§ 38.

[115] Das Resultat der vorigen §§ lässt sich in folgendem Satze ausdrücken: Es ist schlechthin nothwendig, dass das an sich durchaus Eine und in sich selbst gleiche Wissen sich zusammenfasse und beschränke in einen Reflexions- (Concentrations-) Punct, wie es jemals zu einem wirklichen Wissen kommen soll, dieser Reflexionspunct aber ist ins Unbedingte wiederholbar, allenthalben aber sich selbst gleich. Will man nun zugleich aus dem Obigen (§ 37) sich erinnern, dass dies Wissen zugleich ein reines, in allem Wissen absolut unveränderliches Denken ist; so würde, nachdem erst die Möglichkeit des Wissens von der Bestimmtheit des Standpunctes ausgemittelt wäre, daraus die Nothwendigkeit folgen, dass jedes Individuum sich in diesem durchaus unveränderlichen Denken halte. – In diesem Denken verschwindet daher aller äussere Unterschied zwischen den Individuen: alle erblicken auf dieselbe Weise dasselbe, aufgenommen in die Eine Grundanschauung der Quantitabilität mit allen weiteren in ihr liegenden Gliedern, und von dem Einen unveränderlichen Denken derselben getragen. Nur der innere Unterschied bleibt; und es giebt vielleicht keine bequemere Stelle im Systeme, dies Innere der Individualität auseinanderzusetzen, als hier.

Ich sage mir: ich, und du sagst dir: ich; beides bedeutet durchaus dasselbe der Form nach, aus beiden folgt durchaus dasselbe der Materie nach; und wenn du nicht mein Ich hörtest und dächtest, noch ich das deinige, so wäre es gerade so gut, als ob dies nicht weiter unterscheidbare J nur einmal vorhanden wäre. Wie kommt es nun dennoch, dass wir es zweimal setzen können, ja müssen, und dass wir es als ein nie zu Verwirrendes auseinanderhalten?

Ich antworte zufolge des früher Erklärten also: – 1) In allem bisherigen Wissen war ein Subjectives und ein Objectives denn doch unterscheidbar. Die Reflexion ruhte auf einem Objecte, das sie nur formaliter noch schematisirte; und wir wissen[115] nun auch recht wohl, dass dies stehende Object allenthalben aus dem reinen absoluten Denken, das Formalisiren desselben aber aus dem Denken des Zufälligen, als denn doch auch eines Seyns, herstammt. In dem absoluten Sichergreifen ist aber ein solcher Unterschied durchaus nicht: das Subjective und Objective fallen unmittelbar zusammen, sind unzertrennlich vereinigt, und dies wird nicht etwa gedacht, so wie wir hier es gedacht haben und denken müssen; sondern es ist, ist absolut, und dieses Seyn eben ist Wissen, so wie umgekehrt dieses Wissen unmittelbar wieder Seyn ist. Es ist das absolute Aufsichselbstruhen des Wissens, ohne Zusehen einer Erzeugung, eines Anfangens u. dergl., also dasjenige, in welchem und für welches eben alles Erzeugen und alles Seyn ist: – das Wissen in der Form des absoluten reinen Denkens, unmittelbares Daseynsgefühl, welches durch alles, nun besondere Wissen hindurchfliesst und dasselbe trägt, so wie es selbst vom absoluten Seyn getragen wird: – höchste und absolute Synthesis des Denkens und Anschauens.

Dagegen soll in diesem unmittelbar gefühlten Selbst dein Ich nicht vorkommen, sondern dieses denke ich nur, objectiv; indem ich eben mein eigenes Selbstdenkend von mir ablöse und es vor mich hinsehe. Ich weiss wohl, dass dies dasselbe bedeutet, auch dass du das meinige auf eben diese Weise von dir ablösest; aber dieser unmittelbare Grund des Wissens für mich wird es nie und kann es nicht werden, weil ich auf meinem Standpunct unverrückt ruhen muss, um überhaupt Ich zu seyn. Nur diese Form des absoluten Beruhens, und durchaus nichts weiter, bezeichnet es mir; ich kann das deinige bloss darum nicht an mich nehmen, weil ich meines Beruhens nicht entledigt werden kann. Es ist das ewige unveränderliche Dass des Wissens, keinesweges irgend ein Was, wodurch alle Individualität unmittelbar bestimmt ist.

a. Jeder objectivirt daher die Individualität, sie wiederholend, und erst vermittelst deren das Universum, die Eine allgemeine Anschauung desselben, in der er steht, nur aus seinem Reflexions- (Individualitäts-) Puncte betrachtend.

b. Die hier aufgestellte Absonderung, zufolge welcher ich[116] dich ausser mir stelle, nur dich denkend, nicht fühlend, wohl wissend, dass du es eben so machst, dürfte wohl der innerste Grund allen anderen Absonderungen und Reihenfolgen seyn, die wir oben aufstellen, hier aber durch den allgemeinen Standpunct unserer Untersuchung wieder verwischt hatten.

2) Die oben ungeantwortet gebliebene und in das Unbegreifliche hingestellte Frage: welches ist der Grund der besonderen Bestimmtheit des Reflexion (Individualitäts- ) Punctes? – ist nun so beantwortet:

Aus der blossen leeren Form des Wissens, – der Möglichkeit eines Wissens überhaupt – folgt die Bestimmtheit, das durchaus begrenzte Sichergreifen des Wissens in irgend einem Reflexionspuncte, aber auch nur die Bestimmtheit überhaupt und der Form nach: aus ihr das Materiale, als allenthalben und durchaus dasselbe. Es giebt überall keine besondere Bestimmtheit. – Und so dürfte es sich vielleicht finden, dass die oben in der Anschauung denn doch aufgezeigten ursprünglichen besonderen Bestimmungen im Raume und in der Zeit, auch nur lediglich formal und schematisch, nicht aber etwas an sich, dem unveränderlichen Denken Standhaltendes wären, und dass, wenn zuletzt sich doch Unterschiede unter den Ichen ergeben sollten, diese gar nicht in einer ursprünglichen und jenseits alles Wissen liegenden, sondern in einer, als solche zu begreifenden Freiheit begründet wären.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 115-117.
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