c. Die Wechselwirkung
§ 155

[300] Die in der Wechselwirkung als unterschieden festgehaltenen[300] Bestimmungen sind α) an sich dasselbe; die eine Seite ist Ursache, ursprünglich, aktiv, passiv usf. wie die andere. Ebenso ist das Voraussetzen einer anderen und das Wirken auf sie, die unmittelbare Ursprünglichkeit und das Gesetztsein durch den Wechsel, ein und dasselbe. Die als erste angenommene Ursache ist um ihrer Unmittelbarkeit willen passiv, Gesetztsein und Wirkung. Der Unterschied der als zwei genannten Ursachen ist daher leer, und es ist an sich nur eine, sich in ihrer Wirkung ebenso als Substanz aufhebende als sich in diesem Wirken erst verselbständigende Ursache vorhanden.


§ 156

[β)] Aber auch für sich ist diese Einheit, indem dieser ganze Wechsel das eigene Setzen der Ursache und nur dies ihr Setzen ihr Sein ist. Die Nichtigkeit der Unterschiede ist nicht nur an sich oder unsere Reflexion (vorhg. §), sondern die Wechselwirkung ist selbst dies, jede der gesetzten Bestimmungen auch wieder aufzuheben und in die entgegengesetzte zu verkehren, also jene Nichtigkeit der Momente zu setzen, die an sich ist. In die Ursprünglichkeit wird eine Wirkung gesetzt, d.h. die Ursprünglichkeit wird aufgehoben; die Aktion einer Ursache wird zur Reaktion usf.


§ 157

[301] [γ)] Dieser reine Wechsel mit sich selbst ist hiermit die enthüllte oder gesetzte Notwendigkeit. Das Band der Notwendigkeit als solcher ist die Identität als noch innere und verborgene, weil sie die Identität von solchen ist, die als Wirkliche gelten, deren Selbständigkeit jedoch eben die Notwendigkeit sein soll. Der Verlauf der Substanz durch die Kausalität und Wechselwirkung ist daher nur das Setzen, daß die Selbständigkeit die unendliche negative Beziehung auf sich ist, – negative überhaupt, in der das Unterscheiden[302] und Vermitteln zu einer Ursprünglichkeit gegeneinander selbständiger Wirklichen wird, – unendliche Beziehung auf sich selbst, indem die Selbständigkeit derselben eben nur als ihre Identität ist.


§ 158

Diese Wahrheit der Notwendigkeit ist somit die Freiheit, und die Wahrheit der Substanz ist der Begriff, – die Selbständigkeit, welche das sich von sich Abstoßen in unterschiedene Selbständige, als dies Abstoßen identisch mit sich, und diese bei sich selbst bleibende Wechselbewegung nur mit sich ist.


§ 159

[303] Der Begriff ist hiermit die Wahrheit des Seins und des Wesens, indem das Scheinen der Reflexion in sich selber zugleich selbständige Unmittelbarkeit und dieses Sein verschiedener Wirklichkeit unmittelbar nur ein Scheinen in sich selbst ist.

Indem der Begriff sich als die Wahrheit des Seins und Wesens erwiesen hat, welche beide in ihn als in ihren Grund zurückgegangen sind, so hat er umgekehrt sich aus dem Sein als aus seinem Grunde entwickelt. Jene Seite des Fortgangs kann als ein Vertiefen des Seins in sich selbst, dessen Inneres durch diesen Fortgang enthüllt worden ist, diese Seite als Hervorgang des Vollkommeneren aus dem Unvollkommeneren betrachtet werden. Indem solche Entwicklung nur nach der letzten Seite betrachtet worden ist, hat man der Philosophie daraus einen Vorwurf gemacht. Der bestimmtere Gehalt, den die oberflächlichen Gedanken von Unvollkommenerem und Vollkommenerem hier haben, ist der Unterschied, den das Sein, als unmittelbare Einheit mit sich, vom Begriffe, als der freien Vermittlung mit sich, hat. Indem sich das Sein als ein Moment des Begriffs gezeigt hat, hat er sich dadurch als die Wahrheit des Seins erwiesen; als diese seine Reflexion-in-sich und als Aufheben der Vermittlung ist er das Voraussetzen des[304] Unmittelbaren – ein Voraussetzen, das mit der Rückkehr-in-sich identisch ist, welche Identität die Freiheit und den Begriff ausmacht. Wenn daher das Moment das Unvollkommene genannt wird, so ist der Begriff, das Vollkommene, allerdings dies, sich aus dem Unvollkommenen zu entwickeln, denn er ist wesentlich dies Aufheben seiner Voraussetzung. Aber er ist es zugleich allein, der als sich setzend die Voraussetzung macht, wie sich in der Kausalität überhaupt und näher in der Wechselwirkung ergeben hat.

Der Begriff ist so in Beziehung auf Sein und Wesen bestimmt, das zum Sein als einfacher Unmittelbarkeit zurückgegangene Wesen zu sein, dessen Scheinen dadurch Wirklichkeit hat und dessen Wirklichkeit zugleich freies Scheinen in sich selbst ist. Das Sein hat der Begriff auf solche Weise als seine einfache Beziehung auf sich oder als die Unmittelbarkeit seiner Einheit in sich selbst; Sein ist eine so arme Bestimmung, daß sie das Wenigste ist, was im Begriffe aufgezeigt werden kann.

Der Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit oder vom Wirklichen in den Begriff ist der härteste, weil die selbständige Wirklichkeit gedacht werden soll, als in dem Übergehen und der Identität mit der ihr anderen selbständigen Wirklichkeit allein ihre Substantialität zu haben; so ist auch der Begriff das Härteste, weil er selbst eben diese Identität ist. Die wirkliche Substanz als solche aber, die Ursache, die in ihrem Fürsichsein nichts in sich eindringen lassen will, ist schon der Notwendigkeit oder dem Schicksal, in das Gesetztsein überzugehen, unterworfen, und diese Unterwerfung ist vielmehr das Härteste. Das Denken der Notwendigkeit ist dagegen vielmehr die Auflösung jener Härte; denn es ist das Zusammengehen Seiner im Anderen mit Sich selbst, – die Befreiung, welche nicht die Flucht der Abstraktion ist, sondern in dem anderen[305] Wirklichen, mit dem das Wirkliche durch die Macht der Notwendigkeit zusammengebunden ist, sich nicht als anderes, sondern sein eigenes Sein und Setzen zu haben. Als für sich existierend heißt diese Befreiung Ich, als zu ihrer Totalität entwickelt freier Geist, als Empfindung Liebe, als Genuß Seligkeit. – Die große Anschauung der spinozistischen Substanz ist nur an sich die Befreiung von endlichem Fürsichsein; aber der Begriff selbst ist für sich die Macht der Notwendigkeit und die wirkliche Freiheit.[306]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 300-307.
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