Sechstes Bruchstück

Sabhiyo

[120] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen.

Da nun begab sich Sabhiyo, ein Pilger, dorthin wo der Erhabene weilte1, wechselte mit dem Erhabenen höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend wandte sich nun Sabhiyo der Pilger an den Erhabenen mit einem Spruche:


510

In Zweifel sinnend bin ich hergekommen,

Um Frage hier zu richten wie mein Sinn rät:

Du sei der Zweifelfrage mir Vernichter,

Der Reihe nach und Regel nach Erklärer mir.


Der Herr:


511

Von weit herangegangen kommst du, Sabhiyo,

Um Frage hier zu richten wie dein Sinn rät:

Ich sei der Zweifelfrage dir Vernichter,

Der Reihe nach und Regel nach Erklärer dir.


512

So frage, Sabhiyo, mich jetzt

Was irgend nur dein Herz begehrt:

Und Frag' um Frage will ich dir

Auflösen, da Vernichter sein.


[121] Sabhiyo:


513

Was muß erwirkt sein um da Mönch zu heißen,

Genugsam wird um was, wie milde man genannt,

Als wach geworden kann da gelten wer?

O laß', Erhabner, meine Frage sein gelöst!


Der Herr:


514

Bewegsam wer sich lenken lernte, Sabhiyo,

Zur Wahnerlöschung hingelangt, unzweifelbar,

Nichtsein wie Dasein wer gelassen hinter sich:

Vollender worden, Wahnversieger, ist er Mönch.


515

Allseitig ausgeglichen, klar besonnen,

Mit keinem in der ganzen Welt entzweibar,

Dahingekehrt asketenheil:

Wer nimmer sich empört, genugsam heißt man ihn.


516

Erzogen wer die Sinne selbstgewaltig,

Nach innen wie nach außen aller Orten,

So Diesseit hat wie Jenseit abgewiesen:

Gemach die Zeit erwartend wird er milde.


517

Wer Zweck und Absicht abgetan hat ewig,

Der Wandelwelt ihr Doppelweh', Geburt und Grab:

Entmakelt, ohne Überrest, gereinigt,

Versiegt an Dasein heißt er wach geworden.


Sabhiyo:


518

Was muß erwirkt sein, daß man heilig heiße,

Asket gepriesen wird um was man, sauber wie,

Und ungebrochen wird man wann genannt?

O laß', Erhabner, meine Frage sein gelöst!


[122] Der Herr:


519

Entbunden alles Bösen wer da, Sabhiyo,

Von Schlacken rein, durchaus gediegen, in sich steht,

Entgangen gänzlich so der Wandelwelt:

Uneingepflanzt, beständig, heißt er heilig.


520

Vollender, wer gelassen gut und böse,

Entmakelt, wer verstanden Dies- und Jenseit,

An Leben wie an Sterben fern vorüber:

Asket, beständig heißt wer sich dahingebracht.


521

Gesäubert wer sich ab von allem Bösen,

Nach innen wie nach außen aller Orten,

Wo Götter und wo Menschen Absicht lenkt

Von keiner Absicht weiß, ihn heißt man sauber.


522

Verbrechen wer da nimmer nahe kommt,

Ein jedes Joch und jeden Strick hat abgestreift,

Nicht irgend angeschlossen ledig steht,

Heißt ungebrochen, stark, wer sich dahingebracht.


Sabhiyo:


523

Wen heißen Feldbesieger Auferwachte.

Warum wird köstlich, wie erfahren man genannt,

Als Denker aber ist man wann gepriesen?

O laß', Erhabner, meine Frage sein gelöst!


Der Herr:


524

Wer alle Felder überschritten, Sabhiyo,

Gefilde göttlich, menschlich, oder heilig:

Der Feldgebiete Bodenfalle fern entkehrt

Heißt Feldbesieger, stark, wer sich dahingebracht.


[123] 525

Wer alle Kostbarkeiten überschritten,

Was göttlich, menschlich, oder heilig kostbar:

Der Kostbarkeiten Bodenfalle fern entkehrt

Heißt köstlich, stark, wer sich dahingebracht.


526

Wer doppelt wehe Fährte überschritten,

Nach innen wie nach außen rein beraten

An schwarz und weiß vorübergeht:

Erfahren heißt er, stark, wer sich dahingebracht.


527

Unedler Wort und Edler wer bedacht hat,

Nach innen wie nach außen aller Orten,

Bei Göttern gilt und Menschen ihm der Preis:

Dem Gitterwerk entgangen heißt er Denker dann.


Sabhiyo:


528

Was muß erwirkt sein, daß man witzig heiße,

Gewahrsam wird um was man, mächtig wie genannt,

Hochangesehen ist man wann gerühmt?

O laß', Erhabner, meine Frage sein gelöst!


Der Herr:


529

Wer all das Wissen überschritten, Sabhiyo,

Asketen was da, was da Priester künden,

Nach keinem Wissen mehr Verlangen hegt:

Wer jedes Wißtum abgetan ist witzig.


530

Wer Sonderheit, Begriff und Bild gewahrt

Nach innen wie nach außen bodenfaul,

Aus dieser Fäulnis Bodenfalle fern entkehrt:

Gewahrsam heißt er, stark, wer sich dahingebracht.


[124] 531

Wer meiden mag was irgend hier von Übel,

Der Höllenpein entkommen heißt er mächtig,

Ist machtbegabt, im Kampfe kühn,

Gepriesen tapfer, stark, wer sich dahingebracht.


532

Wer seine Ketten ab sich kappen kann,

Nach innen wie nach außen bodeneng,

Aus dieser Engnis Bodenfalle fern entkehrt:

Hochangesehn ist stark wer sich dahingebracht.


Sabhiyo:


533

Was muß erwirkt sein, daß man Hörer heiße,

Warum denn wird man Herr, und Wandrer wie genannt,

Als Pilger aber kann da gelten wer?

O laß', Erhabner, meine Frage sein gelöst!


Der Herr:


534

Gehört wer jedes Ding, verstanden in der Welt,

Was tadelbar, untadelbar je sein mag,

Ein Überwinder, frei der Fragen, ledig:

Der nirgendwo mehr Harm vernimmt ist Hörer.


535

Verscheucht wer angewohntes Wähnen hat,

Gewitzigt geht in keinen Schoß mehr ein,

Der Zeiten Dreizahl schüttelt ab wie Staub

Und keinen Zweck versteht, ist Herr geheißen.


536

Wer hier auf seiner Wanderschaft das Ziel erreicht,

Bereitsam immer, schon die Satzung merkt,

Nicht irgend angeschlossen, in sich abgelöst,

Unwiderstanden hinzieht, heißt ein Wandrer.


[125] 537

Was Leid erfolgen nach dem Wirken läßt,

Von oben, unten, oder mittendurch,

Entpilgert ist ihm wer entfremdet hinzieht;

Und Gleißen wer und Dünken, Lust und Unlust,

Enteignen wer sich kann Begriff und Bild:

Als Pilger, sagt man, hat er so das Ziel erreicht.


Da war denn Sabhiyo der Pilger durch des Erhabenen Rede erfreut und befriedigt. Froh geworden, aufgerichtet, erheitert, im Herzen selig beglückt, stand er von seinem Sitze auf, schlug den Mantel um die eine Schulter, verneigte sich ehrerbietig vor dem Erhabenen und ließ nun eine eigene Weise als Preis vor dem Erhabenen verlauten:


538

Und ob auch drei, und ob auch sechzig seien

Asketenmeister, dicht umdrängt, o weiser Herr,

Wo Selbstgewalt man sich erwerben will:

Den Scharen fern stehst über solcher Menge du.


539

Vollendet hast du, überwunden Leiden,

Bist heilig anzuschaun, ein Wahnversieger:

In Glanz und Klarheit also reich beraten,

Wie Leiden ende hast du mich gelehrt.


540

Der meine Sorge hat ersehn,

Den Zweifel hat er mir gelöst:

Verehrung, Denker, dir!

Der Denkerpfade Ziel erreichtest du,

Bist unversehrbar, Sonnenheld, genugsam.


541

Um was besorgt ich war vorher,

Der scharf blickt hat es mir enthüllt:

Ja, Denker, du bist auferwacht,

Es bleibt verborgen nichts vor dir.


[126] 542

Du hast ein jedes Ungemach

Verstieben lassen, weggefegt,

Bist kühl geworden, mildgemut,

Bestanden wahrhaft ohne Werk.


543

Dem Herrn der Herren, der du bist,

Dem hohen Helden, der da spricht,

Entbieten alle Götter Gruß,

Und Berg und Wolke lächeln dir:


544

›Heil, Edler, dir, Verehrung dir,

Verehrung als dem höchsten Mann,

So weit die Welt mit Göttern reicht

Ist keiner deines gleichen da.‹


545

Du bist der Wache, bist der Herr,

Hast überwunden Todesweh',

Hast überwältigt Wunschgewalt:

Errettet rettest andre du.


546

Du haftest nimmer irgend an,

Zerborsten ist was Wähnen war,

Alleinig, wie der Löwe lebt,

Bist ledig aller Bangigkeit.


547

Gleichwie der Lotus, licht erblüht,

Von Wasser nicht benetzt mehr ist,

So bist von böse, bist von gut,

Von beiden bist du nicht benetzt;

Die Füße biete, Großer, dar:

Den Meister grüßt hier Sabhiyo.


Da beugte nun Sabhiyo der Pilger vor des Erhabenen Füßen sein Haupt nieder, und er sprach also zum Erhabenen:

[127] »Vortrefflich, o Herr, vortrefflich, o Herr! Gleichwie etwa, o Herr, als ob einer Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder ein Licht in die Finsternis hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat der Erhabene die Lehre gar mannigfach gezeigt. Und so nehm' ich, o Herr, beim Erhabenen Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: möge mir, o Herr, der Erhabene Aufnahme gewähren, die Ordensweihe erteilen!«

»Wer da, Sabhiyo, erst einem anderen Orden angehört hat und in diese Lehre und Ordnung aufgenommen werden, die Weihe erhalten will, der bleibt vier Monate bei uns; und nach Verlauf von vier Monaten wird er, wenn er also verblieben ist1, von innig erfahrenen Mönchen aufgenommen und eingeweiht in das Mönchtum: denn ich habe hier manche Veränderlichkeit erfahren.«

»Wenn, o Herr, die früheren Anhänger anderer Orden, welche in diese Lehre und Ordnung aufgenommen werden, die Weihe erhalten wollen, vier Monate bleiben, und nach Verlauf von vier Monaten, wenn sie also verblieben sind, von innig erfahrenen Mönchen aufgenommen und eingeweiht werden in das Mönchtum, so will ich vier Jahre bleiben: und nach Verlauf von vier Jahren sollen mich, wenn ich also verblieben bin, innig erfahrene Mönche aufnehmen und einweihen in das Mönchtum.«

Es wurde Sabhiyo der Pilger vom Erhabenen aufgenommen, wurde mit der Ordensweihe belehnt.

Nicht lange aber war der ehrwürdige Sabhiyo in den Orden aufgenommen, da hatte er, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketentums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹, verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Sabhiyo der Heiligen geworden2.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 120-128.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon