Das Fünfer-Bruchstück

Eine ungenannte

[529] 67

Durch volle fünfundzwanzig Jahr',

Solang' ich wandre heimatlos,

Solange fand ich keine Rast,

Im Busen keine Ruhe je.


68

Den Geistesfrieden fand ich nicht,

Geschürt von wilder Leidenschaft,

Die Hände rang ich, ratlos, ach,

Und ging zur Klause klagend hin.


69

Getreuer Nonne zugeneigt

Vertraut' ich dieser meine Not;

Die hat gewiesen Wahrheit mir:

Entstehung, Stätte, Urbestand.

Von ihr gewitzigt, aufgeweckt,

Verweilt' ich einsam, ungesellt.


70

Nun weiß ich was ich jeher war,

Mein Aug' ist himmlisch abgeklärt,

Das Herz erhell' ich durch und durch,

Mein Ohr ist innen ruhig, rein.


71

Erworben hab' ich Wunderkraft,

Gekreuzt, versiegt was Wähnen war,

Sechs Wissensziele selbst erzeugt,

Geschaffen was der Meister schafft.


Vimalā/Ehmals die Buhlin

[530] 72

In Schönheit schimmernd, reizberauscht,

Von Glück und Glanz verwöhnt, verwirrt,

Voll Jugendleben, Jugendlust

Verlacht' ich alle andern laut.


73

Geschmückt, geschminkt war dieser Leib

Zu locken lieblich Toren an:

So lehnt' ich in der Angel einst,

Wie schlau der Jäger Schlingen legt.


74

Mit Spange spielend, Reif und Ring

Verhieß ich gern geheime Huld,

Gewandt in Buhlerkünsten fein,

Gar vieler spottend, spaßergetzt.


75

Mit Bettelbissen heute satt,

Geschoren kahl, gekleidet fahl,

Im Forste sitz' ich, baumbeschirmt,

Verloren selig, abgelöst.


76

Und aller Fron ist ausgefrönt,

So Götterfron, so Menschenfron,

Verworfen jeder Wunsch und Wahn:

Erloschen bin ich, bin entlebt.


Sīhā

77

Aus Flattersucht und flauem Sinn

Gequält von wilder Leidenschaft,

Und aufgeschürt und aufgescheucht,

War elend machtlos mein Gemüt.


[531] 78

Umgarnt, umfangen von Begier,

Genußbedacht, genußbedient,

Erfand ich Frieden freilich nicht,

Gehetzt im Herzen immer neu.


79

Und abgezehrt und bleich und blaß

Gepilgert bin ich sieben Jahr':

Und nicht bei Tage, nicht bei Nacht

War je gestillt mein Jammer, ach!


80

Da hab' ich härnen Bast gepackt

Und bin gerannt in Wald und Brühl:

»Weit besser mich erhängen hier

Als unter Menschen sündig sein!«


81

Die Schlinge hatt' ich drall gedreht,

Geschlungen richtig um den Ast:

Ich hob den Hals zum Hochgericht –

Auf einmal ist mein Herz geheilt.


Nandā (II)

82

»Den siechen, vollen, faulen Leib,

Sieh', Nandā, dir den Körper an:

Im Schauder schaffe heil das Herz,

Geeinigt innen, fest gefügt.


83

Wie Dieses ist ist Jenes dort,

Wie Jenes wieder Dieses da,

Verwesung wehend, atmend aus,

Der Toren Labsal, Toren Lust.«


[532] 84

Ich hab' ihn also angesehn,

Beharrlich tapfer Tag um Tag,

Erkundet endlich selber sacht,

Voll Ekel seine Art erkannt:


85

Ich hab' ihn ernst, ich hab' ihn echt

Gesondert, unterschieden hier,

Begriffen gründlich diesen Leib,

Von außen deutlich, innen licht.


86

Und Abscheu vor dem Körper da

Und Widerwillen fühlt' ich tief –

Bin heute rüstig rein gelöst,

Erloschen, heilig ausgekühlt.


Nanduttarā

87

Die Opferflamme, Sonne, Mond

Und Götter hab' ich angefleht,

Und wallgefahrtet manchen Fluß,

In mancher Flut gebadet mich.


88

Und viel Gelübde löst' ich aus:

Zur Hälfte schor ich ab das Haar,

Der nackte Boden war mein Bett,

Am Abend nüchtern aß ich nicht.


89

Geschmeide liebt' ich, lichten Schmuck:

Mit Öl und Salbe, Nardenduft

Bedient' ich diesen Körper gern,

Gekirrt von gierer Sinnensucht.


[533] 90

Da hab' ich einst aus Zuversicht

Verzichtet, Haus und Hof entsagt,

Erkannt was dieser Körper ist,

Vergessen gierer Sinnensucht.


91

Getilgt ist alles Dasein aus

Und jedes Haften, jeder Hang,

Bezwungen aller Joche Zwang,

Erobert Ebbung inniglich.


Mittakālī

92

Ich hab' entsagt aus Zuversicht,

Verlassen Haus, verlassen Hof;

Und sieh': Almosen, Ehre, Ruhm

Hat mich im Innern aufgeregt.


93

Das beste Ziel verfehlt' ich so,

Dem bösen Ziele zugewandt:

Begierden dient' ich, abgekehrt

Vom Ziele, das Asketen ziemt.


94

Da fiel Entsetzen einst mich an

Die einsam in der Zelle saß:

»Im Sumpfe sink' ich elend ein,

Hinabgezerrt von Daseinsdurst!


95

Nur kurze Frist noch frommen kann,

Und Alter nagt und Übel nagt

Bis dieser Körper da zergeht:

Kein Zögern taugt mir, kein Verzug.«


[534] 96

Besonnen hab' ich hingesehn

Wie Teil um Teil entsteht und stirbt,

Bin aufgestanden lasterlöst:

Das Meisterwort, es war erfüllt.


Sakulā

97

Im Hause weilt' ich, hausgewohnt,

Als einst ein Mönch bei mir erschien

Und Wahrheit wies: und ich ersah

Das wahnlos ewig reine Reich.


98

Die Tochter ließ ich, ließ den Sohn,

Gefüllte Scheunen, helles Gold,

Und kahlgeschoren zog ich fort

Als Bettelnonne, heimatlos.


99

Um Ruhe warb ich, warb um Rast:

Und Pfad und Fährte fand ich bald,

Ließ Haß und Liebe hinter mir

Und Wunsch und Wähnen allzumal.


100

Zur Nonne war ich nun erkürt,

Erkannte Sein und Wiedersein,

Geklärt im Auge himmlisch ab,

So licht und heiter, lauter, echt.


101

Die Unterschiede schau' ich durch:

Bedingt bestehn sie, stürzen ein;

Der Wahn ist endlich ausgewähnt,

Erloschen bin ich, bin entlebt.


[535]

Soṇā

102

Zehn Kinder hab' ich mein genannt,

In diesem Körper reif genährt;

Hab' erst im Alter, grämlich, grau,

Die Nonne nah' gesehnt, gesucht.


103

Die hat gewiesen Wahrheit mir:

Entstehung, Stätte, Urbestand;

Von ihr gewitzigt, aufgeweckt,

Bin gern gegangen, kahl und fahl.


104

Und weil ich kämpfe kühngemut

Wird himmlisch hell das Auge mir,

Verwirktes Wesen wird mir kund,

Ich weiß es was ich jeher war.


105

Was nirgend reizt erring' ich nun,

Geeinigt innen, fest gefügt,

In unbegrenzter Ewigkeit

Erloschen gänzlich, grunderlöst.


106

Der Fünferstrunk, er ist erforscht,

Er ist gefällt am Wurzelkamm:

In steter Stille fass' ich fuß,

Und nimmer gibt es Wiedersein.


Bhaddā/Die Ehmalige Jainin

107

Kein Haar am Haupte, schmutzbeschmiert,

Im bloßen Hemde ging ich um:

Unedle Weise hielt ich wert

Und unwert was da edel ist.


[536] 108

Nach Tagesdiensten wollt' ich ruhn

Im Abendrot am Geierkulm:

Da sah ich heiter sitzen, wach,

Den Herrn mit seiner Jünger Schar.


109

Zu Boden sank ich, bog das Knie,

Die Hände hob ich auf zu Ihm:

»Willkommen, Bhaddā!« sprach der Herr,

Bot also mir den Weihegruß.


110

Durch Magadhā, Bengālen durch.

Benāres, Vajjī, Kosalā,

Gepilgert bin ich fünfzig Jahr',

Mit Bettelbissen selig satt.


111

Erworben hat er vieles Heil,

Der weise Gönner, kluge Mann,

Der Kleidung mir als Gabe gab,

Der allenterbten freien Frau.


Paṭācārā

112

Mit Pflügen pflügt man Äcker auf,

Sät in die Erde Samen ein:

Um Weib und Kinder sorgen sie,

Erwerben Geld, erwerben Gut.


113

Warum erwerb' ich, tugendreich,

Im reinen Orden echt bewährt,

Erlöschung nicht, Erlösung nicht,

In ernstem Eifer, zäher Zucht? –


[537] 114

Und als ich einst am Bache saß,

Im Wasser so die Füße wusch,

Gewahrt' ich wie die Welle fließt

Und flüchtig weiter wellt hinab:

Da hielt ich rüstig an das Herz,

Gleichwie man hält ein edles Roß.


115

Zur Klause bin ich heimgekehrt;

Ich nahm die Lampe für die Nacht,

Besah den rechten Ruhesitz

Und setzte mich aufs Lager hin.


116

Die Lampennadel faßt' ich nun

Und ließ den Docht nach unten ziehn:

Und wie die Leuchte sanft erlosch

War da mein Wähnen ausgelöscht.


Paṭācārā und ihre Nonnen

Paṭācārā:


117

»In Mörsern stampft man Reis zurecht,

Zerstößt das Korn in mildes Mehl:

Um Weib und Kinder sorgen sie,

Erwerben Geld, erwerben Gut.


118

Des Ordens Regel achtet rein,

Daß keine Reue keimen mag;

Den Staub der Füße, wascht ihn ab,

Und setzt euch dann zur Seite still:

Im Innern sollt ihr einig sein,

Des Ordens Regel achtet rein!«


[538] 119

Die Schwestern hörten wohl das Wort,

Der Paṭācārā Heilgebot:

Sie spülten ab der Füße Staub

Und saßen still zur Seite dann,

Der eignen Ebbung eingedenk,

Erschufen was der Meister schafft.


120

Am Abend, um die Dämmerzeit,

Gewahrten sie das Wandelsein;

Um Mitternacht ward himmlisch hell

Ihr Antlitz, innen abgeklärt;

Und als der junge Tag erschien

War Nacht und Nebel fortgescheucht.


121

Sie kamen her, entboten Gruß:

»Das Heilgebot, es ist erfüllt!

Den Dreiunddreißig Göttern gleich,

Die Sakko dienen weil er siegt,

Sieh' uns zu Füßen, die du führst,

Dreifach gewitzigt, ausgewähnt.«


Candā

122

Bekümmert, elend lebt' ich einst,

Verwaist als Witwe, kinderlos:

Und ohne Bruder, ohne Freund

Entbehrt' ich Mahl und Mantel bald.


123

So nahm ich Napf und Wanderstab,

Ging bettelnd hin von Haus zu Haus.

In Frost und Hitze sieben Jahr'

Gepilgert bin ich fremd umher.


[539] 124

Gar manche Nonne sah ich gehn,

Gespeist, gelabt von milder Hand:

Und einmal hab' ich laut gefleht

Um Zuflucht bei der Schwestern Schar.


125

Und Paṭācārā war es, ja,

Die mich aus Mitleid hat erhört,

Gewiesen dann, gewitzigt hat

Und eingeweiht in höchstes Heil.


126

Ihr Wort, ich nahm es willig an,

Und ihr Gebot war bald erfüllt;

Umsonst nicht gab sie Kunde mir:

Drei Wissen merk' ich, wahnversiegt.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 529-540.
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