ist, den ich darum meinen Leib nenne und der die Gelegenheitsursache ist, daß ich die andern Körper dieser Welt vorstellen kann. Diesen Körper nun kann ich zwar mannigfach nach Willkür bestimmen oder bewegen, aber ich bin nicht die Ursache dieser Bewegung; denn ich weiß nicht, wie sie geschieht, und es ist unmöglich, daß ich das mache, von dem ich nicht einsehe, wie es gemacht wird. Nun weiß ich aber nicht, auf welche Weise die Bewegung von meinem Gehirn in meine Glieder sich fortpflanzt, und wenn ich gleich durch physikalische oder anatomische Versuche einige Kenntnisse mir hierüber verschafft habe, so fühle ich doch ganz deutlich, daß von diesen Erkenntnissen nicht im geringsten die Bewegung meiner Glieder abhängt und daß[241] ich sie ebensogut bewegte, als ich gar nichts davon wußte. Wenn ich nun aber die Bewegung in meinem Körper nicht hervorbringe, so bringe ich noch viel weniger außer meinem Körper eine hervor.

Ich kann daher nichts außer mir hervorbringen; alles, was ich tue, bleibt in mir haften, kann nicht in meinen oder einen andern Körper übergehen. Ich bin also bloß Zuschauer dieser Welt, die einzige Handlung, die mein ist, die mir übrigbleibt, die ich tue, ist die Beschauung. Aber selbst dieses Beschauen geschieht auf eine wunderbare Weise. Denn die Welt kann sich nicht selbst anschaulich machen, sie ist an und für sich selbst unsichtbar. Sowenig wir auf das einwirken, was außer uns ist, ebensowenig wirkt das, was außer uns ist, auf uns ein; unsre Wirkungen können nicht über uns, die der Welt nicht über die Welt hinaus, sie dringen nicht bis zu unserm Geiste; unser Körper, als ein Teil der Welt, ist die Grenze, über die sie nicht hinauskönnen. Denn wenn auch z.B. im Akte des Sehens die äußern Objekte ein Bild in meinem Auge hervorbringen oder einen Eindruck in meinem Gehirn wie in einem Wachse machen, so ist doch dieser Eindruck oder dieses Bild nur etwas Körperliches oder Materielles, das daher in mich, der ich etwas ganz andres bin, nicht kommen kann, außerhalb meines Geistes stehenbleibt.

Gott ist es daher allein nach A. G., der das Äußere mit dem Innern und das Innere mit dem Äußern verbindet, der die äußern Erscheinungen zu innern Vorstellungen, zu Vorstellungen des Geistes, die Welt daher ihm anschaulich macht und die Bestimmungen des Innern, den Willen, zu äußerer, über die Grenze der Ichheit hinausgehender Tat werden läßt. Jede Wirkung, jede Handlung, die Äußeres und Inneres, die Geist und Welt (Gegensätze) verbindet, ist daher weder eine Wirkung des Geistes noch der Welt, sondern nur eine unmittelbare Wirkung Gottes.

Die Bewegung in meinen Gliedern, sagt A. G., erfolgt nicht auf meinen Willen, es ist nur Gottes Wille, daß diese Bewegungen erfolgen, wenn ich will. Mein Wille bewegt jedoch nicht den Beweger dazu, daß er meine Glieder bewegt, sondern der, welcher der Materie die Bewegung mitteilte und ihr Gesetze gab, eben der schuf auch meinen Willen, und er hat daher die unterschiedlichsten Dinge, die Bewegung der[242] Materie und die Willkür meines Willens, so untereinander verbunden, daß, wenn mein Wille will, eine solche Bewegung erfolgt, als er will, und wenn die Bewegung erfolgt, der Wille sie will, ohne daß sie jedoch ineinander einwirken oder einen physischen Einfluß gegenseitig auf sich ausüben. Im Gegenteil, wie die Übereinstimmung zweier Uhren, die ganz gleich gehen, so daß, wenn die eine, auch die andere die Stunden schlägt, nicht von einer gegenseitigen Einwirkung, sondern nur daher kommt, daß beide gleichgerichtet oder -gestellt wurden, so hängt die Übereinstimmung der Bewegungen des Körpers und des Willens nur von jenem erhabnen Künstler ab, der sie auf diese unaussprechliche Weise miteinander verbunden hat.

Meine Handlung geht daher nicht eigentlich über mich hinaus, sie bleibt immer in mir haften; nur deswegen, weil mit meiner Handlung, d. i. meinem Willen, Gott Bewegungen in meinem Körper verknüpft hat, scheint die Handlung meines Willens, wenn Bewegungen auf sie folgen oder sie begleiten, gleichsam außer mich hinaus und in meinen Körper überzugehen; jedoch die Handlung selbst, sie, wie sie meine Handlung ist, geht nicht über mich hinaus; denn die in den Körper übergegangene Handlung ist nicht mehr meine, sondern die Handlung des Bewegers.

Gott also verknüpft oder vereinigt durch seinen Willen nach bestimmten Gesetzen Geist und Körper, aber die Art und Weise, wie er sie verknüpft, ist unerkennbar, ist unaussprechlich; denn unaussprechlich ist das, von dem man wohl erkennt, daß es ist, aber nicht, wie es ist. Die Vereinigung von Geist und Körper ist daher ein Wunder, und ich selbst als der Zuschauer der Welt bin unter den anstaunungswürdigen Wundern der Welt das größte und unaufhörliche Wunder; denn es ist unbegreiflich, wie ich, der ich so ganz und gar von der Welt unterschieden bin, sie anschauen kann.

Nicht ohne Interesse für die Geschichte der Erkenntnis ist das System des Arnold Geulincx besonders auch deswegen, weil es in der offnen Behauptung, die Vereinigung von Leib und Seele und überhaupt die Welt sei ein Wunder, ein Unbegreifliches, Unaussprechliches, den wahren Grund oder Ursprung aller Unbegreiflichkeiten, der in vielen Denkarten oder sogenannten Systemen der neuern Zeit versteckt ist, wenigstens nicht leicht gefunden wird, so klar und unverhohlen[243] an den Tag legt. Man geht nämlich von einseitigen und beschränkten Begriffen oder Vorstellungen aus, die aber, ungeachtet ihrer Einseitigkeit und Beschränktheit, für absolute gelten, ohne bezweifelt, d. i. ohne in ihrer Beschränktheit erkannt zu werden, für die richtigen, die einzig annehmbaren genommen werden; im Verlaufe aber des Denkens nun kommt man auf Fakta, die jenen Vorstellungen widersprechen, aus ihnen nicht erkennbar, ja vielleicht geradezu die Verneinung derselben sind. Da man nun nicht auf die Begriffe, von denen man anfängt und die die Fundamentalbegriffe sind, zurückgeht, um sie in ihre Schranke zurückzuweisen, weil sie als die unbeschränkt, absolut wahren vorausgesetzt sind, so ist es eine notwendige Folge, daß man die aus jenen einseitigen Vorstellungen oder Begriffen nicht erkennbaren Fakta als unbegreiflich, als Grenzen der Vernunft selbst, als Dinge, die über die Vernunft hinausgehen, bestimmt, aus dem sehr begreiflichen Grunde, weil jene einseitigen Begriffe für die einzig vernünftigen, für die Vernunft selbst gelten, und daher, statt daß die Ursache dieser Unbegreiflichkeit in der Beschränktheit jener Begriffe erkannt, sie vielmehr auf die Vernunft selbst geschoben wird.

So ist es auch hier bei A. G. der Fall. Er geht aus von dem Begriffe des Geistes als des sich nur im Unterschiede vom Materiellen wissenden Selbstes, das von ihm nicht in seiner Schranke, als ein Moment des Geistes erkannt ist, sondern ihm für den ganzen Geist, für das Wesen selbst des Geistes gilt, und von dem Begriffe der Ausdehnung als der einzig wesenhaften Bestimmung des Körpers. Beide Begriffe sind unvereinbar. Nun ist aber die Vereinigung von Leib und Geist ein Gewisses, ein Faktum, und jene Begriffe gelten für die einzig richtigen, für die absoluten, die vernünftigen oder mit der Vernunft identischen; die Vereinigung von Seele und Körper ist daher als ein über jene Begriffe Hinausgehendes, als ein ihre Einseitigkeit, die gerade ihre wesentliche Bestimmung ist, in der sie gerade als die richtigen festgehalten werden, Verneinendes, begreiflicherweise ein Unbegreifliches, die (negative) Grenze der Vernunft (weil jene einseitigen Begriffe für die positive Grenze der Vernunft gelten), nach A. G. also ein nur von dem Willen Gottes Hervorgebrachtes, ein Wunder.

Es läßt: sich daher hieraus folgende Lehre und Regel für alle[244] philosophischen Forschungen abstrahieren: Wo du nur immer im Verlaufe deines Denkens auf Unbegreiflichkeiten stößest, da sei gewiß, daß sie nur Folgen oder Erscheinungen von den Mängeln und Einseitigkeiten der Begriffe sind, von denen du als den einzig richtigen ausgehst, daß du auf eine höchst sonderbare, ja komische und selbst unredliche Weise und an einem sehr ungeschickten Orte, nämlich nicht am Anfang, wo du es hättest tun sollen, sondern erst hinterdrein, wo es zu spät ist, im Verlaufe oder am Ende deines Denkens die Unzulänglichkeit und Mangelhaftigkeit deiner prinzipalen Begriffe eingestehst. Wo du also auf Unbegreiflichkeiten stößest, da nimm dir die Mühe, auf den Anfang zurückzugehen, d.h. von vornen anzufangen, deine Fundamentalbegriffe zu prüfen, in ihrer Einseitigkeit zu erkennen oder sie und hiermit deinen ganzen Standpunkt selbst aufzugeben; kannst du das nicht, so sei wenigstens so bescheiden, deine Beschränktheit als die deinige zu erkennen, deine Schranken nicht zu den Schranken anderer oder gar der Vernunft selbst zu machen.[245]

125

Diese Darstellung ist aus G.s Hauptwerk, seiner »Ethica« (Tract. I u. II), Amstel. 1696, geschöpft.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 241-246.
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