Zwölftes Bruchstück

Auszug

I

[204] Ein Anhänger:


878

Für sich, für sich nur Ansicht angewöhnen,

Zerfahren vielfach heißen sie es »kundig«;

Wer so es meint, er soll die Satzung kennen,

Dagegen wer sich wehrt untüchtig gelten.


879

Zerfahren also fangen an sie Hader,

»Ein Tor der andre, ist unkundig«, sagt man;

Das wahre nun der Worte da, wer spricht es,

Wo alle ja sich kundig nur bekennen.


Der Herr:


880

Die Satzung andrer wer da nicht verstanden,

Er bleibt ein Tor, verdorben ohne Wissen:

Kein Tor ja mag um Wissen irgend werben,

Will selber nur sich Ansicht angewöhnen.


881

Ersichtbar aber wer da klar geworden,

An Wissen lauter, kundig, reich beraten,

Kein solcher wird verlegen sein um Wissen:

Denn Ansicht hat er wirklich so erworben.


882

Nicht doch als wirklich darf ich das berühmen,

Was hier der Tor berät mit andern Toren;

Nur seine Ansicht nennt ein jeder Wahrheit,

Um so für töricht andre dann zu halten.


[205] Der Anhänger:


883

Als wahr und wirklich was die einen achten,

Das achten andre dann als falsch und unwahr:

Zerfahren also fangen an sie Hader;

Warum nicht künden gleiches an Asketen?


Der Herr:


884

Nur eine Wahrheit, keine zweite ist es,

Um die der Kenner streitet mit dem Kenner;

Verschieden preist ein jeder seine Wahrheit:

Darum nicht künden gleiches an Asketen.


Der Anhänger:


885

Warum denn rühmen sie verschieden Wahrheit,

Um als Verkünder kundig so zu gelten?

Ist Wahrheit, wo man vieles hört, verschieden,

Ein Grübeln oder ist es nach Begriffen?


Der Herr:


886

Verschieden vielfach kenn' ich keine Wahrheit,

Bloß wahrgenommen die da ewig bliebe;

Doch wo man Grübeln nisten läßt in Ansicht,

Als wahr und falsch ein Doppelding bekennt man.


887

Beim Sehn und Hören und beim Handeln, Denken

Hinein sich pflanzen, scheel umher dann blicken,

Nach Willkür auserlesen, Beifall spenden,

»Ein Tor der andre, ist unkundig«, sagt man.


[206] 888

Warum man eben töricht hält den andern,

Sich selber will man kundig darum heißen;

Von sich allein als kundig angepriesen,

Den andern sieht man scheel und wird ihn schelten.


889

Ein allzu rascher Anblick ist ihm eigen,

Der Stolz verstört ihn, Dünkel, der verzehrt ihn;

Er selber schon an sich versehrt im Geiste

Hat Ansicht also ja sich angeeignet.


890

Bei andern wer verlegen wird um Worte,

Von seinem Wissen wird er so verlassen;

Doch wer da selber witzig ist geworden, stark,

Er kann als Tor nicht gelten bei Asketen.


891

»Wer andrer zuneigt und nicht unsrer Satzung

Verwirft die Reinheit, ist nicht reif geworden«:

So sprechen wohl die Büßer da gewöhnlich,

Nur sichtbar was man wünscht erwünschen solche.


892

»Nur hier ist Reinheit«, also hört man reden,

Und keine andre Satzung sei die echte:

Das bilden sich die Büßer ein gewöhnlich,

Um ihren Orden kräftig dann zu rühmen.


893

Und rühmt man kräftig auch den eignen Orden,

Was muß denn gleich der andre gelten töricht?

Sich selbst Verdruß nur wird er so bereiten,

Unklug wer andre nennt und ungeläutert.


894

Nach Willkür auserlesen, zu sich messen,

Auf Hader heißt es in der Welt umhergehn;

Von allem Auserlesen abgeschieden

Verdruß bereiten läßt man sich da nirgend.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 204-207.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Lotti, die Uhrmacherin

Lotti, die Uhrmacherin

1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.

84 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon