c. Das Verhältnis
§ 135

[267] α) Das unmittelbare Verhältnis ist das des Ganzen und der Teile: der Inhalt ist das Ganze und besteht aus den Teilen (der Form), dem Gegenteile seiner. Die Teile sind voneinander verschieden und sind das Selbständige. Sie sind aber nur Teile in ihrer identischen Beziehung aufeinander oder insofern sie zusammengenommen das Ganze ausmachen. Aber das Zusammen ist das Gegenteil und Negation des Teiles.


§ 136

[267] β) Das Eine und Dasselbe dieses Verhältnisses, die in ihm vorhandene Beziehung auf sich, ist somit unmittelbar negative Beziehung auf sich, und zwar als die Vermittlung, daß ein und dasselbe gleichgültig gegen den Unterschied, und daß es die negative Beziehung auf sich ist, welche sich selbst als Reflexion-in-sich zum Unterschiede abstößt und sich als Reflexion-in-Anderes existierend setzt und umgekehrt diese Reflexion-in-Anderes zur Beziehung auf sich und zur Gleichgültigkeit zurückführt, – die Kraft und ihre Äußerung.[268]

Das Verhältnis des Ganzen und der Teile ist das unmittelbare, daher das gedankenlose Verhältnis und Umschlagen der Identität-mit-sich in die Verschiedenheit. Es wird vom Ganzen zu den Teilen und von den Teilen zum Ganzen übergegangen und in einem der Gegensatz gegen das andere vergessen, indem jedes für sich, das eine Mal das Ganze, das andere Mal die Teile, als selbständige Existenz genommen wird. Oder indem die Teile in dem Ganzen und dieses aus jenen bestehen soll, so ist das eine Mal das eine, das andere Mal das andere das Bestehende und ebenso jedesmal das andere desselben das Unwesentliche. Das mechanische Verhältnis besteht in seiner oberflächlichen Form überhaupt darin, daß die Teile als selbständige gegeneinander und gegen das Ganze sind. Der Progreß ins Unendliche, welcher die Teilbarkeit der Materie betrifft, kann sich auch dieses Verhältnisses bedienen und ist dann die gedankenlose Abwechslung mit den beiden Seiten desselben. Ein Ding wird das eine Mal als ein Ganzes genommen, dann wird zur Teilbestimmung übergegangen; diese Bestimmung wird nun vergessen und, was Teil war, als Ganzes betrachtet; dann tritt wieder die Bestimmung des Teils auf usf. ins Unendliche. Diese Unendlichkeit aber als das Negative, das sie ist, genommen ist die negative Beziehung des Verhältnisses auf sich, die Kraft, das mit sich identische Ganze als Insichsein, – und als dies Insichsein [sich] aufhebend und sich äußernd, und umgekehrt die Äußerung, die verschwindet und in die Kraft zurückgeht.

Die Kraft ist dieser Unendlichkeit ungeachtet auch endlich; denn der Inhalt, das Eine und Dasselbe der Kraft und der Äußerung, ist nur erst an sich diese Identität; die beiden Seiten des Verhältnisses sind noch nicht selbst jede für sich die konkrete Identität desselben, noch nicht die Totalität. Sie sind daher füreinander Verschiedene und das Verhältnis ein endliches. Die Kraft bedarf daher der Sollizitation von außen, wirkt blind, und um dieser Mangelhaftigkeit[269] der Form willen ist auch der Inhalt beschränkt und zufällig. Er ist mit der Form noch nicht wahrhaft identisch, ist noch nicht als Begriff und Zweck, der das an und für sich Bestimmte ist. – Dieser Unterschied ist höchst wesentlich, aber nicht leicht aufzufassen, er hat sich erst am Zweckbegriffe selbst näher zu bestimmen. Wird er übersehen, so führt dies in die Verwirrung, Gott als Kraft aufzufassen, eine Verwirrung, an der Herders Gott vornehmlich leidet.

Man pflegt zu sagen, daß die Natur der Kraft selbst unbekannt sei und nur ihre Äußerung erkannt werde. Einesteils ist die ganze Inhaltsbestimmung der Kraft ebendieselbe als die der Äußerung; die Erklärung einer Erscheinung aus einer Kraft ist deswegen eine leere Tautologie. Was unbekannt bleiben soll, ist also in der Tat nichts als die leere Form der Reflexion-in-sich, wodurch allein die Kraft von der Äußerung unterschieden ist, – eine Form, die ebenso etwas Wohlbekanntes ist. Diese Form tut zum Inhalte und zum Gesetze, welche nur aus der Erscheinung allein erkannt werden sollen, im geringsten nichts hinzu. Auch wird überall versichert, es solle damit über die Kraft nichts behauptet werden; es ist also nicht abzusehen, warum die Form von Kraft in die Wissenschaften eingeführt worden ist. – Andernteils ist aber die Natur der Kraft allerdings ein Unbekanntes, weil sowohl die Notwendigkeit des Zusammenhangs ihres Inhalts in sich selbst als [auch] desselben, insofern er für sich beschränkt ist und daher seine Bestimmtheit vermittels eines Anderen außer ihm hat, noch mangelt.
[270]


§ 137

Die Kraft ist als das Ganze, welches an sich selbst die negative Beziehung auf sich ist, dies, sich von sich abzustoßen und sich zu äußern. Aber da diese Reflexion-in-Anderes, der Unterschied der Teile, ebensosehr Reflexion-in-sich ist, so ist die Äußerung die Vermittlung, wodurch die Kraft, die in sich zurückkehrt, als Kraft ist. Ihre Äußerung ist selbst das Aufheben der Verschiedenheit der beiden Seiten, welche in diesem Verhältnisse vorhanden ist, und das Setzen der[273] Identität, die an sich den Inhalt ausmacht. Ihre Wahrheit ist darum das Verhältnis, dessen beide Seiten nur als Inneres und Äußeres unterschieden sind.


§ 138

γ) Das Innere ist der Grund, wie er als die bloße Form der einen Seite der Erscheinung und des Verhältnisses ist, die leere Form der Reflexion-in-sich, welcher die Existenz gleichfalls als die Form der ändern Seite des Verhältnisses mit der leeren Bestimmung der Reflexion-in-Anderes als Äußeres gegenübersteht. Ihre Identität ist die erfüllte, der Inhalt, die in der Bewegung der Kraft gesetzte Einheit der Reflexion-in-sich und der Reflexion-in-Anderes; beide sind dieselbe eine Totalität, und diese Einheit macht sie zum Inhalt.


§ 139

Das Äußere ist daher fürs erste derselbe Inhalt als das Innere. Was innerlich ist, ist auch äußerlich vorhanden und umgekehrt; die Erscheinung zeigt nichts, was nicht im Wesen ist, und im Wesen ist nichts, was nicht manifestiert ist.


§ 140

Zweitens. Inneres und Äußeres sind aber auch als Formbestimmungen sich, und zwar schlechthin, entgegengesetzt als die Abstraktionen von Identität mit sich und von bloßer Mannigfaltigkeit oder Realität. Indem sie aber als Momente der einen Form wesentlich identisch sind, so ist das, was nur erst in der einen Abstraktion gesetzt ist, unmittelbar auch nur in der anderen. Was daher nur ein Innerliches ist, ist auch damit nur ein Äußerliches, und was nur ein Äußerliches ist, ist auch nur erst ein Innerliches.

Es ist der gewöhnliche Irrtum der Reflexion, das Wesen als das bloß Innere zu nehmen. Wenn es bloß so genommen wird, so ist auch diese Betrachtung eine ganz äußerliche und jenes Wesen die leere äußerliche Abstraktion.

Ins Innre der Natur – sagt ein Dichter –[274]

dringt kein erschaffner Geist,

Zu glücklich, wenn er nur die äußre Schale weißt.12

Es hätte vielmehr heißen müssen, eben dann, wenn ihm das Wesen der Natur als Inneres bestimmt ist, weiß er nur die äußere Schale. – Weil im Sein überhaupt oder auch im nur sinnlichen Wahrnehmen der Begriff nur erst das Innere, ist er ein demselben Äußeres – ein subjektives, wahrheitsloses Sein wie Denken. – An der Natur, so wie am Geiste, insofern der Begriff, Zweck, Gesetz nur erst innere Anlagen, reine Möglichkeiten sind, sind sie nur erst eine äußerliche unorganische Natur, Wissenschaft eines Dritten, fremde Gewalt usf. – Der Mensch, wie er äußerlich, d. i. in seinen Handlungen (freilich nicht in seiner nur leiblichen Äußerlichkeit) [ist], ist er innerlich; und wenn er nur innerlich, d. i. nur in Absichten, Gesinnungen tugendhaft, moralisch usf. und sein Äußeres damit nicht identisch ist, so ist eins so hohl und leer als das andere.
[275]


§ 141

Die leeren Abstraktionen, durch welche der eine identische Inhalt noch im Verhältnisse sein soll, heben sich in dem unmittelbaren Übergehen, die eine in der anderen, auf; der Inhalt ist selbst nichts anderes als deren Identität (§ 138), sie sind der als Schein gesetzte Schein des Wesens. Durch die Äußerung der Kraft wird das Innere in Existenz gesetzt; dies Setzen ist das Vermitteln durch leere Abstraktionen; es verschwindet in sich selbst zur Unmittelbarkeit, in der das Innere und Äußere an und für sich identisch und deren Unterschied als nur Gesetztsein bestimmt ist. Diese Identität ist die Wirklichkeit.

12

vgl. Goethes unwilligen Ausruf, Zur Naturwissenschaft I. Bd., 3. Heft:

Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,

Und fluche drauf, aber verstohlen,...

Natur hat weder Kern noch Schale,

Alles ist sie mit einemmale, usw.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 267-271,273-276,279.
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