V. Die Materie als Wille und Vorstellung

[96] Die Naturwissenschaft beschäftigt sich mit drei in einander greifenden Gegenständen: den Gesetzen, den Kräften und dem Stoffe. Diese Trennung ist durchaus nur zu billigen, denn sie fasst verschiedene Gruppen von Erscheinungen unter einheitliche Gesichtspuncte übersichtlich zusammen und erleichtert die Ausdrucksweise. Die Frage ist nun, ob diese Drei wirklich verschiedener Natur sind, oder ob sie eigentlich nur Eins sind, welches, bloss von verschiedenen Gesichtspuncten aus betrachtet, auf drei verschiedene Weisen erscheint. Von den Gesetzen dürfte dies wohl ohne Umstände zugegeben werden, denn es liegt auf der Hand, dass sie nicht in der Luft schwebende Existenzen, sondern blosse Abstractionen von Kräften und Stoffen sind; nur weil diese Kraft und dieser Stoff eine solche und ein solcher sind, nur darum wirken sie auf diese Weise, und so oft wir einer eben solchen Kraft begegnen, müssen wir sie auf eben solche Weise wirkend finden. Diese Constanz des So-wirkens aber ist es, was wir Gesetz nennen. Dieses Verhältniss ist auch wohl allgemein anerkannt, und wir hören in der That von den Materialisten stets nur Kraft und Stoff als ihre Principien nennen, als welche selbstverständlich die Gesetze includiren. Wir haben im Cap. C. II. den Materialismus vertheidigt, insofern er die organisirte Materie als conditio sine qua non der bewussten Geistesthätigkeit behauptet; wir haben in den ganzen vorhergehenden Untersuchungen ein unbewusst psychisches Princip als über der Materie stehend nachgewiesen, und damit schon die Einseitigkeit desjenigen Materialismus gezeigt, welcher keine anderen als materielle Principien kennt; wir sind jetzt an den Punct gelangt, wo wir uns mit demjenigen beschäftigen müssen, was der einseitige Materialismus als ausschliessliche Principien alles[96] Daseins, d.h. als philosophische Urprincipien, aufstellt: Kraft und Stoff.4

Ich würde es für nutzlos halten, hier eine dialectische Erörterung dieser Begriffe anwenden zu wollen; man würde dabei weder sicher sein, wirklich genau diejenigen Begriffe zu behandeln, welche der Materialismus meint, noch würde dadurch je ein Materialist zur Aenderung seiner Ansicht gebracht werden. Ich halte für den einzig angemessenen Weg die Vertiefung der naturwissenschaftlichen Untersuchung der Materie. Zwar kann die Zukunft noch unschätzbare Aufschlüsse in dieser Richtung bringen, welche wir bis jetzt nicht ahnen, indessen glaube ich, dass die Grundzüge der für die Materie allein möglichen Auffassungsweise durch die jüngsten Erfolge der Physik und Chemie nicht nur so sicher gestellt sind, dass keine Zeit jemals mehr daran wird rütteln können, sondern dass sie auch völlig genügende Anhaltepuncte bieten, um bis in die letzten Tiefen dieses Geheimnisses einzudringen. Wenn dies bis jetzt noch nicht geschehen, oder wenigstens noch nicht von Seiten der Naturwissenschaft geschehen ist, so liegt es einfach daran, weil die Naturwissenschaft im Grunde immer nur insoweit ein Interesse für Hypothesen[97] hat, als ihr dieselben entweder Anleitung zu neuen Experimenten geben, oder als sie ihr zum Ansatze des Calcüls unentbehrlich sind; was darüber hinausgeht, davon sieht sie keinen practischen Werth und darum ist es ihr gleichgültig. Wir werden also zunächst zu recapituliren haben, was die Naturwissenschaft von der Constitution der Materie und der ihr inhärirenden Kräfte weiss, und dann zusehen, ob diese Resultate auf einfache und ungezwungene Weise einer Vertiefung fähig sind.

Wenn man einen chemisch homogenen Körper, z.B. kohlensaueren Kalk, sich fortgesetzt getheilt denkt, so kommt man an Theile von gewisser Grösse, die sich nicht mehr theilen lassen, wenn sie kohlensaurer Kalk bleiben sollen; gelingt es, sie zu spalten, so erhält man als Trennstücke einen Theil Kohlensäure und einen Theil Kalk. Diese kleinsten Theile eines Körpers nennt man Molecüle.5 Dieselben wirken nach verschiedenen Seiten mit verschiedener Kraft, weil sie im Allgemeinen die krystallinische Grundform des betreffenden chemischen Stoffes haben, oder eine solche, aus der diese sich leicht bilden kann. Die Molecüle verschiedener Stoffe unterscheiden sich also durch verschiedene Gestalten, ausserdem auch durch verschiedenes Gewicht (Moleculargewicht); hingegen füllen sie in ihrer Gruppirung zu Körpern im gasförmigen Zustande bei gleicher Temperatur gleiche Räume aus. Wenn zwei Körper verschiedener Art zusammenkommen, so stören sich die nach verschiedenen Richtungen verschieden wirkenden Kräfte der Molecüle an den Grenzen beider Körper gegenseitig in ihren Gleichgewichtslagen, welche Störungen sich als electrische Erregung darstellen, respective sich als galvanische Schwingungen fortpflanzen; ist die Störung stark genug, so findet eine bleibende Umlagerung und chemische Verbindung der verschiedenartigen Molecüle zu zusammengesetzteren Molecülen statt. Die verschiedenen chemischen Verbindungen unterscheiden sich durch Anzahl und Lagerungsweise der[98] zusammentretenden Molecüle. Diejenigen Molecüle, welche weiter zu zerlegen uns bis jetzt noch nicht gelungen ist, nennen wir chemisch einfach, obgleich wir von manchen ziemlich gewiss wissen, dass sie noch zusammengesetzt sind (z.B. Jod. Brom, Chlor sind möglicherweise Sauerstoffverbindungen, wie die Aenderung ihres Spectrums bei sehr hohen Temperaturen anzudeuten scheint, die Metalle vielleicht sämmtlich Wasserstoffverbindungen), so dass sich möglicherweise die Anzahl der chemischen Elemente noch sehr vereinfachen kann. Ausserdem unterscheidet die moderne Chemie die elementaren Molecüle je nach ihrem Verhalten in chemischen Verbindungen in einwerthige und mehrwerthige Molecüle, und denkt sich letztere als Zusammensetzungen mehrerer gleichwerthiger Theile, deren jedes einem einwerthigen Molecüle chemisch gleichwerthig ist. Sie nennt diese Theile Atome und ihre relativen Gewichte Atomgewichte. Aber schon diese Gewichtsverschiedenheit beweist, dass auch diese chemischen Atome ebensowenig die letzten Elemente der Materie sein können, wie die chemischen Molecüle in ihren mannigfaltigen morphologischen Grundformen; die einfachen Zahlenverhältnisse der Atomgewichte lassen darauf schliessen, dass alle diese Theilstücke der Materie letzten Endes nur verschiedene Lagerungsformen einer verschiedenen Anzahl gleichartiger Grundelemente oder Uratome sind, so wie auch nur auf diese Weise die Uebereinstimmung der Atomgewichte mit der specifischen Wärme und die der Moleculargewichte mit den specifischen Gewichten der Gase verständlich wird. Diese gleichartigen Uratome, die ich hinfort schlechtweg Körper-Atome nennen werde, müssen nach allen Richtungen mit gleicher Kraft wirken, können also, wenn sie stofflich gedacht werden sollen, nur kugelförmig gedacht werden.

Ausser diesen Körper-Atomen giebt es noch Aether-Atome, welche sowohl in jedem Körper zwischen den Körpermolecülen als auch zwischen den Himmelskörpern vertheilt sind, und welche man an ihrer Eigenschaft, Wärme fortzustrahlen, erkennt. (Ein gewisser Theil der Wärmescala wird durch die Einrichtung unserer Augen von uns als Licht empfunden.) Die Aetheratome sind es, welche als umgebende Hüllen der Körpermolecüle die electrischen Erscheinungen, und durch Umkreisen der Körpermolecüle (Ampèresche Molecularströme) die magnetischen Erscheinungen hervorbringen, sie sind es ferner, welche bei dem Gegeneinanderprallen der Molecüle eines Gases die elastische Repulsion bewirken, kurz sie sind eine Hypothese, welche überall da nicht zu entbehren ist, wo Kraftwirkungen zu erklären sind, in denen[99] ausser der Anziehung nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz auch abstossende Kräfte mitspielen.A12

Körper und Körper-Atome ziehen sich an, und zwar im umgekehrt quadratischen Verhältnisse der Entfernung; d.h. die Kraft eines Körper-Atomes nach allen Richtungen des Raumes zusammengenommen bleibt sich auf jede Entfernung gleich.

Aether und Aether-Atome stossen sich ab, und zwar im umgekehrten Verhältnisse einer höheren, als der zweiten Potenz der Entfernung, mindestens der dritten; d.h. die Kraft eines Aether-Atomes nach allen Richtungen des Raumes zusammengenommen wächst mindestens im umgekehrten Verhältnisse der Entfernung.6

Alle Körper-Atome würden auf einen Punct zusammenschiessen, wenn nicht die herumgelagerten Aether-Atome gleichsam Hüllen um jedes Körpermolecüle bildeten, welche eine Berührung derselben verhindern.A13 Zwei Aether-Atome können nie zusammenstossen, weil ihre Abstossung auf unendlich kleine Entfernungen unendlich gross wird. Zwei Körper-Atome aber könnten sich nie wieder trennen, gesetzt den Fall, dass sie einmal sich berührten, weil dann ihre Anziehung unendlich gross wäre. Daher müssen die Körpermolecüle auch innerhalb der chemischen Verbindungen noch durch Aether-Atome auseinander gehalten sein, weil sie sich durch Aetherschwingungen (Wärme, Electricität) wieder scheiden lassen.

Körper- und Aether-Atome stossen sich auf Molecularentfernungen wahrscheinlich ab. Früher nahm man an, dass sie sich auf die gewöhnlichen Molecularentfernungen anziehen, und dass diese Anziehung erst in unmittelbarster Nähe in Abstossung umschlägt; diese Annahme ist auch jetzt noch die in den Lehrbüchern übliche. Bis zu einem gewissen Puncte werden nämlich die Erscheinungen durch jede der bei den Annahmen gleich gut erklärt; da man sich doch aber des Calcüles halber nothwendig für eine entscheiden musste, wählte man zufällig die Anziehung. Wiener hat gezeigt (vgl. Poggendorff's Annalen, Bd. 118, S. 79, und Wiener, »Die Grundzüge der Weltordnung«, erstes Buch), dass die Annahme der Abstossung für die Erklärung des flüssigen Aggregatzustandes[100] wesentliche Vortheile bietet, und dass diese sich überhaupt besser mit unseren sonstigen physikalischen Anschauungen verträgt. Es ist bei dieser Voraussetzung nicht wie in Redtenbacher's »Dynamidensystem«, um jedes Körpermolecüle eine dichte Hülle von Aether-Atomen, sondern im Gegentheile, der Aether ist unmittelbar neben den Korpermolecülen am dünnsten, also innerhalb der Körper dünner, als im leeren Raume, weil die dichtgedrängten Körpermolecüle den Aether theilweise ausstossen. Da wir später sehen werden, dass auf grössere Entfernungen zwischen Körper und Aether-Atomen jedenfalls Anziehung besteht, so besteht die Differenz der beiden sich gegenüberstehenden Ansichten eigentlich nur in einer Divergenz hinsichtlich der Grösse derjenigen Entfernung, wo die Anziehung in Abstossung umschlägt, und zwar muss nach beiden Ansichten diese Entfernung so klein sein, dass man sie als Molecularentfernung bezeichnen muss.

Die Atomtheorie in dem gegenwärtigen Zustande ihrer Ausbildung erklärt auf überraschende Weise die Gesetze der Wärme und die von den Wärmeveränderungen herbeigeführten verschiedenen Aggregatzustände (siebe Wiener, »Grundzüge der Weltordnung«, erstes Buch, und in mehr mathematischer Behandlung: Ch. Briot »Lehrbuch der mechanischen Wärmetheorie«, deutsch von H. Weber). Sie gewährt den Vortheil, dass alle die vielen sogenannten Kräfte der Materie, wie Gravitation, Elasticität, Wärme, Galvanismus, Chemismus u.s.w., sich als Aeusserungen combinirter Molecular- und Atom-Kräfte darstellen, d.h. dass man die Entwickelung jener aus diesen auch wirklich sieht und berechnet, während derjenige Dynamismus, welcher, wie der Kantische, von Atomen und Atomkräften nichts wissen will, die Entstehung der höheren materiellen Kräfte aus Anziehung und Abstossung nur schlechthin behaupten, aber nicht im Mindesten sagen kann, wie sie geschieht. –

Es bleibt noch eine materielle Kraft zu erwähnen, das Beharrungsvermögen, von welchem der Atomismus bis jetzt unrichtiger Weise geläugnet hat, dass es unter den Begriff Kraft gehöre, oder welches er als eine neu hinzukommende Kraft hat bestehen lassen, während er doch schon von Kant (Neuer Lehrbegriff der Ruhe und Bewegung, vgl. Kaufs Werke, Bd. V. S. 282-284, 287-289 und 409-417) hätte lernen können, was das Beharrungsvermögen ist, dass nämlich dasselbe einzig und allein auf der Reciprocität oder Relativität der Bewegung beruht, welche schon von Leibniz klar hingestellt worden ist (Mathemat. Werke VI. p. 252). Denkt[101] man sich nämlich ein Atom allein im Raume, so kann der Begriff von Ruhe oder Bewegung auf dasselbe noch gar keine Anwendung finden, weil es keinen bestimmten Ort im Raume hat, also auch diesen Ort nicht verändern kann. Es giebt demnach keine absolute Ruhe oder absolute Bewegung, sondern nur relative. Daraus geht hervor, dass man nicht mehr Recht hat zu sagen: A bewegt sich gegen B, als: B bewegt sich gegen A, die Kugel bewegt sich gegen die Scheibe, als: die Scheibe bewegt sich gegen die Kugel, dass also der Widerstand, den die Scheibe der Kugel entgegengesetzt, nicht sowohl ein Widerstand der ruhenden, als der bewegten Scheibe, oder ihre lebendige Kraft ist. Was hier beim Stosse sofort in die Augen fällt, findet sich bei Druck und Zug wieder, nur als eine Integration unendlich vieler einzelner Abstossungs- oder Anziehungsmomente der Atome und Molecüle. In beiden Fällen beruht der zu überwindende Widerstand des Beharrungsvermögens auf der Reciprocität von Anziehung und Abstossung und der Relativität der Bewegung.

Für das Beharrungsvermögen brauchen wir also in der That, trotzdem dass es selbst als oppositionelle Kraft wirkt, keine neue Kraft, wir reichen vielmehr mit der Anziehung und Abstossung der Körper- und Aether-Atome vollkommen aus. – Sehen wir nun zu, wie sich die bisher angeführten Principien bei näherer Betrachtung ganz von selbst vereinfachen. –

Denken wir uns zwei Körper-Atome A und B, so würden dieselben sich auch dann noch beide gegen einander bewegen, wenn nur A Anziehungskraft besässe; denn indem A das Atom B anzieht, zieht es wegen der Relativität der Bewegung nothwendig sich eben so sehr zu B hin, als es B zu sich hinzieht. Dasselbe gilt aber für B; indem nun sowohl A, als auch B anziehend wirkt, so bewirkt jedes von ihnen die gegenseitige Annäherung, also wird ihre thatsächliche Anziehung die Summe ihrer Einzelkräfte sein. Dasselbe gilt für die Abstossung von Aether-Atomen. Merkwürdigerweise soll nun aber ein und dasselbe Körper-Atom zwei entgegengesetzte Kräfte besitzen, nämlich Anziehungskraft für Körper-Atome und Abstossungskraft für Aether-Atome. Ein Aether-Atom hat dann entweder dem entsprechend eine besondere Abstossungskraft für Aether-Atome und eine besondere Abstossungskraft für Körper-Atome, oder aber seine Abstossungskraft ist gegen Körper- und Aether-Atome gleich gross, d.h. ein und dieselbe. Letztere Annahme hat nichts gegen sich, wird also als die einfachere jedenfalls den Vorzug verdienen,[102] denn principia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Nach letzterer Annahme also verhält sich ein Aether-Atom gegen jedes andere Atom auf dieselbe Weise abstossend, gleichviel, welche Kräfte diesem Atome sonst noch zukommen; d.h. wenn ihm ein Körper-Atom begegnet, so stösst es dieses ebenso ab wie ein Aether-Atom, gleichviel, wie gross die Kraft, mit welcher das Körper-Atom das Aether-Atom abstösst, im Verhältnisse zur abstossenden Kraft eines Aether-Atomes auch sei; natürlich ist die totale gegenseitige Abstossung die Summe beider Kräfte. Wenn aber die Grösse der abstossenden Kraft des Körper-Atomes für die abstossende Kraft des Aether-Atomes gleichgültig ist, so muss es ihr auch gleichgültig sein, wenn diese Kraft = 0 wird, oder wenn sie negativ, d.h. zur Anziehung wird, immer vorausgesetzt, dass die Gesammtabstossung beider die Summe der Einzelkräfte ist. In letzterem Falle würde also das Gesammtresultat Abstossung bleiben, so lange die abstossende Kraft des Aether-Atomes grösser ist, als die anziehende des Körper-Atomes, umgekehrt würde es Anziehung. Hiermit werden wir aber auf einmal die unnatürliche Annahme zweier sich widersprechender Kräfte im Körper-Atome los; denn die Abstossung zwischen Aether- und Körper-Atom bleibt als solche für alle die kleinen Entfernungen bestehen, wo die Abstossung des ersteren stärker ist, als die Anziehung des letzteren, und das Körper-Atom verhält sich gegen jedes andere Atom auf gleiche Weise anziehend, ebenso wie sich das Aether-Atom gegen jedes andere Atom auf gleiche Weise abstossend verhält. Dass aber in der That nicht auf alle, sondern nur auf kleinere Entfernungen sich Aether- und Körper-Atome abstossen, scheint mir aus Folgendem evident hervorzugehen: Das materielle Weltgebäude ist sowohl nach apriorischen Betrachtungen, als aus astronomischen Gründen7 unbedingt für endlich zu halten; der Aether aber müsste sich in's Unendliche ausdehnen, wenn nicht eine Grenze käme, wo die Anziehung der gesammten Körper-Atome die Abstossung der gesammten Aether-Atome überwiegt; eine Rotation des Weltgebäudes um eine oder mehrere Axen (insofern eine solche unter der Voraussetzung der Relativität der Bewegung überhaupt noch denkbar bliebe) würde durch die Centrifugalkraft den fortwährenden Abfluss der Aether-Atome nur verstärken und selbst bei der unzulässigen Annahme einer unendlichen Anzahl von Aether-Atomen auf eine endliche Anzahl von Körper-Atomen würde[103] der fortwährende Abfluss der Aether-Atome in den unendlichen Raum eine fortwährend zunehmende Verdünnung des Aethers im Weltgebäude herbeiführen, wofür Nichts zu sprechen scheint.

Sind wir dem zufolge durch die Endlichkeit des materiellen Weltgebäudes genöthigt, eine endliche bestimmte Entfernung anzunehmen, wo die Abstossung des Aether-Atomes auf das Körper-Atom gleich der Anziehung des Körper-Atomes auf das Aether-Atom ist, so folgt daraus unmittelbar das, was wir brauchen, dass nämlich auf kleinere Entfernungen die Abstossung die Anziehung überwiegen muss, da die Abstossung des Aether-Atomes viel schneller mit Verminderung der Entfernung zunimmt, als die Anziehung des Körper-Atomes. Wie man also auch die Sache betrachten mag, in jeder Beziehung empfehlt sich die einfachste Annahme am meisten, dass das Körper-Atom nur Anziehungskraft, das Ather-Atom nur Abstossungskraft hat, die sich gegen beide Gattungen von Atomen gleichmässig äussert. In einer bestimmten Entfernung (welche offenbar nach der Grösse der beabsichtigten Welt bestimmt worden sein muss) sind beide sich gleich; das verschiedene Gesetz ihrer Aenderung mit der Entfernung lässt auf grössere Entfernungen die Anziehung, auf kleinere die Abstossung zunehmend überwiegen. In den Entfernungen, wie sie zwischen den Molecülen eines Körpers bestehen, ist die Abstossung wahrscheinlich schon in ungeheuerem Uebergewicht, dies ist aber auch nöthig, wenn die Aether-Atome nach der Annahme Wiener's innerhalb der Körper noch sparsamer stehen, als im leeren Raume, und trotzdem genügen müssen, um der gegenseitigen Anziehung der so dichtgedrängten Körpermolecüle das Gleichgewicht zu halten.

Da, wenn man nicht in den Widerspruch einer als solchen fertig dastehenden, d.h. vollendeten Unendlichkeit gerathen will, die Anzahl der Aether-Atome wie die der Körper-Atome endlich sein muss, so haben wir gar keinen Grund, anzunehmen, dass beider Anzahl verschieden sei; wir dürfen sie im Gegentheil eher für gleich halten, da, was die Aether-Atome an grösserer Verbreitung durch den Raum zu gewinnen scheinen, die Körper-Atome an Dichtigkeit der Zusammendrängung ersetzen. Wir haben dann auf jedes Körper-Atom ein Aether-Atom, die sich, abgesehen von dem Gesetze ihrer Kraftänderung mit der Entfernung, nur durch die positive und negative Richtung ihrer Kraft unterscheiden. Dächte man sich je ein Körper-Atom und je ein Aether-Atom verschmolzen, so würde plötzlich alle Kraft aus der Welt verschwinden, denn[104] die Gegensätze hätten sich neutralisirt. So sehen wir hier das Auseinandergehen in einen polarischen Dualismus als das die materielle Welt erzeugende Princip.

Fragen wir weiter, was wir unter der Masse eines Körpers zu verstehen haben. Zunächst misst man die Masse nach dem Gewichte; sobald aber die Wissenschaft bis zur Annahme des Aethers gekommen ist, der, weil er keine Anziehung hat, auch kein Gewicht haben kann, so muss man etwas Anderes statt des Gewichtes zum Maasse der Masse nehmen, und zwar Etwas, das Aether und Körper gemeinschaftlich ist; als solches bietet sich nur das Beharrungsvermögen. Wenn man nun auch an diesem die Masse messen kann, so giebt es doch keinen Begriff der Masse, wenn man sich nicht damit begnügen will, sie als das unbekannte Substrat gleicher Beharrungskräfte zu fassen. Damit begnügt sich aber gewiss Niemand in Gedanken. – Die Naturwissenschaft erklärt die Masse als das Product aus Volumen und Dichtigkeit, und dies führt allerdings auf die Art, wie jedes unbefangene Vorstellen den Begriff der Masse erfasst, vorausgesetzt nämlich, dass man bei der Erklärung von Dichtigkeit den Cirkel vermeidet, und nicht wieder den Begriff der Masse benutzt. Dann ist nämlich Dichtigkeit nur noch zu fassen als die Auseinanderstellung gleichwerthiger Theilchen; bleibt nun das Product des Volumens und der Dichtigkeit unverändert, so ist klar, dass dies nur dadurch möglich ist, dass die Anzahl der gleichwerthigen Theilchen unverändert bleibt; wir können also Masse schlechthin als die Anzahl gleichwerthiger Theilchen definiren, vorausgesetzt, dass wir in allen zu vergleichenden Dingen die Theilung soweit fortsetzen, bis wir überall auf gleichwerthige Theilchen gekommen sind. Man sieht sofort, dass nur die Uratome dieser Anforderung genügen; aber diese thun es auch wirklich; selbst die Aether- und Körper-Atome sind als gleichwerthig zu betrachten, da jedes Aether-Atom jedes Körper-Atom gerade so abstösst, wie jedes Aether-Atom und umgekehrt, mithin die Reciprocität ihrer Kräfte, d.h. ihr Beharrungsvermögen, gleich ist. Wir haben also die Masse eines Dinges nunmehr zu definiren als die Anzahl seiner Atome, und haben hiermit erst den einzig möglichen, streng wissenschaftlichen Ausdruck für das hingestellt, was jeder sich klarer oder unklarer bei dem Worte Masse denkt. Hieraus geht aber unmittelbar hervor, dass es keinen Sinn mehr hat, von der Masse eines Atomes zu sprechen, denn man könnte sich dasselbe nur nochmals in gleichwerthige[105] Theile zerlegt denken, und würde damit nicht weiter kommen, als man schon ist. Man kann wohl von der Masse eines Molecüles reden, denn dieses besteht ja eben aus Atomen; man kann also auch vergleichend sagen, ein Körpermolecüle ist von sehr viel grösserer Masse, als ein Aether-Atom; aber die Massen zweier Atome kann man nicht mehr vergleichen, denn jedes von ihnen ist ja die Masseneinheit. Es wäre ferner denkbar, dass n Körper-Atome sich ohne zwischengelagerte Aether-Atome zu Einem vereinigt hätten, so dass sie sich nie mehr trennen können; dann würde ein Aether-Atom jedes dieser vereinigten Atome mit einfacher, also den Complex mit n-facher Kraft abstossen, und der Complex hätte allerdings die Masse n; aber eben darum wäre es falsch, ihn Ein Atom mit n-facher Masse nennen zu wollen; es bleibt, so lange die Atome als stoffliche, undurchdringliche Kugeln gedacht werden, immer ein Complex von n Atomen. – Uebrigens haben wir gar keine Veranlassung, an die wirkliche Existenz solcher unmittelbaren Verschmelzungen von Körper-Atomen zu glauben, denn es ist anzunehmen, dass die Körper-Atome in dem Molecüle eines bis jetzt als solchen betrachteten chemischen Elementes ebensowohl durch Aether-Atome aus einander gehalten werden, wie die Molecüle der chemischen Elemente in dem Molecüle ihrer chemischen Verbindung, welches letztere dadurch bewiesen wird, dass sie sich durch Aetherschwingungen (Wärme, Galvanismus u.s.w.) wieder trennen lassen. Auch müssen wir uns schon mit Rücksicht auf die grossen Unterschiede der Atomgewichte die Anzahl der in einem Elementarmolecüle vereinigten Körper-Atome sehr gross vorstellen, analog der Thatsache, dass in dem Molecüle einer höheren organischen Verbindung oft Hunderte von Elementarmolecülen vereinigt sind.

Das Resultat von alle dem ist, dass das Atom die Einheit ist, aus der sich erst jede Masse zusammensetzt, wie sich aus der Eins alle Zahlen zusammensetzen, dass es daher so wenig einen Sinn hat, nach der Massengrösse eines Atomes, als nach der Zahlengrösse der Eins zu fragen. –

Wir kommen nun zu der letzten und schwierigsten Frage: ist das Atom sonst noch etwas als Kraft, hat das Atom Stoff, und was ist bei diesem Worte zu denken? – Erinnern wir uns zunächst, wie wir zu den Atomen gekommen sind. Wir stossen uns als Kind an den Kopf und fühlen den Schmerz, wir betasten die Dinge und bekommen Gesichts- und sonstige Sinneseindrücke von ihnen. Wir supponiren zu diesen instinctiv räumlich hinausprojicirten Wahrnehmungen[106] ebenso Instinctiv Ursachen, welche wir Dinge nennen. Diese supponirten Dinge ausser uns, welche auf uns einwirken, besonders aber Das, woran wir uns draussen stossen, nennen wir Materie oder Stoff. Die Wissenschaft bleibt bei dieser rohen, instinctiv sinnlichen und practisch ausreichenden Hypothese nicht stehen, sondern verfolgt die Ursachen unserer Wahrnehmungen weiter und untersucht sie genauer. Sie zeigt uns, dass die Gesichtswahrnehmungen durch Aetherschwingungen, die Gehörswahrnehmungen durch Luftschwingungen, die Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen durch chemische Schwingungen in unseren Sinnesorganen erregt werden, dass also alle diese Wahrnehmungen keineswegs einen Stoff, sondern eine Bewegung betreffen, zu deren Erklärung sie wiederum Kräfte supponiren muss, welche sich letzten Endes als Aeusserungen von combinirten Molecular- und Atomkräften ausweisen. Sie zeigt uns ferner, dass die Grundlage aller unserer Tastwahrnehmungen, die sogenannte Undurchdringlichkeit des Stoffes, oder der Widerstand, den er fremden Körpern beim Versuche einer gewisse Grenzen überschreitenden Annäherung entgegensetzt, Resultat der Abstossung der Aether-Atome sei, welche auf unendlich kleine Entfernungen unendlich viel grösser als die anziehende Kraft der Körper-Atome wird, dass aber eine directe Berührung der Atome, also eine nicht als Folge der Kraft sich ergebende, sondern dem Stoffe als solchem inhärirende Undurchdringlichkeit überhaupt nirgends vorkommt. Alle Erklärungen, welche die Naturwissenschaft giebt oder zu geben versucht, stützen sich auf Kräfte; der Stoff oder die Materie bleibt dabei höchstens als ein im Hintergründe müssig lauerndes Gespenst bestehen, das aber immer nur an den dunkelen Stellen sich zu behaupten vermag, wo das Licht der Erkenntniss noch nicht hingedrungen ist; je weiter die Erkenntniss, d.h. die Erklärung der Erscheinungen, ihr Licht verbreitet, desto mehr zieht sich im historischen Verlaufe der Stoff zurück, der in der naiv sinnlichen Anschauung noch den ganzen äusseren Raum der Wahrnehmung einnimmt.

Niemals aber, soweit die Naturwissenschaft reicht, oder reichen wird, kann sie etwas Anderes als Kräfte zu ihren Erklärungen brauchen; wo sie dagegen heutzutage das Wort Stoff braucht, versteht sie darunter, wie unter Materie, nur ein System von Atomkräften, ein Dynamidensystem, und braucht die Worte Stoff und Materie nur als unentbehrliche Summenzeichen oder Formeln für diese Systeme von Kräften.[107]

Da nun naturwissenschaftliche Hypothesen sich niemals weiter erstrecken dürfen, als ein Erklärungsbedürfniss es fordert, der Begriff Stoff aber gar keinem naturwissenschaftlichen Erklärungsbedürfnisse dient und dienen kann, so folgt daraus, dass ein Begriff Stoff, der etwas Anderes als Kräftesystem bedeutet, in der Naturwissenschaft keine Berechtigung und keinen Platz hat, da sie ja selbst alles Das, was die sinnliche Auffassung Wirkungen des Stoffes nennt, als Wirkungen von Kräften nachgewiesen hat.

Allerdings ist nichts schwerer, als sich von den sinnlich unmittelbaren Vorstellungen los zu machen, welche man gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hat, welche man als erste rohe, aber practisch genügende Hypothese instinctiv erfasst hat, und die durch die Gewohnheit eines Lebens mit Einem verwachsen sind. Schon dazu gehört Fleiss, Kühe, Klarheit und Kraft des Denkens, die aus der Sinnlichkeit entspringenden und die übrigen Vorurtheile des Denkens als solche zu erkennen; noch mehr Muth gehört dazu, mit dem einmal Ueberwundenen in allen seinen Consequenzen rücksichtslos zu brechen; aber selbst wenn man Alles dies erreicht hat, so gehört noch eine fast übermenschliche Energie des Verstandes und Charakters dazu, sich nicht doch wieder von dem schon abgethan Geglaubten überrumpeln oder mindestens heimlich beeinflussen zu lassen; denn keine Aufgabe ist schwerer als die, sich nur eine volle, negative Freiheit des Denkens zu erringen. Gerade weil die aus der Sinnlichkeit entspringenden Vorurtheile nicht bewusste Schlüsse des Verstandes, sondern instinctive, practisch zureichende Eingebungen sind, sind sie so schwer durch bewusstes Denken zu vernichten und zu beseitigen. Man mag sich tausendmal sagen, dass der Mond am Horizonte dieselbe Winkelgrösse, also dieselbe scheinbare Grösse hat, wie oben am Himmel, dass es ein Irrthum des Verstandes ist, ihn oben am Himmel für kleiner aussehend zu halten, als unten am Rande, – derselbe Irrthum, der uns das Himmelsgewölbe nicht als Halbkugel, sondern als flachen Kugelabschnitt erscheinen lässt, – das Alles kann Einen nicht dazu bringen, den Mond in beiden Fällen gleich gross zu sehen, eben weil trotz der besseren bewussten Erkenntniss die instinctive Annahme sich behauptet.

Ein solches aus der Sinnlichkeit stammendes instinctives Vorurtheil ist auch der Stoff. Kein Naturforscher hat in seiner Wissenschaft mit dem Stoffe etwas zu thun, ausser insofern er ihn in Kräfte zerlegt, wobei sich also die scheinbaren Stoffwirkungen[108] als Kraftwirkungen herausstellen, d.h. der Stoff mehr und mehr in Kraft aufgelöst wird; dennoch wird man selbst heutzutage noch wenige Naturforscher finden, die die letzte Consequenz ihrer eigenen Wissenschaft zugeben würden, dass der Stoff nichts als ein System von Kräften ist; und der Grund hiervon liegt rein im sinnlichen Vorurtheil. Man vergisst, dass wir doch den Stoff so wenig unmittelbar wahrnehmen, wie die Atome, sondern nur seinen Druck, Stoss, Schwingungen u.s.w., dass also der Stoff doch auch bloss eine Hypothese ist, die sich erst vor dem Tribunal der Naturwissenschaft zu rechtfertigen hat, aber eben diese Rechtfertigung nicht bloss ewig schuldig bleibt, sondern statt dessen bei jedem in irgend welcher Richtung angestellten Verhöre in Kräfte verduftet; man vergisst dies, weil man sich dabei zufällig am Ellbogen stösst, und die instinctive Sinnlichkeit auf einmal »Stoff« in dies Raisonnement hineinschreit. – Geht man nun einem solchen Vorurtheil einmal ernstlich zu Leibe, so sucht es sich mit Sophismen zu behaupten; der Naturforscher vergisst die Regeln seiner Methode und rückt sogar mit apriorischen Gründen vor, um nur sein liebes Vorurtheil zu retten.

Da heisst es zunächst: »Ich kann mir keine Kraft ohne Stoff denken, die Kraft muss ein Substrat haben, an welchem, und ein Object, auf welches sie wirkt, und eben dies ist der Stoff; Kraft ohne Stoff ist ein Unding.« – Gehen wir auch auf die apriorische Seite der Betrachtung ein, nachdem wir erkannt haben, dass von empirischer Seite die Hypothese eines Stoffes keine Berechtigung hat.

Zunächst kann man behaupten, dass der Mensch so organisirt ist, dass er Alles denken kann, was sich nicht widerspricht, d.h. dass er jede in Worten gegebene Verbindung von begriffen vollziehen kann, vorausgesetzt, dass die Bedeutung der Begriffe ihm klar und präcis gegeben ist, und die verlangte Verknüpfung keinen Widerspruch enthält. Obige Behauptung sagt: »Kraft lässt sich nicht in selbstständiger realer Existenz, sondern nur in unlöslicher Verbindung mit Stoff denken.« Kraft ist ein deutlicher Begriff, selbstständige reale Existenz ebenfalls, also muss jeder gesunde Verstand die Verbindung beider Begriffe vollziehen können, wenn nicht diese Verbindung einen Widerspruch in sich trägt. Letzteres zu beweisen, dürfte wohl schwer fallen, folglich ist der erste negative Theil der Behauptung falsch. Wohlverstanden handelt es sich hier nur darum, ob die Verbindung denkbar sei, nicht ob sie [109] real existire; sonst wäre eben die Betrachtung nicht mehr apriorisch. – Der zweite positive Theil des Satzes behauptet, »dass Kraft in Verbindung mit Stoff zu denken sei.« Dieser Theil ist eben so falsch; man kann die Verbindung von Kraft und Stoff nicht denken, weil man den Stoff nicht denken kann, denn diesem Worte fehlt jeder Begriff. Gehen wir die verschiedenen Bedeutungen durch, die man möglicherweise dem Worte zuschreiben könnte. Die sinnliche Bedeutung ist zwar ganz bestimmt: Ursache des gefühlten Widerstandes, aber er löst sich in repulsive Atom-Kräfte auf, kann also nicht dem Begriffe Kraft gegenübergestellt werden. Der Begriff Masse, der schiefer Weise dem Begriffe Stoff untergeschoben werden könnte, ist weiter oben in Atomkräfte zerlegt worden, von ihm gilt also dasselbe; seine Verwechselung mit Stoff ist obenein nur in Bezug auf die grobsinnliche Bedeutung von Stoff vermittelst des Begriffes der Dichtigkeit möglich. Der physikalische Begriff der Undurchdringlichkeit ist ebenfalls in die auf unendlich kleine Entfernungen unendlich grosse Abstossungskraft der Aether-Atome aufgelöst, und kommt ausserdem nur den repulsiven Aether-Atomen und den Körpern, d.h. Dynamidensystemen, vermöge der in ihnen enthaltenen Aether-Atome zu, nicht aber den attractiven Körper-Atomen, da nicht einzusehen wäre, warum nicht zwischen zwei Körper-Atomen, die nicht durch Aether-Atome auseinandergehalten werden, in der That eine vollkommene Durchdringung und Verschmelzung statthaben sollte.A14

Endlich bliebe noch die Bedeutung übrig: »Substrat der Kraft«; indess muss ich zu meinem Bedauern gestehen, dass ich mir hier bei Substrat so wenig etwas zu denken vermag, wie bei Stoff. Schon Schelling sagt (System des transcend. Idealism. S. 317-318, Werke I. 3, S. 529-530): »Wer sagt, dass er sich kein Handeln ohne Substrat zu denken vermöge, gesteht eben dadurch, dass jenes vermeintliche Substrat des Denkens selbst ein blosses Product seiner Einbildungskraft, also wiederum nur sein eigenes Denken sei, das er auf diese Art in's Unendliche zurück als selbstständig vorauszusetzen gezwungen ist. Es ist eine blosse Täuschung der Einbildungskraft, dass nachdem man einem Object die einzigen Prädicate, die es hat, hinweggenommen hat, noch etwas, man weiss nicht was, von ihm zurückbliebe. So wird z.B. Niemand sagen, die Undurchdringlichkeit sei der Materie eingepflanzt, denn die Undurchdringlichkeit ist die Materie selbst« (was freilich nur die Hälfte der Wahrheit ist). Substrat bedeutet[110] manchmal dasselbe wie Subject, man wird aber doch nicht behaupten wollen, dass der todte Stoff etwas Subjectiveres sei, als die Kraft. Manchmal bedeutet Substrat »das zu Grunde Liegende«, d.h. ein causales Moment; davon kann hier noch weniger die Rede sein. Gewöhnlich bedeutet es Unterlage, schlechtweg in sinnlicher Bedeutung des Wortes; das Grobsinnliche muss aber hier ausgeschlossen bleiben, damit sind wir schon fertig. Kurz und gut, man kann sich hier bei Substrat gar nichts denken. Aber selbst wenn dies möglich wäre, blieben die Vertheidiger des Stoffes immer noch den Beweis der Berechtigung ihrer Hypothese eines Substrates der Kraft schuldig; denn ich kann das Bedürfniss einer Hypothese noch hinter der Kraft nicht eingehen, da ich behaupte, dass man die Kraft ganz gut selbstständig existirend denken kann. Es bleibt dabei: Stoff ist ein für die Wissenschaft leeres Wort, denn man kann keine einzige Eigenschaft angeben, welche dem damit bezeichneten Begriffe zukommen soll; es ist eben ein Wort ohne Begriff, wenn es nicht mit dem eines »Systems von Kräften« sich begnügt, wofür wir lieber »Materie« setzen. Demnach steht fest, dass die, welche behaupten, die Kraft nicht selbstständig denken zu können, sie in Verbindung mit dem Stoffe erst recht nicht denken können.A15

Ferner wird behauptet, »die Kraft müsse ein Object haben, auf welches sie wirkt, sonst könne sie nicht wirken.«. Dies ist unbedingt zuzugeben, nur das ist zu bestreiten, dass dieses Object der Stoff sein müsse. »Die Kraft jedes Atomes hat andere Atome zu ihrem Objecte«, das ist Alles, was die naturwissenschaftliche Hypothese verlangt; was an den Atomen dasjenige sei, was als Object dient, darum kümmert sich die Naturwissenschaft gar nicht; wir aber haben zu constatiren, dass wir bis jetzt am Atom nur die Kraft kennen, dass nichts im Wege steht, die Kraft als dasjenige am Atom zu betrachten, was der Kraft des an deren Atomes als Object dient, dass also schon aus diesem Grunde jede Veranlassung fehlt, die neue Hypothese des Stoffes aufzustellen. Dazu kommt noch die Analogie der geistigen Kräfte, welche ebenfalls einander zu Objecten haben, z.B. die als Motiv wirkende Vorstellung hat den Willen als Object, der Wille hat wieder die Vorstellung als Object u.s.f. Schon die reine Gegenseitigkeit in der Beziehung der Atomkräfte auf einander sollte vor der Annahme eines anderen Objectes als der Kraft selbst warnen.

Nehmen wir aber nun wirklich einen Augenblick an, die Atome[111] beständen ausser der Kraft auch noch aus Stoff, und betrachten, welche Schwierigkeiten für die Vorstellung beim Aufeinanderwirken zweier Atome A und B dadurch entstehen, und wie man die eine unberechtigte und überflüssige Annahme stets durch neue, ebenso willkürliche stützen muss. Die Kraft von A soll wirken auf den Stoff von B und umgekehrt, dadurch nähern sich die Stoffe von A und B, während die Kräfte ausser jeder Beziehung zu einander stehen, was man doch von vornherein gerade umgekehrt erwarten sollte, da die Kraft es ist, welche in die Ferne wirkt, aber nicht der Stoff, da Kraft und Kraft gleichartiger, Kraft und Stoff aber ungleichartiger Natur sind. Die Stoffe von A und B nähern sich also in Folge der momentanen Anziehung der gegenseitigen Kräfte. Was folgt daraus? Offenbar, dass Kraft und Stoff jedes Atomes sich trennen müssen, denn der Stoff wird durch die fremde Kraft veranlasst, seinen Platz zu ändern, die Kraft aber nicht. Soll nun dennoch Kraft und Stoff jedes Atomes beisammen bleiben, und gleichwohl die Kraft nicht durch die Kraft des fremden Atomes direct zur Ortsveränderung genöthigt werden können, so folgt mit logischer Nothwendigkeit, dass die Kraft von A durch den Stoff von A zur Ortsveränderung genöthigt werden muss. Damit ist dem Stoffe aber Wirken, also Activität zugeschrieben, während er im Allgemeinen gerade die absolute Passivität gegenüber der Activität der Kraft vertreten soll. Die Art und Weise dieses Wirkens ist aber völlig unbegreiflich, denn wenn der Stoff activ wirkend wird, so wird er ja schon wieder Kraft. Anstatt dass also die Kraft A, wie natürlich wäre, die Kraft B zu sich heranzieht, bewegt sie den Stoff von B, und der Stoff von B bewegt erst die Kraft von B.

Wie Kraft an Stoff »gebunden« sein soll, was der Lieblingsausdruck der Anhänger des Stoffes ist, dabei muss ich gestehen, kann ich mir gar nichts denken. Auch möchte es denselben schwer fallen, Folgendes zu beantworten: Soll man sich die Kraft an den Mittelpunct des stofflichen Atomes gebunden denken, oder auf den ganzen Stoff desselben gleichmässig vertheilt? Denn ein stoffliches Atom muss doch eine gewisse Grösse haben!

Erstere Annahme umgeht die mit der anderen verknüpften Schwierigkeiten allerdings, aber dann ist die Kraft eigentlich nicht mehr an den Stoff gebunden, sondern an einen mathematischen Punct, der doch unmöglich stofflich sein kann, und der nur zufällig mit dem Mittelpuncte einer stofflichen Kugel zusammenfällt; dann ist das Wirken des Stoffes auf die Bewegung der Kraft erst[112] recht nicht zu begreifen, vielmehr die stoffliche Kugel ein fünftes Rad am Wagen, da nur der Punct, das ideelle Centrum derselben, zur Sprache kommt. Bei der zweiten Annahme sind die Schwierigkeiten jedoch noch weit grösser, denn dann wirkt ja von jedem Puncte des stofflichen Atomes ein Theil der Kraft und jeder dieser Puncte hat eine andere Entfernung von dem Atome, auf welches gewirkt wird. Es ist dann erst von allen diesen Partialkräften die Resultante zu nehmen, deren Angriffspunct nun beim Wirken auf endliche Entfernungen keineswegs mehr in den Mittelpunct der stofflichen Atomkugel fällt, sondern nach jeder Richtung des Wirkens ein anderer wird. Zu dieser Betrachtung aber muss man sich offenbar das Atom in unendlich viele Theile zerlegt denken, deren jeder mit dem unendlichsten Theile der Kraft behaftet ist. Mag man sich solch ein Atomtheilchen so klein denken, als man will, so ist es doch immer noch Stoff und noch kein mathematischer Punct, also kann die Verbindung desselben mit der Kraft doch wieder nur begriffen werden, indem man die Kraft gleichmässig innerhalb desselben vertheilt denkt; so ist man abermals zur unendlichen Theilung gezwungen u.s.f., d.h. man muss das stoffliche Atom unendlich mal in's Unendliche theilen, und kommt trotz alledem doch niemals dazu, zu begreifen, wie die Kraft an den Stoff vertheilt ist, da man die Aeusserung der einfachen Kraft schlechterdings nur auf den mathematischen Punct bezogen denken kann, und dieser wieder nicht mehr stofflich ist. (Dies haben die bedeutendsten Physiker und Mathematiker, wie Ampère, Cauchy, W. Weber u.a.m., anerkannt, und deshalb zugegeben, dass die Atome als absolut ausdehnungslos gedacht werden müssten.)

Betrachten wir dagegen, wie sich die Sache ohne Stoff stellt. Wir haben nichts zu thun, als die Vorstellung über Atomkraft festzuhalten, welche auch die Vertheidiger des Stoffes haben, dass sie die letzte unbekannte Ursache der Bewegung ist, deren Wirkungsrichtungen rückwärts verlängert, sich sämmtlich in einem mathematischen Puncte schneiden. Selbst wer die Atomkraft auf den ganzen Stoff des, Atomes gleichmässig vertheilt annimmt, kann, wie gesagt, sich dieser Anschauungsweise nicht entziehen, denn er muss die Gesammtkraft des Atomes als Resultante einer unendlichen Masse punctueller Kräfte innerhalb des Atomes auffassen, wie widerspruchsvoll auch diese Anforderung ist.

Ferner nehmen auch die Vertheidiger des Stoffes die Möglichkeit einer relativen Ortsveränderung dieses Punctes an, in[113] welchem sich die Richtungen der Kraftäusserungen schneiden. Wir lassen vorläufig die Frage unerörtert, ob die Kraft als solche, abgesehen von ihren Aeusserungen, etwas ist, dem man Räumlichkeit oder einen Ort im Raume beilegen kann; wenn sie einen Ort hat, so ist es jedenfalls dieser Durchschnittspunct, und wir nennen deshalb vorläufig diesen den Sitz der Kraft. Wir nehmen ferner an, dass die Atomkräfte sich gegenseitig als Objecte dienen, d.h. dass die gegenseitige Anziehung von A und B die Ortsveränderung des Sitzes der Kräfte bewirkt, in dem Sinne, dass dieselben sich einander nähern, bei Abstossung sich entfernen. Ich sehe nicht, wo man hier Schwierigkeiten finden könnte. Die Kräfte wirken nach naturwissenschaftlicher Annahme in die Ferne, und sind gleichartiger Natur, warum sollen sie nicht auf einander wirken, wenn man doch bisher eine Wirkung der Kraft auf den ihr heterogenen Stoff und eine Wirkung des todten Stoffes auf die ihm heterogene Kraft zugegeben hat? Wir brauchen nur Annahmen, die bisher schon da waren, streichen von den früheren mehrere als überflüssig und ungerechtfertigt weg, kommen trotzdem nicht nur ebenso gut, sondern um Vieles einfacher und plausibler zum Ziele, und vermeiden alle Schwierigkeiten, die sich im Gefolge jener nutzlosen Annahmen einstellten. Rechnen wir dazu, dass jene Annahmen auf einem leeren Worte ohne jeden Begriff beruhen, so wird der aus der Vereinfachung der Principien hervorgehende Gewinn nicht gering angeschlagen werden dürfen.

Dazu kommt noch als Feuerprobe, dass unsere nunmehrige Auffassung der Materie die beiden bisher getrennten Parteien der Atomisten und Dynamisten in sich aufhebt, da sie aus dem Umschlag des Atomismus in Dynamismus entstanden ist, alle bisherigen Vorzüge des Atomismus, die ihm seine ausschliessliche Geltung in der heutigen Naturwissenschaft gesichert haben, unangetastet beibehält, ihn von allen nur zu berechtigen Vorwürfen der Dynamisten reinigt, und das Grundprincip des Dynamismus, die Leugnung des Stoffes, auf einem neuen, viel gründlicheren Wege aus sich gebiert. Wir können diese Auffassung daher mit Recht atomistischen Dynamismus nennen. Der Dynamismus in seiner bisherigen Gestalt konnte, abgesehen von dem Mangel einer empirischen Begründung, schon darum niemals von der Naturwissenschaft acceptirt werden, weil seine Formlosigkeit jeden Rechnungsansatz unmöglich machte. Wenn Kräfte räumlich wirken sollen, so müssen sie zunächst ihre Wirkungen räumlich bestimmen, also dieselben auf[114] bestimmte Ausgangspuncte beziehen; hier mit ist unmittelbar der Punct als Ausgangspunct der materiellen Kraft gegeben, daher musste auch der Dynamismus, sobald er sich formell näher zu bestimmen suchte, nothwendig aus sich in Atomismus umschlagen, denn er gewann eben erst dann eine greifbare Gestalt, wenn er das Spiel entgegengesetzter Kräfte auf Kraftindividuen, d.h. Atome, bezog; diesen Standpunct vertritt schon Leibniz in einer ziemlich ausgesprochenen Weise. »II n'y a que les points métaphysiques, ou de substance, qui soient exactes et réels. – Il n'y a que les atomes de substance, c'est à dire, les unités réelles et absolument déstituées de parties, qui soient les sources des actions et les premiers principes absolus de la composition de choses, et comme les derniers élémens de l'analyse des substances.« (Système nouveau de la nature, No. 11.) – Leibniz begreift die »Substanz« durchaus nur als Kraft, und die Kraft ist ihm die einzige und wahre Substanz, vgl. de primae philosophiae emendatione et de notione substantiae; dass er dies thut, und mit dem Begriff der Kraft implicite den Begriff des Willens in die Substanz hineinlegt, ist sein hauptsächlicher metaphysischer Fortschritt gegen Spinoza. Freilich war damals die Naturwissenschaft noch zu weit zurück, als dass er sich mit ihr in wirksame Verknüpfung hätte setzen können. Viel näher hätte dies Schelling gelegen, der sich ganz entschieden zu einer dynamischen Atomistik bekennt, aber principiell seine Behauptungen apriorisch deducirt, weshalb auch seine Anschauungsweise auf die Naturwissenschaft keinen Einfluss hat gewinnen können. Er sagt (Werke I., 3, S. 23):

»Was untheilbar ist, kann nicht Materie sein, so wie umgekehrt, es muss also jenseits der Materie liegen; aber jenseits der Materie ist die reine Intensität – und dieser Begriff der reinen Intensität ist ausgedrückt durch den Begriff der Action.« – (S. 22): »Die ursprünglichen Actionen aber sind nicht selbst Raum, sie können nicht als Theil der Materie angesehen werden. Unsere Behauptung kann sonach Princip der dynamischen Atomistik heissen. Denn jede ursprüngliche Action ist für uns, ebenso wie der Atom für den Corpuscularphilosophen, wahrhaft individuell, jede ist in sich selbst ganz und beschlossen, und stellt gleichsam eine Naturmonade vor.« (S. 24): »Im Raum aber ist nur ihre Wirkung darstellbar, die Action selbst ist eher als der Raum, extensione prior.« –

Wenn so einerseits der Dynamismus, selbst wo er zu atomistischer Individualisation der Kraft gelangte, nicht im Stande war, sich als etwas empirisch Berechtigtes auszuweisen, so konnte andererseits[115] der Atomismus sich zu keiner Zeit gegen den Vorwurf der logischen Widersprüche genügend vertheidigen, welcher von jeher gegen seine stofflichen Atome geltend gemacht worden ist; wenn trotzdem die Naturwissenschaft sich mit immer wachsender Entschiedenheit zu ihm hingewandt hat, so beweist dies doch wohl gewiss eine starke innere Nöthigung, mit welcher trotz des anerkannten Widerspruches die Gewalt der Thatsachen den Naturforscher immer und immer wieder zur atomistischen Erklärung hindrängte. Der atomistische Dynamismus leistet allen Anforderungen Genüge, indem er die positiven Principien beider Seiten in sich vereint.

Recapituliren wir noch einmal kurz diese Principien, so lauten sie: Es giebt gleich viel positive und negative, d. i. anziehende und abstossende Kräfte. Die Wirkungsrichtungen jeder Kraft schneiden sich in einem mathematischen Punct, welchen wir den Sitz der Kraft nennen. Dieser Sitz der Kraft ist beweglich. Jede Kraft wirkt auf jede andere auf dieselbe Weise, gleich viel, welches Vorzeichen dieselbe hat. Die positive Kraft heisst Körper-Atom, die negative Aether-Atom. Auf eine gewisse (Molecular-) Entfernung ist die Abstossung eines Aether-Atoms und die Anziehung eines Körper-Atoms einander gleich, aber da das Gesetz ihrer Veränderung mit der Entfernung verschieden ist, überwiegt zwischen Aether- und Körper-Atom auf kleinere Entfernungen die Abstossung, auf grössere die Anziehung. Körper-Atome mit zwischengelagerten, sie auseinander haltenden Aether-Atomen vereinigen sich zu den Molecülen der chemischen Elemente, diese auf dieselbe Weise zu den Molecülen der chemisch zusammengesetzten Körper, diese zu den materiellen Körpern selbst. Die Materie ist also ein System von atomistischen Kräften in einem gewissen Gleichgewichtszustande. Aus diesen Atomkräften in den verschiedenartigsten Combinationen und Reactionen entstehen alle sogenannten Kräfte der Materie, wie Gravitation, Schwere, Expansion, Elasticität, Krystallisation, Elektricität, Galvanismus, Magnetismus, chemische Verwandtschaft, Wärme, Licht u.s.w.; nirgends, so lange wir uns im unorganischen Gebiete bewegen, brauchen wir andere als die Atomkräfte zu Hülfe zu rufen. –

Wir haben somit gesehen, das von den beiden materialistischen Principien Kraft und Stoff das letztere unter der Hand in das erstere zerflossen und aufgegangen ist, und wissen jetzt genau, was wir unter der Kraft zu verstehen haben, nämlich einen anziehenden oder abstossenden, positiv oder negativ wirkenden Kraftpunct. Jetzt ist der Begriff der Kraft so präcisirt, dass wir unmittelbar auf denselben[116] losgehen können, ohne bei der Untersuchung befürchten zu müssen, dass wir den Begriff anders gefasst haben, als die Naturwissenschaft und der Materialismus ihn meint. Sehen wir zu, als was dieser Begriff sich ausweist.

Die anziehende Atom-Kraft strebt jedes andere Atom sich näher zu bringen; das Resultat dieses Strebens ist die Ausführung oder Verwirklichung der Annäherung. Wir haben also in der Kraft zu unterscheiden das Streben selbst als reinen Actus, und das, was erstrebt wird als Ziel, Inhalt oder Object des Strebens. Das Streben liegt vor der Ausführung; insoweit die Ausführung schon gesetzt ist, insoweit ist das Streben verwirklicht, ist also nicht mehr; nur das noch zu verwirklichende, also noch nicht verwirklichte Streben ist. Mithin kann die resultirende Bewegung nicht als Realität in dem Streben enthalten sein, da beide in getrennten Zeiten liegen. Wäre sie aber gar nicht in dem Streben enthalten, so hätte dieses keinen Grund, warum es Anziehung und nicht irgend etwas Anderes, z.B. Abstossung erzeugen sollte, warum es sich nach diesem und nicht nach jenem Gesetze mit der Entfernung ändert, es wäre dann leeres, rein formelles Streben ohne bestimmtes Ziel oder Inhalt, es müsste also ziellos und inhaltslos und dem zufolge resultatlos bleiben, was der Erfahrung widerspricht. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass ein Atom nicht auf zufällige Weise bald anzieht, bald abstösst, sondern in dem Ziele seines Strebens völlig consequent und immer sich selbst gleich bleibt. Es bleibt mithin nichts übrig, als dass das Streben der Anziehungskraft die Annäherung und das Gesetz der Aenderung nach der Entfernung, d.h. also die gesammte veränderliche Bestimmtheit ihrer Wirkungsweise, in sich enthält, und dennoch nicht als Realität in sich enthält.

Da das Streben oder die Kraft des Atoms constituirendes Urelement der Materie und als solches in sich einfach und immateriell ist, hier also von materiellen Prädispositionen nicht mehr die Rede sein kann, so müssen obige Anforderungen auf immaterielle Weise vereinigt werden. Dies ist nur möglich, wenn das Streben die gesammte gesetzmässig veränderliche Bestimmtheit seiner Aeusserungsweise als einen der Realität gleichenden Schein, gleichsam als Bild besitzt, d.h. aber, wenn es dasselbe ideell oder als Vorstellung besitzt. Nur wenn in dem Streben der Atomkraft das »Was« des Strebens ideell vorgezeichnet ist, nur dann ist überhaupt eine Bestimmtheit des Strebens gegeben, nur dann ist ein Resultat des[117] Strebens, nur dann jene Consequenz möglich, die in demselben Kraftindividuum stets dasselbe positive oder negative Ziel des Strebens festhält, aber doch auf ein zweites Atom von dieser Ferne mit dieser Stärke, auf ein drittes von jener Ferne in jener Stärke wirkt. Ohne sich selbst zu ändern, ändert die Atomkraft das Maass ihrer Wirkung nach Maassgabe der Umstände, und zwar mit logischer Gesetzmässigkeit (Mechanik = angewandte Mathematik, Mathematik = angewandte Logik); diese Necessitation durch die Umstände lässt ihre Activität, ihre Selbstthätigkeit unangetastet, und erfordert deshalb nichtsdestoweniger das unmittelbare Hervorgehen der Action aus der inneren Bestimmung, erfordert also die Idealität als Prius der Realität, und lässt die Necessitation als eine logische Necessitation (aus der logischen Bestimmtheit der Idee heraus) erkennen.

Was ist denn nun aber das Streben der Kraft anders als Wille, jenes Streben, dessen Inhalt oder Object die unbewusste Vorstellung dessen bildet, was erstrebt wird? Man vergleiche nur Cap. A. IV. S. 100-104; was wir hier aus der Kraft abgeleitet haben, haben wir dort aus dem Willen abgeleitet. Dass der Wille seiner Natur nach etwas directer Weise ewig Unbewusstes ist, haben wir Cap. C. III. S. 45-51 gezeigt, dass er hier auch mittelbar unbewusst bleiben muss, da sein Inhalt eine unbewusste Vorstellung ist, versteht sich von selbst. Nicht gewaltsam haben wir den Begriff des Willens so viel erweitert, dass man den der Kraft hineinschachteln kann; sondern indem wir von dem als solchen anerkannten Willen des Hirnbewusstseins ausgingen, hat dieser Begriff von selbst die ihm vom Bewusstsein unberechtigter Weise gezogenen Schranken zerbrochen (I, 59-61), und sich nach und nach als das in allen Thätigkeiten des Thier- und Pflanzenreiches wirksame Princip ausgewiesen. Jetzt sehen wir zu unserem Erstaunen, dass, wenn wir unter dem Begriff einer (nicht mehr abgeleiteten, sondern selbstständigen) Kraft irgend Etwas denken wollen, wir genau dasselbe dabei denken müssen, was wir bei Willen gedacht haben, dass also beide Begriffe identisch sein würden, wenn nicht Kraft durch conventionelle Beschränkung seines Inhaltes enger wäre, und ausserdem noch ganz vorzugsweise für abgeleitete Kräfte gebraucht würde, d.h. für bestimmte Combinationen und Aeusserungen der Atomkräfte, z.B. Elasticität, Magnetismus, Muskelkraft u.s.w. Den Begriff Willen durch den Begriff Kraft zu ersetzen, oder gar ihn unter den letzteren zu subsummiren wäre also deshalb schlecht, weil Kraft ursprünglich das Abgeleitete, erst im strengsten wissenschaftlichen[118] Sinne das Primäre, dagegen Wille immer das Primäre bedeutet, und weil Kraft in der gewöhnlichen Sprachbedeutung und der Anschauung des gemeinen Verstandes ein viel unverstandenerer Begriff ist, als Wille, man auch durch die grobsinnliche Auffassung gewöhnt ist, sich vorzugsweise etwas Materielles bei Kraft zu denken, da der Begriff erst vom Muskelkraftgefühle auf andere äussere Gegenstände übertragen ist. So viel innerlicher, wie der Wille als das Muskelkraftgefühl ist, so viel bezeichnender ist das Wort Wille für das Wesen der Sache als das Wort Kraft. (Vgl. Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung §. 22 und Wallace, »Beiträge zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl« deutsch von A. B. Meyer S. 417-423; Wallace erklärt sich ebenso entschieden gegen die Beibehaltung des Stoffs neben der Kraft als für die Willensnatur aller Kraft und damit des gesammten Universums.)

Die Aeusserungen der Atomkräfte sind also individuelle Willensacte, deren Inhalt in unbewusster Vorstellung des zu Leistenden besteht. So ist die Materie in der That in Wille und Vorstellung aufgelöst. Damit ist der radicale Unterschied zwischen Geist und Materie aufgehoben, ihr Unterschied besteht nur noch in höherer oder niederer Erscheinungsform desselben Wesens, des ewig Unbewussten, aber ihre Identität ist damit erkannt, dass das Unbewusste in Geist und Materie gleichmässig sich als intuitiv-logisch-Ideales bethätigt, und die so concipirte ideale Anticipation des Wirklichen dynamisch realisirt. Die Identität von Geist und Materie hat hiermit aufgehört, ein unbegriffenes und unbewiesenes Postulat, oder ein Product mystischer Conception zu sein, indem sie zur wissenschaftlichen Erkenntniss erhoben ist, und zwar nicht durch Tödtung des Geistes, sondern durch Lebendigmachung der Materie. Nur zwei Standpuncte gab es bisher, welche diesen Dualismus wirklich vermieden, aber beide vermochten dies nur dadurch, dass sie die Wahrheit der einen Seite keck ableugneten. Der Materialismus leugnete den Geist, der Idealismus die Materie; ersterer betrachtete den Geist als einen substanzlosen Schein, der aus gewissen Constellationen materieller Functionen resultire; letzterer betrachtete die Materie als substanzlosen Schein, der aus der Eigenthümlichkeit subjectiver bewusster Geistesfunction resultire. Das eine ist so einseitig und unwahr wie das andere, und der unüberwundene starre Dualismus von coordinirtem Geist und Materie beiden vorzuziehn. Diesen Dualismus nicht bloss durch Ableugnung einer Seite zu umgehen, sondern wirklich zu überwinden und in sich aufzuheben vermag nur eine[119] Philosophie, welche in dem subjectiven bewussten Geist sowohl wie in der Materie nur Erscheinungen eines und desselben Princips auf subjectivem resp. objectiven Gebiete erkennt, eines Princips, das höher ist als beide, und zugleich minder differenzirt als beide, mit einem Worte eine Philosophie des Unbewussten (sei es nun Hegel's unbewusste Idee oder Schopenhauers unbewusster Wille oder die substantielle Einheit beider in Schellings ewig Unbewussten).

Betrachten wir jetzt, wie sich der Atomwille zum Raum verhält. Ohne dass wir irgendwie nöthig haben, uns auf die Frage nach dem Wesen des Raumes einzulassen, können wir so viel sagen: der Raum kann eine zwiefache Existenz haben, eine reale an Körpern oder begrenzten Leeren, und eine ideale in der Vorstellung von Körpern und begrenzten Leeren. Wenn der ideale Raum in der Vorstellung ist, so kann das Vorstellen nicht im idealen Raume sein, den es erst schafft; wenn Hirnschwingungen das Unbewusste zu einer Reaction mit bewusster Wahrnehmung nöthigen, so hat diese Wahrnehmung mit dem Ort der schwingenden Stelle im Hirn, oder dem Ort dieses wahrnehmenden Menschen auf der Erde nichts zu thun, die Vorstellung ist also auch nicht im realen Raum. Der Wille ist das Uebersetzen des Idealen in's Reale; er fügt dem Idealen, seinem Inhalt, dasjenige hinzu, was das blosse Denken ihm nicht geben kann, indem es ihn realisirt; indem dieser sein Inhalt, welcher allemal eine Vorstellung ist, auch ideell-räumliche Bestimmungen enthält, realisirt der Wille auch diese räumlichen Bestimmungen mit, und setzt so auch den Raum aus dem Idealen in's Reale, setzt so den realen Raum. (Wie der Raum im Idealen entsteht, geht uns hier nichts an, genug dass der Wille es ist, der den realen Raum setzt.) Das, was der Wille erst schafft, kann nicht vor vollendetem Wollen schon vorhanden sein, der Wille als solcher kann also nicht realräumlich sein. Mit dem idealen Raum aber hat der Wille erst recht nichts zu thun, denn der existirt ja bloss in der Idee, d. i. in der Vorstellung. Kurz und gut, Wille und Vorstellung sind beide unräumlicher Natur, da erst die Vorstellung den idealen Raum, erst der Wille durch Realisation der Vorstellung den realen Raum schafft. Hieraus folgt, dass auch der Atomwille oder die Atomkraft nichts Räumliches sein kann, weil sie, wie Schelling sagt, extensione prior ist.

Dies möchte der gewohnten Auffassung für den Augenblick auffallend erscheinen, das Auffallende verschwindet aber sofort, wenn[120] man es mit den räumlichen Wirkungen des Willens in Organismen vergleicht. Der Wille bewegt in mir gewisse Nervenmolecüle in der Weise, dass durch Fortpflanzung des Stromes und Benutzung der polarischen Kräfte in Nerven und Muskeln mein Arm einen Centner hebt. Der Wille hat also gewisse räumliche Lagenveränderungen unmittelbar hervorgebracht, welche wir zwar nicht genauer kennen, von denen wir aber so viel sagen können, dass ihre Bewegungsrichtungen sich keineswegs in einem gemeinschaftlichen Durchschnittspuncte treffen, sondern vermuthlich in Drehungen einer gewissen Anzahl von Molecülen um ihre Axe bestehen. Die Bewegung erfolgt gerade in dieser Weise deshalb, weil die unbewusste Vorstellung, welche den Inhalt des Willens bildet, gerade diese Art von Bewegung ideell enthält. Enthielte dagegen diese Vorstellung ideell solche Bewegungen, welche sich in einem gemeinschaftlichen Puncte schneiden, so würde der Wille auch solche Bewegungen realisiren, und dies thut er in dem Atomwillen. Man sieht also, dass der gemeinschaftliche Durchschnittspunct aller Aeusserungen des Atomwillens etwas rein Ideelles, ich möchte, um nicht missverstanden zu werden, noch lieber sagen: Imaginäres, ist, und nur mit einer grossen Licenz des Ausdruckes der Sitz des Willens oder der Kraft genannt werden kann; denn das einzig Räumliche an der ganzen Sache sind die Kraftäusserungen, welche nie und nimmer den gemeinsamen Durchschnittspunct erreichen, indem dieser immer nur in ihrer idealen Verlängerung liegt. Trotzdem muss dieser Punct ein bestimmter im Verhältniss zu allen übrigen sein (denn zum oder im blossen Raume giebt es keinen bestimmten Punct), da nur so die Lage der Kraftäusserungen zu einander eine bestimmte sein kann, d.h. also die Entfernung des idealen Durchschnittspunctes von allen ähnlichen Durchschnittspuncten ist bestimmt. Daraus folgt natürlich, dass diese Entfernung sich auch ändern kann, d.h. dass der Punct bewegungsfähig ist.

Was geschieht also in Wirklichkeit, wenn zwei anziehende Kräfte sich einander nähern? Erstens die Anziehung wächst; zweitens ihre Wirkungen auf alle seitlich liegenden Atome ändern ihre Richtung in der Art, dass ihre nunmehrigen idealen Durchschnittspuncte einander näher gerückt gedacht werden müssen; die erste und die zweite Aenderung stehen in einem solchen Verhältnisse, dass die Anziehung um das n2fache gewachsen ist, wenn die aus der Richtungsverschiebung der seitlichen Kraftäusserungen abgeleitete Verminderung der Entfernung der Durchschnittspuncte das [121] nfache beträgt. Das Reale sind also immer nur die Kraftäusserungen, die eine gewisse Richtung und Stärke haben, und die Veränderung dieser Richtung und Stärke, während die Durchschnittspuncte etwas Ideales sind und bleiben. Ersteres Beides bildet aber als Vorstellung den Inhalt des Atomwillens, und man wird nunmehr verstehen, wie der Wille selbst etwas Unräumliches sein kann, und keineswegs in dem idealen Durchschnittspuncte zu wohnen und mit diesem herumzuwandern braucht, während doch die Realisationen seines Inhaltes räumlicher Natur sind und einen gemeinschaftlichen ideellen Durchschnittspunct haben, dessen Lage zu anderen solchen ideellen Durchschnittspuncten bestimmt und variabel ist. –

Es könnte hier die Frage erhoben werden, ob die Atome ein Bewusstsein haben; jedoch glaube ich, dass zu einer Entscheidung derselben zu sehr alle Daten fehlen, da wir über die zur Bewusstseinserzeugung erforderliche Art und über den zur Ueberschreitung der Empfindungsschwelle nöthigen Grad der Bewegung noch so gut wie gar nichts wissen. So viel aber können wir mit Bestimmtheit behaupten: wenn die Materie ein Bewusstsein hat, so ist es ein atomistisches Bewusstsein, und zwischen den Bewusstseinen der einzelnen Atome ist keine Gemeinschaft möglich. Darum ist es entschieden falsch, von dem Bewusstsein eines Krystalles oder eines Himmelskörpers zu sprechen, denn in unorganischen Körpern können höchstens die Atome jedes für sich ein Bewusstsein haben. Natürlich würde dieses Atombewusstsein an Armuth des Inhaltes die denkbarst letzte Stufe einnehmen. – Leibniz, welcher das Phänomen der Empfindungsschwelle noch nicht kennt, glaubt noch berechtigt zu sein, aus dem Gesetz der Continuität (natura non facit saltus) und dem der Analogie (sympnoia panta) für jede, auch die niedrigste Monade einen gewissen Grad von Bewusstsein ableiten zu dürfen. Indess durch das Gesetz der Schwelle verschwindet diese Berechtigung. Wenn man z.B. Kohlensäuregas immer mehr comprimirt, so nimmt es zwar einen immer kleineren Raum ein, bleibt aber immer noch Gas; plötzlich jedoch kommt man an einen Punct, wo es nicht mehr zusammendrückbar ist, sondern flüssig wird; dies ist, so zu sagen, die Schwelle des gasförmigen Zustandes. So mag auch in der Stufenreihe der Individuen oder Monaden das Bewusstsein zunächst immer ärmer und ärmer werden, aber immer noch Bewusstsein bleiben, bis plötzlich ein Punct kommt, wo die Abnahme zu Ende ist, und das Bewusstsein aufhört, indem die Schwelle[122] der Empfindung nach unten überschritten ist. Wer vermag aber diesen Punct in der Natur mit Sicherheit anzugeben?

Wir werden schliesslich die Frage zu berücksichtigen haben, ob wir bei unserer jetzigen Auffassung der Atome als Willensacte dieselben noch als viele Substanzen ansehen dürfen, oder nicht vielmehr als Erscheinungen Einer Substanz, ob also jedem Atom ein gesonderter, selbstständiger, substantieller Wille, – selbstverständlich dann auch mit gesondertem Vorstellungsvermögen ausgerüstet, – entspricht, oder ob diesen vielen gegen einander wirkenden Actionen und Thätigkeiten ein einziger identischer Wille zu Grunde liegt. Nachdem wir als das räumlich Reale nur die Opposition, das Widerspiel der Actionen erkannt, die Kräfte selbst aber als etwas schlechthin Unräumliches begriffen haben, verschwindet jeder Grund, Wille und Vorstellung im ewig Unräumlichen in eine zahllose Vielheit von Einzelsubstanzen zu zersplittern, und zwingt vielmehr die Unmöglichkeit des Anfeinanderwirkens solcher isolirten und berührungslosen Substanzen zu der Annahme, dass die Atome ebenso wie alle Individuen überhaupt blosse objectiv-reale Erscheinungen oder Manifestationen des All-Einen seien, in welchem, als in ihrer gemeinsamen Wurzel, ihre realen Beziehungen zu einander sich vermitteln können (vgl. Cap. C. VII. und XI). Wären die Atome substantiell getrennt und verschieden, so würden auch die von ihren unbewussten Vorstellungsfunctionen gesetzten Räume so viele sein, als es Atome giebt, und demgemäss würden auch die durch die atomistischen Willensfunctionen realisirten Räume so viele sein, als es Atome giebt; es käme also gar nicht dasjenige zu Stande, was die Gemeinsamkeit der räumlichen Beziehungen der Atomfunctionen auf einander erst ermöglicht, nämlich der Eine objectiv-phänomenale, d.h. objectiv-reale Raum. Ein solcher kann durch die Realisirung der unbewussten Raumideen eben nur dann entstehen, wenn diese letzteren in sämmtlichen Atomen nur die innere Mannichfaltigkeit des Inhalts einer einzigen Gesammtidee ausmachen und dies ist wieder nur dann möglich, wenn die sämmtlichen Atomfunctionen Functionen eines und desselben Wesens, oder Modi Einer absoluten Substanz sind. Wer bei dem Pluralismus der für substantiell verschieden gehaltenen Atome stehen bleiben will, für den wird auch bei unserer Auffassung der Materie stets ein unerklärlicher Rest übrig bleiben; derselbe verschwindet jedoch, sobald der letzte ohnehin unvermeidliche Schritt zum metaphysischen Monismus gethan wird.[123]

4

Da wir sehen werden, dass die Kraft nur ein pseudomaterialistisches, in der That aber ein spiritualistisches Princip ist, so würde der consequente Materialismus, der aber in dieser Form noch nirgends aufgestellt ist, vor allen Dingen die Kraft zu leugnen, d.h. die Bewegung als ein Letztes, keiner Erklärung Fähiges und Bedürftiges, als eine ewige und ursprüngliche Eigenschaft des Stoffes anzusehen haben. Der Umstand, dass viele abgeleitete Kräfte (wie magnetische Anziehung oder Abstossung zwischen Drähten, die von galvanischen Strömen durchzogen sind) in der That nur Resultate eigenthümlicher Bewegungscombinationen sind, könnte dazu verlocken, auf diesem Wege weiter zu gehen, und zu versuchen, ob sich auch die elementaren Kräfte der allgemeinen Massenanziehung (Gravitation) und der Abstossung im Aether als Resultate von gewissen Bewegungsformen erklären lassen. Es wird zu diesem Behuf zunächst der Aether geleugnet und eine Anfüllung des Weltraums mit sehr verdünnten permanenten Gasen supponirt; alsdann wird die Abstossung als Resultat der Wärmeschwingungen betrachtet, und endlich die Gravitation entweder nach Analogie der Anziehung galvanischer Ströme als Nebenproduct transversaler (Wärme- oder anderer) Schwingungen, oder aber als ein aus der Abstossung peripherischer Schichten resultirendes Phänomen zu erklären versucht. Dem steht folgendes entgegen: Erstens würde die Weltluft sich bei dem Mangel einer Anziehungskraft längst in's Unendliche zerstreut, also zu drücken aufgehört haben. Zweitens würde die nothwendig vorauszusetzende vollkommene Elasticität der Atome bei dem Mangel abstossender Kräfte unerklärlich sein. Drittens müssten die Atome in Ermangelung jeder Kraft als stofflich gesetzt werden, da wohl eine stofflose Kraft, aber nicht eine stofflose Bewegung das Bewegliche im Raum sein kann; es würde also dadurch unmöglich, die Widersprüche des Stoffes durch Beseitigung der Annahme desselben zu überwinden. Viertens würden die Widersprüche eines leeren seiende Raumes und einer Bewegung des Stoffes in demselben dadurch unüberwindlich, wie dieselben u. A. von Lotze in seiner Metaphysik hervorgehoben sind; denn der Stoff muss den Raum schon vorfinden, während die Kraft ihn durch ihre Funktion erst setzt.

5

Nicht mit Atom zu verwechseln, wie die ältere Physik that. Solche philosophische Leser, welche mit einer gewissen Voreingenommenheit gegen die physikalische Atomtheorie an dieses Capitel herantreten, verweise ich auf Fechner's Schrift: »Ueber die physikalische und philosophische Atomlehre«. Leipzig 1855, namentlich auf S. 18-63 und 129-141, obwohl die physikalische Atomlehre seitdem durch Ausbildung der Wärmetheorie sehr viel weiter gefordert ist. Vergl. zu diesem Cap. meinen Aufsatz: »Dynamismus und Atomismus (Kant, Ulrici, Fechner)« in den »Ges. phil. Abhandl.« No. VII. – Hier sei zur vorläufigen Orientirung nur soviel bemerkt, dass die Spaltung in Atome metaphysisch genommen nichts andres repräsentirt als die specielle Form, in welcher auf dem Gebiete der Materie das allgemeine philosophische Princip der Individuation seine Verwirklichung findet.

A12

S. 100 Z. 2. Früher nahm man an, dass der Aether die alleinige Erfüllung des Raumes zwischen den Himmelskörpern bilde. Diese Ansicht tritt gegenwärtig mehr und mehr zurück vor der anderen, dass die permanenten Gase in einem Zustande äusserster Verdünnung diesen Zwischenraum einnehmen. Dass die Intervalle der Planeten mit permanenten Gasen erfüllt sind, ist gegenwärtig schon als ziemlich sicher anzunehmen, dass aber auch zwischen den einzelnen Sonnen unserer Weltlinse die Körpermolecüle der Gase nicht fehlen, darf schon jetzt als wahrscheinlich gelten. Wenn hiernach der Aether als hypothetisches Medium zur Erfüllung des kosmischen Baumes seine Bedeutung verloren hat, so hat er dafür doch als Hypothese für die Erklärung der Constitution der Materie in neuerer Zeit beständig an Bedeutung gewonnen. Die beachtenswerthe Edlund'sche Theorie der Elektricität z.B. beruht auf der Annahme, dass der nichtelektrische Zustand eines Körpers der Zustand statischen Gleichgewichts zwischen den in ihm enthaltenen Aetheratomen und dem gesammten ausser ihm befindlichen Aether sei, während positive oder negative Störungen dieses Gleichgewichtszustandes die beiden Arten der Elektricität repräsentiren (vgl. »Naturforscher«, 1872 Nr. 21 u. 23, 1873 Nr. 24, 39, 41). Die Fortpflanzung der Lichtschwingungen, deren transversale Richtung als streng erwiesen gelten muss, ist bei dieser Beschaffenheit nur dann mathematisch begreiflich, wenn die Atome, welche ihre Träger sind, wesentlich anderen Gesetzen folgen, als die dem Gravitationsgesetz unterworfenen Körperatome; Interferenzversuche scheinen dafür zu sprechen, dass der Aether als Medium der Lichtschwingungen der Bewegung der Erde gegenüber als ruhend zu betrachten ist, so dass er für unsere terrestrische Auffassung die Poren unserer Atmosphäre mit einer Geschwindigkeit, die derjenigen der Erde im Weltenraum annähernd gleich, aber entgegengesetzt ist, zu durchströmen scheint. Neuerdings hat Maxwell eine »elektromagnetische Theorie des Lichts« aufgestellt, welche von dem Grundgedanken ausgeht, dass das Medium der Elektricität und das des Lichts ein und dasselbe Medium, nämlich der Aether, sei (Naturf. VI S. 159). Er hat auf theoretischem Wege als eine Consequenz seiner Hypothese den Satz entwickelt, dass die Quadratwurzel der Dielektricitätsconstante gleich dem Lichtbrechungsvermögen sein müsse, und die empirische Bestätigung dieses Satzes sowohl für verschiedene Stoffe (Naturf. VI S. 247) als auch für verschiedene Axen eines Krystalls durch Versuche von Boltzmann ist wohl geeignet, der Maxwell'schen Theorie eine starke Stütze zu leihen. Aber auch abgesehen von Elektricität und Licht ist die Hypothese des Aethers schon für die Constitution der festen, starren Körper unentbehrlich, die niemals aus bloss anziehenden, sondern immer nur aus der Wechselwirkung von anziehenden und abstossenden Kräften zu erklären sind. Dies ist bisher von allen mathematischen Physikern anerkannt worden; der erste interessante Versuch, die festen Körper bloss aus Anziehungkräften zu constituiren und die abstossenden oder Aetheratome aus diesem Theil der mathematischen Physik zu eliminiren, ist der von Pfeilsticker in seiner Schrift »Das Kinetsystem« (Stuttgart 1873). Leider sind aber die hierbei gemachten Voraussetzungen (Unendlichkeit der Materie) so bedenklicher Art, und die gegebenen Andeutungen so knapp und provisorisch (die Schrift soll nur der Vorläufer einer ausführlichen »Kinetologie« sein), dass ein Einblick in die behauptete Lösbarkeit des Problems nicht gewonnen werden kann. Alles in Allem wird deshalb bis jetzt die Hypothese der abstossenden Aetheratome für ebenso gut begründet gelten müssen, wie die der anziehenden Körperatome. – Der Versuch, die Aetheratome zu beseitigen, erscheint noch aussichtsloser als der entgegengesetzte, die specifischen Körperatome zu beseitigen. Es ist unmöglich, ohne Abstossungskräfte auszukommen, weil der elastische Stoss, der sich nicht entbehren lässt, ohne Abstossungskräfte unbegreiflich bleibt (vgl. S. 97 Anm.); dagegen scheint es zunächst nicht unmöglich, die Anziehungskräfte zu entbehren, wenn man sich entschliesst, die Körperatome als relativ constante Wirbel von Aetheratomen aufzufassen und ihre scheinbare Anziehung auf einander als einen rückwärtigen Druck des umgebenden Weltäthers zu deuten (vgl. Schmitz-Dümont, »Die Einheit der Naturkräfte«, Berlin 1881). Eine solche Auffassung scheitert jedoch (ganz ebenso wie die entgegengesetzte eines rückwärtigen Stoss-mechanismus der kraftlos-stofflichen Weltluftatome) an der Erwägung, dass sich hier der Weltäther durch seine Repulsionskraft (ebenso wie dort die Weltluft durch das Auseinanderprallen ihrer sich treffenden Theilchen) schon längst in's Unendliche verflüchtigt haben müsste, da es an jeder Attractionskraft fehlt, welche ihn vor unendlicher Zerstreuung bewahren könnte. Die Attractionskraft aber, welche ihn vor völliger Zerfahrenheit schützen soll, kann nicht mehr in ihm selbst, dessen Wesen sich in der Bestimmung, Repulsionskraft zu sein, erschöpft, ge suchtwerden, sondern nur noch in Kraftcentren anziehender Art, welche neben den Kraftcentren abstossender Art und getrennt von den letzteren existiren, d.h. aber in Körperatomen. Immerhin steht der Versuch, die Welt bloss aus abstossenden Aetheratomen und ihren Gruppirungen zu construiren, theoretisch um vieles höher als der entgegengesetzte Versuch, die Aetheratome zu beseitigen und den Mechanismus der Körperatome als kraftloses Bewegungsspiel von Stofftheilchen zu deuten; denn von den vier Gegengründen, welche gegen die letztere Auffassung sprechen (S. 97 Anm.), trifft nur einer auch die erstere Auffassung mit, während die drei übrigen die letztere allein betreffen.

6

Nach Briot (Lehrb. d. mechan. Wärmetheorie S. 271) muss sogar die fragliche Potenz der Entfernung eine höhere als die vierte sein, wenn die transversalen Lichtschwingungen sich in dem Medium des Aethers sollen fortpflanzen können, und geht aus den. Fortpflanzungsgesetzen des Lichts in doppeltbrechenden Medien ebenso wie aus der Abwesenheit der Dispersion im leeren Raume hervor, dass es wahrscheinlich die sechste Potenz der Entfernung ist, der die Abstossung der Aetheratome umgekehrt proportional ist.

A13

S. 100 Z. 15. Wenn man die gegenseitige Durchdringlichkeit der Atome anerkennt (vgl. S. 110), so stellt sich bei der Betrachtung frei beweglicher Körperatome allerdings heraus, dass dieselben unbehindert durcheinander hindurchschwingen (weil die Durchgangsgeschwindigkeit ebenso unendlich gross wird wie die Anziehung auf unendlich kleine Entfernung), und nach der Rückschwingung genau an ihre Ausgangspunkte zurückkehren müssen, um das Spiel von vorn zu beginnen (Pfeilsticker's Kinetsystem, Abschn. II und VI). Eine allmähliche Verringerung der Schwingungsweite durcheinander hindurch gschwingender Körperatome und schliessliche Reduction auf Null würde nur bei einem reibangsartigen Widerstande möglich sein, der bei frei beweglichen Atomen eben ausgeschlossen ist. Anders aber stellt sich die Sache, wenn man die empirische Thatsache relativ starrer Verbindungen von Atomgruppen berücksichtigt, mag dieselbe nun erklärt werden wie sie wolle; denn in ihr ist dann eben ein solches Hemmniss der freien Bewegung der Atome gegeben, welches zuletzt ihr Zusammenstürzen herbeiführen muss. Wären also, wie Pfeilsticker behauptet, die starren Korperatomgruppen ohne abstossende Kräfte erklärbar, so müsste auch die allmähliche Vereinigung von Körperatomen in einem Punkt denkbar sein, und scheint deshalb seine Behauptung ungerechtfertigt, dass mehrere Atome nur dann in einem Punkt vereinigt sein können, wenn sie in dieser Gestalt ursprünglich geschaffen seien. Dagegen ist die andere Bemerkung (S. 29) zutreffend, dass gleichartige Atome (gleichviel welcher Beschaffenheit), wenn sie einmal in einem Punkt vereinigt sind, durch keinen inneren oder äusseren Einfluss mehr getrennt werden können, auch wenn sie keine Anziehung gegen einander besitzen; denn jede Einwirkung würde immer beide Atome gleichmässig treffen, also nie eine abweichende Wirkung in beiden hervorbringen können.

7

Vgl. Zöllner: »Ueber die Natur der Kometen« 3. Aufl.

A14

S. 110 Z. 24. Meine Behauptung der vollkommenen Durchdringlichkeit der Körperatome ist gewiss manchem an das Dogma der Undurchdringlichkeit gewöhnter Physiker als eine philosophische Paradoxie erschienen, und es gereicht mir deshalb zur besonderen Genugthuung, auf einen Gewährsmann wie Dr. Albert Pfeilsticker verweisen zu können, dessen gesammte Rechnungen im »Kinetsystem« auf der absoluten Durchdringlichkeit der Atome als auf einer selbstverständlichen Voraussetzung beruhen. Wenn Dr. Alexander Wiesner in seiner Schrift »Das Atom« (Leipzig bei Thomas, 1874) gegen »Pfeilsticker's Durchdringlichkeitstheorie« polemisirt, so thut er dies lediglich auf Grund eines trotz aller seiner Verwahrungen bei ihm zurückgebliebenen Restes von dem alten Vorurtheil des Stoffs, ohne welchen Rest ihm eben auch nichts »Bewegliches« übrig bliebe, da er, wie oben bemerkt, den Kraftbegriff erst recht eliminiren will.

A15

S. 111 Z. 21. Ein lehrreiches Beispiel für das Festsitzen im sinnlichen Vorurtheil bietet Albert Lange, welcher in seiner »Geschichte des Materialismus« in einem besonderen Abschnitt »Kraft und Stoff« (2. Auflage, Bd. II, S. 181-220) eine lehrreiche Skizze von der geschichtlichen Entwickelung der physikalischen und chemischen Atomenlehre und von den gegenwärtigen Ansichten der Naturforscher über das Verhältniss von Kraft und Stoff liefert. Er stimmt dabei in kritischer Hinsicht wesentlich mit meinen vorhergehenden Erörterungen überein, bleibt aber eingestandenermaassen pfadlos zwischen Scylla und Charybdis schweben (S. 213), weil er die Unmöglichkeit der Beibehaltung des Stoffbegriffes einsieht, und doch den einzig consequenten Schritt nicht wagt, der das Problem endgültig löst. Er tadelt Büchner, dass er von seinem Laienstandpunkte aus »sich von der sinnlichen Vorstellung der zusammengesetzten, compact scheinenden Körper, wie unser Tastgefühl und unser Auge sie uns darbieten, nicht hinlänglich frei machen kann. Der Physiker von Fach, wenigstens der mathematische Physiker, kann in seiner Wissenschaft auch nicht den kleinsten Schritt thun, ohne sich von diesen Vorstellungen frei zu machen« (S. 198). Das Resultat seiner geschichtlichen Auseinandersetzungen besteht darin, »dass der Fortschritt der Wissenschaften uns dazu gebracht hat, mehr und mehr Kräfte an die Stelle des Stoffs zu setzen, und dass auch die fortschreitende Genauigkeit der Betrachtung mir den Stoff mehr und mehr in Kräfte auflöst. Die beiden Begriffe stehen daher nicht so einfach als Abstractionen neben einander, sondern der eine wird durch Abstraction und Forschung in den anderen aufglöst, so jedoch, dass stets noch ein Rest bleibt« (S. 204). Gegen den letzten Zusatz wäre nichts einzuwenden, wenn derselbe nur besagen sollte, dass in den bisher gegebenen Entwickelungsstufen der Molecularphysik ein solcher unaufgelöster Rest von Stoff stehen geblieben ist; aber daraus folgt nicht, dass der fragliche Auflösungsprocess an einer bestimmten Grenze Halt machen müsse, und hinter den physikalisch allein verwerthbaren Kräften für alle Zeit nothwendig noch einen undefinirbaren und für die Erklärung werthlosen Stoff festhalten müsse. Im Gegentheil fordert der bisherige Gang der Wissenschaft unzweifelhaft dazu auf, dem letzten Rest jenes bei Büchner getadelten sinnlichen Vorurtheils den Garaus zu machen. Ist die Materie als solche einmal in Kräfte aufgelöst, so kann selbstverständlich die von der Natur unseres Denkens geforderte, die Kraftwirkungen tragende Substanz nicht mehr die Materie als solche sein, die sich aus jenen Kraftwirkungen constituirt (S. 217 oben); noch weniger aber kann es jenes nach Abzug aller Kräfte übrig bleibende abstracte Gespenst des Stoffes sein, dessen einzige Definition sich darauf beschränken soll, substantieller Träger der Kraftwirkungen zu sein. Ist aber von der Verbindung von Kraft und Stoff nichts weiter übrig geblieben als die Verbindung der Kraft mit der denknothwendigen Kategorie der Substantialität, so ist das nach Lange unlösbare Problem doch ganz leicht gelöst, durch die einfache Anerkennung, dass es die Kraft und eben nur die Kraft ist, welcher das Prädikat der Substantialität zukommt. Damit hört der »unentbehrliche« Träger der Kraftwirkungen auf einmal auf, »unbegreiflich« zu sein (S. 218 Z. 5-6), und die durch das sinnliche Vorurtheil errichtete »Grenze des Naturerkennens« sinkt als äffender subjectiver Schein haltlos in sich zusammen. Wenn die Materie als solche nicht hypostasirt werden kann, weil sie als Resultat aus Kraftwirkungen erwiesen ist, wenn der Begriff des Stoffes sich selbst zu der blossen Kategorie der Substanz verflüchtigt hat, so ist es in der That unerfindlich, weshalb es Lange »durchaus nicht einfällt« (S. 219), die unentbehrliche Kategorie der Substantialität mit der einzigen inhaltlichen Qualität zu verknüpfen, welche bei der Analyse der Materie sich als reeller Kern derselben ergeben hat, nämlich der Kraft, d.h. diese selbst mit Leibniz als die wahre und alleinige Substanz anzuerkennen. Der einzige angebbare Grund hierfür ist der, dass Lange sich einbildet, bei seinem Philosophiren auch in den letzten und höchsten Principien die sinnliche Anschaulichkeit festhalten zu können (S. 212), und mit Preisgeben dieser den wissenschaftlichen Boden unter den Füssen zu verlieren (S. 213). Dies ist natürlich ein Vorurtheil des allerrohesten sensualistischen Empirismus, der keine Ahnung davon hat, dass gerade erst mit der Erhebung von der sinnlichen Anschauung zum Begriff alle Wissenschaft anfängt. Daher ist es denn auch selbstverständlich, dass sein Sträuben gegen das Preisgeben der Anschaulichkeit an diesem Punkte viel zu spät eintritt; denn die Kategorie der Substantialität, zu welcher sich ihm der Begriff des Stoffes verflüchtigt hat, ist doch so abstract als möglich, und von der Kraft gesteht er selbst S. 198, dass sie »sich nun einmal nicht in adäquater Weise sinnlich vorstellen lässt; man hilft sich durch Bilder, wie die Linien der Figuren zu Lehrsätzen der Mathematik, ohne je diese Bilder mit dem Begriff der Kraft zu verwechseln«. Hätte Lange diese einfache Wahrheit consequent festgehalten, so wäre der aus dem verkehrten Eingen nach sinnlicher Anschaulichkeit in den höchsten Principien entspringende falsche Schein der Unbegreiflichkeit von selbst dahingeschwunden.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 96-124.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Philosophie des Unbewussten: 2
Philosophie des Unbewussten: 3

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon