a. Die Gestalt
§ 310

[199] Der Körper als totale Individualität ist unmittelbar, ruhende Totalität, somit Form des räumlichen Zusammenseins des Materiellen, daher wieder zuerst Mechanismus. Die Gestalt ist somit materieller Mechanismus der nun unbedingt und frei bestimmenden Individualität, – der Körper, dessen spezifische Art des inneren Zusammenhalts nicht nur, sondern dessen äußerliche Begrenzung im Raume durch die immanente und entwickelte Form bestimmt ist. Auf solche Weise ist die Form von selbst manifestiert und zeigt sich nicht erst als eine Eigentümlichkeit des Widerstands gegen fremde Gewalt.
[199]

§ 311

Die α) unmittelbare, d.i. die als in sich formlos gesetzte Gestalt ist einerseits das Extrem der Punktualität der Sprödigkeit, andererseits das Extrem der sich kugelnden Flüssigkeit; – die Gestalt als innere Gestaltlosigkeit.


§ 312

β) Das Spröde, als an sich seiende Totalität der formierenden Individualität, schließt sich zum Unterschiede des Begriffs auf. Der Punkt geht zunächst in die Linie über, und die Form setzt sich an derselben in Extreme entgegen, welche als Momente kein eigenes Bestehen haben und nur durch ihre Beziehung, welche erscheinend ihre Mitte und der Indifferenzpunkt des Gegensatzes ist, gehalten sind. Dieser Schluß macht das Prinzip der Gestaltung in ihrer entwickelten Bestimmtheit aus und ist in dieser noch abstrakten Strenge der Magnetismus.

Der Magnetismus ist eine der Bestimmungen, die sich vornehmlich darbieten mußten, als der Begriff sich in der bestimmten Natur vermutete und die Idee einer Naturphilosophie faßte. Denn der Magnet stellt auf eine einfache[202] naive Weise die Natur des Begriffes, und zwar in seiner entwickelten Form als Schluß (§ 181) dar. Die Pole sind die sinnlich existierenden Enden einer realen Linie (eines Stabes, oder auch in einem nach allen Dimensionen weiter ausgedehnten Körper); als Pole haben sie aber nicht die sinnliche, mechanische Realität, sondern eine ideelle; sie sind schlechthin untrennbar. Der Indifferenzpunkt, in welchem sie ihre Substanz haben, ist die Einheit, in der sie als Bestimmungen des Begriffs sind, so daß sie Sinn und Existenz allein in dieser Einheit haben, und die Polarität ist die Beziehung nur solcher Momente. Der Magnetismus hat außer der hierdurch gesetzten Bestimmung keine weitere besondere Eigenschaft. Daß die einzelne Magnetnadel sich nach Norden und damit in einem nach Süden richtet, ist Erscheinung des allgemeinen Erdmagnetismus. – Daß aber alle Körper magnetisch sind, hat einen schiefen Doppelsinn; der richtige ist, daß alle reelle, nicht bloß spröde Gestalt dieses Prinzip der Determination enthält; der unrichtige aber, daß alle Körper auch dieses Prinzip, wie es in seiner strengen Abstraktion existiert, d.i. als Magnetismus ist, an ihnen zur Erscheinung bringen. Eine Begriffsform so in der Natur vorhanden aufzeigen wollen, daß sie in der Bestimmtheit, wie sie als eine Abstraktion ist, allgemein existieren solle, wäre ein unphilosophischer Gedanke. Die Natur ist vielmehr die Idee im Elemente des Außereinander, so daß sie ebenso wie der Verstand die Begriffsmomente zerstreut festhält und in Realität darstellt, aber in den höheren Dingen die unterschiedenen Begriffsformen zur höchsten Konkretion in einem vereint (s. Anm. folg. §).
[203]


§ 313

Insofern diese sich auf sich beziehende Form zunächst in dieser abstrakten Bestimmung, Identität der bestellenden Differenzen zu sein, existiert, also noch nicht in der totalen Gestalt zum Produkte geworden und paralysiert ist, ist sie als Tätigkeit, und zwar in der Sphäre der Gestalt die Immanente Tätigkeit des freien Mechanismus, nämlich die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen.

Es ist hier ein Wort über die in jetziger Zeit so anerkannte[210] und in der Physik sogar fundamental gewordene Identität von Magnetismus, Elektrizität und Chemismus zu sagen. Der Gegensatz der Form im individuellen Materiellen geht auch dazu fort, sich zum realeren, elektrischen, und zu dem noch realeren, dem chemischen Gegensatze zu bestimmen. Allen diesen besonderen Formen liegt eine und dieselbe allgemeine Totalität der Form als ihre Substanz zum Grunde. Ferner sind Elektrizität und Chemismus als Prozesse Tätigkeiten vom reelleren, physisch weiter bestimmten Gegensatze; aber außerdem enthalten diese Prozesse vor allem Veränderungen in den Verhältnissen der materiellen Räumlichkeit. Nach dieser Seite, daß diese konkrete Tätigkeit zugleich mechanisierende Bestimmung ist, ist sie an sich magnetische Tätigkeit. Inwiefern sie als solche auch innerhalb dieser konkreteren Prozesse zur Erscheinung gebracht werden kann, sind die empirischen Bedingungen hiervon in neueren Zeiten gefunden worden. Es ist daher für einen wesentlichen Fortschritt der empirischen Wissenschaft zu achten, daß die Identität dieser Erscheinungen in der Vorstellung anerkannt worden ist, welche Elektro-Chemismus, oder etwa auch Magneto-Elektro-Chemismus oder wie sonst, genannt wird. Allein die besonderen Formen, in welchen die allgemeine existiert, und deren besondere Erscheinungen sind auch ebenso wesentlich voneinander zu unterscheiden. Der Name Magnetismus ist darum für die ausdrückliche Form und deren Erscheinung als in der Sphäre der Gestalt als solcher, sich nur auf Raumbestimmungen beziehend, aufzubehalten, so wie der Name Elektrizität gleichfalls für die damit ausdrücklich bezeichneten Erscheinungsbestimmungen. Früher ist Magnetismus, Elektrizität und Chemismus gänzlich abgesondert, ohne Zusammenhang miteinander, jedes als eine selbständige Kraft betrachtet worden. Die Philosophie hat die Idee ihrer Identität, aber[211] mit ausdrücklichem Vorbehalt ihres Unterschiedes gefaßt; in den neuesten Vorstellungsweisen der Physik scheint auf das Extrem der Identität dieser Erscheinungen übergesprungen worden und die Not zu sein, daß und wie sie zugleich auseinanderzuhalten seien. Die Schwierigkeit liegt in dem Bedürfnis, beides zu vereinigen; gelöst ist sie allein in der Natur des Begriffes, aber nicht in der Identität, die eine Konfusion der Namen in einem Magneto-Elektro-Chemismus ist.
[212]

§ 314

Die Tätigkeit der Form ist keine andere als die des Begriffs überhaupt, das Identische different und das Differente identisch zu setzen, hier also in der Sphäre der materiellen Räumlichkeit das im Räume Identische different zu setzen, d.i. es von sich zu entfernen (abzustoßen), und das im Räume Differente identisch zu setzen, d.i. es zu nähern und zur Berührung zu bringen (anzuziehen). Diese Tätigkeit, da sie in einem Materiellen, aber noch abstrakt (und nur als solche ist sie Magnetismus) existiert, beseelt sie nur ein Lineares (§ 256). In solchem können die beiden Bestimmungen der Form nur an seinem Unterschiede, d.i. an den beiden Enden, geschieden hervortreten, und ihr tätiger, magnetischer Unterschied besteht nur darin, daß das eine Ende (der eine Pol) dasselbe – ein Drittes – mit sich identisch setzt, was das andere (der andere Pol) von sich entfernt.

Das Gesetz des Magnetismus wird so ausgesprochen, daß die gleichnamigen Pole sich abstoßen und die ungleichnamigen sich anziehen, die gleichnamigen feindschaftlich, die ungleichnamigen aber freundschaftlich sind. Für die Gleichnamigkeit ist jedoch keine andere Bestimmung vorhanden, als daß diejenigen gleichnamige sind, welche gleicherweise von einem Dritten beide angezogen oder[215] beide abgestoßen werden. Dies Dritte aber hat ebenso seine Determination allein darin, jene Gleichnamigen oder überhaupt ein Anderes entweder abzustoßen oder anzuziehen. Alle Bestimmungen sind durchaus nur relativ, ohne verschiedene sinnliche, gleichgültige Existenz; es ist oben (Anm. § 312) bemerkt worden, daß so etwas wie Norden und Süden keine solche ursprüngliche, erste oder unmittelbare Bestimmung enthält. Die Freundschaftlichkeit des Ungleichnamigen und die Feindschaftlichkeit des Gleichnamigen sind hiermit überhaupt nicht eine folgende oder noch besondere Erscheinung an einem vorausgesetzten, einem eigentümlich schon bestimmten Magnetismus, sondern drücken nichts anderes als die Natur des Magnetismus selbst aus und damit die reine Natur des Begriffs, wenn er in dieser Sphäre als Tätigkeit gesetzt ist.


§ 315

[216] γ) Die Tätigkeit, in ihr Produkt übergegangen, ist die Gestalt und bestimmt als Kristall. In dieser Totalität sind die differenten magnetischen Pole zur Neutralität reduziert, die abstrakte Linearität der ortbestimmenden Tätigkeit zur Fläche und Oberfläche des ganzen Körpers realisiert; näher die spröde Punktualität einerseits zur entwickelten Form erweitert, andererseits aber die formelle Erweiterung der Kugel zur Begrenzung reduziert. Es wirkt die eine Form, den Körper nach außen (die Kugel begrenzend) und (die Punktualität gestaltend) seine innere Kontinuität durch und[217] durch (Durchgang der Blätter, Kerngestalt) zu kristallisieren.[218]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 9, Frankfurt a. M. 1979, S. 199-200,202-204,210-213,215-219,221.
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