Dritter Brief.

[179] den 25. Febr. 1760.


H.H.


Ew. Hochedelgebornen übersende die Beurtheilung der Mittel, welche man anwendet, die ausgestorbene hebräische Sprache zu verstehen mit der lebhaftesten Erkenntlichkeit zurück. Dies kleine Octavbändchen ist vielleicht dicker, als Schultens Qvartanten über die hebräische Sprache seyn können.

Ich habe mir einmal die Freyheit genommen gegen Sie ein Urtheil des Geschmacks über des Herrn Michaelis Schriften fallen zu lassen. In gegenwärtiger leuchtet seine Stärke und Schwäche vorzüglich hervor. Da er sich bisweilen auf das Deshabillé seiner Lesestunden beruft: so weiß sich der Autor in demselben ein vortheilhaft air zu geben; auch die Episoden seiner künftigen Autorschaft sind recht artig, um die Andacht und den Glauben seiner Zuhörer zu unterhalten.

Deutschland hat wenig Schriftsteller, die so viel geleistet und noch zu leisten im Stande sind, deren Arbeiten man mit Dank annehmen kann, und deren Gelübden oder ihrer Erfüllung man mit Sehnsucht entgegen sehen muß – als der Herr Michaelis. Seine extensive und intensive Einsichten sind etwas seltenes; die Gabe sie anzubringen gehört mit hieher. Anmuth und Gründlichkeit! – die ich populair und plausibel nennen möchte, um sie von der philosophischen zu unterscheiden, weil sie mehr nach dem Kanon der Mode oder der großen Welt von entscheidenden Lesern, als nach der wahren und inneren Beschaffenheit der Materien eingerichtet ist. – –

Bey allen den Verdiensten dieses Autors sind ich ein πρωτον ψευδος in den ältesten und jüngsten Schriften, die ich bis hieher von ihm zu lesen bekommen, und das mir in seiner Beurtheilung der Misbräuche in Erlernung der hebräischen Sprache stärker als sonst aufgestoßen. Es hängt mit seiner ganzen Denkungsart so genau zusammen, daß es mir eben so unmöglich fällt mit dem Finger darauf zu zeigen, als man auf dem Acker Jesreel sagen konnte: Das ist Jesebel9! – – Der platonische10 Einfall meines Nachbarn (der wie Sie wissen keinen aufgewärmten[179] Kohl verschmäht) scheint mir nicht unrichtig zu seyn, daß die kräftigsten Wahrheiten so wohl als die kräftigsten Lügen mit den Monaden überein kämen.

Ein Leser, der die Wahrheit haßt, möchte in der Beurtheilung der hebräischen Sprachmittel viel zu seiner Beruhigung antreffen, und sie könnten ihm zum Wetzstein dienen, seine Waffen der Ungerechtigkeit zu schärfen. Ein Leser, der die Wahrheit sucht, möchte für Angst hypochondrisch werden. Der sie liebt und hat, möchte den Verfasser mit der meisten Anwendung und Beurtheilung lesen können.

Es ist mir sehr angenehm gewesen, daß der Entwurf zu meinen Sommerarbeiten mit der Anweisung eines so großen Lehrmeisters überein trift. Giebt mir GOtt Leben selbigen auszuführen: so möchte vielleicht mit der Zeit zu einem gründlichen Verstande der Sachen selbst gelangen können.

Ungeachtet ich aber weder hebräisch noch arabisch verstehe: so sind doch die Beweise des Autors mir nicht lauter böhmische Dörfer, und ich traue Ihnen H.H. so viel Gedult als jenem alten General zu, einen Sophisten vom Kriegswesen plaudern zu hören.

Da ich bloß meine verlorne Stunden zu Durchlaufung dieses Buchs angewandt; so kann ich keinen Beweiß in forma geben, daß die arabische Dialectenconcordanz bey allen Cautelen ein eben so unzuverlässiges und verführerisches Mittel sey, als diejenige Methoden in Misbräuche ausgeartet sind, deren Schwäche der Autor mit so viel Gründlichkeit aufgedeckt, daß man seine eigene Anmerkungen nur sammeln und gehörig richten darf, um ihn selbst zu bestreiten – – Ein Lehrer handelt also immer am sichersten, wenn er seine Schüler nicht allzu weise macht, und es läst sich zur Noth ein bündiges Programma von der Verpflichtung der Menschen die Wahrheit zu reden ausarbeiten; die Ausübung dieser Pflicht ist aber keine philologische Gabe. – –

Die Kunst sich zu verschanzen macht dem Verfasser dieses Werks die meiste Ehre. Was hilft einem aber die sprödeste Vestung, wenn man Hungersnoth darin leidt, und bald im Geist nach Rom wallfahrt um Manuscripte zu sammeln, bald sich erniedrigen muß die[180] kahlen Federn, womit Meisterstücke geschrieben werden, um Beytrag zu raufen. Die ganze Christenheit, keine Akademie, am wenigsten Kiriath Sepher, kann einem Gelehrten seine Neigung zum Arabischen zur Ketzerey auslegen; man muß aber nicht die Sitten des Volks annehmen, dessen Sprache man liebt, mit dem Goldbleche der Sprache kleine Staatsstreiche bemänteln, oder jungen Leuten und Mäcenen den blauen Dunst vormachen, daß man fechten kann, so bald man weiß, wie man pariren und ausfallen, seinen Degen und Leib halten soll.

Die Brocken, so der Autor über die Entstehung der Sprachen verliert, und seine Eintheilung der Wörter in poetische und willkührliche, kommen mir nicht viel bestimmter als die Ideen des hieroglyphischen Systems vor. Der Mittelbegrif zwischen salben und messen, decken und machen etc. etc. ist fast so witzig, als wenn Gousset aus dem Zusammenhange trift.

Eine nähere Untersuchung und Erklärung des Dialects11 wäre nöthiger gewesen, da dies die Entelechie der ganzen Schrift ist. Der Kunstrichter scheint aber einen morgenländischen Dialect ohne arabisches sich so wenig vorstellen zu können, als ein siecher Philosoph die Seele, ohne an die Lage seines Körpers zu denken.

Nach der Beurtheilung zu schließen, ist die hebräische Sprache dem[181] apokalyptischen Tier ähnlich, das gewesen ist und nicht ist und doch ist. Ausgestorben dem Titel zufolge; – – Wunden, tödliche Wunden biß auf die Epocke – – da man von neuem anstimmen wird:


Aurum de Arabia

Thus & Myrrham de Saba

Tulit in ecclesia

Virtus asinaria


Ob man sich von der neusten Methode, die ausgestorbne hebräische Sprache zu erwecken mehr versprechen kann, als von dem Anschlag jenes irrenden Ritters, der die zerstreuten Glieder des Volkes selbst unter einen Hut bringen wollte, muß die Zeit lehren.

Wenn es also der hebräischen Sprachlehre wie der Frau im Evangelio gehen sollte, die sieben Brüder zu Männern hatte, ohne Erben zu erhalten: so würde freylich ein solch Ebentheuer den Sadducäern unserer Zeit eine neue Parabel gegen unsere Religion an die Hand geben. Es könnte aber bey allen Kunstmitteln auch hier heißen: Ihr versteht die Schrift nicht, noch die Kraft GOTTES, weder ihre Eingebung noch Auslegung, die nicht von philosophischen Gründen abhängt.

Die Origines der hebräischen Mundart mögen daher so tod seyn[182] als der Uterus der Sara: – die wunderthätigsten Sprachforscher sind bisweilen auch die ohnmächtigsten Exegeten; – – die strengsten Gesetzgeber die Zerscheiterer ihrer Tafeln, oder werden auch einäugigt durch die Schuld ihrer Kinder.

Ich habe im Pascal einen Einfall über die Sprachen gefunden, von dem ich mich wundere, daß er noch nicht belangt worden. Er hält alle Sprachen für möglich zu entziffern (so viel mir mein Gedächtniß sagt); weil sie sich nämlich wie eine verborgene Schrift zur andern verhalten. Daß ein in der Mathematick geübter Kopf einen so offenbaren Trugschluß begehen können, ist leicht zu begreifen, wenn man nicht die Schwäche der menschlichen Erkenntnis zu einem bloßen loco communi oder Schlupfwinkel seiner Sophistereyen macht. Aus seinem Satz, falls ich ihn recht behalten oder verstanden habe, folgt gerade das Gegentheil. – –

N.S. Ich überlese, was ich geschrieben, und es kommt mir vor, daß ich die Freymüthigkeit biß zur Frechheit überspannt. Man ist jetzt so blöd im Denken oder so sittsam im Reden, daß man beleidigen muß, wenn man die Wahrheit sagen oder hören will.

Die Deutlichkeit gewisser Bücher ist oft Betrug und Mangel, auch vielem Misbrauch ausgesetzt. Die nichts als den Mechanismum der Wissenschaften bekennen, haben gut schreiben, und dürfen für Leser[183] nicht sorgen. Ein Stahl12 bleibt immer ein dunkler Autor, weil er die Natur kennt, und immer auf Stellen kommt, die so schwer zu übersetzen sind als die Originalschönheiten eines tausendjährigen oder heterokosmischen Dichters – – –


Surgamus! solent esse graues cantantibus vmbrae;

Iuniperi grauis umbra. Nocent & frugibus vmbrae.

Ite domum saturae, venit Hesperus, ite capellae!

9

2 Kön. IX, 37. Offenb. II. 20–23.

10

Η που τον της υφαντικης γε λογον αυτης ταυτης ενεκα ϑηρευειν ουδεις αν εϑελησειε νουν εχων, αλλ᾽ οιμαι, τους πλειστους λεληϑεν, οτι τοις μεν των οντων ρᾳδιως καταμαϑειν αισϑηται τινες ομοιοτητες πεφυκασιν, ας ουδεν χαλεπον δηλουν, οταν αυτων τις βουληϑῃ τῳ λογον αιτουντι περι του μη μετα πραγματων αλλα χωρις λογου ρᾳδιως ενδειξασϑαι. Τοις δε αυ μεγιστοις ουσι και τιμιωτατοις ουκ εστιν ειδωλον ουδεν προς τους ανϑρωπους ειργασμενον εναργως, ου δειχϑεντος την του πυνϑαμομενου ψυχην ο βουλομενος αποπληρωσαι, προς των αισϑησεων τινα προσαρμοττων ικανως πληρωσει· διο δει μελεταν λογον εκαστου δυνατον ειναι δουναι και δεξασϑαι· τα γαρ ασωματα, καλλιστα οντα και μεγιστα, λογῳ μονον, αλλῳ δε ουδενι σαφως δεικνυται· τουτων δε ενεκα παντ᾽ εστι τα νυν λεγομενα· ρᾳων δ᾽ εν τοις ελαττοσιν η μελετη παντος περι μαλλον η περι τα μειξω. Der Gast vom Elis in Platons Staatsklugen.

11

Aus nachfolgenden Erzt-zeilen, die in Schultens Originibus stehen, lassen sich ganze Bogen Drath ziehen: Dialectus est vnius linguae variatio externa & accidentalis, quae ad internam eius substantiam non pertingit, sed fundamentum integrum illibatumque conseruat – Hae variationes externae, quae in veram Dialectum cadunt, versantur.

I. circa elementa literarum, fonos ac pronunciandi modos.

1. Fons huius variationes temperies aeris, in quo viuitur. Si crassior asperiorque, asperi rudiores adsciscentur soni; sin subtilior delicatiorque, in delicatam quandam mollitiem vel tenuitatem sponte deuenietur.

2. ipsorum hominum temperamentum, sese in partem vel politiorem vel impolitiorem exerens.

3. linguae lubrica mobilitas quam procliuissime delabens in literarum vicinarum praesertim, aut vnius organi commutationem absque vlla intentione.

4. intentio, cura, industria, qua hoc ipsum iam captatur & tanquam vel dignius vel venustius vel commodius adoptatur.

5. Accentus, quem Regem appellare possum vniuersae pronunciationis, à cuius nutu sic omnia pendent, vt si vel tantillum in eo figendo variauerit consuetudo publica alcuius gentis, diuersae & peregrinae mox appareant Linguae, quae iisdem natalibus, iisdem cretae radicibus, germana consanguinitate iunguntur.

II. circa significationes verborum.

1. Grauissimum diuortium, quum in propria ac primaria notione alicuius verbi non conspiratur.

2. vocabulum aliquod in vna Dialecto frequentatum, in altera plane non occurrens; siue prior aliquid nouauerit, siue posterior id emori siuerit.

3. differitatem satis grandem formant secundariae et metaphoricae notiones, quae ex primaria aliqua enasci solent. Saepe enim fit, vt in secundariis istis vsibus pugna quaedam ac discordia oriatur inter Dialectos sororias. Tristitia & aegritudo apud Atticos, quod apud Iones laetitia exultans. (Das niederdeutsche Wort grynen oder greinen hat eben die entgegengesetzte Bedeutung in verschiedenen Provinzen, und ahmt gewissen Menschen nach, von denen ein gemein Sprichwort sagt; daß sie Lachen und Weinen in einem Sack haben, der nach der Zergliederungskunst im Thränengang gesucht werden muß. – – Man erlaube mir hier noch eine Kleinigkeit einzuschalten. Ich kenne jemanden, der ein ziemlicher Verehrer der Ironie ist und seinen Geschmack in dieser Figur auf eine ganz besondere Art in Golii arabischen Wörterbuche zu bilden sucht, weil er Beyspiele der Ironie nirgens so häufig als in den Wurzeln dieser Sprache findt. Die Etymologie dieser Erscheinung läßt sich aus der Erbsünde Ismaels, wo nicht gelehrt doch erbaulich, herleiten.) Aliquando etiam in vna Dialecto plures propullulant potestates secundariae, in altera pauciores. Reperio denique quasdam Dialectos sic usibus secundariis indulsisse, ut primariae penitus in obliuionem iverint, quae in alia magno studio conseruatae fuerunt et recenti semper memoria viguerunt.

III. circa constructionem, loquendi formas totumque orationis ambitum – – Phrases aliter in hac, aliter in illa Dialecto conceptae conformataeque, in summo consensu radicalis verborum materiae, incredibilem pariunt dissensum quoad vniuersum ambitum orationis formamque ac velut faciem domesticam Dialectorum.

Omnes linguae habent aliquid singulare, domesticum, priuum, praesertim circa Origines, quod in alias linguas non eadem virtute, dignitate, venustate & amplitudine transfundi potest. Hic character prae omnibus aliis ob summam antiquitatem eminet in lingua hebraea eiusque Dialectis, Chaldaica, Syriaca & Arabica. – Omnes linguae sub vno vocabulo vnam tantum significationem propriam & primariam possident. Haec primaria, princeps, propria, vna in omnibus linguis est rarissimi vsus; ex aduerso metaphoricae & secundariae regnant.

Nulla Dialectus sibi sufficit ad Origines sibi suas praestandas; sed omnes mutuam opem lucemque desiderant. Nulla satis docte, solide, profunde tenetur, nisi omnes sub conspectu habeantur. Is conspectus non in Lexicis panditur sed in libris, quos qui non assidue versat, nunquam ad viuum & vegetum harum linguarum sensum perueniet.

In linguis nil fluxius fallatiusque illa circinatione, quam dexteritas fabri efficit, non Natura ipsa & Origo.

12

S. Leibnützens Urtheile in der Kortholtschen Samml. seiner Briefe von Stahl. Vol. I. Ep. 128. 193.

Quelle:
Johann Georg Hamann: Kreuzzüge des Philologen, in: Sämtliche Werke, Band 2: Schriften über Philosophie / Philologie / Kritik. 1758–1763, Wien 1950, S. 179-184.
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