5. Die Terminologie.

[228] Die Schwierigkeiten, die sich den Versuchen entgegenstellen, die Kunstausdrücke der indischen Philosophie zu übersetzen, sind mehrfach von sachkundigen Beurteilern hervorgehoben worden. So sagt Max Müller132: »Die Worte[228] und technischen Ausdrücke unserer Sprache, die wir in ihrer geschichtlichen Bedeutungsentwicklung so vielfach aus Griechenland oder Rom empfangen haben, werfen oft unwillkürlich ein falsches Licht auf indische Ideen ... Dies ist ein Übelstand, der schwer zu vermeiden ist, wenn wir nicht eine Anzahl technischer Ausdrücke aus dem Sanskrit entlehnen wollen, was wiederum dem allgemeinen Verständnis Eintrag tun würde.« Das letzte Bedenken teile ich nicht. Wenn die technischen Ausdrücke, die sich mit keinem Wort in unserer Sprache vollkommen decken, in solcher Weise erklärt werden, daß ihr Bedeutungsinhalt genau festgestellt und abgegrenzt ist, so sehe ich in der Beibehaltung der Originale keinen Nachteil; denn die in Betracht kommenden Worte sind nicht so zahlreich, daß ein Laie, der sich für indische Philosophie interessiert, Mühe haben könnte, sie dem Gedächtnis einzuprägen. Ich lasse aus diesem Grunde einige schwerfällige Übersetzungen wie Urteilsorgan, Subjektivierungsorgan usw., die ich in meine Bearbeitungen der Sâmkhya-Texte eingeführt habe, weil sie mir am besten den Begriffen der Originale zu entsprechen schienen, in diesem Buche fallen und behalte die kurzen Termini des Sanskrit bei.

Neue Worte sind aller Wahrscheinlichkeit nach von Kapila und seinen Nachfolgern nicht gebildet worden. Eine beträchtliche Anzahl philosophischer Ausdrücke hat das Sâmkhya-System aus dem in Indien schon vorher erarbeiteten Bestände ohne jede Bedeutungsveränderung übernommen; andere dagegen hat es zwar dem vorhandenen Wortschatze entlehnt, aber zur Bezeichnung neu und selbständig gebildeter Begriffe verwendet. Zu der ersten Klasse gehören die folgenden Ausdrücke, die sich in derselben Bedeutung entweder aus vorbuddhistischer Zeit belegen oder für diese Zeit voraussetzen lassen:

âtman, puruṣa Seele, cit, citi, cetana133 Geist, citta Denkorgan, karaṇa Organ, indriya Sinn, prâṇa Odem, samsâra[229] Seelenwanderung, Weltdasein, bandha Gebundensein, moka, vimokṣa, mukti Erlösung, bhoga Genuß (und Leiden), bhogya das zu Genießende (und zu Erleidende), bhoktṛ Genießer (Bezeichnung der Seele), jñâna Erkenntnis, vidyâ Wissen, avidyâ Nichtwissen, pramâṇa Beweis- und Erkenntnismittel, pratyakṣa Sinneswahrnehmung, abhimâna Wahn, yoga Konzentration, vibhu alldurchdringend, unendlich groß; wohl auch îśa, îśvara Gott, kâraṇa Ursache, nimitta Veranlassung, viaya Objekt, bhûta Element, und anderes.

Im Gegensatz zu diesen Ausdrücken sind die folgenden Worte für die speziellen Zwecke des Sâmkhya-Systems umgedeutet worden; sie entstammen zum größten Teil nicht dem alten philosophischen Sprachschatze, sondern dem des täglichen Lebens:

prakṛti, pradhâna, avyakta Urmaterie, guṇa die (drei) Konstituenten der Materie, Namens sattva, rajas und tamas, triguṇa aus den drei Konstituenten bestehend, materiell, buddhi, mahat das Organ des Urteils, der Entscheidung, des Entschlusses, ahamkâra das Organ, durch das körperliche Attribute und innere Vorgänge fälschlich der Seele zugeschrieben werden, manas das Organ des Wahrnehmens, Empfindens, Wünschens und Überlegens, der innere Sinn, tanmâtra die Grundstoffe oder feinen Elemente, liṅga-(śarîra, -deha) der innere Körper, samskâra, vâsanâ Anlage, Disposition, jîva (im Vedânta die individuelle Seele)134 die empirische, d.h. mit dem inneren Körper und dem Lebensprinzip verbundene Seele; und schließlich alle die wunderlichen Bezeichnungen für die einzelnen Formen der sogenannten Befriedigung und Vollkommenheit135.[230]

Daß unsere jüngeren Sâmkhya-Quellen außerdem von den technischen Ausdrücken der übrigen Systeme, insbesondere des Vedânta und des Vaiśeṣika-Nyâya, einen ausgiebigen Gebrauch machen, hat seinen Grund in der überragenden Stellung, die diese Schulen zur Zeit der Abfassung jener Schriften in der philosophischen Spekulation Indiens einnahmen.

Unübersetzt bleiben in diesem Buche von den vorher angeführten Worten sattva, rajas, tamas (gewöhnlich auch guṇa), buddhi, ahamkâra, manas und der vielleicht der Nyâya-Philosophie entlehnte Terminus upâdhi (etymologisch appositio). Während aber upâdhi in den Nyâya-Schriften ›Bedingung‹ bedeutet (speziell die Bedingung, durch die ein zu weit gefaßter Mittelbegriff im Syllogismus eingeschränkt werden muß)136, hat das Wort in der Sâmkhya-ebenso wie in der Vedânta-Literatur eine weit umfassendere Bedeutung. Hier wird alles Upâdhi genannt, was zu einem Dinge in Beziehung steht, ohne ihm wesentlich anzugehören oder eine innere Verbindung mit ihm einzugehen. Wie das Kleid ein Upâdhi des Menschen ist, so sind die inneren Organe, die Sinne und der Körper Upâdhis der Seele.

132

ZDMG. 6, 22. Ähnlich hat sich, besonders über die Kunstausdrücke des Sâmkhya-Systems, Burnell in der Einleitung zur Übersetzung des Manu S. XLVI geäußert. Er hält es für ganz unmöglich, die Termini dieses Systems in einer europäischen Sprache wiederzugeben: »All possible renderings convey much more than the primitive and rude [?] original signifies, and it is impossible to limit each word so as to provide against a too wide signification being attached to it.«

133

Wozu später caitanya tritt.

134

In der Sâmkhya-Philosophie ist auch die Seele an sich (kevalâtman, śuddhâtman) schon individuell, und deshalb deckt sich der Begriff jîva in den beiden Systemen nicht; im Vedânta wird durch den Terminus hauptsächlich die anscheinende Differenzierung der Allseele zum Ausdruck gebracht.

135

S. die Kommentare zu Kârikâ 50, 51 und zu Sûtra III. 43, 44; ferner die Einleitung zu meiner Übersetzung der S.t.kaumudî 527, 528 und in diesem Buche, dritter Abschnitt II. 10, C.

136

Vgl. E.B. Cowell in dem Appendix zur Übersetzung des Sarvadarśana-samgraha 275-281; Suali, Introduzione, Index s.v. upâdhi.

Quelle:
Die Sâṃkhya-Philosophie. Nach den Quellen von Richard Garbe. Leipzig 21917 [hier Abschnitte 2–4 wiedergegeben], S. 228-231.
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