4. Die Erkenntnisquellen und die Methode.

[207] Sämtliche indischen Systeme bekunden echt philosophischen Sinn dadurch, daß sie es für notwendig halten, über die von ihnen angenommenen Quellen der Erkenntnis Rechenschaft zu geben. Das allgemein gebrauchte Wort für Erkenntnis- und Beweismittel ist pramâṇa62, etymologisch: dasjenige, wodurch etwas abgemessen, genau festgestellt, also eine richtige Erkenntnis (pramâ) gewonnen wird63.

Hinsichtlich der Zahl der Pramâṇas weichen die Systeme voneinander ab64; in der Erörterung des wichtigsten aber und von allen Schulen (ausschließlich der Cârvâkas) als das eigentlich philosophische Beweismittel erkannten, der Schlußfolgerung nämlich, zeigen die Lehrbücher der orthodoxen Systeme die größte Übereinstimmung. Die ganze Terminologie, die Definitionen, die Behandlung der Einzelheiten und die Beispiele sind auf diesem Gebiete mit geringen Abweichungen überall die gleichen. Dies erklärt sich daraus, daß dieser Gegenstand von der Vaiśeṣika-Nyâya-Schule bis zu der höchsten für Indien erreichbaren Vollendung ausgearbeitet und deshalb in der dort festgestellten Form von den anderen Schulen übernommen worden ist65. Wenn also die Theorie der Schlußfolgerung in den Sâmkhya-Schriften eingehend (am ausführlichsten in der Sâmkhya-tattva-kaumudî zu Kârikâ 5 und im Sâmkhya-pravacana-bhâṣja zu Sûtra I. 103) behandelt[208] wird, so erkennen wir hier ein fremdes Element, dessen Erörterung der indische Geschmack verlangte66, von dem aber eine europäische Darstellung der Sâmkhya-Philosophie nur insoweit Kenntnis zu nehmen braucht, als es für die Methode dieses Systems von Bedeutung ist.

Unser System erkennt drei Quellen der Erkenntnis an: 1. die Perzeption (pratyakṣa, dṛṣṭa), 2. die Schlußfolgerung (anumâna), 3. die zuverlässige Mitteilung (âptavacana, śabda)67. Die außerdem noch im Nyâya-System angenommene Erkenntnis aus der Analogie (upamâna) und die weiteren in der Mîmâmsâ aufgestellten Pramâṇas (s. oben S. 156 Anm. 1) werden in Kârikâ 4 und Sûtra I. 88 als entweder in jenen drei enthalten oder als nicht dem Begriff des Pramâṇa entsprechend zurückgewiesen68.

Die Perzeption wird in Kârikâ 5 als ›Feststellung der einzelnen Objekte [durch die Sinnesorgane]‹ definiert, in Sûtra I. 89 als ›diejenige Denkfunktion, welche [mit einem Dinge] in Verbindung stehend seine Form wiedergibt‹. Als ein Vorzug der Sinneswahrnehmung vor den anderen Erkenntnisquellen gilt, daß sie alle Besonderheiten ihrer Objekte[209] mit einem Male erfassen kann69, während eine Beschreibung durch Worte immer noch so und so viele Einzelheiten übrig läßt, die nicht zur Vorstellung kommen.

Versagt die Sinneswahrnehmung, so darf man die Nichtexistenz des in Frage stehenden Dinges nur dann feststellen, wenn dieses seiner Natur und den Umständen nach wahrgenommen werden müßte; »denn sonst könnte jemand, der aus einem Hause herausgegangen die Einwohner dieses Hauses nicht sieht, zu der Überzeugung kommen, daß diese nicht existieren70«. Das Versagen der Sinneswahrnehmung kann nach Kârikâ 7 (und Sûtra I. 108) folgende verschiedene Gründe haben: zu große Entfernung, zu große Nähe, Fehler an den Sinnesorganen, Unaufmerksamkeit, zu große Feinheit, Dazwischenliegen von etwas, Unterdrücktwerden (wie am Tage die Sterne von der Sonne unterdrückt, d.h. verdunkelt werden) und Vermengung mit Gleichartigem (wie man die aus einer Wolke in einen Teich gefallenen Wassertropfen oder die mit Kuhmilch vermischte Büffelmilch als solche nicht wahrnimmt). Welcher unter diesen sieben Gründen nun findet auf die der Sinneswahrnehmung sich entziehenden Prinzipien der Sâmkhya-Philosophie Anwendung, d.h. auf die Seele und auf die unsichtbaren Formen der Materie? Darauf antwortet Kârikâ 8 und Sûtra I. 109: Die zu große Feinheit. Und Vijñânabhikṣu bemerkt dazu, daß unter diesem Begriff weder atomistische Kleinheit noch Unbegreiflichkeit oder Unbeschreibbarkeit zu verstehen sei, sondern eine Eigenschaft allgemeiner Natur, die bei uns gewöhnlichen[210] Menschen71 die Erkenntnis durch Sinneswahrnehmung ausschließt, – womit natürlich nur eine Umschreibung, aber keine Erklärung gegeben ist.

Diese Betrachtungen der Sâmkhya-Schriften, die wohl hauptsächlich gegen die Materialisten gerichtet sind, führen uns zu der zweiten Erkenntnisquelle, der Schlußfolgerung. Diese heißt ein Produkt der Sinneswahrnehmung72, weil das sinnlich Wahrgenommene die Grundlage ist, von der aus das nicht Wahrnehmbare erschlossen wird. In Kârikâ 6 ist dieses Verhältnis mit den Worten ausgedrückt: »Die Schlußfolgerung setzt ein Merkmal und den Träger dieses Merkmals voraus.« Daran schließt sich die Definition der Sâmkhya-krama-dîpikâ Nr. 77: »Schlußfolgerung ist diejenige Erkenntnis, die bei der Beobachtung eines Merkmals entsteht«; doch finden wir den Begriff genauer erklärt in Sûtra I. 100 als »die aus der Beobachtung der Zusammengehörigkeit sich ergebende Feststellung des Zugehörigen«.

Die Schlußfolgerung ist von dreierlei Art73: sie geht 1. von der Ursache auf die Wirkung (pûrvavat), wenn man z.B. aus dem Aufziehen der Wolken einen bevorstehenden Regen erschließt, 2. von der Wirkung auf die Ursache (śeṣavat)74, wenn man z.B. aus dem Anschwellen der Flüsse schließt, daß es geregnet hat; 3. von dem Einzelnen auf das Allgemeine (sâmânyato dṛṣṭa), wenn man z.B. aus dem Anblick eines blühenden Mangobaums schließt, daß die Mangobäume überhaupt in Blüte stehen75, oder wenn man aus der Betrachtung[211] der einzelnen Sinne den allgemeinen Begriff des Wahrnehmungswerkzeugs gewinnt76. Diese letzte Form, die von Vâcaspatimiśra als »das Erkennen eines bestimmten allgemeinen Begriffs, dessen spezifische Merkmale nicht wahrnehmbar sind« definiert wird, ist für das Sâmkhya-System von großer Bedeutung. Denn durch das sâmânyato dṛṣṭa erkennt man das Übersinnliche. Der Ausdruck heißt wörtlich ›Erkennen in Allgemeinheit‹, was so viel bedeutet als ›Erkennen des Allgemeinen, des Abstrakten‹. Ich habe in meinen Übersetzungen der Sâmkhya-Texte und in der ersten Auflage dieses Werkes sâmânyato dṛṣṭa als ›induktiv, Induktionsschluß‹ wiedergegeben, weil es sich um eine Erkenntnis handelt, bei der nach den angeführten Beispielen vom Einzelnen zum Allgemeinen aufgestiegen wird. Jacobi hat in seiner Rezension der ersten Auflage dieses Buches77 dagegen Stellung genommen und schließt seine Ausführungen mit den Worten: »Derartige Schlüsse können tatsächlich unseren Induktionsschlüssen sehr ähnlich werden, weil nach indischer Auffassung zugleich mit dem Dinge sein sâmânyam wahrgenommen wird; das Genus inhäriert dem Dinge, wir abstrahieren ein Genus nicht aus vielen Dingen, sondern nehmen es direkt in jedem Dinge wahr. Der Schluß sâmânyato dṛṣṭa umfaßt also induktive und deduktive Schlüsse; aber alle sind nach indischer Anschauung deduktiv.« Darauf ist dann die Unrichtigkeit sowohl meiner wie Jacobis Auffassung von Albert Bürk erwiesen worden78. Bürk macht am Schluß seines Aufsatzes geltend, daß für die Unterscheidung von Induktion und Deduktion vor allem der Ausgangspunkt wesentlich sei; das induktive Verfahren bestehe bekanntlich darin, daß man vom Besonderen ausgehe, das deduktive darin, daß[212] man vom Allgemeinen ausgehe; der Terminus sâmânyato dṛṣṭa aber beziehe sich (ebenso wie die Termini pûrvavat und śeṣavat) nicht auf die Form, nicht auf den Ausgangspunkt des Verfahrens, sondern vielmehr auf den Gegenstand, das Resultat desselben; er sei also weder als induktiv noch als deduktiv zu bezeichnen79.

Die letzte Erkenntnisquelle, die zuverlässige Mitteilung, ist ursprünglich gewiß nichts anderes gewesen, als die Unterweisung von Seiten eines kompetenten Lehrers. Dafür spricht, daß in dem Gesetzbuch des Manu, welches die Theorie der drei Erkenntnisquellen unserem System entlehnt hat, XII. 105 neben Perzeption und Schlußfolgerung an dritter Stelle die Gesetzsammlungen stehen, d.h. die Aussprüche der Fachleute80. Unsere Sâmkhya-Texte freilich verstehen unter der ›zuverlässigen Mitteilung‹ das Zeugnis[213] der heiligen Überlieferung81; und je jünger sie sind, um so häufiger und eifriger bemühen sie sich, ihre Beweisführung durch Berufung auf die Schrift zu kräftigen. Daß dies ein Zugeständnis ist, mit dem die Sâmkhya-Philosophie die Anerkennung ihrer Orthodoxie erkaufte, brauche ich kaum zu wiederholen82. Wir dürfen in der Folge diese unserem System ursprünglich fremde und innerlich stets fremd gebliebene, wenn auch von den jüngsten Sâmkhya-Autoritäten nicht mehr als solche empfundene Verwendung der Offenbarung als eines Beweismittels unberücksichtigt lassen.

In der Tat also verringern sich, da die zuverlässige Mitteilung doch nur für die Verbreitung der Lehre in Betracht kommt und prinzipiell nicht den beiden anderen Erkenntnisquellen gleichgestellt werden kann, die drei Pramâṇas der Sâmkhya-Philosophie auf zwei. Aber wir müssen noch einen Schritt weiter gehen. Im Vergleich mit der Perzeption wird die Schlußfolgerung als das stärkere, beweiskräftigere (dṛḍhatara) Erkenntnismittel bezeichnet83; in Wirklichkeit jedoch ist das letztere für unser System die alleinige Quelle der philosophischen Erkenntnis84. Dieser Grundsatz ist offen in Sûtra I. 60 ausgesprochen, und er wird noch weiter in Kârikâ 6 und Sûtra I. 103 dahin eingeschränkt, daß von den drei oben angeführten Formen der Schlußfolgerung die beiden letzten, die von der Wirkung auf die Ursache gehende und das sâmânyato dṛṣṭa, diejenigen Mittel seien, durch die das System aufgebaut ist85.[214]

Es läßt sich also die Methode der Sâmkhya-Philosophie kurz in folgender Weise charakterisieren. Sie geht von dem Satze aus, daß das Produkt nichts anderes als die (materielle) Ursache in einem bestimmten Entwicklungsstadium ist86, und daß von dem uns sinnlich vorliegenden Stadium die vorangehenden zu erschließen sind, bis man bei einem Prinzip ankommt, das nur den Charakter der Ursache und nicht auch den des Produkts hat. So gelangt sie von der groben Materie zu den feinen Elementen oder Grundstoffen, von den feinen Elementen und den Sinnen stufenweise zu den inneren Organen und von diesen weiter zur Urmaterie. Daraus ferner, daß alle diese materiellen Prinzipien zusammengesetzt sind und alles Zusammengesetzte zum Zwecke eines anderen da ist, erschließt sie die Existenz der Seele, für die dann auch noch andere, später zu besprechende Beweise beigebracht werden87.

Für die Kenntnis der Methode, wie sie im einzelnen in unserem System gehandhabt wird, dürfte es nicht überflüssig sein, die allgemeinen logischen Grundsätze, die in den Sâmkhya-Schriften ausgesprochen werden, und die stehenden Widerlegungsgründe zu beleuchten. Da unsere Autoren nicht nur die anderen Systeme gut gekannt und zum Teil über sie geschrieben haben, sondern auch in der Mehrzahl keine eigentlichen Anhänger des Sâmkhya-Systems gewesen sind, so ist es nur natürlich, daß uns gelegentlich in ihren Werken solche Grundsätze begegnen, die uns als das spezielle Eigentum anderer Schulen bekannt sind, mögen die Lehren dieser Schulen auch sonst energisch bekämpft werden. So finden wir z.B. bei Vâcaspatimiśra zu Kârikâ 2 und bei Vijñânabhikṣu zu I. 154 das Prinzip der Mîmâmsâ ausgesprochen, daß der vâkya-bheda zu vermeiden sei, d.h. daß man, solange[215] eine Stelle auf andere Weise befriedigend erklärt werden könne, nicht zu der Annahme greifen dürfe, es seien zwei oder mehrere Gedanken in demselben Satze zum Ausdruck gebracht88; oder bei Vijñânabhikṣu zu I. 142 den allerdings selbstverständlichen Grundsatz der Nyâya-Philosophie, daß eine Verbindung nur da eintreten kann, wo eine Verschiedenheit besteht Wer sich die Mühe gibt meine Übersetzungen der Sâmkhya-Texte durchzulesen, wird noch allerlei den anderen Systemen entlehnte Sätze antreffen, die als solche gekennzeichnet sind.

Häufig ist es aber bei diesen Einzelheiten überaus schwierig zu entscheiden, was der ureigene Besitz eines Systems und was Entlehnung ist. Wenn die Systeme sämtlich bis in ihre feinsten Verzweigungen durchgearbeitet und dargestellt sein werden, läßt sich hoffen, daß auch auf diesem Gebiete die Grenzlinien scharf gezogen werden können; aber zurzeit dürfte noch kein europäischer Forscher sich die Wege in dem Urwaldsdickicht der philosophischen Literatur Indiens so weit gebahnt haben, um über diese Dinge schon jetzt mit Sicherheit zu urteilen. Wenn ich also im folgenden einige logische Grundsätze aufzähle, die ich nach der Anschauungsweise des Systems und aus anderen Gründen für das spezielle Eigentum der Sâmkhya-Philosophie halten möchte, so tue ich dies mit der gebotenen Vorsicht. Die frühere Belegbarkeit in den Schriften anderer Schulen beweist in solchen Fällen nichts89.

Eine theoretische Erwägung (kalpanâ) hebt nicht das durch die Erkenntnismittel Festgestellte auf. Sûtra II. 2590.

Die Theorie muß sich im Einklang mit der Empirie (dṛṣṭa) halten. Sûtra V. 49, Aniruddha zu Sûtra I. 45, Vijñânabhikṣu zu I. 20, 81, 99, III. 60, V. 54, VI. 39.[216]

Wo die einfache, natürliche, naheliegende Erklärung (lâghava) ausreicht, ist die kompliziertere Erklärung (gaurava) abzulehnen. Zu der letzteren darf man sich nur entschließen, wenn die Beweise dazu zwingen91.

Die Nichtexistenz eines Dinges ist nichts anderes als der Ort, an dem das Ding sich nicht befindet92. Vijñânabhikṣu zu Sûtra I. 113, V 56 (S. 132 Anm. 1 und S. 292 Anm. 3 meiner Übersetzung).

Kein Ding kann seines Wesens entkleidet werden; denn das Wesen dauert so lange als das Ding selbst. Aniruddha zu Sûtra III. 66, Vijñânabhikṣu zu I. 7, 144.

Die Individuen und die Gesamtheit sind identisch (vyaṣṭi-samaṣṭyor ekatâ). Vijñânabhikṣu zu II. 18.

Eine Eigenschaft ist nicht etwas von ihrem Substrat Verschiedenes (dharma-dharmy-abheda)93. Vijñânabhikṣu zu I. 61, 62, II. 13, 16.

Dasselbe gilt von den Kräften (śakti-śaktimad-abheda). Vijñânabhikṣu zu I. 61, VI. 34.

Einunddasselbe Ding kann nicht zugleich Subjekt und Objekt sein (karma-kartṛ-virodha oder kartṛ-karma-virodha). Sûtra VI. 4994.

Da ich mir diejenigen Grundsätze unseres Systems, die den Kausalnexus betreffen, auf Kapitel 5 des folgenden Abschnitts versparen muß, so habe ich in diesem Zusammenhang nur noch die bei den Sâmkhyas beliebten Widerlegungsgründe anzuführen. Folgende logische Fehler sind nach unseren Texten vor allem zu vermeiden95:[217]

1. die Erklärung eines Dinges durch das Ding selbst (âtmâśraya);

2. der circulus vitiosus (anyo'nyâśraya);

3. der Mangel eines ausreichenden Grundes (niyâ makâ–'bhâva)96;

4. die Unmöglichkeit, sich für eine der beiden Seiten einer Alternative zu entscheiden (vinigamakâ-bhâva, vinigamanâ-viraha);

5. der regressus in infinitum (anavasthâ, anavasthâna), der jedoch dann nicht als logischer Fehler gilt, wenn er sich beweisen läßt. Im Falle von Samen und Sproß, sowie bei allen ›beglaubigten‹ (prâmâṇika) Verhältnissen ähnlicher Art wird die Verkettung ohne Anfang anerkannt97.

6. die zu weitgehende Übertragung, vermöge deren man eine Eigenschaft, die nur bestimmten Dingen angehört, fälschlich auch anderen zuschreibt (atiprasakti, atiprasaṅga, ativyâpti).

Mit den unter 5. und 6. genannten Beweisfehlern operieren allerdings auch die anderen Schulen, aber, soviel ich sehen kann, nicht in demselben Umfang wie die Sâmkhya-Autoritäten. Und da der regressus in infinitum benutzt wird, um die Urmaterie als das letzte Glied in der Kette der materiellen Prinzipien zu erweisen, und die ›zu weitgehende Übertragung‹, um die Verschiedenheit der Seele von dem inneren Organ festzustellen, da also die zwei Begriffe bei den wichtigsten Punkten unseres Systems zur Begründung herangezogen sind, so ist es mir nicht unwahrscheinlich, daß die Ausdrücke in ihrer philosophischen Bedeutung zuerst innerhalb der Sâmkhya-Schule gebraucht wurden98.[218]

Wichtiger als alles bisher in diesem Zusammenhang Angeführte ist eine Zweiteilung der Schlußfolgerung, die der Nyâya-Literatur vollkommen fremd ist und ausschließlich der Sâmkhya-Schule angehört. Vâcaspatimiśra zu Sâmkhya-kârikâ 5 unterscheidet nämlich in Abweichung von der üblichen Dreiteilung des anumâna an erster Stelle zwei Arten: vîta ›geradezugehend, direkt‹ und avîta ›nicht geradezugehend, indirekt‹, wobei von den drei sonst üblichen Formen das pûrvavat und das sâmânyato dṛṣṭa unter den Begriff des vîta fallen und das śeṣavat (hier apagogisch, Beweis durch Ausschließung) sich mit dem avîta deckt. Die fundamentale Bedeutung dieser in der philosophischen Literatur Indiens einzig dastehenden Zweiteilung für das Sâmkhya-System ist von Albert Bürk erkannt worden99. Die Existenz der Seele wird von Vâcaspatimiśra erst durch einen vîta-, dann durch einen avîta- Schluß bewiesen. Bürk knüpft daran die folgenden Bemerkungen, die mir wert zu sein scheinen hier im Wortlaut angeführt zu werden:

»Fundamentale Lehren der Sâmkhya-Philosophie, die so alt sein müssen, wie das System selbst, werden also mittels des anumâna direkt (vîta) und indirekt (avîta) bewiesen.

Hat nun etwa das Sâmkhya-System mit dem Beweis solcher Hauptsätze gewartet, bis ungefähr ein halbes Jahrtausend nach seiner Entstehung die Theorie des anumâna von der Nyâya-Vaiçeṣika-Schule kunstmäßig ausgebildet wurde? Wird sich nicht vielmehr schon der Begründer des Systems, als er seine dogmatischen, die mögliche Erfahrung weit überfliegenden Lehren von der Seele, der Urmaterie usw.[219] vortrug, sofort genötigt gesehen haben, den Materialisten seiner Zeit gegenüber festzustellen, daß es mehr Dinge in der Welt gebe, als sie zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen Vermögen? Mußte er nicht seine Lehren von Dingen, die der sinnlichen Wahrnehmung nicht erreichbar seien, aber doch existieren, durch positive, direkte (vîta) Beweise zu stützen suchen? Und mußte er nicht auch Einwände seiner Gegner durch indirekte (avîta) Beweise widerlegen? ...

Solche Erwägungen legen die Frage nahe, ob nicht vielleicht innerhalb des Sâmkhya-Systems selbst, lange vor der Blüte der Nyâya-Vaiçeṣika-Schule, eine Disputierkunst und im Zusammenhang damit die nur in der Sâmkhya-tattva-kaumudî des Vâcaspatimiçra überlieferte Unterscheidung von vîta und avîta sich entwickelt habe.«


Überall im Orient sind bei der Darstellung und Verbreitung eines philosophischen Systems oder einer Religion Gleichnisse und Beispiele in großer Zahl verwendet worden. Auch die philosophischen Systeme Indiens bilden trotz der aphoristischen Kürze, deren man sich bei der Abfassung ihrer Hauptwerke befleißigte, keine Ausnahme von dieser Regel. Überraschend ist nur die große Armut, welche die indischen Philosophen bei der Erfindung der Beispiele und Gleichnisse verraten. Ein gewisser Bestand ist sämtlichen Schulen gemeinsam und wird bis zum Überdruß immer und immer wieder verwendet. Den kläglichsten Eindruck macht in dieser Hinsicht die Nyâya-Philosophie: in allen Schriften dieses Systems und auch in den Werken anderer Schulen, wenn diese sich mit Nyâya-Gegenständen beschäftigen, wird als Beispiel für einen Schluß von der Wirkung auf die Ursache die Erschließung des Vorhandenseins von Feuer aus dem Rauch auf dem Berge angeführt; ebenso regelmäßig werden als Beispiele sinnlich wahrnehmbarer Objekte Töpfe (ghaṭa) und Kleider (paṭa) genannt100.[220]

Auch in der Sâmkhya-Literatur finden wir einen großen Teil der in den Lehrbüchern der anderen Schulen mehr oder weniger geläufigen Gleichnisse wieder, wie aus der nachstehenden Auswahl zu ersehen ist. Zuvor aber sei bemerkt, daß die Sâmkhyasûtras an solchem Material mehr bieten als die Sûtras der übrigen orthodoxen Schulen; außer den zahlreichen durch das ganze Werk verstreuten Beispielen enthält das vierte Buch ausschließlich eine Sammlung von Gleichnissen, die zur Erläuterung der Hauptpunkte dienen sollen. Hierzu sind im wesentlichen Erzählungen und Legenden aus den Upaniṣads, dem Mahâbhârata, dem Râmâyaṇa und der Purâṇa-Literatur benutzt101. Während von diesen Dingen noch mancherlei in origineller Anwendung erscheint, sind die folgenden Gleichnisse durchaus Ware aus zweiter Hand. Den Strick, der im Halbdunkel für eine Schlange angesehen wird und uns so lange in Schrecken versetzt, bis er in seiner wahren Natur erkannt wird102, nimmt man noch gern in den[221] Kauf, weil er ein ungewöhnlich treffendes Beispiel für die falsche Vorstellung ist, die wir auf ein Objekt übertragen und die nur durch die unmittelbare Erkenntnis der Wahrheit aufgehoben wird103. Weniger gut ist das Gleichnis von dem Perlmutter, das man für Silber hält104, und das von der weißen Muschel, die dem Gelbsüchtigen als gelb erscheint105. Die zwei Menschen, von denen der eine in Srughna, der andere in Pâṭaliputra lebt106, stammen als Beispiel räumlicher Getrenntheit vielleicht von Śamkara her, wie bereits S. 100 vermutet wurde; das Durchstechen der aufeinander gelegten hundert Lotusblätter mit einer Nadel (utpala-pattra-śata-vyatibheda) als ein Beispiel anscheinend gleichzeitigen, tatsächlich aber aufeinander folgenden Geschehens107 findet sich schon im Nyâyavârttika (ed. Bibl. Ind. S. 37)108, also schon im 6. Jahrhundert, und später im Sâhityadarpaṇa. Als altbekannte Undinge begegnen uns das Manneshorn, das Hasenhorn, die Luftblume, der Sohn der Unfruchtbaren109; als Gleichnis für das Fortleben des durch die Erkenntnis Erlösten das Weiterschwingen der Töpferscheibe infolge des gegebenen Anstoßes auch nach der Vollendung des Topfes110.

Doch will ich die Liste der entlehnten Beispiele, die sich mit Leichtigkeit vergrößern ließe, hier abbrechen und[222] mich zu denjenigen wenden, die im Gegensatz zu den bisher angeführten als echte Sâmkhya-Gleichnisse bezeichnet werden dürfen und deshalb größere Beachtung verdienen. Hierher rechne ich alle diejenigen Gleichnisse, welche dem Sâmkhya-System speziell angehörige Lehren veranschaulichen sollen, insbesondere das Verhältnis von Seele und Materie, die Natur der materiellen Welt, wie sie dem Blicke der Sâmkhyas erscheint, und das Wesen des inneren Körpers (liṅga-śarîra), dessen Konstruierung eine charakteristische Eigentümlichkeit unseres Systems ist. Daß diese Gleichnisse der spezielle Besitz der Sâmkhya-Schule sind, liegt auf der Hand; und bemerkenswert ist, daß fast alle in der Sâmkhyakârikâ sich findenden Gleichnisse zu dieser Klasse gehören. Ich glaube, daß diese aus alter Zeit stammen, zum Teil gewiß aus der Entstehungszeit des Sâm khya-Systems. In einem Falle wenigstens läßt sich die metaphorische Ausdrucksweise sogar mit der größten Wahrscheinlichkeit bis auf den Stifter zurückführen. Die Vorstellung von den drei Guṇas oder Konstituenten der Materie nämlich, ohne welche die Sâmkhya-Philosophie nicht zu denken ist, beruht auf dem Bilde des aus drei Strähnen bestehenden Strickes, unter dem die Materie gedacht ist, die die Seelen bindet. So wunderlich dieses Bild auf den ersten Blick erscheint, so darf man doch nicht verkennen, daß für denjenigen, der ununterbrochen von dem Gebundensein der Seele durch die Materie redete, das Gleichnis eines Strickes außerordentlich nahe lag; und wenn nun der Begründer der Sâmkhya-Philosophie in der Materie drei verschiedene Potenzen wirken sah, so gestaltete er jenes Bild nur naturgemäß aus, indem er diese Potenzen die drei Strähnen des Strickes nannte. Auch die anderen hierher gehörigen Gleichnisse sind größtenteils gut gewählt. Die Verbindung der ungeistigen, aber schöpferischen Materie mit der geistigen, aber nicht schöpferischen Seele wird dem Bündnis zwischen dem Blinden und Lahmen verglichen, von denen der erstere den letzteren auf seine Schultern nahm und aus dem Waldesdickicht trug, in dem sich beide[223] hilflos befanden111. Der Lahme ist die Seele, die sehen, aber nach der Lehre des Sâmkhya-Systems sich nicht bewegen, d.h. nicht handeln kann; der Blinde ist die Materie, die sich bewegt und alle Tätigkeit in der Welt vollzieht, aber nicht sehen, d.h. erkennen kann. Diese unbewußte Wirksamkeit wird durch das Beispiel der Milch erläutert, die unbewußt dem Euter der Kuh zugunsten des Kalbes entströmt112. Alles Wirken der Materie geht lediglich im Interesse der Seelen vor sich, zum Zwecke des Genusses (bhoga) und der Befreiung (apavarga), d.h. um die Objekte des Empfindens und Erkennens den Seelen darzubieten und diese so zur Selbsterkenntnis zu führen. Darum wird die Materie einem vortrefflichen uneigennützigen Diener verglichen, der für seine Leistungen von seinem Herrn (der Seele) weder Dank noch Lohn zu erwarten hat113; ferner einem Koch, der seinem Gebieter die Speisen zubereitet114, und einem geborenen Sklaven, der vermöge seiner Anlage nicht anders kann als[224] dem Herrn dienen115. Der nämliche Gedanke wird zum Ausdruck gebracht durch das Gleichnis von dem Safran tragenden Kamel, das nicht für sich selbst, sondern lediglich für seinen Besitzer arbeitet116. Die Wirksamkeit der Materie wird nun aber nicht etwa durch den Willen der Seelen angeregt – denn diese sind qualitätlos –, sondern nur durch die Nähe, in der sie sich bei der Materie befinden. Dieses Verhältnis wird durch das Beispiel des Magneten versinnbildlicht, in dem kein Wille wohnt und der doch das Eisen anzieht, wenn es ihm nahe ist117. Obwohl aber die Materie unbewußt ist und nur infolge des blinden in ihr ruhenden Triebes wirkt, wird sie doch in poetischer Weise immer wieder mit beseelten Wesen verglichen. In siebenfacher Weise, mit Verdienst, Schuld, Nichterkenntnis usw., bindet sich die Materie durch ihr eigenes Werk, gleichwie die Seidenraupe sich mit dem Kokon umspinnt118. Wenn eine Seele des Treibens der Materie überdrüssig ist und sich mit Verachtung von ihr abwendet, so stellt die Materie ihre Tätigkeit für diese Seele ein mit dem Gedanken: »Ich bin erkannt«119; sie hat geleistet, was zu leisten ihre Bestimmung war, und zieht sich von] der an dem höchsten Ziel angelangten Seele zurück, wie eine Tänzerin aufhört zu tanzen, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat und die Zuschauer genug haben120. Aber in einem Punkte gleicht die Materie der Tänzerin oder Schauspielerin nicht; denn während diese auf Verlangen ihr Spiel aufs neue beginnt, ist die Materie »zartfühlend wie eine Frau aus guter Familie«, die, wenn sie von einem Manne gesehen ist, sich schamhaft nicht wieder dessen Blicken aussetzt121. Diesem letzten Gleichnis kommt in[225] den Originaltexten sehr zu statten, daß das Sanskrit für Seele und Mann dieselbe Bezeichnung (pums, puruṣa) hat122. Das Beispiel der Frau finden wir ferner123 verwendet, um die kürzlich erwähnte Lehre von den drei Guṇas zu veranschaulichen. Nach der Ansicht der Sâmkhyas durchdringen diese drei Substanzen alle materiellen Dinge und rufen dadurch, daß je eine von ihnen über die beiden anderen das Übergewicht gewinnt, verschiedenartige Empfindungen, in dem Gemüt der Menschen hervor, die mit den Dingen zu tun haben. So wird mit einer merkwürdigen Umkehrung des wahren Sachverhalts die Quelle der Empfindungen nicht in das Subjekt, sondern in das Objekt verlegt. Wenn ein Ding erfreut, so äußert sich in ihm die Konstituente Sattva; wenn es Schmerz erregt, die Konstituente Rajas; wenn es gleichgiltig läßt, die Konstituente Tamas. Im Gleichnis tritt uns die schöne Frau entgegen, die durch ihr bloßes Dasein ihrem Gatten Freude, aber ihren Nebenfrauen Schmerz bereitet, während ein fremder Mann ihr gleichgiltig gegenübersteht.

Von hoher Bedeutung ist in der Sâmkhya-Philosophie das liṅga-śarîra, der feine innere Körper, weil auf ihm bei der eigentümlichen indifferenten Stellung, welche die Seele in dem System einnimmt, die Persönlichkeit des Individuums beruht. Der innere Körper begleitet die Seele auf ihrer Wanderung durch alle die zahllosen groben Leiber, ist also das eigentliche Prinzip der Metempsychose. Dieses Wandern des inneren Körpers aus einem groben Leib in den anderen[226] wird dem Rollenwechsel eines Schauspielers124 und dem geschäftigen Herumlaufen der Köche in den Küchen des Königs verglichen125. Der feine Körper nun besteht aus dem Innenorgan, den Sinnen und den fünf Grundstoffen126; ohne die Grundstoffe wäre er ein haltloser Komplex. Dieser Gedanke wird durch das Gleichnis von dem Bilde ausgedrückt, das ohne eine Grundlage nicht selbständig existieren kann, und durch das von dem Schatten, der durch das Vorhandensein eines Pfahles oder dgl. bedingt ist127.

Die ganze Psychologie unseres Systems ruht auf der Vorstellung, daß die sich ewig gleiche, unveränderliche Seele einen Abglanz auf das durch die mannigfachen Funktionen veränderte Innenorgan wirft und dadurch die inneren, an sich rein mechanischen Vorgänge zu bewußten macht. Für dieses zwischen Seele und Innenorgan bestehende Verhältnis wird als Gleichnis das Durchscheinen der roten Hibiskus-Blüte durch einen der Blume nahegebrachten Kristall verwendet128. Ebensowenig, wie hier in dem Kristall irgendeine Veränderung vor sich geht, wird auch die Seele durch die Vorgänge, die sich in den Organen vollziehen, irgendwie betroffen. Wenn trotzdem die Tätigkeit der Organe der Seele zugeschrieben wird, so ist das so zu verstehen, wie man den Sieg, den ein Heer gewinnt, oder die Niederlage, die es erleidet, dem in behaglicher Ruhe in seiner Hauptstadt thronenden König zuschreibt129. Und die Organe werden wegen ihrer größeren und geringeren Bedeutung dem Beamtenstande verglichen, in dem einer immer über dem anderen und der Minister über allen steht130.[227]

Diese Aufzählung der unserem System speziell angehörenden Gleichnisse macht auf Vollständigkeit keinen Anspruch131. Bei einem Rückblick wird man sich kaum dem Urteil verschließen können, daß diese Gleichnisse einen ausgesprochen weltlichen Charakter tragen; in höherem Grade, als die Natur der Sache es bedingt. Während die Beispiele in anderen Schulen zum großen Teil der Mythologie und dem Gebiet des Aberglaubens entnommen sind, erscheinen hier vor unseren Blicken Könige, Minister, Beamte, Herren, Diener, schöne Frauen, Schauspieler, Tänzerinnen, Soldaten, Köche, Blinde, Lahme, Kamele, Bilder, Blumen, Kristalle usw., so daß man aus den Sâmkhya-Gleichnissen fast ein indisches Kulturbild gewinnen könnte. Allem Anschein nach haben wir den Ursprung dieser weltlichen Bildersprache in einer Zeit und Gegend zu suchen, in der das Brahmanentum und seine Lehren noch keine hervorragende Bedeutung gewonnen hatten.

62

Seltener mâna, s. die Indices zu meinen Ausgaben der Sâmkhya-Texte.

63

Vgl. Sâmkhya-tattva-kaumudî zu Kâr. 4 und Sûtra I. 87.

64

Deussen, System des Vedânta 94.

65

Darstellungen der indischen Theorie der Schlußfolgerung findet man bei Max Müller, ZDMG. 6, 229 fg., bei E. Röer in derselben Zeitschrift 21, 368 fg., in der S. 174 Anm. 1 genannten Abhandlung von H. Jacobi und bei Luigi Suali, Introduzione 362 fg. Mit der europäischen Art der Erschließung ist die indische verglichen von J. Ballantyne, Lectures on the Nyâya Philosophy, Allahabad 1849, S. 30 fg. und von E. Röer in der Ausgabe des Bhâṣâpariccheda, Calcutta 1850 (Bibl. Ind.), Introduction XXI fg.

66

Die indischen Philosophen scheinen, auch wenn sie über andere Systeme schrieben, Wert darauf gelegt zu haben, ihre Vertrautheit mit der formalen Logik des Vaiśeṣika-Nyâya zu bekunden. Aus keinem anderen Grunde kann der Verfasser der Sâmkhyasûtras V. 28-36 die verschiedenen Ansichten über die vyâpti, den Begriff, auf dem die Theorie des Syllogismus aufgebaut ist, beleuchtet haben. Und Aniruddha hat bei V. 85, 86 die Gelegenheit benutzt, den Inhalt der Vaiśeṣika- und Nyâyasûtras in einer Ausführlichkeit zum besten zu geben, die uns höchst absonderlich erscheint. Bei solchen für das Sâmkhya-System bedeutungslosen Abschnitten unserer Quellen genügt ein Hinweis auf meine Übersetzungen.

67

Kârikâ 4-8, Sûtra I. 87-91, 100-104; Colebrooke, Misc. Ess.2 I. 252, 253; Johaentgen, Das Gesetzbuch des Manu 62-67. – Die verschiedenen anderen Übersetzungen von śabda s. bei Suali, Introduzione 431. Das Wort hat je in den anderen Systemen eine bestimmte Bedeutungsschattierung; im Sâmkhya bedeutet es ›zuverlässige Mitteilung‹.

68

S. die ausführliche Polemik in der Sâmkhya-tattva-kaumudî zu Kârikâ 5 (S. 36, 37 meiner Übersetzung).

69

Eine solche Sinneswahrnehmung heißt savikalpaka, im Gegensatz zu dem nirvikalpaka jñâna, das die speziellen Eigentümlichkeiten der Objekte nicht unterscheidet. S. Aniruddha zu Sûtra I. 89 und Vijñânabh. zu I. 148, 154. Vgl. dieselben Unterschiede am samâdhi Vedântasâra 208. Y.V. Âthalye, The Tarka-Sangraha of Aṇnambhaṭṭa (Bombay 1897), übersetzt S. 179 nirvikalpaka und savikalpaka mit ›incomplex‹, und ›complex‹; Suali, Introduzione 308-314 besser mit ›indeterminata o indistinta (percezione)‹ und ›determinata o distinta‹.

70

Sâmkhya-tattva-kaumudî zu Kârikâ 7.

71

Denn der Yogin erblickt jene Dinge nach indischer Anschauung vermittels einer übernatürlichen Sinneswahrnehmung.

72

S.t.kaumudî zu Kârikâ 6.

73

Kârikâ 5 nebst den Kommentaren, Aniruddha zu Sûtra I. 100, Vijñânabh. zu I. 103.

74

So in der Nyâya-Literatur; vgl. an erster Stelle Vâtsyâyana und Viśvanâtha zu Nyâyasûtra I. 1. 5; Ballantyne, Lecture on the Sânkhya Philosophy 60, 64; Colebrooke, Misc. Ess.2 I. 253; Deussen, System des Vedânta 94; Suali, Introduzione 413. – Eine andere Auffassung von śeṣavat s.u.S. 219 fg.

75

Gauḍapâda zu Kârikâ 5.

76

S.t.kaumudî, S. 549, 550 meiner Übersetzung, Vijñânabh. zu Sûtra I. 103.

77

Gött. gel. Anz. 1895, 204.

78

In dem prächtigen Aufsatz »Die Theorie der Schlußfolgerung (anumāna) nach der Sâmkhya-tattva-kaumudī des Vācaspatimiçra«, WZKM. XV, 251-264.

79

Vgl. auch Max Müller, ZDMG. 6, 235.

80

Vgl. Johaentgen 64. – Die Aufstellung der dritten Erkenntnisquelle hat übrigens in den Sâmkhyasûtras Erörterungen über den Zusammenhang von Wort und Bedeutung veranlaßt. Schon S. 156 Anm. 1 hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß für die Sâmkhyas dieser Zusammenhang nicht ewig, sondern von menschlicher Übereinkunft abhängig ist. Als Grund wird in Sûtra V. 97 dafür angegeben, daß die beiden in Verbindung stehenden Dinge, die Bezeichnung und das Bezeichnete, vergänglich seien, mithin auch ihre Verbindung vergänglich sein müsse. Auf drei verschiedene Weisen wird nach Sûtra V. 38 und der übereinstimmenden Erklärung der Kommentatoren der Zusammenhang von Wort und Bedeutung erkannt: 1. Durch unmittelbare Belehrung: »Das heißt Topf«. 2. Durch die Ausdrucksweise und das mit dieser in Verbindung stehende Verfahren kundiger Leute (vṛddha-vyavahâra); wenn z.B. der Sprachunkundige beobachtet, wie der eine sagt: »Bringe die Kuh« und der andere den Auftrag ausführt (vgl. hierzu Sâmkhya-tattva-kaumudî zu Kârikâ 6, S. 550 meiner Übersetzung). 3. Dadurch, daß ein bis dahin noch unbekanntes Wort zusammen mit bekannten Wörtern in demselben Satze vorkommt (prasiddha-pada-sâmânâdhikaraṇya); wie z.B. ein Kind, das schon die Worte ›Mango‹ und ›essen‹ kennt, beim Hören des Satzes »Der Vogel ißt den Mango« auch die Bedeutung des ihm bisher unbekannten Wortes ›Vogel‹ kennen lernt.

81

Kârikâ 5, 6 nebst den Kommentaren, Sûtra I. 101, Sâmkhya-krama-dîpikâ Nr. 78.

82

S. oben S. 15, 84, 97 fg.

83

S.t.kaumudî zu Kârikâ 8.

84

Vgl. Röer, Lecture 20. – Wenn in diesem Sinne das Sâmkhya-System als manana-śâstra bezeichnet wird (Vijñânabh. zu I. 19), so ist damit zugleich seine Unabhängigkeit von der religiösen Überlieferung betont.

85

Die beiden Textstellen nennen zwar nur das sâmânyato dṛṣṭa, aber Vâcaspatimiśra bemerkt mit Recht, daß dies eine ›elliptische Ausdrucksweise‹ ist und daß man auch die zweite Form, das śeṣavat, hinzuzudenken hat; denn tatsächlich stellt die Sâmkhya-Philosophie ihre Prinzipien im wesentlichen durch den Schluß von der Wirkung auf die Ursache fest.

86

Kârikâ 9, Sûtra I. 115-120. Vgl. unten im dritten Abschnitt das Kapitel I. 5 »der Begriff der Kausalität«.

87

Vgl. Röer, Lecture 12-14; Johaentgen 64.

88

S. meine Übersetzung des Sâmkhya-pravacana-bhâṣya 168 Anm. 5.

89

Anders Suali, Introduzione 116, 117.

90

Daß in dem Zusammenhang, in dem dieses Sûtra mit den vorangehenden steht, die Schrift das Erkenntnismittel ist, kommt bei der allgemeinen Fassung des Satzes nicht in Betracht.

91

S. die Indices zu meinen Textausgaben unter gaurava und lâghava.

92

Trotz Aniruddha zu Sûtra I. 45.

93

Vgl. Nîlakaṇṭha-Hall, Rational Refutation 94 Anm.

94

Und nicht selten bei den Kommentatoren (s. die Indices). Auf die philosophische Bedeutung dieses Gesetzes hat nachdrücklich G. Biedenkapp hingewiesen in den »Beiträgen zu den Problemen des Selbstbewußtseins usw.«

95

Ich gebe hier keine Belegstellen, weil die in Klammern beigefügten Termini in den Indices zu meinen Ausgaben stehen. – Nach Suali, Introduzione 117 Anm. 4, würden besonders die sechs hier aufgezählten Begriffe wegen ihres logischen und dialektischen Charakters eher der Nyâya- als irgendeiner anderen Schule ursprünglich angehören. Die Möglichkeit ist natürlich nicht zu bestreiten.

96

Vgl. G. Biedenkapps Beiträge zu den Problemen des Selbstbewußtseins usw. 56, 60.

97

Vijñ. zu I. 122, Einleitung zu III. 46.

98

An der einzigen Stelle, wo Śamkara (nach Deussen, System des Vedânta 528) in seinem Kommentar zu den Brahmasûtras (am Schluß zu II. 3. 9) den Terminus anavasthâ gebraucht, zeigt der danebenstehende Sâmkhya-Ausdruck mûla-prakṛti, daß Śamkara auf eine Theorie unseres Systems Bezug nimmt. In der Nyâya-Schule geht der Gebrauch des Wortes anavasthâ bis auf Gotama (Nyâyasûtra IV. 2. 25) zurück; vgl. Suali, Introduzione 117.

99

WZKM. XV. 253, 259 fg. Daß Deussen, Allg. Gesch. d. Phil. I. 3, S. 418, diese Bedeutung in merkwürdiger Weise verkannt hat, wenn er meint, Vâcaspatimiśra verliere sich an jener Stelle in Subtilitäten, hat schon Suali, Introduzione 415 Anm. 1, ausgesprochen.

100

Paṇḍit Bhâgavatâchârya machte in Benares beim Durcharbeiten eines Textes zu mir die ironische Bemerkung über den Autor: ghaṭa-smaraṇât pûrvam samtoṣo nâ 'sti »bevor er [bei der Erörterung eines Gegenstandes] die Töpfe nicht erwähnt hat, ist er nicht zufrieden«. Daß auch sonst verständigen Indern die ewig wiederkehrenden Töpfe und Kleider zu viel geworden sind, geht aus einem Spottverse hervor, dessen Kenntnis mir von meinem Paṇḍit vermittelt wurde:

sabhâyâm vâcâṭâḥ śruti-kaṭu raṭanto ghaṭa-paṭân

na lajjante mandâḥ, svayam api tu jihreti vibudhaḥ.

»Die geschwätzigen Toren schämen sich nicht, in der Versammlung in einer Ohren zerreißenden Weise ihre Töpfe und Kleider auszuschreien; der Weise aber, [der das hört,] schämt sich [seiner Genossen].« Nach der Angabe des Paṇḍit entstammt dieser Vers dem »Kâvya Guṇâdarśa«. Th. Zachariae teilte mir (unter Verweisung auf Aufrecht, Catal. Oxon. S. 150 und Taylor, Catalogue raisonné I. 444) freundlichst mit, daß darunter der Viśvaguṇâdarśa des Veṅkaṭâcârya oder Veṅkaṭâdhvarin, ein aus dem 16. Jahrhundert stammendes und zu der Klasse der Campûs gehöriges Werk, zu verstehen ist. Dieses Buch ist mit einem Kommentar und erklärenden Noten von Shamarav Vithal, Bombay (Karnatak Press), 1889 herausgegeben; der eben angeführte Vers steht daselbst S. 223 als Nr. 770. Vgl. auch Burnells Tanjore Katalog S. 162, Nr. LXXXIII.

101

Daß eine derartige Sammlung erläuternder Erzählungen schon dem Ṣaṣṭitantra (s. oben S. 75 fg.) einverleibt war, geht aus Kârikâ 72 hervor.

102

Sûtra III. 66.

103

Vgl. Deussen, System des Vedânta 290 Anm.

104

Aniruddha zu Sûtra I. 79, Anir. und Mahâdeva zu V. 52, 55, Vijñânabh. zu I. 43, 56, VI. 14. – Diese beiden Gleichnisse sind jedem Schüler in Indien unter den Namen rajju-sarpa und śukti-rajata bekannt.

105

Vijñ. zu I. 79, VI. 52.

106

Sûtra I. 28.

107

Aniruddha zu II. 32.

108

Jacobi, ZDMG. 62, 593. Im Nyâyavârttika °dala° anstatt °pattra°.

109

S. die Indices zu meinen Textausgaben unter nṛ-śṛṅga, manuṣya-śṛṅga, śaśa-śṛṅga, kha-puṣpa und bandhyâ-putra. – Eine erfreuliche Abwechslung bietet das Haar der Schildkröte bei Vâcaspatimiśra in der Einleitung zu Kârikâ 7 und der siebente Geschmack bei demselben zu Kârikâ 8.

110

Kârikâ 67, Sûtra III. 82.

111

Kârikâ 21 und Gauḍapâdas Kommentar. – Dieses Gleichnis ist von Indien nach Palästina gewandert und von den Rabbinern auf das Verhalten von Leib und Seele der Sünde gegenüber gedeutet. S. die rabbinische Parabel von dem blinden und dem lahmen Wächter, die von einem König in seinen schönen Park hineingesetzt wurden, bei Fiebig, Die Gleichnisreden Jesu 73-75. Die Parabel steht bei Fiebig in drei verschiedenen Versionen (16 a, b, c) unter den »rabbinischen Gleichnissen des neutestamentlichen Zeitalters«. Der blinde Parkwächter nimmt seinen lahmen Genossen auf die Schultern, und so tun sich beide an den »schönen Frühfrüchten« gütlich, die der König durch die Wahl der Wächter gesichert glaubte.

112

Kârikâ 67, Sûtra II. 37, III. 59.

113

Kârikâ 60, Sûtra III. 61. Im entgegengesetzten Sinne äußert sich Vijñânabhikṣu zu III. 58, indem er einen sich selbst gemachten Einwand widerlegt: »Wenn die Materie einem Diener vergleichbar ist, wie kann sie dann auch zu dem Zwecke des Leidens ihres Herrn wirken? Darauf antworten wir: Das ist nicht richtig; denn obwohl [die Materie] nur zum Zwecke der Freude [ihres Herrn, der Seele] tätig ist, muß doch das Leid entstehen, das [dem Genuß der Freude] innewohnt; oder [man kann auch sagen: die Materie] ist einem schlechten Diener vergleichbar.«

114

Sûtra I. 105, III. 63.

115

Sûtra III. 51.

116

Sûtra III. 58, VI. 40.

117

Sûtra I. 96.

118

Sûtra III. 73.

119

Kârikâ 66.

120

Kârikâ 59, Sûtra III. 69; oder nach Sûtra III. 63, wie der Koch nach der Herstellung der Mahlzeit mit seiner Arbeit aufhört.

121

Kârikâ 61, Sûtra III. 70.

122

Die Vorstellung aber, daß die Verbindung von Puruṣa und Prakṛti eine Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips sei – die Johaentgen, Über das Gesetzbuch des Manu 5, für den Grundgedanken der Philosophie des Kapila erklärt – tritt erst in der Purâṇa- und Tantra-Literatur auf und ist allen systematischen Sâmkhya-Texten ferngeblieben. Dieser Gedanke war in der Sâmkhya-Literatur schon deshalb unmöglich, weil er der Lehre von der absoluten Untätigkeit des Puruṣa widerspricht.

123

Sâmkhya-tattva-kaumudî zu Kârikâ 12; vgl. auch Sarva-darśana-samgraha S. 227 der Übersetzung, Anir. zu I. 69 und Vijñ. zu I. 65.

124

Kârikâ 42.

125

Sûtra III. 16.

126

Kârikâ 40, Sûtra III. 9.

127

Kârikâ 41, Sûtra III. 12.

128

Sûtra II. 35, VI. 28 und nicht selten in Vijñânabhikṣus Kommentar (s. den Index zu meiner Ausgabe s.v. japâ).

129

Vijñ. zu I. 76, II. 5, 46.

130

Sûtra II. 47.

131

Wenn das eine oder andere, was ich für möglich halte, in den Schriften anderer Schulen sich wiederfinden sollte, so ist es eben dem Gleichnisschatze des Sâmkhya-Systems entlehnt. – Die Gleichnisse und Beispiele bei Paramârtha sind 103 an der Zahl, bei Gauḍapâda 84 (besprochen von Takakusu, La Sâmkhyakârikâ étudiée 13 fg.). Beiden Kommentaren gemeinsam sind 64 Fälle (ebendas. 24, 27). »Certains de ces exemples étaient assurément la propriété commune de toute l'école Sâmkhya« (S. 24).

Quelle:
Die Sâṃkhya-Philosophie. Nach den Quellen von Richard Garbe. Leipzig 21917 [hier Abschnitte 2–4 wiedergegeben], S. 207-228.
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