II. Kritische Philosophie
§ 40

[112] Die kritische Philosophie hat es mit dem Empirismus gemein, die Erfahrung für den einzigen Boden der Erkenntnisse anzunehmen, welche sie aber nicht für Wahrheiten, sondern nur für Erkenntnisse von Erscheinungen gelten läßt.

Zunächst wird von dem Unterschiede der Elemente ausgegangen, die sich in der Analyse der Erfahrung finden, des sinnlichen Stoffes und der allgemeinen Beziehungen desselben. Indem sich hiermit die im vorhergehenden § angeführte Reflexion verbindet, daß in der Wahrnehmung für sich nur Einzelnes und nur solches, was geschehe, enthalten sei, wird zugleich bei dem Faktum beharrt, daß die Allgemeinheit[112] und Notwendigkeit als ebenso wesentliche Bestimmungen sich in dem, was Erfahrung genannt wird, vorfinden. Weil dieses Element nun nicht aus dem Empirischen als solchem herstammt, so gehört es der Spontaneität des Denkens an oder ist a priori. – Die Denkbestimmungen oder Verstandesbegriffe machen die Objektivität der Erfahrungserkenntnisse aus. Sie enthalten überhaupt Beziehungen, und es formieren sich daher durch sie synthetische Urteile a priori (d. i. ursprüngliche Beziehungen Entgegengesetzter).

Daß sich in der Erkenntnis die Bestimmungen der Allgemeinheit und Notwendigkeit finden, dies Faktum stellt der Humesche Skeptizismus nicht in Abrede. Etwas anderes als ein vorausgesetztes Faktum ist es in der Kantischen Philosophie auch nicht; man kann nach der gewöhnlichen Sprache in den Wissenschaften sagen, daß sie nur eine andere Erklärung jenes Faktums aufgestellt habe.


§ 41

Die kritische Philosophie unterwirft nun den Wert der in der Metaphysik – übrigens auch in den anderen Wissenschaften und im gewöhnlichen Vorstellen – gebrauchten Verstandesbegriffe zunächst der Untersuchung. Diese Kritik geht jedoch nicht auf den Inhalt und das bestimmte Verhältnis dieser Denkbestimmungen gegeneinander selbst ein, sondern betrachtet sie nach dem Gegensatz von Subjektivität und Objektivität überhaupt. Dieser Gegensatz, wie er hier genommen wird, bezieht sich (s. vorherg. § ) auf den Unterschied der Elemente innerhalb der Erfahrung. Die Objektivität heißt hier das Element von Allgemeinheit und Notwendigkeit, d. i. von den Denkbestimmungen selbst, – dem sogenannten Apriorischen. Aber die kritische Philosophie erweitert den Gegensatz so, daß in die Subjektivität das Gesamte der Erfahrung, d.h. jene beiden Elemente zusammen, fällt und derselben nichts gegenüber bleibt als das Ding-an-sich.

Die näheren Formen des Apriorischen, d. i. des Denkens,[113] und zwar desselben als der seiner Objektivität ungeachtet nur subjektiven Tätigkeit, ergeben sich auf folgende Weise, – einer Systematisierung, welche übrigens nur auf psychologisch-historischen Grundlagen beruht.
[114]

§ 42

a) Das theoretische Vermögen, die Erkenntnis als solche.

Als den bestimmten Grund der Verstandesbegriffe gibt diese Philosophie die ursprüngliche Identität des Ich im Denken (transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins) an. Die durch Gefühl und die Anschauung gegebenen Vorstellungen sind ihrem Inhalte nach ein Mannigfaltiges, und ebensosehr durch ihre Form, durch das Außereinander der Sinnlichkeit, in ihren beiden Formen, Raum und Zeit, welche als Formen (das Allgemeine) des Anschauens selbst a priori sind. Dieses Mannigfaltige des Empfindens und Anschauens, indem Ich dasselbe auf sich bezieht und in sich als in einem Bewußtsein vereinigt (reine Apperzeption), wird hiermit in Identität, in eine ursprüngliche Verbindung gebracht. Die bestimmten Weisen dieses Beziehens sind die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien.

Bekanntlich hat es die Kantische Philosophie sich mit der [116] Auffindung der Kategorien sehr bequem gemacht. Ich, die Einheit des Selbstbewußtseins, ist ganz abstrakt und völlig unbestimmt; wie ist also zu den Bestimmungen des Ich, den Kategorien, zu kommen? Glücklicherweise finden sich in der gewöhnlichen Logik die verschiedenen Arten des Urteils bereits empirisch angegeben vor. Urteilen aber ist Denken eines bestimmten Gegenstandes. Die verschiedenen schon fertig aufgezählten Urteilsweisen liefern also die verschiedenen Bestimmungen des Denkens. – Der Fichteschen Philosophie bleibt das tiefe Verdienst, daran erinnert zu haben, daß die Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen, daß sie wesentlich abzuleiten seien. – Diese Philosophie hätte auf die Methode, die Logik abzuhandeln, doch wenigstens die Wirkung gehabt haben sollen, daß die Denkbestimmungen überhaupt oder das übliche logische Material, die Arten der Begriffe, der Urteile, der Schlüsse, nicht mehr nur aus der Beobachtung genommen und so bloß empirisch aufgefaßt, sondern aus dem Denken selbst abgeleitet würden. Wenn das Denken irgend etwas zu beweisen fähig sein soll, wenn die Logik fordern muß, daß Beweise gegeben werden, und wenn sie das Beweisen lehren will, so muß sie doch vor allem ihren eigentümlichsten Inhalt zu beweisen, dessen Notwendigkeit einzusehen, fähig sein.
[117]

§ 43

Einerseits ist es durch die Kategorien, daß die bloße Wahrnehmung zur Objektivität, zur Erfahrung erhoben wird, andererseits aber sind diese Begriffe, als Einheiten bloß des[119] subjektiven Bewußtseins, durch den gegebenen Stoff bedingt, für sich leer und haben ihre Anwendung und Gebrauch allein in der Erfahrung, deren anderer Bestandteil, die Gefühls- und Anschauungsbestimmungen, ebenso nur ein Subjektives ist.


§ 44

Die Kategorien sind daher unfähig, Bestimmungen des Absoluten zu sein, als welches nicht in einer Wahrnehmung gegeben ist, und der Verstand oder die Erkenntnis durch die Kategorien ist darum unvermögend, die Dinge an sich zu erkennen.

Das Ding-an-sich (und unter dem Ding wird auch der Geist, Gott befaßt) drückt den Gegenstand aus, insofern[120] von allem, was er für das Bewußtsein ist, von allen Gefühlsbestimmungen wie von allen bestimmten Gedanken desselben abstrahiert wird. Es ist leicht zu sehen, was übrigbleibt – das völlige Abstraktum, das ganz Leere, bestimmt nur noch als Jenseits, das Negative der Vorstellung, des Gefühls, des bestimmten Denkens usf. Ebenso einfach aber ist die Reflexion, daß dies caput mortuum selbst nur das Produkt des Denkens ist, eben des zur reinen Abstraktion fortgegangenen Denkens, des leeren Ich, das diese leere Identität seiner selbst sich zum Gegenstande macht. Die negative Bestimmung, welche diese abstrakte Identität als Gegenstand erhält, ist gleichfalls unter den Kantischen Kategorien aufgeführt und ebenso etwas ganz Bekanntes wie jene leere Identität. – Man muß sich hiernach nur wundern, so oft wiederholt gelesen zu haben, man wisse nicht, was das Ding-an-sich sei; und es ist nichts leichter, als dies zu wissen.


§ 45

Es ist nun die Vernunft, das Vermögen des Unbedingten, welche das Bedingte dieser Erfahrungskenntnisse einsieht. Was hier Vernunftgegenstand heißt, das Unbedingte oder Unendliche, ist nichts anderes als das Sich-selbst-Gleiche, oder es ist die (§ 42) erwähnte ursprüngliche Identität des Ich im Denken. Vernunft heißt dies abstrakte Ich oder Denken, welches diese reine Identität sich zum Gegenstande oder Zweck macht. Vgl. Anm. z. vorh. §. Dieser schlechthin bestimmungslosen Identität sind die Erfahrungserkenntnisse unangemessen, weil sie überhaupt von bestimmtem Inhalte sind. Indem solches Unbedingte für das Absolute und Wahre der Vernunft (für die Idee) angenommen wird, so werden somit die Erfahrungskenntnisse für das Unwahre, für Erscheinungen erklärt.
[121]


§ 46

Es tritt aber das Bedürfnis ein, diese Identität oder das leere Ding-an-sich zu erkennen. Erkennen heißt nun nichts anderes, als einen Gegenstand nach seinem bestimmten Inhalte zu wissen. Bestimmter Inhalt aber enthält mannigfaltigen Zusammenhang in ihm selbst und begründet Zusammenhang mit vielen anderen Gegenständen. Für diese Bestimmung jenes Unendlichen oder Dings-an-sich hätte diese Vernunft nichts als die Kategorien; indem sie diese dazu gebrauchen will, wird sie überfliegend (transzendent).

Hier tritt die zweite Seite der Vernunftkritik ein, und diese zweite ist für sich wichtiger als die erste. Die erste ist nämlich die oben vorgekommene Ansicht, daß die Kategorien in der Einheit des Selbstbewußtseins ihre Quelle haben; daß somit die Erkenntnis durch dieselbe in der Tat nichts Objektives enthalte und die ihnen zugeschriebene Objektivität (§ 40, 41) selbst nur etwas Subjektives sei. Wird nun hierauf gesehen, so ist die Kantische Kritik bloß ein subjektiver (platter) Idealismus, der sich nicht auf den Inhalt einläßt, nur die abstrakten Formen der Subjektivität vor sich hat, und zwar einseitigerweise bei der ersteren, der Subjektivität, als letzter schlechthin affirmativer Bestimmung stehenbleibt. Bei der Betrachtung aber der sogenannten Anwendung, welche die Vernunft von den Kategorien für die Erkenntnis ihrer Gegenstände mache, kommt der Inhalt der Kategorien wenigstens nach einigen[123] Bestimmungen zur Sprache, oder wenigstens läge darin eine Veranlassung, wodurch er zur Sprache kommen könnte. Es hat ein besonderes Interesse zu sehen, wie Kant diese Anwendung der Kategorien auf das Unbedingte, d.h. die Metaphysik beurteilt; dies Verfahren soll hier mit wenigem angeführt und kritisiert werden.


§ 47

1. Das erste Unbedingte, welches betrachtet wird, ist (s. oben § 34) die Seele. – in meinem Bewußtsein finde Ich mich immer α) als das bestimmende Subjekt, β) als ein Singuläres oder Abstrakt-Einfaches, γ) als das in allem Mannigfaltigen desjenigen, dessen ich mir bewußt bin, Ein und Dasselbe, – als Identisches, δ) als ein mich als Denkendes von allen Dingen außer mir Unterscheidendes.

Das Verfahren der vormaligen Metaphysik wird nun richtig angegeben, daß sie an die Stelle dieser empirischen Bestimmungen Denkbestimmungen, die entsprechenden Kategorien setze, wodurch diese vier Sätze entstehen, α) die Seele ist Substanz, β) sie ist einfache Substanz, γ) sie ist den verschiedenen Zeiten ihres Daseins nach numerisch-identisch, δ) sie steht im Verhältnisse zum Räumlichen.

An diesem Übergange wird der Mangel bemerklich gemacht, daß zweierlei Bestimmungen miteinander verwechselt werden (Paralogismus), nämlich empirische Bestimmungen mit Kategorien, daß es etwas Unberechtigtes sei, aus jenen auf diese zu schließen, überhaupt an die Stelle der ersteren die anderen zu setzen.

Man sieht, daß diese Kritik nichts anderes ausdrückt als die oben § 39 angeführte Humesche Bemerkung, daß die Denkbestimmungen überhaupt – Allgemeinheit und Notwendigkeit – nicht in der Wahrnehmung angetroffen werden, daß das Empirische seinem Inhalte wie seiner Form nach verschieden sei von der Gedankenbestimmung.

Wenn das Empirische die Beglaubigung des Gedankens ausmachen sollte, so wäre für diesen allerdings erforderlich,[124] in Wahrnehmungen genau nachgewiesen werden zu können. – Daß von der Seele nicht die Substantialität, Einfachheit, Identität mit sich und die in der Gemeinschaft mit der materiellen Welt sich erhaltende Selbständigkeit behauptet werden könne, dies wird in der Kantischen Kritik der metaphysischen Psychologie allein darauf gestellt, daß die Bestimmungen, welche uns das Bewußtsein über die Seele erfahren läßt, nicht genau dieselben Bestimmungen sind, welche das Denken hierbei produziert. Nach der obigen Darstellung aber läßt auch Kant das Erkennen überhaupt, Ja selbst das Erfahren darin bestehen, daß die Wahrnehmungen gedacht werden, d.h. die Bestimmungen, welche zunächst dem Wahrnehmen angehören, in Denkbestimmungen verwandelt werden. – Immer ist es für einen guten Erfolg der Kantischen Kritik zu achten, daß das Philosophieren über den Geist von dem Seelendinge, von den Kategorien und damit von den Fragen über die Einfachheit oder Zusammengesetztheit, Materialität usf. der Seele befreit worden ist. – Der wahrhafte Gesichtspunkt aber von der Unzulässigkeit solcher Formen wird selbst für den gewöhnlichen Menschenverstand doch nicht der sein, daß sie Gedanken sind, sondern vielmehr, daß solche Gedanken an und für sich nicht die Wahrheit enthalten. – Wenn Gedanke und Erscheinung einander nicht vollkommen entsprechen, so hat man zunächst die Wahl, das eine oder das andere für das Mangelhafte anzusehen. In dem Kantischen Idealismus, sofern er das Vernünftige betrifft, wird der Mangel auf die Gedanken geschoben, so daß diese darum unzulänglich seien, weil sie nicht dem Wahrgenommenen und einem auf den Umfang des Wahrnehmens sich beschränkenden Bewußtsein adäquat, die Gedanken nicht als in solchem angetroffen werden. Der Inhalt des Gedankens für sich selbst kommt hier nicht zur Sprache.


§ 48

[125] 2. Bei dem Versuche der Vernunft, das Unbedingte des zweiten Gegenstandes (§ 35), der Welt, zu erkennen, gerät sie in Antinomien, d.h. In die Behauptung zweier entgegengesetzter Sätze über denselben Gegenstand, und zwar so, daß jeder dieser Sätze mit gleicher Notwendigkeit behauptet werden muß. Hieraus ergibt sich, daß der weltliche Inhalt, dessen Bestimmungen in solchen Widerspruch geraten, nicht an sich, sondern nur Erscheinung sein könne. Die Auflösung ist, daß der Widerspruch nicht in den Gegenstand an und für sich fällt, Sondern allein der erkennenden Vernunft zukommt.

Hier kommt es zur Sprache, daß der Inhalt selbst, nämlich die Kategorien für sich es sind, welche den Widerspruch herbeiführen. Dieser Gedanke, daß der Widerspruch, der am Vernünftigen durch die Verstandesbestimmungen gesetzt wird, wesentlich und notwendig ist, ist für einen der wichtigsten und tiefsten Fortschritte der Philosophie neuerer Zeit zu achten. So tief dieser Gesichtspunkt ist, so trivial ist die Auflösung; sie besteht nur in einer Zärtlichkeit für die weltlichen Dinge. Das weltliche Wesen soll es[126] nicht sein, welches den Makel des Widerspruchs an ihm habe, sondern derselbe nur der denkenden Vernunft, dem Wesen des Geistes zukommen. Man wird wohl dawider nichts haben, daß die erscheinende Welt dem betrachtenden Geiste Widersprüche zeige, – erscheinende Welt ist sie, wie sie für den subjektiven Geist, für Sinnlichkeit und Verstand ist. Aber wenn nun das weltliche Wesen mit dem geistigen Wesen verglichen wird, so kann man sich wundern, mit welcher Unbefangenheit die demütige Behauptung aufgestellt und nachgesprochen worden, daß nicht das weltliche Wesen, sondern das denkende Wesen, die Vernunft, das in sich widersprechende sei. Es hilft nichts, daß die Wendung gebraucht wird, die Vernunft gerate nur durch die Anwendung der Kategorien in den Widerspruch. Denn es wird dabei behauptet, dieses Anwenden sei notwendig und die Vernunft habe für das Erkennen keine anderen Bestimmungen als die Kategorien. Erkennen ist in der Tat bestimmendes und bestimmtes Denken; ist die Vernunft nur leeres, unbestimmtes Denken, so denkt sie nichts. Wird aber am Ende die Vernunft auf jene leere Identität reduziert (s. im folg. § ), so wird auch sie am Ende glücklich noch von dem Widerspruche befreit durch die leichte Aufopferung alles Inhaltes und Gehaltes.

Es kann ferner bemerkt werden, daß die Ermangelung einer tieferen Betrachtung der Antinomie zunächst noch veranlaßte, daß Kant nur vier Antinomien aufführt. Er kam auf diese, indem er wie bei den sogenannten Paralogismen die Kategorientafel voraussetzte, wobei er die späterhin so beliebt gewordene Manier anwendete, statt die Bestimmungen eines Gegenstandes aus dem Begriffe abzuleiten, denselben bloß unter ein sonst fertiges Schema zu setzen. Das weitere Bedürftige in der Ausführung der Antinomien habe ich gelegentlich in meiner Wissenschaft der Logik aufgezeigt. – Die Hauptsache, die zu bemerken ist, ist, daß nicht nur in den vier besonderen, aus der Kosmologie genommenen Gegenständen die Antinomie sich[127] befindet, sondern vielmehr in allen Gegenständen aller Gattungen, in allen Vorstellungen, Begriffen und Ideen. Dies zu wissen und die Gegenstände in dieser Eigenschaft zu erkennen, gehört zum Wesentlichen der philosophischen Betrachtung; diese Eigenschaft macht das aus, was weiterhin sich als das dialektische Moment des Logischen bestimmt.
[128]


§ 49

γ) Der dritte Vernunftgegenstand ist Gott (§ 36), welcher erkannt, d. i. denkend bestimmt werden soll. Für den Verstand ist nun gegen die einfädle Identität alle Bestimmung nur eine Schranke, eine Negation als solche; somit ist alle Realität nur schrankenlos, d. i. unbestimmt zu nehmen, und Gott wird als Inbegriff aller Realitäten oder als das allerrealste Wesen zum einfachen Abstraktum, und für die Bestimmung bleibt nur die ebenso schlechthin abstrakte Bestimmtheit, das Sein, übrig. Abstrakte Identität, welche auch hier der Begriff genannt wird, und Sein sind die zwei Momente, deren Vereinigung es ist, die von der Vernunft gesucht wird; sie ist das Ideal der Vernunft.


§ 50

Diese Vereinigung läßt zwei Wege oder Formen zu; es kann nämlich von dem Sein angefangen und von da zum Abstraktum des Denkens übergegangen, oder umgekehrt kann der Übergang vom Abstraktum aus zum Sein bewerkstelligt werden.

Was jenen Anfang mit dem Sein betrifft, so stellt sich das Sein, als das Unmittelbare, dar als ein unendlich vielfach bestimmtes Sein, eine erfüllte Welt. Diese kann näher bestimmt werden als eine Sammlung von unendlich vielen Zufälligkeiten überhaupt (im kosmologischen Beweise) oder als eine Sammlung von unendlich vielen Zwecken und zweckmäßigen Verhältnissen (im physikotheologischen Beweise). – Dieses erfüllte Sein denken heißt, ihm die Form von Einzelheiten und Zufälligkeiten abstreifen und es als ein allgemeines, an und für sich notwendiges und nach allgemeinen Zwecken sich bestimmendes und tätiges Sein, welches von jenem ersten verschieden ist, fassen, – als Gott. – Der Hauptsinn der Kritik dieses Ganges ist, daß derselbe ein Schließen, ein Übergang ist. Indem nämlich die Wahrnehmungen und deren Aggregat, die Welt, an ihnen als solchen nicht die Allgemeinheit zeigen, zu welcher das Denken jenen[130] Inhalt reinigt, so werde hiermit diese Allgemeinheit nicht durch jene empirische Weltvorstellung berechtigt. Dem Aufsteigen des Gedankens von der empirischen Weltvorstellung zu Gott wird somit der Humesche Standpunkt entgegengesetzt (wie bei den Paralogismen, s. § 47) – der Standpunkt, der es für unzulässig erklärt, die Wahrnehmungen zu denken, d. i. das Allgemeine und Notwendige aus denselben herauszuheben.

Weil der Mensch denkend ist, wird es ebensowenig der gesunde Menschenverstand als die Philosophie sich je nehmen lassen, von und aus der empirischen Weltanschauung sich zu Gott zu erheben. Dieses Erheben hat nichts anderes zu seiner Grundlage als die denkende, nicht bloß sinnliche, tierische Betrachtung der Welt. Für das Denken und nur für das Denken ist das Wesen, die Substanz die allgemeine Macht und Zweckbestimmung der Welt. Die sogenannten Beweise vom Dasein Gottes sind nur als die Beschreibungen und Analysen des Ganges des Geistes in sich anzusehen, der ein denkender ist und das Sinnliche denkt. Das Erheben des Denkens über das Sinnliche, das Hinausgehen desselben über das Endliche zum Unendlichen, der Sprung, der mit Abbrechung der Reihen des Sinnlichen ins Übersinnliche gemacht werde, alles dieses ist das Denken selbst, dies Übergehen ist nur Denken. Wenn solcher Übergang nicht gemacht werden soll, so heißt dies, es soll nicht gedacht werden. In der Tat machen die Tiere solchen Übergang nicht; sie bleiben bei der sinnlichen Empfindung und Anschauung stehen; sie haben deswegen keine Religion. Es ist sowohl überhaupt als insbesondere über die Kritik dieses Erhebens des Denkens zweierlei zu bemerken. Erstens, wenn dasselbe in die Form von Schlüssen (sogenannten Beweisen vom Dasein Gottes) gebracht ist, so ist der Ausgangspunkt allerdings die Weltanschauung, auf irgendeine Weise als ein Aggregat von Zufälligkeiten oder von Zwecken und zweckmäßigen Beziehungen bestimmt. Dieser Ausgangspunkt kann scheinen,[131] im Denken, insofern es Schlüsse macht, als feste Grundlage und ganz so empirisch, wie dieser Stoff zunächst ist, zu bleiben und belassen zu werden. Die Beziehung des Ausgangspunktes auf den Endpunkt, zu welchem fortgegangen wird, wird so als nur affirmativ vorgestellt als ein Schließen von einem, das sei und bleibe, auf ein anderes, das ebenso auch sei. Allein es ist der große Irrtum, die Natur des Denkens nur in dieser Verstandesform erkennen zu wollen. Die empirische Welt denken heißt vielmehr wesentlich, ihre empirische Form umändern und sie in ein Allgemeines verwandeln; das Denken übt zugleich eine negative Tätigkeit auf jene Grundlage aus; der wahrgenommene Stoff, wenn er durch Allgemeinheit bestimmt wird, bleibt nicht in seiner ersten empirischen Gestalt. Es wird der innere Gehalt des Wahrgenommenen mit Entfernung und Negation der Schale herausgehoben (vgl. § 13 u. 23). Die metaphysischen Beweise vom Dasein Gottes sind darum mangelhafte Auslegungen und Beschreibungen der Erhebung des Geistes von der Welt zu Gott, weil sie das Moment der Negation, welches in dieser Erhebung enthalten ist, nicht ausdrücken oder vielmehr nicht herausheben, denn darin, daß die Welt zufällig ist, liegt es selbst, daß sie nur ein Fallendes, Erscheinendes, an und für sich Nichtiges ist. Der Sinn der Erhebung des Geistes ist, daß der Welt zwar Sein zukomme, das aber nur Schein ist, nicht das wahrhafte Sein, nicht absolute Wahrheit, daß diese vielmehr jenseits jener Erscheinung nur in Gott ist, Gott nur das wahrhafte Sein ist. Indem diese Erhebung Übergang und Vermittlung ist, so ist sie ebensosehr Aufheben des Überganges und der Vermittlung, denn das, wodurch Gott vermittelt scheinen könnte, die Welt, wird vielmehr für das Nichtige erklärt; nur die Nichtigkeit des Seins der Welt ist das Band der Erhebung, so daß das, was als das Vermittelnde ist, verschwindet und damit in dieser Vermittlung selbst die Vermittlung aufgehoben wird. – Es ist vornehmlich jenes nur als affirmativ[132] gefaßte Verhältnis als Verhältnis zwischen zwei Seienden, an das sich Jacobi hält, indem er das Beweisen des Verstandes bekämpft; er macht demselben den gerechten Vorwurf, daß damit Bedingungen (die Welt) für das Unbedingte aufgesucht werden, daß das Unendliche (Gott) auf solche Weise als begründet und abhängig vorgestellt werde. Allein jene Erhebung, wie sie im Geiste ist, korrigiert selbst diesen Schein; ihr ganzer Gehalt vielmehr ist die Korrektion dieses Scheins. Aber diese wahrhafte Natur des wesentlichen Denkens, in der Vermittlung die Vermittlung selbst aufzuheben, hat Jacobi nicht erkannt und daher fälschlich den richtigen Vorwurf, den er dem nur reflektierenden Verstande macht, für einen das Denken überhaupt, damit auch das vernünftige Denken treffenden Vorwurf gehalten.

Zur Erläuterung von dem Übersehen des negativen Moments kann beispielsweise der Vorwurf angeführt werden, der dem Spinozismus gemacht wird, daß er Pantheismus und Atheismus sei. Die absolute Substanz Spinozas ist freilich noch nicht der absolute Geist, und es wird mit Recht gefordert, daß Gott als absoluter Geist bestimmt werden müsse. Wenn aber Spinozas Bestimmung so vorgestellt wird, daß er Gott mit der Natur, mit der endlichen Welt vermische und die Welt zu Gott mache, so wird dabei vorausgesetzt, daß die endliche Welt wahrhafte Wirklichkeit, affirmative Realität besitze. Mit dieser Voraussetzung wird freilich mit einer Einheit Gottes und der Welt Gott schlechthin verendlicht und zur bloßen endlichen, äußerlichen Mannigfaltigkeit der Existenz herabgesetzt. Abgesehen davon, daß Spinoza Gott nicht [so] definiert, daß er die Einheit Gottes und der Welt, sondern daß er die Einheit des Denkens und der Ausdehnung (der materiellen Welt) sei, so liegt es schon in dieser Einheit, selbst auch wenn sie auf jene erste, ganz ungeschickte Weise genommen wird, daß in dem Spinozischen Systeme vielmehr die Welt nur als ein Phänomen, dem nicht wirkliche Realität[133] zukomme, bestimmt wird, so daß dieses System vielmehr als Akosmismus anzusehen ist. Eine Philosophie, welche behauptet, daß Gott und nur Gott ist, dürfte wenigstens nicht für Atheismus ausgegeben werden. Schreibt man doch den Völkern, welche den Affen, die Kuh, steinerne, eherne Statuen usf. als Gott verehren, noch Religion zu. Aber im Sinne der Vorstellung geht es noch vielmehr gegen den Mann, ihre eigene Voraussetzung aufzugeben, daß dies ihr Aggregat von Endlichkeit, welches Welt genannt wird, wirkliche Realität habe. Daß es, wie sie sich etwa ausdrücken könnte, keine Welt gebe, so etwas anzunehmen hält man leicht für ganz unmöglich oder wenigstens für viel weniger möglich, als daß es einem in den Kopf kommen könne, daß es keinen Gott gebe. Man glaubt, und dies eben nicht zur eigenen Ehre, viel leichter, daß ein System Gott leugne, als daß es die Welt leugne; man findet viel begreiflicher, daß Gott geleugnet werde, als daß die Welt geleugnet werde.

Die zweite Bemerkung betrifft die Kritik des Gehalts, den jene denkende Erhebung zunächst gewinnt. Dieser Gehalt, wenn er nur in den Bestimmungen der Substanz der Welt, des notwendigen Wesens derselben, einer zweckmäßig einrichtenden und dirigierenden Ursache usf. besteht, ist freilich dem nicht angemessen, was unter Gott verstanden wird oder verstanden werden soll. Allein abgesehen von der Manier, eine Vorstellung von Gott vorauszusetzen und nach solcher Voraussetzung ein Resultat zu beurteilen, so haben jene Bestimmungen schon großen Wert und sind notwendige Momente in der Idee Gottes. Um in diesem Wege den Gehalt in seiner wahrhaften Bestimmung, die wahrhafte Idee Gottes vor das Denken zu bringen, dafür muß freilich der Ausgangspunkt nicht von untergeordnetem Inhalte aus genommen werden. Die bloß zufälligen Dinge der Welt sind eine sehr abstrakte Bestimmung. Die organischen Gebilde und deren Zweckbestimmungen gehören dem höheren Kreise, dem Leben, an.[134] Allein außerdem, daß die Betrachtung der lebendigen Natur und der sonstigen Beziehung der vorhandenen Dinge auf Zwecke durch Geringfügigkeit von Zwecken, Ja durch selbst kindische Anführungen von Zwecken und deren Beziehungen verunreinigt werden kann, so ist die nur lebendige Natur selbst in der Tat noch nicht dasjenige, woraus die wahrhafte Bestimmung der Idee Gottes gefaßt werden kann; Gott ist mehr als lebendig, er ist Geist. Die geistige Natur ist allein der würdigste und wahrhafteste Ausgangspunkt für das Denken des Absoluten, insofern das Denken sich einen Ausgangspunkt nimmt und den nächsten nehmen will.


§ 51

Der andere Weg der Vereinigung, durch die das Ideal zustande kommen soll, geht vom Abstraktum des Denkens aus fort zur Bestimmung, für die nur das Sein übrigbleibt; – ontologischer Beweis vom Dasein Gottes. Der Gegensatz, der hier vorkommt, ist der des Denkens und Seins, da im ersten Wege das Sein den beiden Seiten gemeinschaftlich ist und der Gegensatz nur den Unterschied von dem Vereinzelten und Allgemeinen betrifft. Was der Verstand diesem anderen Wege entgegenstellt, ist an sich dasselbe, was soeben angeführt worden, daß nämlich, wie in dem Empirischen sich das Allgemeine nicht vorfinde, so sei ebenso umgekehrt im Allgemeinen das Bestimmte nicht enthalten, und das Bestimmte ist hier das Sein. Oder das Sein könne nicht aus dem Begriffe abgeleitet und herausanalysiert werden.

Die Kantische Kritik des ontologischen Beweises hat ohne Zweifel auch dadurch eine so unbedingt günstige Auf- und Annahme gefunden, daß Kant zur Verdeutlichung, welch ein Unterschied sei zwischen Denken und Sein, das Beispiel von den hundert Talern gebraucht hat, die dem Begriffe nach gleich hundert seien, ob sie nur möglich oder wirklich seien; aber für meinen Vermögenszustand mache dies einen wesentlichen Unterschied aus. – Nichts kann so[135] einleuchtend sein, als daß dergleichen, was ich mir denke oder vorstelle, darum noch nicht wirklich ist, – der Gedanke, daß Vorstellen oder auch der Begriff zum Sein nicht hinreicht. – Abgesehen davon, daß es nicht mit Unrecht eine Barbarei genannt werden könnte, dergleichen wie hundert Taler einen Begriff zu nennen, so sollten doch wohl zunächst diejenigen, die immer und immer gegen die philosophische Idee wiederholen, daß Denken und Sein verschieden seien, endlich voraussetzen, den Philosophen sei dies gleichfalls nicht unbekannt; was kann es in der Tat für eine trivialere Kenntnis geben? Alsdann aber müßte bedacht werden, daß, wenn von Gott die Rede ist, dies ein Gegenstand anderer Art sei als hundert Taler und irgendein besonderer Begriff, Vorstellung oder wie es Namen haben wolle. In der Tat ist alles Endliche dies und nur dies, daß das Dasein desselben von seinem Begriffe verschieden ist. Gott aber soll ausdrücklich das sein, das nur »als existierend gedacht« werden kann, wo der Begriff das Sein in sich schließt. Diese Einheit des Begriffs und des Seins ist es, die den Begriff Gottes ausmacht. – Es ist dies freilich noch eine formale Bestimmung von Gott, die deswegen in der Tat nur die Natur des Begriffes selbst enthält. Daß aber dieser schon in seinem ganz abstrakten Sinne das Sein in sich schließe, ist leicht einzusehen. Denn der Begriff, wie er sonst bestimmt werde, ist wenigstens die durch Aufhebung der Vermittlung hervorgehende, somit selbst unmittelbare Beziehung auf sich selbst; das Sein ist aber nichts anderes als dieses. – Es müßte, kann man wohl sagen, sonderbar zugehen, wenn dies Innerste des Geistes, der Begriff, oder auch wenn Ich oder vollends die konkrete Totalität, welche Gott ist, nicht einmal so reich wäre, um eine so arme Bestimmung, wie Sein ist, ja welche die allerärmste, die abstrakteste ist, in sich zu enthalten. Es kann für den Gedanken dem Gehalte nach nichts Geringeres geben als Sein. Nur dies mag noch geringer sein, was man sich etwa beim Sein zunächst[136] vorstellt, nämlich eine äußerliche, sinnliche Existenz wie die des Papiers, das ich hier vor mir habe; von einer sinnlichen Existenz eines beschränkten, vergänglichen Dinges aber wird man ohnehin nicht sprechen wollen. – Übrigens vermag die triviale Bemerkung der Kritik, daß der Gedanke und das Sein verschieden seien, dem Menschen etwa den Gang seines Geistes vom Gedanken Gottes aus zu der Gewißheit, daß er ist, höchstens zu stören, aber nicht zu benehmen. Dieser Übergang, die absolute Unzertrennlichkeit des Gedankens Gottes von seinem Sein ist es auch, was in der Ansicht des unmittelbaren Wissens oder Glaubens in sein Recht wieder hergestellt worden ist, wovon nachher.


§ 52

Dem Denken bleibt auf diese Weise auf seiner höchsten Spitze die Bestimmtheit etwas Äußerliches, es bleibt nur schlechthin abstraktes Denken, welches hier immer Vernunft heißt. Diese, ist hiermit das Resultat, liefert nichts als die formelle Einheit zur Vereinfachung und Systematisierung der Erfahrungen, ist ein Kanon, nicht ein Organen der Wahrheit, vermag nicht eine Doktrin des Unendlichen, sondern nur eine Kritik der Erkenntnis zu liefern. Diese Kritik besteht in ihrer letzten Analyse in der Versicherung, daß das Denken in sich nur die unbestimmte Einheit und die Tätigkeit dieser unbestimmten Einheit sei.
[137]


§ 53

b) Die praktische Vernunft wird als der sich selbst und zwar auf allgemeine Weise bestimmende, d. i. denkende Wille gefaßt. Sie soll imperative, objektive Gesetze der Freiheit geben, d. i. solche, welche sagen, was geschehen soll. Die Berechtigung, hier das Denken als objektiv bestimmende Tätigkeit (d. i. in der Tat eine Vernunft) anzunehmen, wird darein gesetzt, daß die praktische Freiheit durch Erfahrung bewiesen, d. i. in der Erscheinung des Selbstbewußtseins nachgewiesen werden könne. Gegen diese Erfahrung im Bewußtsein rekurriert alles, was der Determinismus ebenso aus der Erfahrung dagegen vorbringt, insbesondere die skeptische (auch Humesche) Induktion von der unendlichen Verschiedenheit desjenigen, was für Recht und Pflicht unter den Menschen gilt, d. i. der objektiv seinsollenden Gesetze der Freiheit.


§ 54

Für das, was das praktische Denken sich zum Gesetz mache, für das Kriterium des Bestimmens seiner in sich selbst, ist wieder nichts anderes vorhanden als dieselbe abstrakte Identität des Verstandes, daß kein Widerspruch in dem Bestimmen stattfinde; – die praktische Vernunft kommt damit über den Formalismus nicht hinaus, welcher das Letzte der theoretischen Vernunft sein soll.

Aber diese praktische Vernunft setzt die allgemeine Bestimmung, das Gute, nicht nur in sich, sondern ist erst eigentlicher praktisch in der Forderung, daß das Gute weltliches Dasein, äußerliche Objektivität habe, d. i. daß der Gedanke nicht bloß subjektiv, sondern objektiv überhaupt sei. Von diesem Postulate der praktischen Vernunft nachher.
[138]


§ 55

c) Der reflektierenden Urteilskraft wird das Prinzip eines anschauenden Verstandes zugeschrieben, d. i. worin das Besondere, welches für das Allgemeine (die abstrakte Identität) zufällig sei und davon nicht abgeleitet werden könne, durch dies Allgemeine selbst bestimmt werde, – was in den Produkten der Kunst und der organischen Natur erfahren werde.

Die Kritik der Urteilskraft hat das Ausgezeichnete, daß[139] Kant in ihr die Vorstellung, ja den Gedanken der Idee ausgesprochen hat. Die Vorstellung eines intuitiven Verstandes, innerer Zweckmäßigkeit usf. ist das Allgemeine zugleich als an ihm selbst konkret gedacht. In diesen Vorstellungen allein zeigt daher die Kantische Philosophie sich spekulativ. Viele, namentlich Schiller, haben an der Idee des Kunstschönen, der konkreten Einheit des Gedankens und der sinnlichen Vorstellung, den Ausweg aus den Abstraktionen des trennenden Verstandes gefunden, – andere an der Anschauung und dem Bewußtsein der Lebendigkeit überhaupt, es sei natürlicher oder intellektueller Lebendigkeit. – Das Kunstprodukt wie die lebendige Individualität sind zwar beschränkt in ihrem Inhalte; aber die auch dem Inhalte nach umfassende Idee stellt Kant in der postulierten Harmonie der Natur oder Notwendigkeit mit dem Zwecke der Freiheit, in dem als realisiert gedachten Endzwecke der Welt auf. Aber die Faulheit des Gedankens, wie es genannt werden kann, hat bei dieser höchsten Idee an dem Sollen einen zu leichten Ausweg, gegen die wirkliche Realisierung des Endzwecks an dem Geschiedensein des Begriffs und der Realität festzuhalten. Die Gegenwart hingegen der lebendigen Organisationen und des Kunstschönen zeigt auch für den Sinn und die Anschauung schon die Wirklichkeit des Ideals. Die Kantischen Reflexionen über diese Gegenstände wären daher besonders geeignet, das Bewußtsein in das Fassen und Denken der konkreten Idee einzuführen.


§ 56

Hier ist der Gedanke eines anderen Verhältnisses vom Allgemeinen des Verstandes zum Besonderen der Anschauung aufgestellt, als in der Lehre von der theoretischen und praktischen Vernunft zugrunde liegt. Es verknüpft sich damit aber nicht die Einsicht, daß jenes das wahrhafte, ja die Wahrheit selbst ist. Vielmehr wird diese Einheit nur aufgenommen, wie sie in endlichen Erscheinungen zur Existenz[140] kommt, und wird in der Erfahrung aufgezeigt. Solche Erfahrung zunächst im Subjekte gewährt teils das Genie, das Vermögen, ästhetische Ideen zu produzieren, d. i. Vorstellungen der freien Einbildungskraft, die einer Idee dienen und zu denken geben, ohne daß solcher Inhalt in einem Begriffe ausgedrückt wäre oder sich darin ausdrücken ließe, – teils das Geschmacksurteil, das Gefühl der Zusammenstimmung der Anschauungen oder Vorstellungen in ihrer Freiheit zum Verstande in seiner Gesetzmäßigkeit.


§ 57

Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ferner für die lebendigen Naturprodukte wird als der Zweck bestimmt, der tätige Begriff, das in sich bestimmte und bestimmende Allgemeine. Zugleich wird die Vorstellung der äußerlichen oder endlichen Zweckmäßigkeit entfernt, in welcher der Zweck für das Mittel und das Material, worin er sich realisiert, nur äußerliche Form ist. Wohingegen im Lebendigen der Zweck in der Materie immanente Bestimmung und Tätigkeit ist und alle Glieder ebenso sich gegenseitig Mittel als Zweck sind.


§ 58

Wenn nun gleich in solcher Idee das Verstandesverhältnis von Zweck und Mittel, von Subjektivität und Objektivität aufgehoben ist, so wird nun doch wieder im Widerspruch hiermit der Zweck für eine Ursache erklärt, welche nur als Vorstellung, d.h. als ein Subjektives existiere und tätig sei, – hiermit denn auch die Zweckbestimmung nur für ein unserem Verstande angehöriges Prinzip der Beurteilung erklärt.

Nachdem es einmal Resultat der kritischen Philosophie ist, daß die Vernunft nur Erscheinungen erkennen könne, so hätte man doch wenigstens für die lebendige Natur eine Wahl zwischen zwei gleich subjektiven Denkweisen und nach der Kantischen Darstellung selbst eine Verbindlichkeit, die Naturprodukte nicht bloß nach den Kategorien[141] von Qualität, Ursache und Wirkung, Zusammensetzung, Bestandteilen usf. zu erkennen. Das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit, in wissenschaftlicher Anwendung festgehalten und entwickelt, würde eine ganz andere, höhere Betrachtungsweise derselben herbeigeführt haben.


§ 59

Die Idee nach diesem Prinzip in ihrer ganzen Unbeschränktheit wäre, daß die von der Vernunft bestimmte Allgemeinheit, der absolute Endzweck, das Gute, in der Welt verwirklicht würde, und zwar durch ein Drittes, die diesen Endzweck selbst setzende und ihn realisierende Macht, – Gott, in welchem, der absoluten Wahrheit, hiermit jene Gegensätze von Allgemeinheit und Einzelheit, von Subjektivität und Objektivität aufgelöst und für unselbständig und unwahr erklärt sind.


§ 60

Allein das Gute, worin der Endzweck der Welt gesetzt wird, ist von vornherein nur als unser Gutes, als das moralische Gesetz unserer praktischen Vernunft bestimmt; so daß die Einheit weiter nicht geht als auf die Übereinstimmung des Weltzustands und der Weltereignisse mit unserer Moralität7 Außerdem, daß selbst mit dieser Beschränkung der Endzweck, das Gute, ein bestimmungsloses Abstraktum ist, wie auch das, was Pflicht sein soll. Näher wird gegen diese Harmonie der Gegensatz, der in ihrem Inhalte als unwahr gesetzt ist, wieder erweckt und behauptet, so daß die Harmonie[142] als ein nur Subjektives bestimmt wird, – als ein solches, das nur sein soll, d. i. das zugleich nicht Realität hat, – als ein Geglaubtes, dem nur subjektive Gewißheit, nicht Wahrheit, d. i. nicht jene der Idee entsprechende Objektivität zukomme. – Wenn dieser Widerspruch dadurch verdeckt zu werden scheint, daß die Realisierung der Idee in die Zeit, in eine Zukunft, wo die Idee auch sei, verlegt wird, so ist solche sinnliche Bedingung wie die Zeit das Gegenteil vielmehr von einer Auflösung des Widerspruchs, und die entsprechende Verstandesvorstellung, der unendliche Progreß, ist unmittelbar nichts als der perennierend gesetzte Widerspruch selbst.

Es kann noch eine allgemeine Bemerkung über das Resultat gemacht werden, welches sich aus der kritischen Philosophie für die Natur des Erkennen; ergeben und zu einem der Vorurteile, d. i. allgemeinen Voraussetzungen der Zeit erhoben hat.

in jedem dualistischen System, insbesondere aber im Kantischen, gibt sich sein Grundmangel durch die Inkonsequenz, das zu vereinen, was einen Augenblick vorher als selbständig, somit als unvereinbar erklärt worden ist, zu erkennen. Wie soeben das Vereinte für das Wahrhafte erklärt worden ist, so wird sogleich vielmehr für das Wahrhafte erklärt, daß die beiden Momente, denen in der Vereinung als ihrer Wahrheit das Fürsichbestehen abgesprochen worden ist, nur so, wie sie getrennte sind, Wahrheit und Wirklichkeit haben. Es fehlt bei solchem Philosophieren das einfache Bewußtsein, daß mit diesem Herüber- und Hinübergehen selbst jede dieser einzelnen Bestimmungen für unbefriedigend erklärt wird, und der Mangel besteht in der einfachen Unvermögenheit, zwei Gedanken – und es sind der Form nach nur zwei vorhanden – zusammenzubringen. Es ist darum die größte Inkonsequenz, einerseits zuzugeben, daß der Verstand nur Erscheinungen erkennt, und andererseits dies Erkennen als etwas Absolutes zu behaupten, indem man sagt, das[143] Erkennen könne nicht weiter, dies sei die natürliche, absolute Schranke des menschlichen Wissens. Die natürlichen Dinge sind beschränkt, und nur natürliche Dinge sind sie, insofern sie nichts von ihrer allgemeinen Schranke wissen, insofern ihre Bestimmtheit nur eine Schranke für uns ist, nicht für sie. Als Schranke, Mangel wird etwas nur gewußt, ja empfunden, indem man zugleich darüber hinaus ist. Die lebendigen Dinge haben das Vorrecht des Schmerzes vor den leblosen; selbst für jene wird eine einzelne Bestimmtheit zur Empfindung eines Negativen, weil sie als lebendig die Allgemeinheit der Lebendigkeit, die über das Einzelne hinaus ist, in ihnen haben, in dem Negativen ihrer selbst sich noch erhalten und diesen Widerspruch als in ihnen existierend empfinden. Dieser Widerspruch ist nur in ihnen, insofern beides in dem einen Subjekt ist, die Allgemeinheit seines Lebensgefühls und die gegen dasselbe negative Einzelheit. Schranke, Mangel des Erkennens ist ebenso nur als Schranke, Mangel bestimmt durch die Vergleichung mit der vorhandenen Idee des Allgemeinen, eines Ganzen und Vollendeten. Es ist daher nur Bewußtlosigkeit, nicht einzusehen, daß eben die Bezeichnung von etwas als einem Endlichen oder Beschränkten den Beweis von der wirklichen Gegenwart des Unendlichen, Unbeschränkten enthält, daß das Wissen von Grenze nur sein kann, insofern das Unbegrenzte diesseits im Bewußtsein ist.

Über jenes Resultat vom Erkennen kann noch die weitere Bemerkung angeschlossen werden, daß die Kantische Philosophie auf die Behandlung der Wissenschaften keinen Einfluß hat haben können. Sie läßt die Kategorien und die Methode des gewöhnlichen Erkennens ganz unangefochten. Wenn in wissenschaftlichen Schriften damaliger Zeit zuweilen der Anlauf mit Sätzen der Kantischen Philosophie genommen ist, so zeigt sich im Verfolge der Abhandlung selbst, daß jene Sätze nur ein überflüssiger Zierat waren und derselbe empirische Inhalt aufgetreten[144] wäre, wenn jene etlichen ersten Blätter weggelassen worden wären.8

Was die nähere Vergleichung der Kantischen Philosophie mit dem metaphysizierenden Empirismus betrifft, so hält sich zwar der unbefangene Empirismus an die sinnliche Wahrnehmung, aber läßt ebenso eine geistige Wirklichkeit, eine übersinnliche Welt zu, wie auch ihr Inhalt beschaffen sei, ob er aus dem Gedanken, aus der Phantasie usf. abstamme. Der Form nach hat dieser Inhalt die Beglaubigung, wie der sonstige Inhalt des empirischen Wissens in der Autorität der äußeren Wahrnehmung, in geistiger Autorität. Aber der reflektierende und die Konsequenz sich zum Prinzip machende Empirismus bekämpft solchen Dualismus des letzten, höchsten Inhalts und negiert die Selbständigkeit des denkenden Prinzips und einer in ihm sich entwickelnden geistigen Welt. Der Materialismus, Naturalismus ist das konsequente System des Empirismus. – Die Kantische Philosophie stellt diesem Empirismus das Prinzip des Denkens und der Freiheit schlechthin gegenüber und schließt sich dem ersten Empirismus an, ohne im geringsten aus dessen allgemeinem Prinzip herauszutreten. Die eine Seite ihres Dualismus bleibt die Welt der Wahrnehmung und des über sie reflektierenden Verstandes. Diese Welt wird zwar für eine Welt von Erscheinungen ausgegeben. Dies ist jedoch ein bloßer Titel, eine nur formelle Bestimmung, denn Quelle, Gehalt und Betrachtungsweise bleiben ganz dieselben. Die andere Seite ist dagegen die Selbständigkeit des sich erfassenden Denkens, das[145] Prinzip der Freiheit, welches sie mit der vormaligen, gewöhnlichen Metaphysik gemein hat, aber alles Inhaltes entleert und ihm keinen wieder zu verschaffen vermag. Dies Denken, hier Vernunft genannt, wird, als aller Bestimmung beraubt, aller Autorität enthoben. Die Hauptwirkung, welche die Kantische Philosophie gehabt hat, ist gewesen, das Bewußtsein dieser absoluten Innerlichkeit erweckt zu haben, die, ob sie um ihrer Abstraktion willen zwar aus sich zu nichts sich entwickeln und keine Bestimmungen, weder Erkenntnisse noch moralische Gesetze, hervorbringen kann, doch schlechthin sich weigert, etwas, das den Charakter einer Äußerlichkeit hat, in sich gewähren und gelten zu lassen. Das Prinzip der Unabhängigkeit der Vernunft, ihrer absoluten Selbständigkeit in sich, ist von nun an als allgemeines Prinzip der Philosophie wie als eines der Vorurteile der Zeit anzusehen.[146]

7

In den eigenen Worten von Kants Kritik der Urteilskraft, S. 427: »Endzweck ist bloß ein Begriff unserer praktischen Vernunft und kann aus keinen Datis der Erfahrung zu theoretischer Beurteilung der Natur gefolgert, noch auf Erkenntnis derselben bezogen werden. Es ist kein Gebrauch von diesem Begriffe möglich als lediglich für die praktische Vernunft nach moralischen Gesetzen; und der Endzweck der Schöpfung ist diejenige Beschaffenheit der Welt, die zu dem, was wir allein nach Gesetzen bestimmt angeben können, nämlich dem Endzwecke unserer reinen praktischen Vernunft, und zwar sofern sie praktisch sein soll, übereinstimmt.«

8

Sogar im Handbuch der Metrik von Hermann ist der Anfang mit Paragraphen Kantischer Philosophie gemacht; ja, in § 8 wird gefolgert, daß das Gesetz des Rhythmus 1. ein objektives, 2. ein formales, 3. ein a priori bestimmtes Gesetz sein müsse. Man vergleiche nun mit diesen Forderungen und den weiter folgenden Prinzipien von Kausalität und Wechselwirkung die Abhandlung der Versmaße selbst, auf welche jene formelle Prinzipien nicht den geringsten Einfluß ausüben.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 112-148.
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