1. Die unbewusste Seelenthätigkeit der Pflanze

[65] Die Pflanze hat organische Bildungsthätigkeit, Naturheilkraft, Reflexbewegungen, Instinct und Schönheitstrieb wie das Thier; und wenn in dem Thiere die Erscheinungen als unbewusste Wirkungen[65] einer Seele betrachtet werden müssen, sollten sie es dann bei der Pflanze nicht auch sein? Wenn die unbewussten seelischen Leistungen der Pflanze sich nicht zu den geistigen Processen des Thieres erheben, sondern ganz in der Leiblichkeit versenkt bleiben, sollte darum ihre Seele weniger Seele sein, wenn das, was sie leistet, in ihrem Gebiete ebenso vollkommen ist, als was das Thier in dem seinigen, ja sogar viel höher steht, weil sie die widerspenstigen unorganischen Stoffe zu höheren und höheren organischen Stufen hinaufbildet, während das Thier im Ganzen nur ihre naturgemässe Rückbildung leitet und überwacht? Betrachten wir die einzelnen Momente der Reihe nach.

a) Organische Bildungsthätigkeit. Sie arbeitet wie beim Thiere nach einer typischen Gattungsidee, welche zwar in Betreff der Zahl der Aeste, Blätter u.s.w. einen grossen Spielraum lässt, aber nichtsdestoweniger doch völlig bestimmt ist in dem Gesetze der Stellung der Blätter, der Blattform, Blüthe und inneren Structur. Dieser morphologische Typus besitzt die grösste Constanz und Unveränderlichkeit, obwohl die nähere Bestimmtheit desselben für die physiologischen Functionen ziemlich gleichgültig ist, man also diese Constanz nicht als ein Resultat nützlicher Anpassung im Kampf um's Dasein ansehen kann; vielmehr hat man in den morphologischen Typen des Pflanzenreichs wesentlich Resultate eines idealen Gestaltungstriebs des Unbewussten zu erkennen. – Wie in der aufsteigenden Organisation des Thierreichs typische Anticipationen besonders merkwürdig sind, die erst auf höheren Stufen zweckmässig werden, so haben wir solche Anticipationen des unbewussten Gestaltungsdranges der Natur auch im Pflanzenreich zu verzeichnen. So zeigen z.B. höhere Algen eine Achse mit seitlichen gesetzmässig angeordneten Auswüchsen, die von dem Unkundigen sofort als Stamm, Wurzel und Blätter bezeichnet werden würden, während nach dem Dogma des botanischen Systems die Algen wurzel- und blattlose Pflanzen sind. Darum nennt der Botaniker die Blätter des Sargassum nur »blattähnliche Auswüchse«, und die Wurzeln »wurzelähnliche Gebilde«, die an der Spitze der »Wurzelhaube« entbehren, – und wir wollen ihn in seinem Glauben nicht stören.

Zwar kann man die Pflanzentheilen, wie man niedere Thiere theilen kann, so dass jeder Theil noch die Fähigkeit besitzt, den Typus wieder aus sich zu vervollständigen; aber wie bei den Thieren, so ist auch bei den Pflanzen das Theilen keineswegs unbeschränkt wenn eine Ergänzung möglich bleiben soll. Auch bei der[66] Pflanze stehen alle Theile in Wechselwirkung; jeder der Erde nähere Theil verarbeitet die Stoffe gerade so, wie der nächstfernere Theil sie zur Weiterverarbeitung erhalten muss; eine Eichenwurzel würde nie eine Buche, eine Tulpenzwiebel nie eine Hyacinthe ernähren; es findet auch bei der Pflanze ein harmonisches Ineinanderwirken aller Theile statt, und nur dies kann zu dem Ziele der Darstellung des Gattungstypus in allen der Zeit nach auf einander folgenden Entwickelungsstufen führen.

Wenn man im Winter einen Ast eines im Freien stehenden Baumes in ein Treibhaus leitet, so entwickelt dieser seine Blätter und Blumen, während der übrige Baum erstarrt bleibt. Das hierzu vom Baume gebrauchte Wasser sangen die Wurzeln auf, wie die Beobachtung nachweist, also sind diese durch vermehrte Lebensthätigkeit eines Astes zu vermehrter Aufsaugung angeregt worden (Decandolle, Pflanzenphysiologie, I. 76). Wie weit eine directe Verbindung durch Leitung zwischen den einzelnen Pflanzentheilen vorhanden ist, wissen wir nicht, obwohl die Spiralgefässe darauf hinzudeuten scheinen, aber wir wissen ebensowenig beim Thiere, in wieweit das harmonische Ineinandergreifen der Leistungen der einzelnen Theile durch Leitung vermittelt, und in wieweit es ein unmittelbar hellsehendes ist, wie das der Individuen im Bienen- oder Ameisenstaate.

Die Fortpflanzung geschieht in Thier- und Pflanzenreich nach ganz denselben Principien, durch Zellentheilung, Sporen oder Knospenbildung, und geschlechtliche Zeugung; die Gleichheit in beiden Gebieten ist namentlich in den ersten Stadien der Zeugung so schlagend, dass ganz dieselben Gründe zur Annahme eines unbewusstpsychischen Einflusses bei Entstehung der Pflanze wie bei Entstehung des Thieres nöthigen. Die embryonischen Zustände gehen freilich hernach sehr bald auseinander, wie es nach der Verschiedenheit der zu erzeugenden Typen nicht anders zu erwarten ist; aber bei beiden ist die fortschreitende Entwickelung ein unausgesetzter Kampf der organisirenden Seele mit dem Zersetzungs-, Rückbildungs- und Formzerstörungsstreben der materiellen Elemente. Nur durch stetes Verhindern dieser Rückbildungsprocesse und unaufhörlich neues Herstellen der zur Fortbildung treibenden Umstände ist die Bewältigung der relativ formlosen, unorganischen zur geformten, organischen Materie, und die Verwirklichung einer neuen höheren Stufe des Gattungstypus in jedem Momente möglich.

Jede einzelne Zelle ist dabei thätig, denn aus der Summe der[67] lebendigen Zellen besteht der lebendige Theil jeder Pflanze, wie jedes Thieres, nur dass bei den Thieren im Durchschnitt die Formveränderungen und Verwachsungen der Zellen etwas weitgreifender sind, und die von den Zellen aus abgesonderte und ernährte Intercellularsubstanz reichlicher ist. Die Zelle ist das chemische Laboratorium für die Bereitung der verschiedenen organischen Verbindungen, die Theilung und Verwachsung der Zellen sind die alleinigen Mittel für die Herstellung der äusseren Gestalt. Dabei ist eine eben so strenge Arbeitstheilung wie im Thiere durchgeführt, die eine Art Zellen hat diesen Stoff zu bilden, eine andere jenen; wie im Thiere sich die Zellen zu Knochen, Muskeln, Sehnen, Nerven, Bindegewebe und Epithelialzellen ausbilden, so in der Pflanze zu Markzellen, Holzzellen, Bastzellen, Saftzellen, Stärkmehlzellen u.s.w. Jede Zelle nimmt nur diejenigen Stoffe durch Resorption der Wände auf, die sie brauchen kann, oder wenn sie noch andere aufgenommen hat, so giebt sie diese unbenutzt weiter. In jeder einzelnen Zelle findet ein Saftkreislauf statt, und in der ganzen Pflanze ebenfalls. Zwar sind keine offenen Gefässe vorhanden, sondern der Saftlauf wird durch die Endosmose und Exosmose der einzelnen Zellen vermittelt, aber dennoch findet ein vollkommener Kreislauf von auf- und absteigenden Säften statt, eben so wie ein solcher Kreislauf in allen den Theilen des thierischen Körpers stattfindet, denen ernährende Gefässe fehlen (z.B. in dem hinfälligen Theile des Nabelstranges den Knochen, Sehnen, Hornhaut u.s.w.), oder mit welchen die nährenden Gefässe nicht direct in Berührung stehen. Haies kittete an dem oberen Ende eines 7 Zoll langen beschnittenen Weinstockes eine Röhre an; bei dem ersten Versuche betrug die Höhe des aus der Schnittfläche in die Röhre aufgestiegenen Saftes 21 Fuss, bei dem zweiten wurde oben eingegossenes Quecksilber 38 Zoll hoch gehoben. Haies berechnet hieraus die Kraft des aufsteigenden Saftes gleich dem Fünffachen von der Kraft des Blutes in der Schenkelschlagader eines Pferdes. Man sieht, was bei dem höheren Thiere Wirkung des Herzens ist, ist bei der Pflanze Summe der vereinigten Resorptionswirkungen aller Saftzellen. Dieser Unterschied kehrt häufig wieder, dass dieselben Wirkungen im Thiere durch Centralisation, in der Pflanze durch Decentralisation, im Thiere monarchisch, in der Pflanze republikanisch hervorgebracht werden. Aber bloss mechanisch ist die Resorption durch die Zellen auch keineswegs, Sie geschieht vielmehr mit Auswahl der Richtung und des Stoffes,[68] denn sonst könnte eben kein Kreislauf und keine Vertheilung der Nährstoffe an verschiedene Zellen stattfinden.

Die Wachsthumsrichtungen der Pflanzen und Pflanzentheile sind im Ganzen durch Gravitation und Licht bedingt, bald in dem Sinne, dass sie mit den Richtungen dieser Kräfte zusammenzufallen, bald in dem, dass sie sich gegen letztere transversal zu stellen streben, bald so, dass beide Kräfte sich bekämpfen. Die hieraus entstehenden Complicationen werden aber noch verwickelter dadurch, dass gewisse Pflanzen ihr Verhalten zu diesen bestimmenden Kräften je nach den Phasen ihres Entwickelungsstadiums ändern, wenn sie durch besondere Verhältnisse in eine Lage versetzt sind, wo ihr normales Verhalten unzweckmässig hinsichtlich ihrer Lebensbedürfnisse wäre. So fand Duchartre unter dem Boden einer Wassertonne zahlreiche Pilze eines Blätterschwamms, die von oben nach unten hatten wachsen müssen, aber von der senkrechten um mindestens 30° dabei abgewichen waren, und von denen die weiter entwickelten mit beginnender Oeffnung und Ausbreitung des Hutes eine knieförmige Biegung des Stiels nach oben, etwa 5mm von seinem Ende, zeigten, durch welche die normale Stellung des geöffneten Hutes hergestellt wurde. Sieben Exemplare von Clariceps, welche in einer Glasröhre künstlich in die verkehrte Stellung gebracht wurden, zeigten ein analoges Verhalten, nur dass die Stiele hier kein Knie, sondern einen Bogen von 3 bis 5mm bildeten (»Der Naturforscher« 1870 S. 194).

Auch an organischer Zweckmässigkeit hält das Pflanzenreich den Vergleich mit dem Thierreiche aus, es ist sogar Vieles, was bei den Thieren der Instinct besorgt, von den Pflanzen wegen ihrer grösseren Schwerfälligkeit durch organische Mechanismen vorgesehen, welche selbst wieder nur durch unbewusst psychische Thätigkeit hergestellt sein können. Auch hier sind die Uebergänge derart, dass wir das, was Mechanismen und was Instincte sind, nicht immer scharf trennen können.

Zunächst eine Reihe von Erscheinungen zur besseren Ernährung der Pflanze durch Festhalten verwesender thierischer Stoffe. Die verwachsenen Blätter der gemeinen Weberdistel, Dipsacus fullonum, bilden um den Stamm her eine Art von Becken, welches sich mit Regenwasser füllt und in dem oft viele zufällig ertrunkene Insecten gefunden werden; ähnlich ist es bei einer tropischen Schmarotzerpflanze: Fillandsia utriculata. Die Sarracenien haben Blätter, welche seitlich zusammengerollt eine Tute bilden, und zum Theile mit[69] Deckeln versehen sind; kurze, steife Haare verhindern trinkende Insecten an der Rückkehr aus der wasserhaltenden Tute. Nepenthes destillatoria hat die Urne mit Deckel als Anhang der flachen Blätter. Sie schliesst den Deckel bei Nacht und sondert süssliches, die Insecten anlockendes Wasser ab, welches bei Tage aus der offenen Urne allmählich wieder verdunstet. Das Süsse des Wassers wird durch haarförmige, drüsige Ausscheidungsorgane bewirkt. Dionaea muscipula hat einen lappenförmigen, getheilten Anhang an jedem Blatte, welcher dicht mit kleinen Drüsen, mit sechs Stacheln in der Mitte und borstigen Wimpern am Rande besetzt ist. Sowie sich ein von dem Saft angelocktes Insect auf die beiden Lappen setzt, klappen diese zusammen und öffnen sich erst wieder, wenn das Thier ganz ruhig geworden, d.h. wenn es todt ist. Curtis fand zuweilen die gefangene Fliege in einer schleimigen Substanz eingehüllt, welche auf dieselbe auflösend zu wirken schien. Der Sonnenthau, Drosera, hat borstenartige, hochrothe Haare auf den Blättern, deren jedes mit einer Drüse endigt, aus welcher bei heissem Wetter eine kleine, klebrige Saftperle ausschwitzt. Dieser klebrige Saft hält kleinere Insecten fest, die Haare krümmen sich schnell über demselben zusammen und allmählich biegt sich das ganze Blatt mit der Spitze gegen die Basis um. (A. W. Roth, Beiträge zur Botanik, 1. Thl. 1782. S. 60.) Dieser Saft ist zugleich giftig für die Insecten (auch für Schafe ungesund), und ersetzt dadurch, was der Pflanze an schneller Reizbarkeit abgeht. Roth fand öfters im Freien zusammengebogene Blätter des Sonnenthaues, welche jedesmal mehr oder weniger verweste Insecten einschlossen. »Würde man sich vorstellen, es befänden sich in einem Sumpfwasser kleine in eine hohle Bohre zusammengezogene schlauchartige Blätter mit offener Mündung, an deren Rande reizbare, haarähnliche weiche Fäden wären, während die Mündung zugleich giftig auf kleine Thiere wirkte und die innere Fläche der cylindrischen Röhre zur Einsaugung geeignet wäre; ein kleines Wasserinsect oder ein kleiner Wasserwurm berührte die reizbaren Haare, die um ihn sich krümmend, denselben an die Mündung der einsaugenden Höhle brächten, wobei er aber bald durch das Gift derselben getödtet und nun in die Höhlung des Blattes aufgenommen würde; so hätte man ein Bild, das aus dem der tuten- oder urnenförmigen Blätter der Sarracenia und Nepenthes, aus der Reizbarkeit der Blattanhänge der Dionaea, und dem Bilde der ebenfalls wenn gleich schwächer, reizbaren, dafür aber Gift absondernden Haare der Drosera zusammengesetzt wäre. Man hat aber damit[70] auch das wirkliche Bild von der Einrichtung eines kleinen, durch seinen Instinct merkwürdigen Thieres, des grünen Armpolypen des Bussen Wassers, Hydra viridis L.« (Autenrieth), denn auch die Mundberührung dieses Geschöpfes wirkt giftig. Dass solche Pflanzen durch von den Blättern resorbirte animalische Verwesungsproducte wirklich üppiger wachsen, ist bei der Dionaea experimentell nachgewiesen.

Am Wunderbarsten sind auch bei den Pflanzen diejenigen Einrichtungen, die der geschlechtlichen Fortpflanzung dienen. Beistehenden Blüthen sind im Allgemeinen die Staubgefässe länger als der Stempel, bei hängenden umgekehrt. Wo die Pollenkörner nicht ohne Weiteres auf die Narbe fallen können, und der Wind nicht ausreicht, sie dahin zu tragen, müssen Insecten die Vermittelung übernehmen. Darum die anlockenden lichten Farben der Blüthen, darum ihr weitreichender Duft, der immer zu der Tageszeit am stärksten sich entwickelt, wo die für diese Blüthe geeignetsten Insecten schwärmen; darum der süsse Saft auf dem Grunde der Blüthe, welcher das naschende Thier tief genug hineinzukriechen zwingt, so dass es mit seinem meist borstigen Leibe die Pollenkörner abwischt, welche dann, sei es in derselben, sei es in einer anderen Blüthe, auf der Narbe kleben bleiben. Bei den Asklepiadeen und Orchideen kleben die Pollen durch einen vogelleimartigen Stoff den Insecten an. Aristolochia clematitis hat eine bauchige Blüthe mit einem engen Eingange, welcher durch abwärts gerichtete Haare den hineingekrochenen kleinen Schnacken den Ausgang verwehrt. Dieselben schwärmen so lange in ihrem Gefängniss herum, bis sie mit ihren befiederten Fühlhörnern den Pollenstaub abgestreift und auf die Narbe gebracht haben. Gleich nach der Befruchtung fangen die Haare an zu vertrocknen und abzufallen, und erlösen die Fliegen aus ihrem Kerker.

Wenn die Pollenkörner nass werden, so dehnen sie sich aus und platzen, dann ist die Befruchtung unmöglich. Auf diese Art wird regnige Witterung bei dem Blühen des Obstes und des Kornes diesen sehr nachtheilig. Die Vorkehrungen der Blüthen, um der Nässe zu entgehen, sind sehr mannigfach. Beim Weinstock und den Rapunzelarten geschieht die Befruchtung unter dem Schutze der mit ihren Spitzen verbundenen Blumenblätter, bei den Leguminosen gewährt denselben Schutz die Fahne (vexillum), bei den Labiaten die Oberlippe der Blumenkrone, bei den Kalyptranthes-Arten der deckelförmige Kelch. Viele Pflanzen schliessen ihre Blumenkrone,[71] wenn es regnen will (dies ist schon Instinct), viele auch des Nachte gegen den Thau; andere beugen zur Nacht die Blumenstielchen um, so dass die offene Seite der Krone abwärts gekehrt ist. Impatiens noli me tangere verbirgt sogar Nachts seine Blumen unter den Blättern. Bei den meisten Wasserpflanzen wird die trockene Befruchtung dadurch ermöglicht, dass sie nicht eher blühen, als bis ihre Stengel die Oberfläche des Wassers erreicht haben. Das am Grunde des Meeres befestigte Meergras blüht in Blattfalten, welche zwar seitlich offen sind, aber den Zutritt des Wassers durch abgesonderte Gase verhindern. Der Wasserhahnenfuss (Ranunculus aquaticus), dessen Blüthen bei hohem Wasserstande überschwemmt werden, schützt sich dadurch, dass der Blumenstaub zu einer Zeit aus den Staubbeuteln heraustritt, wo die Blume noch eine geschlossene, Luft haltende, Knospe ist. Die Wassernuss, Trapa natans, lebt auf dem Boden des Wassers bis zur Blüthenzeit, wo die zu einer Art Blattrose neben einander gestellten Blattstiele zu zelligen, mit Luft angefüllten Blasen anschwellen, und die ganze Pflanze an die Oberfläche des Wassers heben. So findet die Blüthe und Befruchtung an der Luft statt; ist dies vorüber, so füllen sich die Blasen mit Wasser, und die Pflanze sinkt wieder zu Boden, wo sie dann ihren Samen zur Reife bringt. Noch complicirter ist die Einrichtung der Utricula-Arten zu demselben Zwecke. Ihre stark verzweigten Wurzeln sind mit einer Menge kleiner rundlicher Schläuche (utriculi) besetzt, welche eine Art beweglicher Deckel besitzen und mit einem Schleim erfüllt sind, der schwerer als Wasser ist. Durch diesen Ballast wird die Pflanze am Grunde des Wassers zurückgehalten, bis zur Blüthezeit der Schleim durch abgesonderte Gase verdrängt wird. Nun steigt sie langsam bis an die Oberfläche, vollzieht das Blühen und die Befruchtung und wird alsdann wieder hinabgezogen, indem die Wurzel abermals Schleim absondert, welcher nun seinerseits die Luft aus den Schläuchen verdrängt. (Decandolle, Pflanzenphysiologie, II. 87.) Die Vallisnerie ist eine auf dem Grunde festgewachsene Wasserpflanze von getrenntem Geschlecht (Diöcist). Die Blüthe der weiblichen Pflanze sitzt auf einem langen, schraubenförmig gewundenen Stiel, der sich später streckt und die Blüthe über Wasser hebt. Die männliche Pflanze hat einen gerade aufstrebenden Schaft. Die vierblätterige Blüthenscheide wird durch weitere Ausdehnung der inneren Theile in vier Stücke zersprengt, und nun schwimmen die männlichen Befruchtungsorgane zu Tausenden frei auf dem Wasser herum. Sobald eine weibliche Blüthe von ihnen[72] befruchtet ist, zieht sich deren Stengel wieder spiralförmig zusammen und so werden unten die Samen zur Reife gebracht. – Auch bei Serpicula verticillata lösen sich die dem Aufbrechen nahen männlichen Blüthen aus den geöffneten Blüthenscheiden ab und schwimmen zu den weiblichen hin, wobei sie auf den Spitzen der zurückgeschlagenen Kelch- und Kronenblätter ruhen.

»Die reifen Samenkörner schnellt künstlich die eine Pflanzenart durch die Elasticität der von selbst aufspringenden Behälter weit umher. Die Grannen des Flughabers sind dagegen schraubenförmig gewunden, und so hygroskopisch, dass der erste Regen sie aufwickelt und das dadurch rückwärts fortgehobene Korn zwingt, sich kriechend unter die nächste Scholle zu verbergen, und so sich selbst zum künftigen Keimen unter die Erde zu bringen. Andere Pflanzensamen sind mit Flügeln oder Federkronen versehen, um durch die Luft fortgetragen zu werden; ja andere haben Häkchen, um an vorübergehende Thiere sich zu heften, damit sie durch diese wieder an andere Orte abgestreift werden können.« (Autenrieth 151.) Die reifen Storchschnabelfrüchte werden durch die Elasticität der gewundenen Grannen 3-4 Fuss weit von der Pflanze hinweggeschnellt. Durch das Feuchtwerden macht die sich verlängernde Granne eine schraubenförmige Drehung, welche zunächst die scharfe Spitze des Samens irgendwo auf Erde stossen lässt, in welche sie sich nun einbohren muss. Tritt trockneres Wetter ein, so verhindern Börstchen am Samenkorn, die als Widerhaken wirken, ein Zurückweichen, und die Verkürzung hat ein Nachziehen der Granne an das Korn zur Folge, so dass nun bei abermaligem Feuchtwerden der für das Ende der Granne neu gewonnene Stützpunct ein tieferes Eindringen in den Boden gestattet. Da auch der untere Theil der Granne selbst mit widerhakenartig wirkenden Borsten besetzt ist, so kann durch abwechselnde Witterung die Frucht sich bis zum völligen Verschwinden korkzieherartig in den Boden einbohren.

Viele Samen umhüllen sich zum Schutze mit einer harten Schale, und um von Thieren gefressen und forttransportirt zu werden, wobei sie in ihrem Kothe gleich Dünger finden, umgeben sie sich mit schmackhaftem Fleisch (Steinobst, Weintrauben, Stachelbeeren, Johannisbeeren u.s.w.) oder sie umgeben peripherisch einen fleischigen Kern (Erdbeeren u.s.w.). Die Samenkörner von Wasserpflanzen sind gewöhnlich schwerer als Wasser und fallen somit auf dessen Boden, die der meisten hohen Bäume dagegen sind leicht und werden auf Wasserflächen schwimmend durch Wind und Strömung[73] weithin an neue Standorte transportirt. Der Manglebaum (Rhizophora mangle) wächst an Flussmündungen und flachen Meeresufern im Schlamme, soweit derselbe von salziger Fluth überdeckt wird, gedeiht also nur auf einem schmalen Striche, weshalb die Samen neben den Mutterbäumen festen Fuss Fassen müssen. Auf dem Fruchtboden der Blüthe dieses Baumes erzeugt sich nun allmählich ein fleischiges hohles Gewächs, von welchem der Same mit Hülfe eines 1 1/2 Zoll langen Stieles soweit hinausgeschoben wird, dass er nach fast einem Jahre senkrecht herabhängt. Der Same selbst ist zehn Zoll lang, gegen das freie Ende dicker und schwerer, aber mit einer pfriemenförmigen Spitze endigend; innerhalb seiner Hülle keimt derselbe und entwickelt schon eine bedeutende Wurzel. Durch seine Gestalt und Schwere durchdringt der abfallende Same drei bis vier Fuss Wasser und Schlamm und dringt noch einen Zoll weit in den Boden ein, wo er sich dann mit seiner Wurzel bald befestigen kann. – Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass auch die Pflanzenseele in der Herstellung zweckmässiger Mechanismen, deren Zweck sogar zum Theil ziemlich entfernt liegt, ganz Wunderbares leistet.

b) Naturheilkraft. Die Thiere haben jedes Organ nur gerade so oft, als der ganze Organismus zu seinem Bestehen es braucht; daher das Bestreben, ein verloren gegangenes in derselben Weise zu ersetzen. Die Idee der Pflanze fordert eine numerisch unbeschränkte Wiederholung derselben Organe, weshalb auch ein theilweiser Verlust gewöhnlich nicht dem Bestande des Ganzen gefährlich wird. Hier ist also kein Grund vorhanden, die verloren gegangenen Theile an derselben Stelle und in derselben Weise wieder zu ersetzen, da die Pflanze es viel leichter hat, den Ersatz an anderen Stellen durch die schon vorhandenen Knospen zu leisten. Nichtsdestoweniger giebt es Gelegenheiten genug, um zu sehen, dass auch in der Pflanze die Naturheilkraft vorhanden ist; man braucht nur einer Pflanze eine gewisse Classe von Organen zu rauben, die zu ihrem Bestehen nöthig ist, z.B. alle Wurzeln, so wird sie sofort neue Wurzeln treiben, oder sterben, wenn sie dazu nicht mehr die Kräfte hat. Auch der Vernarbungsprocess von Verwundungen oder Trennungsflächen ist ganz analog dem bei Thieren.

Endlich ist bei der Pflanze wie beim Thiere das ganze Leben eine unendliche Summe unendlich vieler Naturheilkraftsacte, da in jedem Momente die zerstörenden physikalischen und chemischen Einflüsse paralysirt und überboten werden müssen.[74]

c) Reflexbewegungen. Die Physiologen unterscheiden Reflexbewegung und »einfache Reizerscheinung contractilen Gewebes«; dies ist richtig, wenn man nach dem Orte fragt, wo die Reflexion des Reizes in Bewegung stattfindet, ob nämlich der Reactionsheerd an der gereizten Stelle selbst oder an einer anderen liegt; falsch aber ist es, hierin einen Unterschied des Principes finden zu wollen. Das Wesentliche des Reflexes ist in beiden Fällen Umsatz eines einwirkenden Reizes in reactive Bewegung; eine absolute Beschränkung auf den gereizten Punct findet dabei niemals statt; ob aber die Leitung ein wenig weiter fährt oder nicht, kann keinen Unterschied des Principes begründen. Das, was eine reactive Bewegung zur Reflexwirkung stempelt, ist nur die Unzulänglichkeit allgemein gültiger materieller Naturgesetze zu ihrer Hervorbringung; nur wo wir mit solchen uns begnügen können (z.B. in Elasticität, chemische Reaction), nur da kann man die Reflexwirkung läugnen, deren Inwendiges eine unbewusst-psychische, eine instinctive Reaction ist. Ob ein Reflex durch Nerven und Muskeln vermittelt wird, oder durch andere, diese ersetzende Mechanismen, kann ebensowenig einen principiellen Unterschied rechtfertigen, da die eigentlich wirksame Materie doch immer das, sei es nun freie, sei es in den verschiedenen Arten von Zellen eingeschlossene Protoplasma ist.

Wenn man das Wasser, in dem ein Polyp wohnt, erschüttert, so zieht sich dieser in einen Knäuel zusammen; dies wird Jedermann Reflexwirkung nennen, gleichviel ob künftig in der gleichförmig schleimigen Masse des Polypen noch Analoga von Nerven und Muskeln aufgefunden werden mögen oder nicht; und wenn die Mimosa pudica vom Tritt des Vorübergehenden erschüttert mit ihren Blättern zusammenkriecht, so sollte dies nicht Reflexwirkung sein? Wenn der gereizte Penis vermittelst Aenderung der Blutcirculation in Erection kommt, so wird dies als Reflexbewegung anerkannt, und bei den Pflanzen sollte die veränderte Saftcirculation nicht ein ebenso vollgültiges Mittel zu Reflexbewegungen sein? Denn der anhaltend schnellen Bewegungen, zu welchen das Thier seine Muskeln braucht, ist ja die Pflanze nicht benöthigt; also wären Muskeln für sie ein unnützer Luxus. Beim Thiere gilt als Zeichen des Reflexes, dass ungefähr dieselbe Reaction eintritt, ob man einen mechanischen, chemischen, thermischen, galvanischen oder electrischen Reiz anwende; dasselbe ist aber auch bei Pflanzen der Fall, während todte Mechanismen nur auf einen ganz bestimmten Reiz zu antworten pflegen. Starke electrische Schläge vernichten thierische wie pflanzliche[75] Reizbarkeit. Steckt man durch den Stiel einer Berberis-Blume eine mit dem positiven Pole einer galvanischen Batterie verbundene Nadel, und verbindet den Draht des negativen Poles mit einem Blumenblatte durch ein leise aufgelegtes feuchtes Papierstückchen, so schnellt im Momente der Schliessung der Kette der zu dem Blatte gehörige Staubfaden zum Pistill über. Wechselt man die Pole, so ist der Strom weniger wirksam, gerade wie thierische Präparate kräftiger reagiren, wenn der negative Pol mit dem peripherischen Ende verbunden ist. Bei Oeffnung der Kette findet, ebenso wie bei Froschschenkeln, keine Bewegung statt. Nach Blondeau wirkt der constante Strom bei Anwendung der nöthigen Vorsichtsmassregeln auf die Mimosa pudica ebensowenig als Bewegungsreiz wie auf thierische Muskeln, während der intermittirende Inductionsstrom sich als ein sehr heftiger Reiz erweist. Ein gereizter thierischer Theil kehrt bei Wegfall des Reizes langsam in seine Stellung zurück; so zieht z.B. eine gereizte Auster oder Polyp sich schnell zusammen, aber öffnet sich langsam. Eine Wiederholung des Reizes stumpft die Reizbarkeit ab. Ruhe stellt sie wieder her. Die Reizbarkeit äussert sich ferner nach Gesundheitszustand, Alter, Geschlechtsverhältnissen, Jahreszeit, Witterung und anderen äusseren Umständen verschieden. Alles dieses ist bei Pflanzen gerade so wie bei Thieren.

Die Reflexbewegungen der Dionaea muscipula habe ich schon oben erwähnt; setzt sich auf ein Blatt derselben ein Insect, so wird es daselbst zuerst durch Umlegen der Haare festgehalten, und erst allmählich rollt sich das ganze Blatt um. Hier haben wir auf einfachen Reiz an einer Stelle eine theils gleichzeitige, theils zweckmässig auf einander folgende Betheiligung vieler Stellen des Blattes, ganz so, wie wir es bei Thieren gewohnt sind, nur dass statt des monarchischen Befehles eines Nervencentrums, wieder eine republicanische Betheiligung aller Stellen in harmonischer Uebereinstimmung stattfindet. Schon centralisirter und daher thierähnlicher ist die Erscheinung bei allen Blättern, Staubgefässen u.s.w., wo der Reactionsheerd in den Gelenken zu suchen ist, mit welchen diese Theile befestigt sind.

Bei vielen Blüthen neigen sich die reifen Staubgefässe von selbst allmählich zum Stempel hinüber, bei einigen ist ein Gelenk gebildet, welches auf den Reiz irgend eines Insectes den Staubfaden zur Narbe hinüberschnellt. Bei anderen ist auch der zusammengebogene Stempel reizbar und streckt sich auf einen ihn treffenden Reiz aus, wobei er Pollenkörner von den Staubbeuteln abstreift. Mimosa pudica[76] hat doppelt gefiederte Blätter und die Blättchen, Blattrippen, der Hauptblattstiel, ja selbst der Zweig haben jedes ihre besondere Bewegung. Bringt man vorsichtig mit Vermeidung jeder Erschütterung etwas starke Säure auf ein Blättchen, so schliessen sich nach und nach alle nahestehenden Blätter; nach Dutrochet beträgt diese Fortpflanzungsgeschwindigkeit acht bis fünfzehn Millimeter in einer Secunde in den Blattstielen, im Stempel höchstens zwei bis drei Millimeter. Hier hat man die Leitungsfähigkeit vor Augen. Dasselbe erreicht man, wenn man ein Blättchen sachte brennt; die Blätter legen sich dabei viel weiter hin zusammen, als die Wirkung der Wärme reicht. Brücke und später Bert haben nachgewiesen, dass bei dieser merkwürdigen Pflanze die spontanen Bewegungen, welche in einem Heben und Senken der Blattstiele nach den Tageszeiten bestehen, von den auf Reiz erfolgenden Bewegungen wohl zu unterscheiden sind, da die Fähigkeit der Pflanze zu letzteren durch Aetherdämpfe, die ja auch auf das thierische Nervensystem betäubend wirken, gelähmt wird, während die ersteren unverändert weitergehen. Dass die täglichen Hebungen und Senkungen auf gesetzmässigen Aenderungen der Saftcirculation beruhen, ist unzweifelhaft; durch welche Vermittelungen die Spannung der an den Blattstielen sitzenden oberen und unteren Knoten auf Veranlassung eines Reizes geändert wird, ist zwar nicht für Mimosa pudica direct festgestellt, wohl aber für die oben erwähnten Staubfäden von Berberis vulgaris. Hier findet nämlich (wie in den meisten Pflanzentheilen) eine entgegengesetzte Spannungstendenz verschiedener Gewebetheile statt, indem die Oberhaut den Staubfaden zu verkürzen, das darunter gelegene Protoplasma ihn zu verlängern strebt. Tritt nun ein geeigneter Reiz an die innere Seite des Staubfadens heran, so contrahirt sich das Protoplasma, und indem so das vorherige Gleichgewicht der Spannungen zu Gunsten der Oberhaut verändert wird, kann diese ihre Tendenz zur Verkürzung realisiren, und neigt hierdurch den Staubfaden. Die Action, welche das Spiel vorhandener Kräfte auslöst, ist also hier eine Contraction des Protoplasma's gerade wie in niederen Thieren oder wie bei den Muskeln der höheren.

Es ist unmöglich, die durchgreifende Analogie zwischen den Reflexwirkungen der Thiere und Pflanzen zu verkennen; die Verschiedenheiten reichen gerade nur so weit, als die Gesammteinrichtung der Organismen, und als die besonderen Zwecke jeder Reaction verschieden sind. Hat man nun einmal die Reflexwirkungen bei Thieren als Acte von letzten Endes psychischer Natur anerkannt,[77] so kann man nicht umhin, dieses Unbewusst-Psychische auch den Pflanzen zuzusprechen, ebenso wie man es jedem thierischen Theile zuerkennen muss, welcher noch für sich der Reflexbewegungen fähig ist.

d) Instinct. Schon im Thierreiche haben wir die Untrennbarkeit von Instinct, Reflexbewegung und organischem Bilden gesehen; im Pflanzenreiche lassen sie sich noch viel weniger sondern, denn einerseits muss wegen der mangelhaften Bewegungsmittel der Pflanze das organische Bilden Vieles durch zweckmässige Mechanismen leisten, was die Thiere mit instinctiver Bewegung machen (man denke an die Begattung und die Ausbreitung der Samen), und andererseits steht das Bewusstsein der Pflanzen so tief, dass der Unterschied zwischen dem Reize der Reflexbewegung und dem Motive der Instincthandlung auf ein Minimum zusammenschrumpfen. Trotzdem werden wir doch noch reichliche Spuren finden, welche uns unverkennbar als das Nämliche entgegentreten, was wir im Thierreiche Instinct nennen. Ein Polyp begiebt sich von der beschatteten Hälfte seines Gefässes Instinctiv nach der von der Sonne beschienenen, und wenn Oscillatorien dasselbe thun, wenn die Sonnenblume sich fast den Hals verrenkt, um ihr Gesicht der Sonne zuzudrehen, das sollte nicht Instinct sein? Dutrochet erzählt in s. rech. p. 131: »Ich sah, dass, wenn man die obere Fläche des Blattes einer in freier Luft stehenden Pflanze mit einem kleinen Brette bedeckt, dies Blatt sich diesem Schirme durch Mittel zu entziehen sucht, welche nicht immer dieselben, aber immer von der Art sind, wie sie am leichtesten und schnellsten zum Ziele führen müssen; so geschah es bald durch eine seitliche Biegung des Blattstieles, bald durch eine Biegung desselben Blattstieles nach dem Stengel hin.«

Knight sah ein Weinblatt, dessen Unterseite das Sonnenlicht beschien und welchem er jeden Weg, in die naturgemässe Lage zu kommen, versperrt hatte, fast jeden möglichen Versuch machen, um dem Lichte die rechte Seite zuzuwenden, mit welcher es hauptsächlich athmen muss. Nachdem es während einiger Tage sich dem Lichte in einer gewissen Richtung zu nähern gesucht und durch Zurückbeugung seiner Lappen fast seine ganze Unterseite damit bedeckt hatte, breitete es sich wieder aus und entfernte sich weiter vom Glashausfenster, um in der entgegengesetzten Richtung dem Lichte sich wieder zu nähern (Treviranus, Beiträge 119). Neuerdings hat Frank (»Die natürl. wagerechte Richtung u.s.w.« Leipzig 1870) dies bestätigt, und auf eine Menge anderer Pflanzen ausgedehnt.[78] Auch nach ihm ist es bemerkenswerth, dass diese Bewegung stets auf dem kürzesten Wege ausgeführt wird, indem das Blatt sich bald hebt, bald senkt, bald rechts, bald links dreht. Das Wunder wird dadurch nicht gemindert, dass die Blätter, resp. Blattstiele, diese Fähigkeit mit völlig abgeschlossenem Wachsthum verlieren, ausser wenn sie mit besonderen polsterartigen Anschwellungen am Stielgrunde versehen sind, welche jederzeit die Dimensionsveränderungen wieder aufnehmen können, welche während der Periode des Wachsthums als relativ stürmische Modificationen desselben anzusehen sind. – Dutrochet bedeckte das Endblättchen eines dreiblättrigen Bohnenblattes (Phaseolus vulgaris) mit einem Brettchen. Da die Kürze des besonderen Blattstieles dem Blättchen das Ausweichen unmöglich machte, so erfolgte dies durch Beugung des gemeinschaftlichen Blattstieles, während im Dunkeln das Brettchen gar nicht geflohen wurde. »Wenn man,« sagt dieser Forscher, »sieht, wie viel Mittel hier angewendet werden, um zu demselben Zwecke zu kommen, so wird man fast versucht zu glauben, es walte hier im Geheimen ein Verstand, welcher die angemessensten Mittel zur Erreichung des Zweckes wählt.« So spricht ein Naturforscher durch die blosse Macht der Thatsachen gedrängt eine Wahrheit aus, die ihm nur deshalb unfasslich ist, weil er die unbewusste Seelenthätigkeit nicht kennt. Dass hier nicht eine blosse Reflexwirkung auf einen Reiz vorliegt, ist wohl leicht zu sehen, denn es ist ja eben das Fehlen eines notwendigen Reizes, welches geflohen wird.

Ziemlich bekannt sind die Erscheinungen des Pflanzenschlafes, wobei die Blätter sich theils senken, theils umlegen, die Blüthen ihre Köpfchen senken oder sich schliessen. Zum Theil sind diese Erscheinungen schon erwähnt und finden ihren Zweck in dem Schutz der Pollenkörner vor dem Thau. Dass das Niedersenken der Blüthenstiele jedoch nicht auf blosser Erschlaffung beruht, davon kann man sich leicht überzeugen; sie sind vielmehr in ihrem gebogenen Zustand gespannt und elastisch. Malva peruviana bildet durch das Aufrichten der Blätter um den Stengel oder die Spitze der Zweige im Schlaf zustande eine Art von Trichter, worunter die jungen Blumen oder Blätter geschützt sind; Impatiens noli me tangere bildet aus den herabgesenkten obersten Blättern ein Gewölbe für die jungen Triebe, einige andere schliessen die Blüthen durch das Zusammenlegen der Blättchen ihrer zusammengesetzten Blätter ein. Die Zeiten für Schlaf und Wachen sind für die Pflanzen so verschieden[79] wie für Thiere. Manche unserer Pflanzen richten sich nach der Sonne; andere halten bestimmte Zeiten genau inne, gleichviel, in welches Klima sie versetzt werden, gleichviel, ob Sommer oder Winter ist. Man sieht hieraus, dass auch diese periodischen Bewegungen theilweise von äusseren Reizen unabhängig sind und rein aus inneren Bedingungen der Pflanze selbst entspringen, es sind eben instinctiv geregelte Bestrebungen.

In vielen Pflanzen neigen sich zur Befruchtung die Staubfäden zum Pistille, schütten ihren Staub aus, und kehren dann in ihre Lage zurück; bei anderen wandert das Pistill zu den Staubfäden, in noch anderen suchen sich beide wechselseitig auf. (Treviranus, Physiologie der Gewächse II. 389.) Bei Lilium superbum, Armaryllis formosissima und Pancratium maritimum nähern sich die Staubbeutel nach einander der Narbe. Bei Fritillaria persica biegen sie sich wechselsweise nach dem Griffel hin. Bei Rhus coriaria heben sich zwei oder drei Staubläden zugleich hervor, beschreiben einen Viertelkreis, und bringen ihre Staubbeutel ganz nahe an die Narbe. Bei Saxifraga tridactilytes, muscoides, aizoon, granulata und cotyledon neigen sich zwei Staubfäden von entgegengesetzten Seiten über der Narbe gegen einander, und breiten sich, nachdem sie ihren Staub ausgestreut haben, wieder aus, um anderen Platz zu machen. Bei Parnassia palustris bewegen sich die männlichen Theile zu den weiblichen in der nämlichen Ordnung, in welcher der Samenstaub reift, und zwar, wenn sie sich der Narbe nähern, schnell und auf einmal, wenn sie sich nach der Befruchtung von derselben wieder entfernen, in drei Absätzen. Bei Tropaeolum richtet sich von den anfänglich abwärts gebogenen Staubladen bei völligem Aufblühen einer nach dem anderen in die Höhe, und beugt sich, nachdem die Anthere ihren Staub auf die Narbe hat fallen lassen, wieder hinab, um einer anderen Platz zu machen. Deutlicher als in diesen Beispielen kann man den Instinct nicht verlangen; denn hier ist das Motiv das Vorhandensein der Narbe, und die Reife des Pollenstaubes, aber die Ordnung, in welcher, und die Art und Weise, nach welcher sich die Staubgefässe hin und her bewegen, trägt ebenso sehr den Schein der Willkür, wie es nur irgend eine thierische Bewegung kann.

Merkwürdig sind die Instinctbewegungen der Schlingpflanzen (s. Mohl, Ueber das Winden der Ranken). Eine solche Pflanze wächst zuerst ein Stück senkrecht in die Höhe, dann biegt sich ihr Stengel wagerecht um, und beschreibt Kreise, um sich in der Umgebung[80] eine Stütze zu suchen, gerade wie eine augenlose Raupe mit ihrem Vordertheile Kreise beschreibt, um ein neues Blatt zu suchen. Je länger der Stengel wächst, desto grösser werden natürlich die Kreise, d.h. wenn die Pflanze in der Nähe keine Stütze findet, so sucht sie sie im weiteren Umkreise. Endlich kann der Stengel sein eigenes Gewicht nicht mehr tragen, er fällt zu Boden und kriecht nun gerade aus weiter. Findet er nun eine Stütze, so könnte er ja entweder gar nichts davon merken, oder aus Bequemlichkeit doch auf der Erde weiter laufen, um nicht in die Höhe steigen zu müssen; in der That ergreift er aber sofort die Stütze und klettert spiralig an derselben hinauf. Doch auch hierbei verfahrt die Pflanze noch mit Auswahl; die Flachsseide (namentlich im jüngeren Alter) windet sich nicht um todte organische oder unorganische Stützen, sondern nur um lebende Pflanzen, an denen sie begierig emporklettert, denn ihre in der Erde haftenden Wurzeln sterben bald ab und sie ist dann ganz auf die Nahrung angewiesen, die sie mit ihren Papillen aus dem umrankten Gewächse saugt. Hat sie dadurch das letztere getödtet, so erweitert sie von Neuem ihre Windungen, ob sie vielleicht ein anderes Gewächs erfassen kann. Jede Schlingpflanze ist von Natur entweder rechtsläufig oder linksläufig. Wickelt man einen jungen convolvolus von seiner Stütze ab und windet ihn in entgegengesetzter Richtung wieder um, so wird er in seine ursprüngliche Spiralrichtung zurückkehren, oder in diesem Streben sein Leben lassen. Auch dies entspricht ganz den Thierinstincten. Lässt man aber zwei solche Pflanzen ohne fremde Stütze sich gegenseitig umschlingen und so an einander aufsteigen, so ändert die eine freiwillig ihre Drehungsrichtung, um diese gegenseitige Umschlingung zu ermöglichen. (Farmer's Magazine, wiederholt in der Times vom 13. Juli 1848.) Also statt sich der gewaltsamen Abänderung zu fügen, opfert die Pflanze lieber das Leben, aber so wie diese Abänderung zweckmässig wird, nimmt sie sie von selber vor. Hier findet man sogar die Variabilität des Thier instinctes in eclatantester Weise vor.

e) Der Schönheitstrieb der Pflanzen kann hier nicht weiter bewiesen werden. Ich halte auch für das Pflanzenreich die Behauptung aufrecht, dass jedes Wesen sich so schön baut, als es mit den Zwecken seines Daseins verträglich ist, und als es das spröde Material zu bewältigen vermag. Man betrachte das Grösste oder das Kleinste im Pflanzenreiche, die stattliche Eiche oder das mikroskopische Moos, man sehe auf's Ganze oder auf's Einzelne, auf den[81] prächtigen Urwald oder auf den Tannzapfen, immer wird man jene Wahrheit bestätigt finden. –

So haben wir denn die fünf Momente im Pflanzenreiche wieder gefunden, in welchem wir beim Thierreiche die Wirkungen des Unbewussten in der Leiblichkeit erkannt haben. Demnach sind wir nicht mehr berechtigt, der Pflanze unbewussten Willen und unbewusste Vorstellung abzusprechen. Dass wir keine höheren geistigen Erscheinungen an der Pflanze wahrnehmen, darüber brauchen wir uns nicht zu wundern, da ja der Zweck des Pflanzenreiches im Grossen und Ganzen nur der ist, den Boden, die Nahrungsmittel und die Atmosphäre für das Thierreich vorzubereiten, wenn auch dabei nicht verkannt werden darf, dass zu gleicher Zeit das schaffende Princip sich nebenher im Pflanzenreiche auf seine Weise selbstständig auswirkt.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 65-82.
Lizenz:
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