10. Erwerbstrieb und Bequemlichkeit

[345] Unter Erwerbstrieb verstehe ich hier vorzugsweise das über das Unentbehrliche des Besitzes, d.h. über Wohnung, Nahrung und Kleidung für sich und die Familie hinausgehende Streben. Ich erspare mir den Hinweis auf die geringe Procentzahl der Bevölkerung selbst in Culturstaaten, welcher eine Befriedigung dieses Triebes möglich wird, da die moderne Statistik dieses Verhältniss in erschreckender Weise klar gelegt hat. Fragen wir uns aber, was ein über das Nothwendige hinausgehender Besitz für Vortheile bieten kann, so ist es zunächst der, dass er uns durch seinen Capitalwerth, noch besser aber durch die abgeworfene Capitalrente vor zukünftiger Noth schützt und die Furcht vor zukünftiger Noth benimmt. Aber dieser Nutzen ist noch kein positiver, er sichert eben nur vor zukünftiger Unlust und beseitigt gegenwärtige (die Furcht und Sorge). Zweitens verleiht der Besitz die Macht zur Erreichung der positiven Genüsse, er erzeugt die Ehre des Besitzes, er gewährt Macht und Herrschaft über die, welche von meinem Besitz Vortheil erwarten, er erkauft die Genüsse des Gaumens und sogar die Freuden der Liebe; kurz der Besitz oder sein Symbol, das Geld, ist der Zauberstab, welcher alle Genüsse des Lebens öffnet. Nun wissen wir aber bereits, dass alle diese Genüsse nicht nur auf Illusionen beruhen, sondern sogar das Streben nach ihnen in Summa immer mehr Unlust bereitet, als Lust, dass also alles Streben nach ihnen aus doppeltem Grunde thöricht ist. Ausgenommen davon sind nur die Genüsse des Gaumens und der wissenschaftliche und Kunst-Genuss. Erstere aber haben wieder den Nachtheil, dass man ihre Entbehrung, wenn sie durch Aenderung der Verhältnisse entzogen werden, weit schmerzlicher fühlt, als man vorher ihren Besitz angenehm fand. Um sich wissenschaftliche und künstlerische Genüsse zu verschaffen, dafür hat das Geld seine grosse Annehmlichkeit, indess gehört dazu nicht gerade viel. Was aber die Erkaufung der Liebe betrifft, so denke man dabei noch an folgende zwei Puncte; zuerst was Göthe sagt:


»Umsonst, dass du, ihr Herz zu lenken,

Der Liebsten Schoos mit Golde füllst, –

Der Liebe Freuden lass dir schenken,

Wenn du sie wahr empfinden willst.«


Und dann, was von erkauftem Besitz von Weibern noch weit mehr als von freiwilliger Hingebung derselben gilt, dass das Weib dadurch und durch die Folgen für ihr Leben viel mehr Unlust erfahrt, als der erkaufende Mann jemals Lust davon erlangen könnte. Insoweit[346] also der Besitz zum Hang zu den Weibern verführt, und den Ehrgeiz und die Herrschsucht steigert, ist er dem Lebensglück geradezu schädlich. Noch verderblicher aber wird der Erwerbstrieb, wenn er vergisst, dass der Besitz nur ein an sich werthloses Mittel zu fremden Zwecken ist und, ihn als Selbstzweck betrachtend, in Habsucht und Geiz umschlägt. Dann beruht er nämlich ebenso wie Ehrgeiz und Liebe selbst nur auf einer Illusion, und wird durch die Unersättlichkeit des Triebes, dessen Durst durch keine Befriedigung gelöscht wird, dessen kleinste Nichtbefriedigung aber Schmerz verursacht, zur wahren Qual.

Wäre dem Bisherigen nichts hinzuzufügen, so wäre die reelle Bedeutung des Erwerbstriebes für das Lebensglück mit dem Schutz vor zukünftiger Noth und mit dem Verschaffen wissenschaftlicher und Kunstgenüsse, allenfalls noch der Genüsse des Gaumens, erschöpft; dann würde man auch diesem Triebe mehr einen volkswirthschaftlichen Werth als einem für die zukünftige Entwickelung der Menschheit sorgenden Instinct, als eine directe Bedeutung für das Wohl der Betheiligten zuschreiben müssen; aber wir haben seine wichtigste Bedeutung in letzterer Beziehung noch gar nicht erwähnt; dies ist nämlich das Bequemmachen des Lebens. Das Halten von Dienerschaft, Equipagen, bequemen Wohnungen in der Stadt und auf dem Lande, von Haushofmeistern und Vermögensverwaltern, wozu weiter dient das Alles, als um sich das Leben bequem zu machen? Denn der Werth des Luxus als solchen ist doch ganz gewiss illusorisch.

Ist aber die Bequemlichkeit eine positive Lust, oder besteht ihre Annehmlichkeit nicht vielmehr bloss in der Aufhebung der Unbequemlichkeit und Zurückführung derselben auf den Bauhorizont der Empfindung? Active Bewegung, Thätigkeit, Anstrengung und Arbeit ist unbequem, passive Bewegung und Ruhe dagegen ist bequem; aber wenn man auch begreifen kann, wie Anstrengung und Bewegung vermittelst des durch den Kraftverbrauch auf den Körper hervorgebrachten Angriffs Unlust erzeugen können, so ist doch schlechterdings nicht einzusehen, wie die Ruhe, das unveränderte Verharren, eine positive Lust hervorbringen sollte, sie kann eben offenbar nur den Nullpunct der Empfindung repräsentiren.

Wir kommen mithin bei dem, was den höchsten Neid erweckt, dem Reichthum, wunderlicher Weise zu demselben negativen Resultate, wie bei der nackten Fristung des Daseins, womit wir anfingen. Dies ist gewiss bedeutsam und charakteristisch für den Werth des Lebens.[347]

Festzuhalten ist, dass der Erwerbstrieb immer nur Mittel für anderweitige Zwecke sein kann, und sein Werth nach dem Werthe dieser bemessen werden muss, dass er aber keinenfalls einen Werth an und für sich beanspruchen darf, und dass er, wenn er dies thut, sofort in die Reihe der überwiegende Unlust erzeugenden illusorischen Triebe tritt. – Vgl. hierzu Luc. 12, 15: »Sehet zu und hütet Euch vor der Habgier, denn auch im Ueberflusse kommt Keinem das Leben aus seinen äusseren Hülfsquellen.« Und Math. 6, 19-21 u. 24-34.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 345-348.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
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