c. Vorgänger in Bezug auf den Begriff des Unbewussten

[13] Wie lange hat es gedauert, bis in der Geschichte der Philosophie der Gegensatz von Geist und Natur, von Denken und Sein, von Subject und Object zum klaren Bewusstsein kam, jener Gegensatz, der jetzt unser ganzes Denken beherrscht. Denn der natürliche Mensch fühlte als Naturwesen Leib und Seele in sich als Eins, er anticipirte instinctiv diese Identität, und seine bewusste Verstandesarbeit musste erst weit gediehen sein, ehe er sich von diesem Instinct soweit lossagen konnte, um die ganze Tragweite jenes Gegensatzes zu erkennen. In der ganzen griechischen Philosophie finden wir nirgends diesen Gegensatz mit voller Klarheit hingestellt, noch weniger seine Bedeutung erkannt, am wenigsten aber in ihrer klassischen Zeit. Wenn dies schon von dem Gegensatz des Realen und Idealen gilt, was dürfen wir uns wundern, dass der Gegensatz des Unbewussten[13] und Bewussten noch viel weniger dem natürlichen Verstande einfällt und daher noch viel später in der Geschichte der Philosophie zum Durchbruch kommt, ja dass heute noch die allermeisten Gebildeten einen für närrisch halten, wenn man von unbewusstem Denken spricht. Denn das Unbewusste ist dem natürlichen Bewusstsein so sehr terra incognita, dass es die Identität von Vorstellen und sich einer Sache bewusstsein, für ganz selbstverständlich und zweifellos hält. Dieser naive Standpunct ist schon im Cartesius (princ. phil. I, 9) und noch ausführlicher in Locke ausgedrückt: Versuche über den menschlichen Verstand Buch II. Cap. 1. §. 9: »Denn Vorstellungen haben und sich etwas bewusstsein, ist einerlei«, oder §. 19: »denn ein ausgedehnter Körper ohne Theile ist so denkbar, als das Denken ohne Bewusstsein. Sie können, wenn es ihre Hypothese erfordert, mit eben so viel Grund sagen: Der Mensch ist immer hungrig, aber er hat nicht immer ein Gefühl davon. Und doch besteht der Hunger eben in diesem Gefühl, sowie das Denken in dem Bewusstsein, dass man denkt.« Man sieht, dass Locke diese Sätze in aller Einfalt postulirt; es ist deshalb ganz unrichtig, wenn man von gewissen Seiten heute noch die Behauptung hört, Locke habe die Unmöglichkeit unbewusster Vorstellungen bewiesen. Er beweist nur aus dieser postulirten Voraussetzung, dass die Seele keine Vorstellung haben könne, ohne dass der Mensch sich dessen bewusst sei, weil sonst das Bewusstsein der Seele und das des Menschen zwei verschiedene Personen ausmachen würden, und dass folglich die Cartesianer in ihrer Behauptung Unrecht haben, dass die Seele als denkendes Wesen unaufhörlich denken müsse. – Locke ist mithin der erste und einzige, der diese stillschweigende Voraussetzung des natürlichen Verstandes zum wissenschaftlichen und ausführlichen Ausdruck bringt; mit diesem Schritte war aber auch naturgemäss die Erkenntniss ihrer Einseitigkeit und Unwahrheit und die Entdeckung der unbewussten Vorstellungen durch Locke's grossen Gegner Leibniz gegeben, während alle früheren Philosophen wohl im Stillen mehr auf die eine oder die andere Seite neigten, aber sich das Problem überhaupt nicht zum Bewusstsein brachten.

Leibniz wurde zu seiner Entdeckung durch das Bestreben geführt, die angebornen Ideen und die unaufhörliche Thätigkeit der Vorstellungskraft zu retten. Denn wenn Locke bewiesen hatte, dass die Seele nicht bewusst denken kann, wenn der Mensch sich dessen nicht bewusst ist, und sie doch immerfort denken sollte, so[14] blieb nichts übrig als ein unbewusstes Denken. Er unterscheidet daher perception, Vorstellung, und apperception, bewusste Vorstellung oder schlechthin Bewusstsein (Monadologie §. 14) und sagt (gesperrt gedruckt): »Daraus, dass die Seele des Gedankens sich nicht bewusst sei, folge noch gar nicht, dass sie zu denken aufhöre.« (Neue Versuche üb. d. menschl. Verst. Buch II. Cap. 1. §. 10.) Was Leibniz zur positiven Begründung seines neuen Begriffs beibringt, ist freilich mehr als dürftig, aber ein ungeheures Verdienst ist es, dass er sogleich mit genialem Blicke die Tragweite seiner Entdeckung übersah, dass er (§. 15) die innere dunkle Werkstätte der Gefühle, der Leidenschaften und der Handlungen, dass er die Gewohnheit und vieles andere als Wirkungen dieses Princips erkennt, wenn er dies auch nur mit wenigen Worten andeutet, – dass er die unbewussten Vorstellungen für das Band erklärt, »welches jedes Wesen mit dem ganzen übrigen Universum verbindet«, – dass er durch sie die prästabilirte Harmonie der Monaden unter einander erklärt, indem jede Monade als Mikrokosmos unbewusst den Makrokosmos und ihre Stelle in demselben vorstellt. Ich bekenne freudig, dass die Lectüre des Leibniz es war, was mich zuerst zu den hier niedergelegten Untersuchungen angeregt hat.

Für die Auffassung der sogenannten angeborenen Ideen findet er ebenfalls die bis jetzt massgebende Anschauung (Buch I. Cap. 3 §. 20): »Sie sind nichts anderes als natürliche Fertigkeiten, gewisse active und passive Anlagen.« (Cap. 1. §. 25): »Ihre wirkliche Erkenntniss ist der Seele freilich nicht angeboren, aber diejenige, welche man eine potentielle Erkenntniss (connoissance virtuelle) nennen könnte. So ist auch die Figur, die aus dem Marmor entstehen soll, in seinen Adern bereits gezeichnet, und also in dem Marmor selbst, noch ehe man sie beim Arbeiten entdeckt.« Es ist dasselbe gemeint, was später Schelling (Werke Abth. 1. Bd. 3. S. 528-9) präciser ausdrückte mit den Worten: »Insofern dass Ich Alles aus sich producirt, insofern ist alles.... Wissen a priori. Aber insofern wir uns dieses Producirens nicht bewusst sind, insofern ist in uns nichts a priori, sondern Alles a posteriori ... Es giebt also Begriffe a priori, ohne dass es angeborene Begriffe gäbe. Nicht Begriffe, sondern unsere eigene Natur und ihr ganzer Mechanismus ist das uns Angeborene.... Dadurch, dass wir den Ursprung der sogenannten Begriffe a priori jenseits des Bewusstseins versetzen, wohin für uns auch der Ursprung der objectiven Welt fällt, behaupten wir mit derselben Evidenz und dem gleichen Rechte, unsere Erkenntniss sei[15] ursprünglich ganz und durchaus empirisch, und sie sei ganz und durchaus a priori

Nun kommt aber die schwache Seite von Leibniz unbewusster Vorstellung hinten nach, die schon in ihrem gewöhnlichen Namen »petite perception« liegt. Indem Leibniz in seiner Erfindung der Infinitesimalrechnung und in vielen Theilen der Naturbetrachtung, in der Mechanik (Ruhe und Bewegung), im Gesetz der Continuität u.s.w. den Begriff des (mathematisch sogen.) unendlich Kleinen mit dem glänzendsten Erfolge einführte, suchte er auch die petites perceptions auf diese Weise als Vorstellungen von so geringer Intensität zu fassen, dass sie sich dem Bewusstsein entziehen. Hiermit zerstörte er auf der einen Seite, was er auf der andern erbaut zu haben schien, den wahren Begriff des Unbewussten als ein dem Bewusstsein entgegengesetztes Gebiet, und die Bedeutung desselben für Gefühl und Handeln. Denn wenn, wie Leibniz selbst behauptet, das Naturell, der Instinct, die Leidenschaften, kurz die mächtigsten Einflüsse im Menschenleben aus dem Gebiet des Unbewussten stammen, wie sollen sie durch Vorstellungen bewirkt werden, die so schwach sind, dass sie sich dem Bewusstsein entziehen; wie sollten da nicht die kräftigen bewussten Vorstellungen im entscheidenden Moment prävaliren? Dies interessirt aber Leibniz weniger, und für sein Hauptaugenmerk, die angeborenen Ideen und die beständige Thätigkeit der Seele, reicht allerdings seine Annahme des unendlich kleinen Bewusstseins aus. Demgemäss richten sich auch die meisten seiner Beispiele von petites perceptions auf Vorstellungen von geringem Bewusstseinsgrad, z.B. die Sinneswahrnehmungen im Schlaf. Bei alledem bleibt Leibniz der Ruhm, zuerst die Existenz von Vorstellungen behauptet zu haben, deren wir uns nicht bewusst sind, und denselben eine hohe Wichtigkeit beigelegt zu haben.

Näher, als man gewöhnlich glaubt, an Leibniz steht Hume, dessen theoretische Philosophie sich zwar fast auf einen einzigen Punct, die Causalität, beschränkt, aber innerhalb dieses verengten Gesichtskreises einen klareren und freieren Blick sogar als Kant bewährt hat. Nicht die Thatsache einer bestehenden Causalität bestreitet Harne, sondern er bestreitet nur den Empiristen (Locke) gegenüber ihre Abstrahirbarkeit aus der Erfahrung, den Aprioristen (Cartesianern) gegenüber ihre apodiktische Gewissheit; dagegen räumt er den Empirikern die Anwendbarkeit der Causalität auf die Erfahrung und das praktische Verhalten ein, und den Aprioristen gewährt er gerade durch seinen indirecten Beweis eine Stütze für die Behauptung, dass[16] unser Denken und Schliessen nach causalen Beziehungen eine »uns selbst unbewusste« Bethätigung eines unserm discursiven Denken fernstehenden instinctiven Vermögens sei, welches, wie der so sehr angestaunte Instinct der Thiere, als eine »ursprüngliche Verleihung der Natur« angesehen werden muss (Untersuchungen üb. d. menschl. Verstand übers, v. Kirchmann – phil. Bibl. Heft 25 – S. 99, vgl. auch S. 147). Die Wirklichkeit einer objectiv-realen, von der Anschauung des Subjectes unabhängigen Welt wird aus der Sinneswahrnehmung vermittelst eines solchen natürlichen, blinden, aber mächtigen Instincts unmittelbar erschlossen (S. 140); da wir nur unsre Vorstellung direct kennen, so ist freilich für die Vernunft direct unerweisbar, dass dieselbe die Wirkung eines von ihr verschiedenen aber ihr ähnlichen äusseren Gegenstandes sei (S. 141). In seiner scharfen Kritik des Berkeley'schen Idealismus zeigt sich aber nun Hume von dem Bewusstsein, dass jeder subjective Idealismus consequenter Weise nur mit einem schlechthin unfruchtbaren und praktisch von seinen eignen Vertretern dementirten Skepticismus enden kann, so sehr durchdrungen, dass er vor dem Kant'schen Irrweg in die exclusiv-subjectivistische Auffassung der Causalität geschützt ist, und dass er am Schluss seiner Untersuchungen die hypothetische Restitution des kritisch geläuterten Causalitäts-Instincts als den factisch einzig möglichen Standpunct hinstellt. (Einen ähnlichen Gang habe ich in meiner Schrift: »Das Ding an sich und seine Beschaffenheit« – C. Duncker's Verlag 1871 – genommen.A2

Dass Kant den Begriff der unbewussten Vorstellung von Leibniz entlehnt habe, ist an der zu Anfang angeführten Stelle unschwer zu erkennen. Dass auch er dem Gegenstand grosse Wichtigkeit beigelegt hat, zeigt folgende Stelle des §. 5 der Anthropologie: »Dass das Feld unserer Sinnesanschauungen und Empfindungen, deren wir uns nicht bewusst sind, ob wir gleich unbezweifelt schliessen können, dass wir sie haben, d.i. dunkler Vorstellungen im Menschen (und so auch in Thieren) unermesslich sei, die klaren dagegen nur unendlich wenige Puncte derselben enthalten, die dem Bewusstsein offen liegen: dass gleichsam auf der grossen Charte unseres Gemüths nur wenig Stellen illuminirt sind, kann uns Bewunderung über unser eigenes Wesen einflössen.« Wenn Kant an dieser Stelle die unbewussten und die dunkeln Vorstellungen für die Zwecke seiner Anthropologie identificiren zu können glaubt, so zeigt die Kritik der reinen Vernunft, dass er principiell den Unterschied beider wohl erkannt und angedeutet, aber nicht In seiner Wichtigkeit begriffen hat.[17] Der Gegensatz der dunkeln Vorstellung ist die klare, der Gegensatz der unbewussten Vorstellung ist die bewusste; nicht jede bewusste Vorstellung ist eine klare, nicht jede dunkle Vorstellung ist eine unbewusste. Nur diejenige bewusste Vorstellung ist klar, »in der das Bewusstsein zum Bewusstsein des Unterschiedes derselben von andern hinreicht,« wo das Bewusstsein hierzu nicht hinreicht, ist die bewusste Vorstellung eine dunkle. Nicht alle dunklen Vorstellungen sind mithin unbewusste; »denn ein gewisser Grad des Bewusstseins, der aber zur Erinnerung nicht zureicht, muss selbst in manchen dunklen Vorstellungen anzutreffen sein« (Kaufs Werke v. Rosenkranz II, S. 793 Anm.). Wenn für die praktischen Zwecke der Anthropologie der Gegensatz der klaren und dunkeln Vorstellung Kant hinreichend scheint, so tritt derselbe für die erkenntnisstheoretische Classification der Vorstellung überhaupt durchaus hinter den der bewussten und unbewussten Vorstellung zurück. »Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewusstsein (perceptio)« (ebda. II, 258). Das Bewusstsein, dessen Vorhandensein die perceptio von der nicht percipirten repraesentatio unterscheidet, ist nicht sowohl selber eine Vorstellung, »sondern eine Form derselben überhaupt, sofern sie Erkenntniss genannt werden soll« (II, 279). Das Fehlen dieser Form also ist es, was die unbewusste Vorstellung von der bewussten unterscheidet. – Zu den unbewussten Vorstellungen scheinen nach Kant die reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) gehören zu sollen, insofern sie jenseits der Erkenntniss liegen, welche erst dadurch möglich wird, dass eine blinde Function der Seele (II, 77) in spontaner Weise das gegebene Mannigfaltige des percipirten Vorstellungsmaterials synthetisch verknüpft (II, 76). Dringen wir mit dem Bewusstsein rückwärts in die Natur dieser Synthesis ein, so erkennen wir zwar in ihr, insofern sie allgemein vorgestellt wird, den reinen Verstandesbegriff (II, 77), aber die Art der Vermittelung der unbewussten Kategorie als »Keim oder Anlage« (II, 66) zur bewussten Erkenntniss (dem »Schematismus des reinen Verstandes«) bleibt für uns eine ihren Handgriffen nach schwerlich jemals blosszulegende »verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele« (II, 125). – Leider hat sich Kant in Bezug auf die apriorischen Anschauungsformen nicht zur gleichen Höhe der Einsicht emporgeschwungen wie in Bezug auf die Denkformen. – Als ein Beispiel für die Schärfe seines Blickes sei noch angeführt, dass er zuerst das Wesen der Geschlechtsliebe im Unbewussten gesucht hat (Anthropologie §. 5).[18]

Die Blicke, welche Kant über die Sphäre der bewussten menschlichen Erkenntniss hinaus gethan hat, reichen indessen noch weit tiefer, als wir bisher gezeigt haben; jedoch hat er selbst dieses Gebiet nur andeutungsweise berührt, weil er nach apodiktischer Gewissheit in der Philosophie strebt, und sich eingestehen muss, dass in jenem Gebiet unsere Erkenntniss nur auf Wahrscheinlichkeit beruhend, d.h. nach seiner Terminologie problematisch ist (II, 211). Die oben angeführte Classification der Vorstellung ist nämlich insofern unvollständig, als in ihr die zweite, der bewussten Vorstellung gegenüberstehende Species nicht genannt wird. Dies ist aber nach Kant's Terminologie die »intellectuelle Anschauung«, welche in jener Classification nicht vorkommt. Die bewusste Vorstellung (Perception) zerfällt nämlich weiter nach Kant in (subjective) Empfindung und (objective) Erkenntniss, und letztere wieder in Anschauung und Begriff. Empfindung und Anschauung ist nicht intellectuell, sondern sinnlich; Begriff ist nicht intuitiv, sondern discursiv; die sinnliche Anschauung ist abgeleitete Anschauung, nicht ursprüngliche wie die intellectuelle (II, 720), die durch Kategorien vermittelte discursive Erkenntniss wiederum ist zwar intellectuell, aber nicht Anschauung (II, 211). Die intellectuelle Anschauung5 bleibt also offen für die nicht percipirte Vorstellung. Die percipirte oder bewusste Vorstellung ist von ihrem Gegenstände verschieden, die nicht percipirte Vorstellung ist mit ihm Eins, indem sie ihn sich giebt oder hervorbringt (II, 741-742). Nicht der abgeleitete und abhängige menschliche Verstand (bewusste Intellect) als solcher besitzt eine solche intellectuelle Anschauung, sondern nur das Urwesen (II, 720) oder der göttliche Verstand (II, 741), für den das Hervorbringen seiner »intelligibeln Gegenstände« zugleich die Schöpfung der Welt der Noumena ist (VIII, 234). Ob und in wie weit die dunkeln Vorstellungen ohne jedes Bewusstsein durch ein Hereinreichen der ursprünglichen intellectuellen Anschauung des Urwesens in den abgeleiteten menschlichen Verstand zu erklären sind, darüber hat Kant sich nicht ausgesprochen; erst Schelling hat diesen Weg mit Entschiedenheit eingeschlagen. Interessant ist es aber zu sehen, wie Heinrich Heine den Kant'schen Begriff der intellectuellen Anschauung aufgegriffen[19] hat, um sich durch denselben die blitzartigen und nach menschlichem Maasse unverständlichen Aeusserungen des Genies zu verdeutlichen (vergl. Heine's Werke Bd. I, S. 142 u. 168-169).A3

So wenig Kant eine eigentliche Metaphysik hatte geben wollen, so hatte er doch die in einem System der reinen Vernunft allein mögliche Metaphysik durch jene die intelligible Welt producirende intellectuelle Anschauung des Absoluten hinlänglich angedeutet, so dass auch sein unmittelbarster Fortsetzer Fichte nur auf diesem Wege weiter gehen konnte. Nach ihm ist »Gottes Dasein.... schlechthin das Wissen selber« (Fichte's s. Werke, II. S. 129-130), aber nur das substantielle Wissen, welchem, als dem Unendlichen, niemals Bewusstsein zugeschrieben werden kann (II, 305). Zwar ist es dem Wissen nothwendig, Selbstbewusstsein zu werden, aber es spaltet sich hierbei ebenso nothwendig in die Bewusstseinsvielheit mannichfaltiger Individuen und Personen (VII, 130, 132). So als substantielles Wissen (d.h. als bloss inhaltliches Wissen ohne die Form des Bewusstseins) ist Gott die unendliche Vernunft, in welcher die endliche enthalten ist; ebenso ist er aber auch der unendliche Wille, der alle Individualwillen in seiner Sphäre hält und trägt, und in welchem diese communiciren (II, 301 u. 302). Muss der Einheit der unendlichen Vernunft und des unendlichen Willens trotz ihres absoluten unendlichen Wissens, oder vielmehr gerade wegen desselben das Bewusstsein abgesprochen werden, so muss es die Persönlichkeit, in welchem Begriffe Schranken liegen, erst recht (II, 304-5). Man sieht hiernach, dass schon bei Fichte alle Elemente unsres Unbewussten zu finden sind, aber sie treten nur gelegentlich, andeutungsweise und an verschiedenen Stellen zerstreut hervor, und ohne Frucht getragen zu haben, werden diese vielversprechenden Gedankenknospen von andern Gesichtspuncten bald wieder überwuchert.

Viel näher lag der Begriff des Unbewussten der Glaubensphilosophie (Hamann, Herder und Jacobi), die eigentlich auf ihm beruht, aber sich über sich selbst so unklar und so unfähig ist, ihre eigene Grundlage rationell zu begreifen, dass sie nie dazu kommt, das Stichwort ihrer Partei zu finden.

In voller Reinheit, Klarheit und Tiefe finden wir dagegen den Begriff des Unbewussten bei Schelling; es verlohnt sich daher eines Seitenblicks auf die Art und Weise, wie er zu demselben gekommen ist. Hierüber giebt am besten folgende Stelle Aufschluss (Schelling's Werke Abth. I. Bd. 10. S. 92-93): »Die Meinung dieses (des Fichte'schen)[20] subjectiven Idealismus konnte nicht sein, dass das Ich die Dinge ausser sich frei und mit Wollen setzte, denn nur an vieles ist, das das Ich ganz anders wollte, wenn das äussere Sein von ihm abhinge... Um dies alles zeigte sich nun Fichte unbekümmert... Angewiesen nun, die Philosophie da aufzunehmen, wo sie Fichte hingestellt hatte, musste ich vor allem sehen, wie jene unleugbare und unabweisliche Nothwendigkeit« (mit der dem Ich seine Vorstellungen von der Aussenwelt entgegentreten), »die Fichte gleichsam nur mit Worten hinwegzuschelten sucht, mit den Fichte'schen Begriffen, also mit der behaupteten absoluten Substanz des Ich sich vereinigen liesse. Hier ergab sich nun aber sogleich, dass freilich die Aussenwelt für mich nur da ist, inwiefern ich zugleich selbst da und mir bewusst bin (dies versteht sich von selbst), aber dass auch umgekehrt, sowie ich für mich selbst da, ich mir bewusst bin, dass, mit dem ausgesprochenen Ich bin, ich auch die Welt als bereits – da – seiend finde, dass also auf keinen Fall das schon bewusste Ich die Welt produciren kann. Nichts verhinderte aber, mit diesem jetzt in mir sich-bewussten Ich auf einen Moment zurückzugehen, wo es seiner noch nicht bewusst war, eine Region jenseits des jetzt vorhandenen Bewusstseins anzunehmen, und eine Thätigkeit, die nicht mehr selbst, sondern nur durch ihr Resultat in das Bewusstsein kommt.« (Vgl. auch Schelling's Werke Abth. I. Bd. 3. S. 348-9). Der Umstand, dass Schelling keine andere Ableitung für den Begriff des Unbewussten hat, als aus der Voraussetzung des Fichte'schen Idealismus, ist wohl der Grund, dass seine zahlreichen schönen Bemerkungen über diesen Begriff auf die Bildung der Zeit nicht mehr Einfluss gehabt haben, da letztere, um seine Nothwendigkeit einzusehen, einer empirischen Ableitung desselben bedurft hätte. Ausser der vorhin bei Gelegenheit des Leibniz schon angeführten Stelle werden im Verlauf unserer Untersuchungen noch mehrfach Citate aus Schelling angezogen werden. Hier nur noch einiges zur Orientirung im Allgemeinen (Werke I. 3. S. 624): »In allem, auch dem gemeinsten und alltäglichsten Produciren wirkt mit der bewussten Thätigkeit eine bewusstlose zusammen.« Die Ausführung dieses Satzes auf den verschiedenen Gebieten der empirischen Psychologie hätte a posteriori die Grundlage des Begriffes des Unbewussten gegeben; Schelling bleibt dieselbe aber (mit Ausnahme für das ästhetische Produciren) nicht nur schuldig, sondern er behauptet auch anderwärts (Werke I. 3. S. 349): »Eine solche (zugleich bewusste und bewusstlose) Thätigkeit ist allein die ästhetische.«[21]

Wie rein und tief trotzdem Schelling in der Genialität seiner Conception den Begriff des Unbewussten erfasst hatte, beweist folgende Hauptstelle (I, 3. S. 600): »Dieses ewig Unbewusste, was gleichsam die ewige Sonne im Reiche der Geister, durch sein eigenes ungetrübtes Licht sich verbirgt, und obgleich es nie Object wird, doch allen freien Handlungen seine Identität aufdrückt, ist zugleich dasselbe für alle Intelligenzen, die unsichtbare Wurzel, wovon alle Intelligenzen nur die Potenzen sind, und das ewig Vermittelnde des sich selbst bestimmenden Subjectiven in uns und des Objectiven oder Anschauenden, zugleich der Grund der Gesetzmässigkeit in der Freiheit und der Freiheit in der Gesetzmässigkeit.« Hiermit bezeichnet er dasselbe, was Fichte das substantielle Wissen ohne Bewusstsein oder den unpersönlichen Gott als Einheit der unendlichen Vernunft und des unendlichen Willens nannte, welche Einheit die vielen Individualwillen mit ihrer endlichen Vernunft in sich befasst. Auch Schelling kommt dazu, als das letzte und höchste Princip seiner Identitätsphilosophie i. J. 1801 die absolute Vernunft zu bestimmen (Werke I. 4. S. 114-116), und hiermit seinem »ewig Unbewussten« eine concrete Erfüllung zu geben, welcher er i. J. 1809 ebenfalls den Willen als der Wichtigkeit nach voranzustellende Ergänzung hinzufügte (I. 7, 350).

In demselben Maasse als für Schelling in seiner eigenen Entwickelungsgeschichte der Fichte'sche Idealismus in den Hintergrund trat, verfiel auch der Begriff des Unbewussten diesem Schicksal. Während derselbe im transcendentalen Idealismus eine Hauptrolle spielt, ist von ihm schon in den bald nachher erschienenen Schriften kaum noch die Rede und später verschwindet er fast ganz. Auch die mystische Naturphilosophie der Schelling'schen Schule, welche (besonders Schubert) doch so viel im Gebiete des unbewussten verkehrt, hat sich meines Wissens mit einer Entwickelung und Betrachtung dieses Begriffes nirgends befasst. Um so besser weiss das ahnungsvolle Dichtergemüth Jean Paul Friedrich Richter's das Unbewusste Schelling's zu würdigen und heben wir aus seinem letzten, unvollendeten Werke »Selina« folgende Stellen hervor: »Wir machen von dem Länderreichthum des Ich viel zu kleine oder enge Messungen, wenn wir das ungeheure Reich des Unbewussten, dieses in jedem Sinne wahre innere Afrika, auslassen. Von der weiten vollen Weltkugel des Gedächtnisses drehen sich dem Geiste in jeder Sekunde immer nur einige erleuchtete Bergspitzen vor, und die ganze übrige Welt[22] bleibt in ihrem Schatten liegen.« – »Es bleibt nichts übrig für den Aufenthalt und Thron der Lebenskraft, als das grosse Reich des Unbewussten in der Seele selber.« – »Man sieht bei gewissen Menschen sogleich über die ganze angebaute Seele hinüber, bis an die Grenze der aufgedeckten Leerheit und Dürftigkeit; aber das Reich des Unbewussten, zugleich ein Reich des Unergründlichen und Unermesslichen, das jeden Menschengeist besitzt und regiert, macht die Dürftigen reich und rückt ihnen die Grenzen in's Unsichtbare.« – »Ist es nicht ein tröstlicher Gedanke, dieser verdeckte Reichthum in unserer Seele? Können wir nicht hoffen, dass wir unbewusst Gott vielleicht inniger lieben als wir wissen, und dass ein stiller Instinct für die zweite Welt in uns arbeite, indess wir bewusst uns so sehr der äusseren übergeben?« – »Wir sehen ja täglich, wie das Bewusste zum Unbewussten wird, wie die Seele ohne Bewusstsein die Finger nach dem Generalbasse regt, indem sie jenes auf neue Verhältnisse und Handlungen richtet. Wenn man die Muskel- und Nervendurchkreuzung betrachtet, erstaunt man über Zuckungen und Drucke der kleinsten Art ohne bewusstes Wollen.«

Bei Hegel tritt ebenso wie in Schelling's späteren Werken der Begriff des Unbewussten nicht deutlich heraus, ausser in der Einleitung zu den Vorlesungen über »Philosophie der Geschichte«, wo er die in Cap. B. X. anzuführenden Ideen Schelling's über diesen Gegenstand reproducirt. Gleichwohl stimmt Hegel's absolute Idee in ihrem Ansichsein vor ihrer Entlassung zur Natur, also auch vor ihrer Rückkehr zu sich als Geist, in jenem Zustande, wo sie die Wahrheit ohne Hülle ist, gleichsam die Gottheit in ihrem ewigen Wesen vor Erschaffung der Welt und eines endlichen Geistes, durchaus mit Schelling's »ewig Unbewusstem« überein, wenn sie auch nur die eine Seite desselben, nämlich die Seite des Logischen oder der Vorstellung ist, also mit Fichte's »substantiellem Wissen« und seiner unendlichen Vernunft ohne Bewusstsein zusammenfällt. Auch bei Hegel nämlich erlangt der Gedanke erst dann das Bewusstsein, wenn er durch die Vermittelung seiner Entäusserung zur Natur den Weg vom blossen Ansichsein zum Fürsichsein zurückgelegt, und als ein sich gegenständlich gewordener, als Geist, zu sich selbst gekommen ist. Der Hegel'sche Gott als Ausgangspunct ist erst »an sich« und unbewusst, nur Gott als Resultat ist »für sich« und bewusst, ist Geist. Dass das zum-Fürsichsein-Gelangen, sich Gegenstand-Werden wirklich ein zum-Bewusstsein-Kommen ist, spricht Hegel in Werke XIII. S. 33 u. 46 deutlich aus. – Die Theorie[23] des Unbewussten ist die nothwendige, wenn auch bisher meist nur stillschweigende Voraussetzung jedes objectiven oder absoluten Idealismus, der nicht unzweideutiger Theismus ist, d.h. jede Metaphysik, welche die Idee ab das Prius der Natur (aus welcher dann wiederum erst der subjective Geist entspringt) betrachtet, muss die Idee als eine unbewusst seiende supponiren, so lange dieselbe gestaltende Idee ist und sich noch nicht aus dem Sein vor und in der Natur zum anschauenden Bewusstsein im subjectiven Geiste durchgerungen hat, – es sei denn, dass die gestaltende Idee als bewusster Gedanke eines selbstbewussten Gottes behauptet werde. Als höchste Form des absoluten Idealismus verfällt der Hegelianismus am sichersten dieser Nothwendigkeit, da ihm die Idee nichts weniger als bewusster Gedanke eines von Anfang an selbstbewussten Gottes, sondern vielmehr »Gott« nur ein opportuner Name für die (in der Selbstentfaltung begriffene) Idee ist.A4 Man kann also sagen, es handle sich in diesem Buche grossentheils nur darum, Hegel's unbewusste Philosophie des Unbewussten zu einer bewussten zu erheben (vergl. meinen Aufsatz: »Ueber die nothwendige Umbildung der Hegel'schen Philosophie aus ihrem Grundprincip heraus« in den »Gesammelten philosoph. Abhandlungen«, No. II, Berlin, C. Duncker).A5 Aber auch alle Diejenigen, welche, mehr oder minder von Plato und Hegel beeinflusst, überhaupt nur Ideen als gestaltende Principien der Bildungsvorgänge in Natur und Geschichte und eine leitende objective Vernunft als im Weltprocess sich offenbarend annehmen, ohne sich doch zu einem selbstbewussten Gott-Schöpfer bekennen zu wollen, alle diese sind schon unbewusste Anhänger der Philosophie des Unbewussten, und bleibt dem Nachfolgenden solchen Lesern gegenüber nur die Aufgabe, sie über die Consequenzen und den systematischen Zusammenhang ihrer Gedanken aufzuklären, und sie durch strengere Begründung in ihrem Standpunct zu befestigen.

Schopenhauer kennt als metaphysisches Princip nur den Willen, während ihm die Vorstellung in materialistischem Sinne Hirnproduct ist, eine Thatsache, welche dadurch keine Einschränkung erleidet, dass er die Materie des Gehirns wiederum für die blosse Sichtbarkeit eines (blinden d.h. vorstellungslosen) Willens erklärt. Der Wille, das einzige metaphysische Princip Schopenhauers ist hiernach selbstverständlich ein unbewusster Wille, die Vorstellung hingegen, die ihm nur das Phänomen eines Metaphysischen und daher als Vorstellung nicht selbst etwas Metaphysisches ist, kann auch da, wo sie unbewusst wird, niemals mit der unbewussten[24] Vorstellung Schelling's vergleichbar sein, welche ich als gleichberechtigtes metaphysisches Princip dem des unbewussten Willens coordinire. Aber auch abgesehen von diesem Unterschiede des Metaphysischen und Phänomenalen bezieht sich die »unbewusste Rumination«, auf welche Schopenhauer in zwei übereinstimmenden Aperçu's (W. a. W. u. V. 3. Aufl. II. S. 148 u. Parerga 2. Aufl. S. 59) zu sprechen kommt, und welche er in's Innere des Gehirns verlegt, doch nur auf die dunklen und undeutlichen Vorstellungen des Leibniz und Kant: welche vom Lichte des Bewusstseins zu schwach beschienen sind, um klar hervorzutreten, welche also bloss unterhalb der Schwelle des deutlichen Bewusstseins gelegen sind, und sich von den deutlich-bewussten Vorstellungen nur graduell (nicht wesentlich) unterscheiden. Schopenhauer erreicht also den wahren Begriff der absolut unbewussten Vorstellung in diesen beiden, übrigens für seine Philosophie ganz einflusslosen Aperçu's ebenso wenig wie in einer andern Stelle, wo er von dem gesonderten Bewusstsein untergeordneter Nervencentra im Organismus spricht (W. a. W. u. V. II. 291).A6 – Einen Anknüpfungspunct für die wahre, absolut unbewusste Vorstellung bietet das Schopenhauer'sche System allerdings, aber eben nur da, wo es sich selbst untreu wird und sich mit sich selbst in Widerspruch setzt, indem ihm die Idee, welche ihm ursprünglich nur eine andere Gattung von Anschauung des celebralen Intellects ist, zu einer der realen Individuation vorhergehenden und dieselbe bedingenden metaphysischen Wesenheit wird (vgl. den Aufsatz: »Ueber die nothwendige Umbildung der Schopenhauer'schen Philosophie aus ihrem Grundprincip heraus« in meinen »Gesammelten philosophischen Abhandlungen« No. III – Berlin, C. Duncker's Verlag 1872). Hiervon zeigt aber Schopenhauer selbst keine Ahnung, so dass es ihm z.B. nicht einfällt, die Idee zur Erklärung der Zweckmässigkeit in der Natur heranzuziehen, welche ihm vielmehr in echt idealistischer Weise ein blosser subjectiver Schein ist, der durch die Auseinanderzerrung des real Einen in das Nebeneinander und Nacheinander von Raum und Zeit entsteht, wobei dann die wesentliche Einheit in Form einer wesentlich gar nicht existirenden teleologischen Beziehung hindurchschimmert, so dass es ganz verkehrt wäre, in der Zweckthätigkeit der Natur etwa Vernunft zu suchen. Dabei merkt er aber gar nicht, dass der unbewusste Naturwille eo ipso eine unbewusste Vorstellung als Ziel, Inhalt oder Gegenstand seiner selbst voraussetzt, ohne die er leer, unbestimmt und gegenstandslos wäre; so geberdet sich denn der unbewusste[25] Wille in den scharfsinnigen und lehrreichen Betrachtungen über Instinct, Geschlechtsliebe, Leben der Gattung u.s.w. immer genau so, als ob er mit unbewusster Vorstellung verbunden wäre, ohne dass Schopenhauer letzteres wüsste oder zugäbe. Allerdings fühlte Schopenhauer, der wie alle Philosophen und die menschliche Natur überhaupt im Alter leise mehr und mehr vom Idealismus zum Realismus hin gravitirte, im Stillen wohl eine gewisse Nothwendigkeit, den Schritt, den Schelling längst über Fichte hinaus gethan hatte, den Schritt vom subjectiven zum objectiven Idealismus nachzuthun; aber er selbst konnte sich nicht dazu entschliessen, den Standpunct seiner Jugend (speciell das erste Buch seines Hauptwerks) entschieden zu desavouiren, und musste diesen Entschluss seinen Schülern (Frauenstädt, Bahnsen) überlassen. So finden wir hierüber nur Andeutungen, die, weiter ausgeführt, den ganzen bisherigen Standpunct seines Systems verrücken würden, z.B. die Stelle Parerga 2. Aufl. II. 291 (auf welche Freiherr du Frei in Cotta's »deutscher Vierteljahrsschrift«, Heft 129 hingewiesen hat), wo er die Möglichkeit hinstellt, dass nach dem Tode dem »an sich erkenntnisslosen Willen« eine höhere Form des erkenntnisslosen Bewusstseins zukommen könne in welchem der Gegensatz von Subject und Object aufhört. Nun ist aber alles Bewusstsein eo ipso Bewusstsein eines Objectes mit mehr oder minder deutlich bewusster Beziehung auf den correlativen Begriff des Subjects, also ein Bewusstsein, in welchem dieser Gegensatz aufhört, undenkbar; wohl aber ist eine unbewusste Erkenntniss ohne diesen Gegenstand denkbar, wie Schopenhauer ihr in der Schilderung der intuitiven Idee bereits sehr nahe getreten ist (W. a. W. u. V. I. §. 34 vgl. auch meinen obengen. Aufsatz). Man wird also zugeben müssen, dass Schopenhauer hier das Richtige geahnt, ihm aber einen verkehrten Ausdruck gegeben hat, und dadurch verhindert worden ist, dieses Aperçu an die einzig mögliche Stelle in seinem System einzufügen. Nur sein gehässiges Vorurtheil gegen Schelling hinderte ihn, dort alles das zu finden, was ihm mangelt, und wonach er an dieser Stelle vergeblich ringt.A7

Erst nach diesen Darlegungen aus der europäischen Philosophie wage ich es, auch auf die morgenländische, speciell die Vedantaphilosophie hinzuweisen. Wie es in der orientalischen Natur begründet liegt, minder systematisch durchzuführen, aber leichter das Verborgenste zu ahnen, und den leisen Einflüsterungen des Genius zugänglicher zu sein, so sind auch in den philosophischen Systemen der Inder und Chinesen noch ungehobene Schätze, in denen oft die[26] Vorwegnahme vieltausendjähriger occidentalischer Entwickelungsresultate am meisten überrascht. In der Vedantaphilosophie heisst das Absolute das Brahma, und hat die drei Attribute Sät (Sein, Substantilität), C'it (absolutes unbewusstes Wissen) und Ananda (intellectuelle Wonne). Als absolutes Wissendes heisst das Brahma C'aitanja (Schopenhauer's ewiges Weltauge, absolutes Subject des Erkennens, zugleich intelligibles Ich aller erkennenden Individuen: Kûtasta-Gîva Saksin). Die Identität des Realen und Idealen wird auf das Nachdrücklichste betont: denn wäre das Ideale nicht das Reale, so wäre es ja unreal und wäre das Reale nicht das Ideale, so sänke es zur dumpfen Materie ohne erhaltende Kraft herab (Graul, Tamulische Bibliothek Bd. I. S. 78 No. 141). »Der Unterschied von Erkenner, Erkenntniss und zu Erkennendem wird im höchsten Geiste nicht gewusst, (vielmehr) wird dieses (Brahma) durch sich selbst erleuchtet in Folge seines einigen Wesens, das Geist und Wonne ist« (Ebenda S. 188 No. 40). »Lehrer: Jener reingeistige C'aitanja erkennt alle Körper. Da er aber selbst nicht Körper ist, so wird er auch in Nichts erkannt. – Schüler: Wenn er, obschon Wissen, doch von Nichts erkannt wird, wie kann er dann eben Wissen sein? – Lehrer: Auch der Syrupssaft bringt sich selber nicht in Erfahrung, dennoch sagen wir vermöge der von jenem Safte verschiedenen Sinne, die ihn erkennen, dass er von süsser Natur ist. So darf man auch nicht zweifeln, dass dem alle Dinge erkennenden Selbst das Wissen (als seine Substanz) zukommt. – Schüler: Ist denn das Brahma etwas, das erkannt, oder das nicht erkannt wird? – Lehrer: Keines von Beiden. Das, was (über diese beiden Kategorien) hinausliegt (das substantielle Wissen), das ist das Brahma. – Schüler: Wie können wir es denn erkennen? – Lehrer: Das ist ja gerade, als wenn Jemand sagen wollte: Habe ich eine Zunge oder nicht? Obgleich wissensartig, fragst Du doch: Wie ist das Wissen? Schämst Du Dich nicht?« (Ebenda S. 148 No. 2). Das absolute Wissen ist hiernach weder sich selbst bewusst (weil in ihm keine Differenzirung von Subject und Object), noch einem andern unmittelbar bewusst, weil es über die Sphäre des direct Erkennbaren hinausliegt;A8 dennoch ist es seiner Existenz nach uns erkennbar, weil es in allem Wissen das Wissende, in allem Erkennen das Erkennende ist, und ist uns sogar seiner Beschaffenheit nach wenn auch nur negativ (durch obige Betrachtung) erkennbar als un-bewusstes und un-beschränktes Wissen. – Das Unbewusste ist in diesem altindischen Buch zur Vedantaphilosophie (Pancadasaprakarana) in der That so scharf und[27] genau charakterisirt wie kaum von irgend einem der neuesten europäischen Denker.A9

Kehren wir nun zu diesen zurück, so versteht Herbart unter »bewusstlosen Vorstellungen« solche, »die im Bewusstsein sind, ohne dass man sich ihrer bewusst ist« (Werke V. S. 342), d.h. ohne dass man dieselben »als die seinigen beobachtet und an das Ich anknüpft«, oder mit anderen Worten, ohne dass man dieselben mit dem Selbstbewusstsein in Verbindung setzt. Dieser Begriff bietet keine Gefahr der Verwechselung mit dem wahrhaft Unbewussten; dagegen ist um der von Fechner gemachten Anwendungen willen, ein anderer von Herbart behandelter Begriff zu berücksichtigen, nämlich der »der Vorstellungen unterhalb der Schwelle des Bewusstseins«, welche nur, ein von der Realisirung mehr oder minder entferntes Streben nach Vorstellung repräsentiren, selbst aber »durchaus kein wirkliches Vorstellen« sind, vielmehr für das Bewusstsein nicht einmal Nichts, sondern »eine unmögliche Grösse« bedeuten (Herbart's Werke V. S. 339-342). Herbart kommt auf diesen schwer zu fassenden Begriff dadurch, dass er gemäss der Anschauungsweise des Leibniz eine Continuität der Ab- und Zunahme in dem Uebergange von wirklichen Vorstellungen des Bewusstseins zu solchen, die im Gedächtniss schlummern, und umgekehrt, festhalten, auch die Möglichkeit eines Aufeinander-Wirkens dieser schlummernden Gedächtnissvorstellungen nicht aufgeben wollte, trotzdem aber sich nicht zu einer materialistischen Erklärungsweise dieser Processe herbeilassen konnte, in der Art, dass er in ihnen nur materielle Hirnprocesse von einer für die Bewusstseinserregung nicht ausreichenden Stärke gesehen hätte.

Nun ist aber auf dem heutigen Standpunct der Wissenschaft unschwer zu sehen, dass die sogenannten schlummernden Gedächtnissvorstellungen durchaus nicht Vorstellungen in actu, in Thätigkeit, sondern bloss Dispositionen des Gehirns zur leichteren Entstehung dieser Vorstellungen sind. Wie eine Saite auf alle Luftschwingungen, die sie treffen, wenn sie von denselben überhaupt zum Tönen gebracht wird, immer mit demselben Tone resonirt, und zwar mit dem Ton a oder c, je nachdem sie auf a oder c gestimmt ist, so entsteht auch im Gehirn leichter die eine oder die andere Vorstellung, je nachdem die Vertheilung und Spannung der Hirnmolecule so beschaffen ist, dass sie leichter mit der einen oder der andern Art von Schwingungen auf einen entsprechenden Reiz antwortet; und wie die Saite nicht bloss auf Schwingungen, die ihren Eigenschwingungen homolog sind, sondern auch auf solche, die entweder nur wenig von denselben abweichen[28] oder in einem einfachen rationalen Verhältniss zu denselben stehen, resonirt, so werden auch die Schwingungen der prädisponirten Molecule einer Hirnzelle nicht bloss durch Eine Art zugeleiteter Schwingungen wachgerufen, sondern auch durch wenig abweichende oder in einem einfachen Verhältniss zu der Prädisposition stehenden Reize (dieser Zusammenhang ist in den Gesetzen der Ideenassociation erkennbar). Was bei der Saite das Stimmen ist, das ist für das Gehirn die bleibende Veränderung, welche eine lebhafte Vorstellung nach ihrem Verschwinden in Vertheilung und Spannung der Molecule hinterlässt. Wenn schon diese Hirnprädispositionen von höchster Wichtigkeit sind, da von der Form der ausgelösten Hirnschwingungen der Inhalt der Empfindung abhängt, mit welcher die Seele reagirt, also einerseits das ganze Gedächtniss auf ihnen beruht, und andrerseits von der Summe der so erlangten, respective ererbten Prädispositionen wesentlich der Charakter des Individuums bedingt ist (vgl. Cap. C. X.), so ist doch eine solche ruhende materielle Lagerung der Molecule, welche für die Entstehung gewisser Vorstellungen prädisponirt, nicht als Vorstellung zu bezeichnen, obgleich sie unter Umständen zu dem Zustandekommen einer Vorstellung, und zwar einer bewussten Vorstellung, als Bedingung mitwirken kann. Da nun von einer unendlichen Fortdauer einmal erregter Schwingungen im Gehirn nicht die Rede sein kann, vielmehr die starken daselbst vorhandenen Widerstände jede Bewegung in endlicher und zwar ziemlich kurzer Zeit zur Ruhe bringen müssen, so könnte Herbart's unbewusster Zustand der Vorstellung nur innerhalb der Grenzen bestehen bleiben, welche durch das Aufhören der Bewegung einerseits und das Aufhören der bewussten Vorstellung bei noch fortdauernder Bewegung der Hirnschwingungen anderseits gegeben sind, vorausgesetzte dass beide Grenzen nicht zusammenfallen. Die Frage ist also:

1) ob jede Stärke von Hirnschwingungen Vorstellung erweckt, oder ob die Vorstellung erst bei einer gewissen Stärke derselben beginnt, und

2) ob durch jede Stärke von Hirnschwingungen bewusste Vorstellung erregt wird oder erst von einer gewissen Stärke an.

Diesen Fragen ist Fechner in seinem ausgezeichneten Werke »Psychophysik« näher getreten. Sein Gedankengang ist folgender: Nicht jeder sinnliche Reiz bewirkt Sinnesempfindung, sondern nur von einer gewissen Grösse an, die Reizschwelle heisst; z.B. eine tönende Glocke wird erst von einer gewissen Entfernung aus gehört.[29] Addiren sich mehrere gleichartige, einzeln nicht wahrnehmbare Reize, so entstehen bewusste Empfindungen; z.B. durch mehrere zugleich tönende ferne Glocken, deren jede einzeln man nicht hören Würde, oder durch das Blattgeflüster im Walde. Nun könnte man dieses zwar so erklären, dass der Reiz unter der Schwelle nur darum keine Empfindung bewirkt, weil er nicht stark genug ist, um die Leitungswiderstände im Sinnesorgan und Nerven bis zum Centralorgan zu überwinden, dass aber die Seele auf den kleinsten, im Centrum selbst angelangten Reiz mit entsprechender Empfindung reagirt. Diese Annahme reicht aber allein nicht aus, da sie auf Empfindungsunterschiede nicht passt. Denn verschieden starke, gleichartige Reize bewirken verschiedene Empfindungen; doch muss auch hier der Unterschied der Reize ein gewisses Maass (die Unterschiedsreizschwelle) überschreiten, wenn die Empfindungen als verschieden wahrgenommen werden sollen. Hier können offenbar die Leitungswiderstände nicht für die Erscheinung verantwortlich gemacht werden, da jede der Empfindungen gross genug ist, dieselben zu überwinden. Andererseits können aber für Reizschwelle und Unterschiedsschwelle auch nicht verschiedene Principien geltend gemacht werden, da der erste Fall auf den zweiten Fall zurückführbar ist, wenn in letzterem der eine Reiz = 0 gesetzt wird. Mithin bleibt nur die Annahme übrig, dass die Schwingungen am Centrum einen gewissen Grad überschreiten müssen, ehe die Empfindung erfolgt. Was hierbei für die Sinnes-Empfindung gilt, gilt natürlich für jede andere Vorstellung und ist somit die zweite Frage entschieden. Es bleibt die Ermittelung offen, ob die Reize unter der Schwelle die Seele überhaupt zu einer Reaction bringen, welche dann unbewusste Empfindung oder Vorstellung wäre, oder ob die Reaction der Seele erst bei der Schwelle beginnt.

Hören wir weiter auf Fechner. Das sogenannte Weber'sche Gesetz lautet: »Zwei gleichartige Empfindungsunterschiede verhalten sich wie die zwei Quotienten der zugehörigen Reize«, und die von Fechner hieraus höchst geistreich abgeleitete Formel lautet:

γ = k log (γ/b), worin γ die Empfindung bei dem Reiz β, b die Reizschwelle, d.h. der Werth des Reizes, bei dessen kleinster Ueberschreitung γ den Werth 0 überschreitet, und k eine Constante ist, welche die Beziehung der Maasseinheiten von β und γ enthält. (J. J. Müller giebt eine sehr interessante teleologische Ableitung dieser Formel in den Berichten der kgl. sächs. Akad. d. Wiss. Sitz. v. 12.[30] Decbr. 1870, worin er zeigt, dass nur bei dieser Beziehung zwischen Reiz und Empfindung »der durch Verschiedenheit der Reize bedingte Empfindungsunterschied unabhängig ist von der Erregbarkeit, und der durch Verschiedenheit der Erregbarkeit bedingte Empfindungsunterschied unabhängig vom Reize«, zwei Bedingungen, unter welchen allein das Bewusstsein im Stande ist, die ursächlichen Verschiedenheiten der Reize und der Erregbarkeit auseinanderzuhalten und dadurch zu erkennen.) Wird nun β kleiner als b, d.h. der Reiz kleiner als die Reizschwelle, so wird γ negativ und sinkt um so weiter unter 0, als β unter b sinkt (bei β = 0 ist γ = –∞).

Diese negativen γ's nennt nun Fechner »unbewusste Empfindungen«, aber auch mit dem vollen Bewusstsein, in diesem Worte nur eine Licenz des Ausdrucks zu haben, welche bedeuten soll, dass die Empfindung γ sich um so mehr von der Wirklichkeit entfernt, je weiter γ unter 0 sinkt, d.h. dass ein immer grösserer Zuwachs des Reizes dazu erfordert werde, um nur erst den Nullwerth von γ wieder hervorzubringen, und dieses an die Grenze der Wirklichkeit zurückzurufen. Das negative Vorzeichen vor γ bedeutet also hier (wie anderweitig oft das Imaginaire) die Unlösbarkeit der Aufgabe, aus der gegebenen Reizgrösse eine Empfindung zu berechnen.

Ueber die sachliche Bedeutung des negativen Vorzeichens, sagt Fechner sehr richtig, kann nur die vernünftige Vergleichung des Rechnungsansatzes mit den erfahrungsmässigen Thatsachen Aufschluss geben. Darum weist er den Seitenblick auf Wärme und Kälte hier als ganz ungehörig zurück, und verbietet, aus positiven und negativen γ's eine algebraische Summe zu ziehen, ebenso wie dies bei Flächenberechnungen durch rechtwinklige Coordinaten mit den positiven und negativen Flächenstücken unzulässig ist. »Mathematisch kann der Gegensatz der Vorzeichen ganz ebenso gut auf den Gegensatz der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit, als der Zunahme und Abnahme oder der Richtungen bezogen werden. – Im System der Polarcoordinaten bedeutet er den Gegensatz der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit einer Linie, so aber, dass grössere negative Werthe eine grössere Entfernung von der Wirklichkeit bedeuten, als kleinere. Es kann nicht das geringste Hinderniss sein, das, was für den Radiusvector als Function eines Winkels gültig ist, auf die Empfindung als Function eines Reizes zu übertragen« (Psychophysik II. S. 40). Was hier für den algebraischen Ausdruck der Function gilt, gilt natürlich auch für ihre geometrische Veranschaulichung als Curve, wo der sichtbare Zusammenhang des positiven und negativen[31] Theils das Urtheil von neuem gefangen nehmen könnte. Man sieht, dass es schwer ist, für die negativen γ's einen bezeichnenden Ausdruck zu finden, der nicht zu Missverständnissen Anlass geben könnte; das beste wäre vielleicht, gradezu »unwirkliche Empfindung« zu sagen. Indess ist Fechner aus der willkürlichen Benutzung des Wortes unbewusste Empfindung kein Vorwurf zu machen, da er unsere positive Bedeutung des Unbewussten nicht kennt oder wenigstens nicht anerkennt. Schlimmer aber ist es, dass Fechner später so inconsequent war, sich in der That durch den Zusammenhang der geometrischen Curven unterhalb der Schwelle täuschen zu lassen, und von einem realen Zusammenhang der Bewusstseine verschiedener Individuen unterhalb der Schwelle zu sprechen. –

Ich bin hierauf so ausführlich eingegangen, weil ich mich vor Verwechselung mit dem Fechner'schen Begriff der unbewussten Empfindung wahren, zugleich dem trefflichen Werke den Zoll meiner Hochachtung darbringen und endlich die Gelegenheit benutzen wollte, den Leser mit dem Begriff der Schwelle bekannt zu machen, der in den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft von Bedeutung ist, und den auch wir für unsere Untersuchungen nicht entbehren können. Dass übrigens eine gewisse Stärke des Hirnreizes dazu gehört, um überhaupt die Seele zu einer Reaction zu nöthigen, ist teleologisch sehr begreiflich; denn was sollte aus uns armen Seelen werden, wenn wir fortwährend auf die unendliche Menge unendlich kleiner Reize reagiren sollten, die uns unaufhörlich umspielen. Aber wenn die Seele einmal auf einen Hirnreiz reagirt, so ist auch eo ipso das Bewusstsein gegeben, wie in Cap. C. III. gezeigt wird; dann können diese Reactionen nicht mehr unbewusst bleiben. Wollte man hier aber auf die Theorie vom unendlich kleinen Bewusstsein zurückkommen, so wird dieselbe einfach durch das Experiment widerlegt, welches zeigt, dass die bewusste Empfindung stetig abnimmt bis zum Nullwerth, dem die Reizschwelle entspricht, also die unendlich kleinen Werthe in der That oberhalb der Schwelle durchläuft, wo wirklich noch unendlich kleines Bewusstein vorhanden ist, mit der Schwelle selbst aber 0 wird, d.h. absolut aufhört; ich verweise darüber auf Fechner's Werk.

In die neuere Naturwissenschaft hat der Begriff des Unbewussten noch wenig Eingang gefunden; eine rühmliche Ausnahme macht der bekannte Physiologe Carus, dessen Werke »Psyche« und »Physis« wesentlich eine Untersuchung des Unbewussten in seinen Beziehungen zu leiblichem und geistigem Leben enthalten. Wie weit[32] ihm dieser Versuch gelungen ist, und wieviel ich bei dem meinigen von ihm entlehnt haben könne, überlasse ich dem Urtheil des Lesers. Jedoch füge ich hinzu, dass der Begriff des Unbewussten hier in seiner Reinheit, frei von jedem unendlich kleinen Bewusstsein, klar hingestellt ist.A10 – Ausser bei Carus hat auch noch in einigen Specialuntersuchungen der Begriff des Unbewussten sich eine Geltung erzwungen, welche indessen selten über das betreffende specielle Gebiet ausgedehnt worden ist. So sieht sich z.B. Perty in seinem Buch: »Ueber das Seelenleben der Thiere« (Leipz. u. Heidelb. 1865) zu einer Ableitung des Instincts aus unbewussten Momenten hingeführt, und ebenso erkennt Wundt in seinen »Beiträgen zur Theorie der Sinneswahrnehmung« (Leipzig und Heidelberg 1862, auch in Henle's und Pfeuffer's Zeitschr. f. ration. Medicin 1858 und 59) die Notwendigkeit an, die Entstehung der Sinneswahrnehmung und überhaupt des Bewusstseins auf unbewusste logische Processe zurückzuführen, »da die Wahrnehmungsprocesse unbewusster Natur sind, und nur die Resultate derselben zum Bewusstsein zu gelangen pflegen« (ebd. S. 436). »Die Voraussetzung der logischen Begründung der Wahrnehmungsvorgänge«, sagt, er, »ist in nicht höherem Grad eine Hypothese, als jede andere Annahme, die wir in Bezug auf den Grund von Naturerscheinungen machen; sie hat das wesentliche Erforderniss jeder festbegründeten Theorie, dass sie der einfachste und zugleich passendste Ausdruck ist, unter den die Thatsachen der Beobachtung sich subsumiren lassen.« (S. 437.) »Ist der erste Act des Bewusstwerdens, der noch in's unbewusste Leben fällt, schon ein Schlussprocess, so ist damit das Gesetz logischer Entwickelung auch für dieses unbewusste Leben nachgewiesen, es ist gezeigt, dass es nicht blos ein bewusstes, sondern auch ein unbewusstes Denken giebt. Wir glauben hiermit vollständig dargelegt zu haben, dass die Annahme unbewusster logischer Processe nicht blos die Resultate der Wahrnehmungsvorgänge zu erklären im Stande ist, sondern dass dieselbe in der That auch die wirkliche Natur dieser Vorgänge richtig angiebt, obgleich die Vorgänge selber unserer unmittelbaren Beobachtung nicht zugänglich sind« (438). Wundt weiss sehr wohl, dass der Ausdruck: »unbewusste Schlussfolgerung« ein uneigentlicher ist, »erst in's bewusste Leben übersetzt nimmt der psychische Process der Wahrnehmung die Form des Schlusses an« (169); daher vollziehen sich auch die unbewusst-logischen Processe »mit so grosser Sicherheit und bei allen Menschen mit so grosser Gleichmässigkeit«,[33] wie es bei bewussten Schlüssen, wo die Möglichkeit des Irrthums vorliegt, unmöglich wäre (169). »Unsere Seele ist so glücklich angelegt, dass sie die wichtigsten Fundamente der Erkenntniss uns bereitet, während wir von der Arbeit, mit der dies geschieht, nicht die leiseste Ahnung haben. Wie ein fremdes Wesen steht diese unbewusste Seele da, das für uns schafft und vorbereitet, um uns endlich die reifen Früchte in den Schooss zu werfen« (375).A11

Helmholtz schliesst sich im Wesentlichen diesen Ansichten an, obschon er, vorsichtiger als Wundt, mehr am Aeussern der Sache haften bleibt. Jedenfalls erkennt er soviel an: »man muss von den gewöhnlich betretenen Pfaden der psychologischen Analyse etwas seitab gehen, um sich zu überzeugen, dass man es hierbei wirklich mit derselben Art von geistiger Thätigkeit zu thun hat, die in den gewöhnlich so genannten Schlüssen wirksam ist« (»Populäre wissenschaftliche Vorträge«, II, S. 92). Er sucht den Unterschied nur in der Aeusserlichkeit, dass die bewussten Schlüsse mit Worten operiren (was bei Thieren und Taubstummen nicht zutrifft), während die unbewussten Schlüsse oder Inductionen nur mit Empfindungen, Erinnerungsbildern, und Anschauungen zu thun haben (wobei nicht einzusehen wäre, warum dann letztere »niemals in der gewöhnlichen Form eines logisch analysirten Schlusses auszusprechen« wären). Besondere Anerkennung verdient bei Helmholtz, dass er ausdrücklich darauf hinweist, wie die bewussten Schlüsse nach vollständiger Herbeischaffung und Bereitstellung des erforderlichen Vorstellungsmaterials ganz ebenso wie die unbewussten Schlüsse »ohne alle Selbstthätigkeit von unserer Seite« (d.h. von Seiten unsres Bewusstseins) so zwingend wie durch äussere Naturgewalt uns entgegentreten (S. 95). – Zur Annahme unbewusster Schlüsse fand sich unabhängig von den Vorgenannten auch Zöllner bewegen behufs Erklärung derjenigen pseudoskopischen Phänomene, welche bei Unmöglichkeit einer physiologischen Erklärung nothwendig erfordern (vgl. Poggendorf's Annalen 1860, Bd. 110. S. 500 ff. und sein neueres Werk: »Ueber die Natur der Kometen; Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntniss«. 2. Aufl. Leipzig bei Engelmann, 1872). – Ferner erinnert es lebhaft an Wundt's unbewusste Seele, die wie ein fremdes Wesen für uns arbeitet, wenn Bastian seine »Beiträge zur vergleichenden Psychologie« (Berlin 1868) mit den Worten beginnt (S. 1): »Dass nicht wir denken, sondern dass es in uns denkt, ist demjenigen klar, der aufmerksam auf das zu sein gewohnt ist, was in uns vorgeht.« Dieses »Es« liegt aber, wie namentlich aus[34] S. 120-121 hervorgeht, im Unbewussten. Indess geht dieser Forscher nicht über unbestimmte Andeutungen hinaus.A12

Auch in der modernen Behandlung der Geschichte zeigen sich Spuren, dass die Leistungen Schelling's und Hegel's (auf die wir in Cap. B. X. zu sprechen kommen) von der Gegenwart doch nicht ganz vergessen sind. So sagt Freitag in der Vorrede zum 1. Bande seiner »Bilder aus der deutschen Vergangenheit«, V. Aufl. Bd. I. S. 23-24: »Alle grossen Schöpfungen der Volkskraft, angestammte Religion, Sitte, Recht, Staatsbildung sind für uns nicht mehr die Resultate einzelner Männer, sie sind organische Schöpfungen eines hohen Lebens, welches zu jeder Zeit nur durch das Individuum zur Erscheinung kommt, und zu jeder Zeit den geistigen Gehalt der Individuen in sich zu einem mächtigen Ganzen zusammenfasst.... So darf man wohl, ohne etwas Mystisches zu meinen, von einer Volksseele sprechen.... Aber nicht mehr bewusst, nicht so zweckvoll (?) und verständig, wie die Willenskraft des Mannes, arbeitet das Leben des Volks. Das Freie, Verständige in der Geschichte vertritt der Mann, die Volkskraft wirkt unablässig mit dem dunkeln Zwang einer Urgewalt, und ihre geistigen Bildungen entsprechen zuweilen in auffallender Weise den Gestaltungsprocessen der stillschaffenden Naturkraft, die aus dem Samenkorn der Pflanze Stiel, Blätter und Blüthe hervortreibt.« – Eine weitere Ausführung dieser Gedanken ist es, welche den Arbeiten von Lazarus über »Völkerpsychologie« zu Grunde liegt (vgl. meinen Aufsatz: »Ueber das Wesen des Gesammtgeistes« in den »Gesammelten philosophischen Abhandlungen« No. V.).A13

In der Aesthetik hat besonders Carriere die Wichtigkeit der unbewussten Geistesthätigkeit hervorgehoben, und, gestützt auf Schelling, das Ineinander von bewusster und unbewusster Geistesthätigkeit als unentbehrlich für jede künstlerische Leistung nachgewiesen. Einen interessanten Beitrag zum Unbewussten in der Aesthetik liefert Rötscher in einem Aufsatz über das Dämonische (in seinen. »Dramaturgischen und ästhetischen Abhandlungen«).A14

Auf die mannigfache Verwerthung, welche der Begriff des Unbewussten nach dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Werks gefunden hat, kann hier natürlich nicht weiter eingegangen werden.A15[35]

A2

S. 17 Z. 24. Die zweite und dritte Auflage von »Das Ding an sich« erschienen unter dem Titel: »Kritische Grundlegung des transcendentalen Realismus«.

5

Auch Spinoza hat neben der Erkenntniss durch sinnliche Anschauung und abstracten Begriff eine dritte Erkenntnissgattung durch intellectuelle Anschauung oder intuitives Wissen (Ethik, Theil II, Satz 40, Anmerk. 2), welche den Geist, insofern er ewig ist, also nicht den endlichen und vergänglichen Individualgeist, zu ihrer formalen Ursache hat (Theil V, Satz 31), und welche allein wahrhaft adaequate Ideen über das Wesen Gottes und der Dinge liefert.

A3

S. 20 Z. 3. Eine eingehende Untersuchung der Rolle, welche das Unbewusste im Sinne einer unbewusst-logischen Geistesfunction in der ganzen Kantischen Philosophie, ganz besonders aber in der Kritik der Urtheilskraft und demnächst in der Kritik der reinen Vernunft spielt, hat Johannes Volkelt geliefert in seiner Abhandlung: »Kant's Stellung zum unbewusst Logischen« (Phil. Monatshefte 1873 Bd. IX Heft 2 u. 3) und in seinem Werk »Das Unbewusste und der Pessimismus« (Berlin, bei F. Henschel 1873) S. 44-62. Er zeigt an beiden Orten, »dass jede Vertiefung der Kantischen Philosophie mit Nothwendigkeit immer weiter in das Reich des Unbewussten führen musste«, da sich auf allen Gebieten der Kantischen Untersuchung Widersprüche in den von Kant gegebenen Lösungen herausstellen, welche zu ihrer Beseitigung auffordern, und sich nur eliminiren lassen durch Einführung des Begriffes des Unbewussten. Kant hat daher auch in dieser Beziehung wie in so vielen andern weniger durch seine Lösung als durch seine Stellung von Problemen für den Fortschritt der Philosophie gearbeitet und geleistet, aber hiermit doch zugleich auch dem Unbewussten nachdrücklicher den Weg gebahnt, als mancher, der in einem isolirten Aperçu das Unbewusste weit deutlicher erfasst hatte.

A4

S. 24 Z. 15. Auch für die Hegel'sche Philosophie giebt J. Volkelt in seinem Buch »Das Unbewusste und der Pessimismus« (S. 62-78) eine treffliche Darlegung, aus welcher erhellt, »dass das unbewusst Logische ihr Lebenselement bilden müsse« (S. 62), und dass »grade der Hegelianismus die Tendenz in sich trägt, das Princip des Unbewussten in seiner ganzen Fülle auszubilden« (S. 76). Wenn das Unbewusste bei Kant noch mehr als ungeahnte Voraussetzung zu Grunde liegt, an welche er noch nicht recht zu rühren wagt, so bildet die Unbewusstheit der Idee in ihrem Ansichsein bei Hegel eine selbstverständliche Voraussetzung, die er eben um ihrer Selbstverständlichkeit willen nicht weiter erörtert, während doch gerade dieser Punkt, als der den meisten Missverständnissen und Anfeindungen ausgesetzte, der unzweideutigsten Aussprache und der eingehendsten Begründung bedurfte. Somit erscheint das Unbewusste auch bei Hegel noch als ein seiner eigentlichen Bedeutung nach nicht zum klaren Bewusstsein Gelangtes, obwohl es an sich und substantiell genommen den ganzen Inhalt seiner Philosophie durchdringt und bestimmt. Uebrigens finden sich doch in Hegel's Werken immerhin Stellen genug, durch welche man den Ungläubigen beweisen kann, dass die angedeutete Auffassung des Hegelianismus wirklich die des Meisters selbst war, und sind dieselben von Volkelt geschickt zusammengestellt worden. Den Ausdruck »objectiver Gedanke« findet Hegel. »unbequem, weil Gedanke zu gewöhnlich nur als dem Geiste, dem Bewusstsein angehörig gebraucht wird« (Encyclop. § 24). Wenn das Innere der Welt als Gedanke bezeichnet werde, so werde demselben dadurch Nichts von Bewusstsein ertheilt. Das Logische in der Welt bilde vielmehr ein System des bewusstlosen Gedankens (ebd. Zusatz S. 45 ff.). Hegel setzt das Geschäft der Logik darein, die zunächst nur instinktmässig als Triebe wirksamen Kategorien in das Bewusstsein des Geistes zu erheben (Werke III, S. 18-19); den Instinkt aber nennt er die auf bewusstlose Weise wirkende Zweckthätigkeit (Encyclop. § 360). In der Aesthetik sagt er (2. Aufl. I, S. 53): »Die Phantasie hat eine Weise zugleich instinktartiger Production, indem die wesentliche Bildlichkeit und Sinnlichkeit des Kunstwerks subjektiv im Künstler als Naturanlage und Naturtrieb vorhanden sein, und als bewusstloses Wirken auch der Naturseite des Menschen angehören muss.«

A5

S. 24 Z. 20. Ferner meinen Aufsatz: »Mein Verhältniss zu Hegel« in den »Krit. Wanderungen« Nr. III.

A6

S. 25 Z. 18. Ganz unbestimmt bleibt das Wesen des Unbewussten in der nachstehenden Bemerkung, welche übrigens beweist, dass Schopenhauer von der Bedeutung, welche eine tiefer eindringende Analyse des Unbewussten mindestens für die Psychologie und Aesthetik gewinnen musste, eine richtige Ahnung hatte. »Alles Ursprüngliche, und daher alles Aechte im Menschen, wirkt, als solches, wie die Naturkräfte, unbewusst. Was durch das Bewusstsein hindurchgegangen ist, wurde eben damit zu einer Vorstellung. Demnach nun sind alle ächten und probehaltigen Eigenschaften des Charakters und des Geistes ursprünglich unbewusste, und nur als solche machen sie tiefen Eindruck. Alles Bewusste der Art ist schon nachgebessert und ist absichtlich, geht daher schon über in Affektation, d.i. Trug. Was der Mensch unbewusst leistet, kostet ihm keine Mühe, lässt aber auch durch keine Mühe sich ersetzen: Dieser Art ist das Entstehen ursprünglicher Conceptionen, wie sie allen ächten Leistungen zum Grunde liegen und den Kern derselben ausmachen. Darum ist nur das Angeborene ächt und stichhaltig, und Jeder, der etwas leisten will, muss in Jeder Sache, im Handeln, im Schreiben, im Bilden, die Regeln befolgen, ohne sie zu kennen«. (Parerga Bd. II, § 352.)

A7

S. 26 Z. 8 v. u. Während es in Bezug auf den Hegelianismus noch kaum von irgendwem anerkannt ist, dass derselbe eine »unbewusste Philosophie des Unbewussten« sei, ist es in Bezug auf den Schopenhauerianismus neuerdings mehrfach ausgesprochen worden, dass derselbe eine noch »unvollkommene« oder »mangelhafte Philosophie des Unbewussten« sei (vgl. Plümacher: »Der Kampf um's Unbewusste«, Berlin 1881, I 5: »Der Schopenhauerianismus als unvollkommene Philosophie des Unbewussten« S. 13-16). In Folge dieser Einsicht hat z, B. Prof. L. Rabus in seinem »Grundriss der Geschichte der Philosophie« (Erlangen 1887) die Philosophie Schopenhauer's unter dem Gesammttitel »Philosophie des Unbewussten« als einen Vorläufer der meinigen behandelt, aber den Irrthum begangen, meine Philosophie dem Hegelianismus entgegenzusetzen, während sie in mindestens demselben Maasse die Vollendung und Erfüllung der Hegel'schen wie der Schopenhauer'schen Philosophie zu sein beanspruchen darf.

A8

S. 27 Z. 6 v. u. Nach Herder »denkt die Natur dem Menschen vor«. Haym giebt an (Preuss. Jahrb. Bd. XXXI 1873, Heft 1 S. 43), dass er von dem irrthumsfreien Unbewussten spreche, das »eine Art Allwissenheit und Allmacht in sich schliesst, von dem ›Einen organischen Principium der Natur‹, von der überall verbreiteten, das Leben haltenden oder erstattenden organischen Allmacht«, aus welcher er ebenso das Wachsen der Krystalle wie die Instincte der Thiere, wie endlich Leben, Streben und Schicksal der Menschen ableiten möchte. Auf der Seite vorher citirt Haym einen Satz aus einem Briefe Jacobi's an die Fürstin von Galizin: »Unser Bewusstsein entwickelt sich aus etwas, das noch kein Bewusstsein hatte, unser Denken aus etwas, das noch nicht dachte, unsere Ueberlegung aus etwas, das noch nicht überlegte, unser Wille aus etwas, das noch nicht wollte; unsere vernünftige Seele aus etwas, das noch keine vernünftige Seele war. Ein mechanischer Hebel – der darum nicht ganz sinnlos zu sein braucht – war überall das Erste.«

A9

S. 28 Z. 2. Vgl. auch die Darstellung des abstracten Monismus der indischen Religionen in meiner Religionsphilosophie. 2. Aufl. Theil I S. 271-365.

A10

S. 33 Z. 5. Eine treffliche Darstellung der Verdienste dieses philosophischen Physiologen findet man bei Volkelt: »Das Unbewusste und der Pessimismus« S. 78-86. Weshalb Carus nicht der Bannerträger einer neuen Richtung, einer um die Fahne des Unbewussten geschaarten Anhängerschaft werden konnte, ist ebenda auf S. 83-86 gezeigt (vergl. auch E. Kapp »Philosophie der Technik«, Braunschweig 1877, S. 155-159 und A. Taubert »Der Pessimismus und seine Gegner« S. 160).

A11

S. 34 Z. 7. Die etwas modificirte Stellung, welche Wundt in seiner physiologischen Psychologie zum Begriff des Unbewussten einnimmt, findet in dem Anhang dieses Bandes: »Zur Physiologie der Nervencentra« Berücksichtigung (vgl. oben S. 364-366).

A12

S. 35 Z. 2. Der angeführte Ausspruch hat übrigens einen Vorgänger an Georg Christoph Lichtenberg, bei dem sich folgende Stelle findet: »Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewusst, die nicht von uns abhängen; andere, glauben wir wenigstens, hingen von uns ab: wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt; soll man sagen, so wie man sagt, es blitzt. Zu sagen cogito ist schon zu viel, sobald man es durch ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postuliren, ist praktisches Bedürfniss.«

A13

S. 35 Z. 11 v. u. »Ges. Studien und Aufsätze« Absch. C Nr. V.

A14

S. 35 Z. 4 v. u. In einer, wie es scheint, von der continentalen Entwickelung unabhängigen Weise hat sich der Begriff des Unbewussten in den letzten Jahrzehnten in der englischen Literatur einen gewissen Platz erobert; es ist ein Philosoph, ein Historiker und ein Mediciner, bei denen er seinen deutlichsten Ausdruck gefunden. Hamilton hat die Existenz unbewusster Vorstellungen hauptsächlich daraus gefolgert (vgl. Lect. on Metaph. I, p. 352 ff.), dass bei der Erneuerung eines früheren Gedankenzuges in der Erinnerung zuweilen eine ganze Reihe von Mittelgliedern übersprungen erscheint, – ein in dieser Gestalt allerdings wenig brauchbares Argument. Ueber Carlyle's Stellung zum Begriff des Unbewussten giebt am besten ein Essay von ihm Aufschluss, betitelt »Characteristics« (zuerst erschienen in der Edinburgh Review CVIII, und später in seinen gesammelten Essay's wie der abgedruckt). Am entschiedensten und vielseitigsten von allen englischen Autoren hat Maudsley den Begriff des Unbewussten erfasst und vertreten, nur dass er das Unbewusste nach Möglichkeit materialistisch zu deuten sucht. Der Anhang dieses Bandes beschäftigt sich eingehend genug mit Maudsley's Ansichten (vgl. oben S. 403-406), um hier auf eine Kennzeichnung derselben verzichten zu können. Schliesslich wäre auch noch Lewes als einer unter den englischen Autoren anzuführen, welche den Begriff des Unbewussten nach einer gewissen Richtung anerkannt haben.

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S. 35 letzte Z. So lückenhaft und unvollständig die hier zusammengestellten Notizen auch sein mögen, so dürften dieselben doch schon zu dem Zweck ausreichen, zu zeigen, dass das Princip des Unbewussten wie alles geschichtlich Bedeutende durch einen allmählichen historischen Entstehungs- und Wachsthumsprocess sich herausgebildet hat, dass alle Richtungen und Schulen der Philosophie von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart mehr oder minder auf dieses Princip hinstreben (vgl. in Volkelt's »Das Unbew. u. d. Pess.« den ersten Theil »Geschichte des Unbewussten«), und dass ich in dem vorliegenden Werk dieses Princip nur am schärfsten hervorgekehrt, in der ganzen Grösse seiner Bedeutung dargethan und am umfassendsten begründet, aber keineswegs als funkelnagelneue Entdeckung (oder wie man es malitiöser genannt hat »Erfindung«) aus der Luft gegriffen habe. * Alle früheren Philosophen haben, wenn sie einmal das monistische Princip ergriffen hatten, mehr oder weniger das Bestreben gehabt, vom abstracten zum concreten Monismus anzudringen, und dieses Bestreben wird um so deutlicher, je mehr man sich der Gegenwart nähert. Wenn es trotzdem bisher keinem gelungen ist, sich zum concreten Monismus vollständig hindurchzuringen, und denselben als einen Gegensatz des abstracten Monismus hinzustellen, so liegt der Grund dieses Misslingens ausschliesslich darin, dass der concrete Monismus im Gegensatz zum abstracten nur mit Hilfe des Begriffs des Unbewussten durchführbar ist, und dass dieser Begriff noch keinem früheren Philosophen in hinlänglicher Klarheit und deutlicher Durcharbeitung zu. Gebote stand. Nur diese Ermangelung des Begriffs des Unbewussten in einer hinlänglich herausgebildeten Form ist die Ursache davon, dass alle früheren monistischen Philosophen trotz aller Anläufe zum concreten Monismus doch entweder im abstracten Monismus stecken blieben, oder aber in relativ unphilosophische Standpunkte zurückfielen oder sich seitab in ebenso unphilosophische Standpunkte verirrten, nämlich einerseits in den Theismus, andererseits in den Materialismus und Hylozoismus (Vgl. auch Theil II den Zusatz zu S. 457 Z. 2 v. u. in den Nachträgen.)

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 1, Leipzig 10[o.J.], S. 13-36.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
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