§ 36.

[105] Es kommt hier nicht darauf an, die aus dieser Synthesis folgenden Sätze zu erschöpfen, sondern den Geist des Ganzen zu fassen – durch das rechte Wort an der rechten Stelle. Was im systematischen Gange folgt, ist dem, der den Geist hat, sehr klar, Anderen wird auch das Einzelne dunkel scheinen. Wir bereiten deshalb das Folgende vor durch eine allgemeinere Betrachtung.

1) Setze man das Universum als bestehend aus einem Systeme einzelner für sich geschlossener Wesen, nach Analogie unserer Untersuchung gedacht = Synthesis von Licht und Materie (§ 35. Anm. 2.).

2) Dieses System ist in sich organisirt; das Seyn eines jeden ist bestimmt durch die Wechselwirkung mit allen übrigen. Bringe ich nun in das Ganze Wandelbarkeit, so frage ich – ein solches System zugegeben, wie ich es allerdings nicht nur zugebe, sondern behaupte: – ist nicht dieses System, wenn es das Letzte seyn soll, in sich selbst in Nichts zerfliessend?[105] Offenbar. Jedes ist bestimmt durch die übrigen, – von wo hebt denn nun die ursprüngliche Bestimmung an? Dies ist ein ewiger Kreisgang, bei dem man sich nur beruhigt, weil man über ihm ermüdet, durch Verzweiflung. Mit dem ewigen Erborgen des Seyns von Anderem geht es nicht; zuletzt müssen wir bei einem Seyenden ankommen, das es in eigenem Vermögen hat, zu seyn.

3) An diesem Einen haben nun alle Seyende Theil. Das unmittelbare Wissen von dem Verhältnisse jedes Gliedes ist dessen absolutes Seyn, seine substantielle Wurzel; und dieses Verhältniss wird nicht erst durch das Seyn der übrigen Glieder, sondern es selbst wird sich und alle übrigen werden ihm durch dies Verhältniss zum absolut Seyenden. Dies Verhältniss trägt aber eine ursprüngliche Duplicität in sich: es ist ein Verhältniss zu einem immer geschlossenen Ganzen (zum ewigen Einen); denn ausserdem käme es zu keinem stehenden Verhältnisse und zu keinem stehenden Wissen; – ebenso ein Verhältniss zu einem in alle Ewigkeit nicht schliessbaren Ganzen; denn sonst käme es zu keinem freien Wissen. Darum trägt jeder im unendlichen Lichtmeere des Wissens nur sich selbst aufgegangene Blick zugleich sein geschlossenes und vollendetes Seyn, und er selber führt gleich in diesem Seyn seine Ewigkeit mit sich. Wir begreifen immer das Absolute; denn ausser ihm ist nichts Begreifbares, und wir begreifen dennoch, dass wir es nie völlig begreifen werden; denn zwischen ihm und dem Wissen liegt die unendliche Quantitabilität, wonach das Verhältniss jedes Einzelnen zum Ganzen und das Universum selbst ebensowohl in sich geschlossenes, vollendetes, als ein unendlich wechselndes ist innerhalb jener Vollendung.

4) Nun aber die höchste Frage: – Wie kann dem Wissen diese über sein ganzes inneres Wesen hinausliegende Ansicht und Einsicht – eines Verhältnisses, Bandes, einer Ordnung der Quantitabilität kommen, – welche ja wohl mehr ist, als Ordnung, denn sie ist das Bindende, Ordnende selbst? – Antwort: das Seyn, die Wirklichkeit des Wissens würde durchaus unmöglich seyn, ohne dass zugleich die Ordnung absolut gesetzt ist; das Wissen würde sich nicht vollziehen können,[106] ausser in ihr, und innerhalb ihrer durchgreifenden Bestimmtheit; und zwar wäre diese Bedingung schlechthin also gesetzt, über alles factische Wissen und Begreifen des Wie hinaus. (Erinnere man sich der Synthesis der absoluten Substantialität.) Laut des Mittelpunctes desselben, konnte die formale Freiheit, mit ihr das Wissen, Quantitiren u.s.w. seyn oder auch nicht seyn, hierin durchaus unabhängig vom absoluten Seyn; und bei diesem Resultate hat es sein Bewenden. Aber es zeigte sich, dass, wenn sie einmal ist, sie material bestimmt seyn müsse durch das Absolute. Worin denn? Ohne Zweifel darin, worin ihr Wesen, ihr Kern und Wurzel besteht, im Quantitiren. Wie denn? Eben durchaus so, wie die Worte lauteten: bestimmt, d.h. gebunden an eine ursprüngliche Ordnung und Verhältniss des Mannigfaltigen, worin ja eben das Quantitiren besteht. Daran ist gebunden die absolute formale Freiheit – sie selbst, keinesweges irgend eine ihrer weiteren Bestimmungen innerhalb dieser Ordnung.

Endlich: woran ist die formale Freiheit gebunden? An Ordnung und Verhältniss überhaupt, keinesweges an dieses oder jenes – denn sonst wäre sie abermals nicht formale Freiheit, sondern in irgend einer inneren Beziehung bestimmt. In irgend einem Einzel-Blicke (einem Individuum = C, dem man damit ein bestimmtes Verhältniss zum Universum geben muss) ergriff sich das Wissen. Dies ist nun dessen Grundpunct, der sein Verhältniss zum Universum unvermeidlich und unwandelbar giebt. Könnte – ich sage nicht dieses Wissen, denn dieses Wissen ist nur das, dessen Grundpunct das Individuum C ist, – sondern könnte das Wissen nicht ebensowohl in anderen Puncten sich entzünden? Offenbar. Und zugleich wäre hier eine andere Ordnung. Es ist sonach hier in Absicht der Materie eine Wechselwirkung zwischen dem absoluten Seyn und dem Wissen, bei der freilich ankommen mussten.

5) Diesen Anfangspunct nun, als jenseits alles wirklichen Wissens liegend, das Factische vor allem Factum, können wir der Freiheit, die wir in allem Wissen kennen, nicht zuschreiben. Er fällt ins Unbegreifliche. Wie wir aber durch diese unbegreifliche Wechselwirkung ins Leben und Wissen und[107] damit in ein durchaus bestimmtes Verhältniss gesetzt, dasselbe gar sehr verändern können, während es dennoch die ewig mitbestimmende Grundlage bleibt: das können wir schon jetzt ermessen. Das Reelle ist nur absolutes Gesetz für die Freiheit.

In Summa – um das eben Gesagte noch an die allgemeinsten Begriffe der Synthesis anzuknüpfen: – Das Wissen ist Fürsichseyn des Entspringens, dieses setzt Nichtseyn, und da dieses doch im Wissen ist, eben Seyn in dem Wissen, als solchem, voraus. Mehr aber, als dasjenige, worin alles sich findende Wissen durch sein Wesen sich gebunden findet, ist dieses Seyn nicht. – Nun ist ferner das Wissen ein Quantitiren, die Gebundenheit desselben ist also eine Gebundenheit des Quantitirens, durchaus als solchen und durchaus nichts mehr. Daher die (schon abgeleitete) Grundform alles Factischen im Wissen: Raum, Materie, Zeit. Aber das Wissen, indem es sich selbst factisch ergreift, ist ferner die Beschränkung des Quantitirens: in diese Region herabgezogen, ist daher jene Gebundenheit die Gebundenheit an eine solche bestimmte Beschränkung in den aufgewiesenen Grundformen des Factischen. Die Bestimmtheit dieser Beschränkung hängt aber selbst von der Freiheit ab, sonach auch die Bestimmtheit der Gebundenheit. Das absolute Seyn ist im Wissen Gesetz: des Gesetzes kann das Wissen nimmer entlediget werden, ohne sich zu verlieren; wie ihm aber dieses Gesetz ausfalle, hängt nach allem möglichen Inhalte, nach allen möglichen Ansichten und Potenzen ab von seiner Freiheit.

Das oberste Verhältniss beider ist daher nicht Causalität, sondern Wechselwirkung.

(Ich kann mir nicht versagen die schon angehobene Parallele dieses Systemes mit dem des Spinoza, zur Erreichung der höchsten Klarheit, hier fortzusetzen (vgl. § 32, 3.). Nach Spinoza, wo ich nemlich mit allen Begünstigungen der Interpretation ihn erklärte, war, so wie nach mir, das Wissen Accidens des absoluten Seyns. Bei ihm war zwischen Substanz und Accidens eigentlich gar kein vermittelndes Glied; beide fielen zusammen. Bei mir geschah die Vermittlung durch den[108] Begriff der formalen Freiheit. Diese ist in sich ebenso unabhängig; nur materialiter ist sie, auf die Bedingung, dass sie überhaupt sich vollziehe, bestimmt. Jetzt hat sich in derselben Synthesis noch ein Neues und Näheres ergeben: selbst die materiale Bestimmung ist nur der Form nach unbedingt (das Wissen kann gar nicht seyn, ohne gebunden zu seyn), nicht aber der Materie (der Quantität und des Verhältnisses) nach, denn dieses ist abermals Resultat der formalen Freiheit.

6) Das aus dieser Synthesis, nachdem wir alle Glieder derselben betrachtet haben, hervorgehende Wissen ist also unendlich, dennoch aber absolut bestimmt: ein Begriff, der widersprechend scheint, hier aber sich sehr leicht begreift, – den wir im Leben auch in der That beinahe alle Augenblicke, ohnerachtet des vermeintlichen Widerspruches, glücklich zu Stande bringen: – es kann auf unendliche, nie zu bestimmende Weise seyn; wie es aber ist, ist es eben auf eine bestimmte Weise und in einer dadurch bedingten Folge. (Man denke an das Schachspiel.)

Dies gäbe nun das Eine, ewige, unendliche Wissen, das ganze Accidens des absoluten Seyns. Aus dem Seyn geht durchaus weder die Möglichkeit, noch Wirklichkeit des Wissens, wie es nach Spinoza seyn müsste, sondern auf den Fall seiner Wirklichkeit nur seine Bestimmtheit überhaupt hervor. – Dieses also zu umfassende Wissen ist nun, in Beziehung auf das Wissen für sich, selbst Substanz. Das vermittelst der Position der formalen Freiheit zu Stande gekommene Wissen ist daher doppelt Accidens: theils von sich als Wissen selbst, theils vom absoluten Seyn. Hier sonach ist – in der zweiten Substantialität – die Trennung in ein, nicht unendliches, – welches von der Wirklichkeit gebraucht sich widerspricht, – sondern geschlossenes System von Modificationen des Wissens, die wiederum nicht Modificationen des Wissens an sich, sondern nur des Wissens nach den Grundpuncten und Reihenfolgen des Sichergreifens, (§ 36. S. 107.) sind, vollkommen erklärt Jeder solcher Grundpunct ist eine formaliter nothwendige, materialiter durchaus freie Beschränkung auf einen Punct im substantiellen[109] Wissen, bestimmt durch sein Verhältniss zum Ganzen des Wissens.

Zum Ganzen, sage ich. Wie ist denn aber nun zu einem Ganzen geworden, was noch in diesem Augenblicke ein nie zu vollendendes Unendliches war? Und da wir ohne Zweifel nicht geneigt seyn dürften, unser Wort zurückzunehmen, wie bleibt es denn doch, neben seiner Totalität, auch Unendlichkeit? (Abermals eine wichtige, kaum bemerkte, geschweige gelöste Schwierigkeit, am Wenigsten von Spinoza, der ohne Weiteres aus der ewigen Substanz eine unendliche Reihe endlicher Modificationen hervorgehen lässt, dem also der Begriff des Universums, das Geschlossenheit setzt, damit abhanden kommt!) – Ganzes wurde es ja sichtbar dadurch, dass das einzelne Wissen sich eben als ein geschlossenes Einzelne auffasste, welches, da es Resultat einer Bestimmung durch alle Anderen seyn soll, doch nur einer geschlossenen Summe Resultat seyn kann. Unendliches bleibt es dabei, wenn diese Bestimmtheit nicht eine der Bestimmtheit, sondern der Bestimmbarkeit ist, wie wir es ja also gesetzt haben, woraus dann in derselben Rücksicht wiederum die unendliche Modificabilität jenes geschlossenen Ganzen folgt.

Das wirkliche Universum ist immer geschlossen und vollendet; denn sonst könnte es in ihm auch zu keinem vollendeten Theile, und zu keinem Wissen kommen: jedes zerflösse in sich selbst: der innere Stoff des Universums aber ist die gesetzte Freiheit und diese ist unendlich. Das geschlossene und vollendete Universum trägt daher ein Unendliches in sich, und nur darin eben ist es geschlossen, dass es diese Unendlichkeit trägt und hält.)

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 105-110.
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