IV. Das Unbewusste und das Bewusstsein im Pflanzenreiche

[65] Die Frage nach der Beseelung des Pflanzenreiches ist alt; ausserhalb des Judenthums und Christenthums ist sie fast überall bejaht worden. Unsere Zeit, die in den Anschauungen der letzteren beiden aufgewachsen ist, und die vom Christenthume aufgerissene Kluft zwischen Geist und Sinnlichkeit noch lange nicht wieder überbrückt hat, hat mit Mühe die Thiere in das Bruderrecht mit dem Menschen wieder eingesetzt; kein Wunder, dass sie bis zur Anerkennung der Pflanzenbeseelung sich noch nicht hat erbeben können, da ihre Physiologie auch am Thiere die organischen Functionen und Reflexwirkungen nur als materielle Mechanismen zu betrachten gewöhnt ist. Am besten ist die Frage von Fechner behandelt worden in der Schrift »Nanna, oder über das Seelenleben der Pflanzen, Leipzig 1848«, wenn auch manches Phantastische mit unterläuft; vgl. ferner Schopenhauer »Ueber den Willen in der Natur« Cap. Pflanzenphysiologie, und Autenrieth »Ansichten über Natur und Seelenleben«. Es bleibt mir hier theils nur ein kurzer Auszug zu geben, theils aber auch die erheblich grössere Klarheit hervorzuheben übrig, welche über diese ganze Frage durch die Unterscheidung unbewusster und bewusster Seelenthätigkeit verbreitet wird. Ich bin überzeugt, dass Mancher, der der bisherigen Behandlungsweise gegenüber eine verneinende Stellung behaupten musste, vermittelst der gesonderten Betrachtung des Unbewussten und des Bewusstseins sich mit der Pflanzenbeseelung aussöhnen wird.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 65.
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Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
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