β). Scheidung
§ 334

[327] In der Auflösung des Neutralen beginnt der Rückgang zu den besonderen chemischen bis zu den indifferenten Körpern durch eine Reihe einerseits eigentümlicher Prozesse, andererseits aber ist überhaupt jede solche Scheidung selbst untrennbar mit einer Vereinigung verknüpft, und ebenso enthalten die Prozesse, welche als dem Gange der Vereinigung angehörig angegeben worden, unmittelbar zugleich das andere Moment der Scheidung. Für die eigentümliche Stelle, welche jede besondere Form des Prozesses einnimmt, und damit für das Spezifische unter den Produkten, sind die Prozesse von konkreten Agentien und ebenso in den konkreten Produkten zu betrachten. Abstrakte Prozesse, wo die Agentien abstrakt sind (z.B. bloßes Wasser in Wirkung auf Metall, oder vollends Gase usf.), enthalten an sich wohl die Totalität des Prozesses, aber stellen seine Momente nicht in explizierter Weise dar.[327]

In der empirischen Chemie ist es hauptsächlich um die Partikularität der Stoffe und Produkte zu tun, welche nach oberflächlichen abstrakten Bestimmungen zusammengestellt werden, so daß damit in ihre Partikularität keine Ordnung kommt. In jener Zusammenstellung erscheinen Metalle, Sauerstoff, Wasserstoff usf., (ehmals Erden, nun) Metalloide, Schwefel, Phosphor als einfache chemische Körper nebeneinander auf gleicher Linie. Sogleich muß die so große physikalische Verschiedenheit dieser Körper gegen solches Koordinieren Abneigung erwecken; ebenso verschieden aber zeigt sich auch ihr chemischer Ursprung, der Prozeß, aus dem sie hervorgehen. Allein gleich chaotisch werden abstraktere und reellere Prozesse auf gleiche Stufe gesetzt. Wenn hierein wissenschaftliche Form kommen soll, so ist jedes Produkt nach der Stufe des konkreten, vollständig entwickelten Prozesses zu bestimmen, aus der es wesentlich hervorgeht und die ihm seine eigentümliche Bedeutung gibt; und hierfür ist ebenso wesentlich, die Stufen der Abstraktion oder Realität des Prozesses zu unterscheiden. Animalische und vegetabilische Substanzen gehören ohnehin einer ganz anderen Ordnung an; ihre Natur kann so wenig aus dem chemischen Prozesse verstanden werden, daß sie vielmehr darin zerstört und nur der Weg ihres Todes erfaßt wird. Diese Substanzen sollten jedoch am meisten dienen, der Metaphysik, welche in der Chemie wie in der Physik herrschend ist, nämlich den Gedanken oder vielmehr wüsten Vorstellungen von Unveränderlichkeit der Stoffe unter allen Umständen, wie den Kategorien von der Zusammensetzung und dem Bestehen der Körper aus solchen Stoffen, entgegenzuwirken. Wir sehen überhaupt zugegeben, daß die chemischen Stoffe in der Vereinigung die Eigenschaften verlieren, die sie in der Trennung zeigen, und doch die Vorstellung gelten, daß sie ohne die Eigenschaften dieselben Dinge seien, welche sie mit denselben sind, sowie daß sie als Dinge mit diesen Eigenschaften nicht erst Produkte[328] des Prozesses seien. Der noch indifferente Körper, das Metall, hat seine affirmative Bestimmung so auf physische Weise, daß seine Eigenschaften als unmittelbare an ihm erscheinen. Aber die weiter bestimmten Körper können nicht so vorausgesetzt werden, daß dann gesehen werde, wie sie sich im Prozesse verhalten, sondern sie haben ihre erste, wesentliche Bestimmung allein nach ihrer Stelle im chemischen Prozesse. Ein weiteres ist die empirische, ganz spezielle Partikularität nach dem Verhalten der Körper zu allen anderen besonderen Körpern; für diese Kenntnis muß jeder dieselbe Litanei des Verhaltens zu allen Agentien durchlaufen. – Am auffallendsten ist es in dieser Rücksicht, die vier chemischen Elemente (Sauerstoff usf.) in gleicher Linie mit Gold, Silber usf., Schwefel usf. als Stoffe aufgeführt zu sehen, als ob sie eine solche selbständige Existenz wie Gold, Schwefel usf. hätten oder der Sauerstoff eine solche Existenz wie der Kohlenstoff hat. Aus ihrer Stelle im Prozesse ergibt sich ihre Unterordnung und Abstraktion, durch welche sie von Metallen, Salzen der Gattung nach ganz verschieden sind und keinesweges in gleiche Linie mit solchen konkreten Körpern gehören; diese Stelle ist § 328 auseinandergesetzt. An der abstrakten Mitte, welche in sich gebrochen ist (vgl. § 204 Anm.), zu der daher zwei Elemente gehören – Wasser und Luft –, welche als Mittel preisgegeben wird, nehmen sich die realen Extreme des Schlusses die Existenz ihrer ursprünglichen, nur erst an sich seienden Differenz, Dies Moment der Differenz, so für sich zum Dasein gebracht, macht das chemische Element als vollkommen abstraktes Moment aus; statt Grundstoffe, substantielle Grundlagen zu sein, wie man sich beim Ausdrucke »Element« zunächst vorstellt, sind jene Materien vielmehr die extremsten Spitzen. der Differenz.

Es ist hierbei, wie überhaupt, der chemische Prozeß in seiner vollständigen Totalität zu nehmen. Besondere Teile, formelle und abstrakte Prozesse zu isolieren, führt[329] auf die abstrakte Vorstellung vom chemischen Prozesse überhaupt als bloß der Einwirkung eines Stoffes auf einen anderen, wobei das viele Andere, das sich begibt (wie auch allenthalben abstrakte Neutralisierung, Wassererzeugung, und abstrakte Scheidung, Gasentwicklung), als fast Nebensache oder zufällige Folge oder wenigstens nur äußerlich verbunden erscheint, nicht als wesentliches Moment im Verhältnisse des Ganzen betrachtet wird. Eine vollständige Auseinandersetzung des chemischen Prozesses in seiner Totalität erforderte aber näher, daß er als realer Schluß zugleich als die Dreiheit von innigst ineinander greifenden Schlüssen expliziert würde – Schlüsse, die nicht nur eine Verbindung überhaupt von ihren terminis, sondern als Tätigkeiten Negationen von deren Bestimmungen sind (vgl. § 198) und die in einem Prozesse verknüpfte Vereinung und Scheidung in ihrem Zusammenhange darzustellen hätten.
[330]

§ 335

Der chemische Prozeß ist zwar im allgemeinen das Leben, der individuelle Körper wird ebenso in seiner Unmittelbarkeit aufgehoben als hervorgebracht, somit bleibt der Begriff nicht mehr innere Notwendigkeit, sondern kommt zur Erscheinung. Es ist aber durch die Unmittelbarkeit der Körperlichkeiten, die in den chemischen Prozeß eingehen, daß er mit der Trennung überhaupt behaftet ist; dadurch erscheinen seine Momente als äußerliche Bedingungen, das sich Scheidende zerfällt in gegeneinander gleichgültige Produkte, das Feuer und die Begeistung erlischt im Neutralen und facht sich in diesem nicht von selbst wieder an; der Anfang und das Ende des Prozesses sind voneinander verschieden; – dies macht seine Endlichkeit aus, welche ihn vom Leben abhält und unterscheidet.

Chemische Erscheinungen, z.B. daß im Prozesse ein Oxyd auf einen niedrigeren Grad der Oxydation, auf dem es sich mit der einwirkenden Säure verbinden kann, herabgesetzt und ein Teil dagegen stärker oxydiert wird, haben die Chemie veranlaßt, die Bestimmung der Zweckmäßigkeit bei der Erklärung anzuwenden, eines anfänglichen Selbstbestimmens des Begriffs aus sich in seiner Realisation, so daß diese nicht allein durch die äußerlich vorhandenen Bedingungen determiniert ist.
[333]


§ 336

Es ist aber der chemische Prozeß selbst dies, jene unmittelbaren Voraussetzungen, die Grundlage seiner Äußerlichkeit und Endlichkeit, als negierte zu setzen, die Eigenschaften der Körper, die als Resultate einer besonderen Stufe des Prozesses erscheinen, auf einer anderen zu verändern und jene Bedingungen zu Produkten herabzusetzen. Was in ihm so im allgemeinen gesetzt wird, ist die Relativität der unmittelbaren Substanzen und Eigenschaften. Das gleichgültigbestehende Körperliche ist dadurch nur als Moment der Individualität gesetzt, und der Begriff in der ihm entsprechenden Realität, die in einem, aus der Besonderung der unterschiedenen Körperlichkeiten sich hervorbringende konkrete Einheit mit sich, welche die Tätigkeit ist, diese ihre einseitige Form der Beziehung auf sich zu negieren, sich in die Momente des Begriffs zu dirimieren und zu besondern und ebenso in jene Einheit zurückzuführen, – so der unendliche sich selbst anfachende und unterhaltende Prozeß, – der Organismus.[334]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 9, Frankfurt a. M. 1979, S. 327-331,333-335,337.
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