Dritter Abschnitt.

Wiederaufleben der Wissenschaften

Aus dieser Entfremdung des tieferen Interesses in geistlosem Inhalte und der in unendliche Einzelheit sich hinausverlaufenden Reflexion erfaßte sich der Geist nun in sich selbst und erhob sich zu der Forderung, sich als wirkliches Selbstbewußtsein sowohl in der übersinnlichen Welt als in der unmittelbaren Natur zu finden und zu wissen. Dieses Erwachen der Selbstheit des Geistes führte das Wiederaufleben der alten Künste und der alten Wissenschaften herbei, – ein scheinbares Zurückfallen in die Kindheit, aber in der Tat ein eigenes Erheben in die Idee, das Selbstbewegen aus sich, wie die Intellektualwelt ihm mehr eine gegebene war. Davon sind alle Bestrebungen und Erfindungen, davon die Entdeckung Amerikas und die Auffindung des Weges nach Ostindien ausgegangen und besonders die Liebe zu den alten sogenannten heidnischen Wissenschaften wiedererwacht, und so, daß man sich zu den Werken der Alten gewendet hat. Diese Werke der Alten sind Gegenstände der Studien geworden. Diese wurden als studia humaniora, wo der Mensch in seinem Interesse, in seinem Wirken anerkannt ist, dem Göttlichen gegenübergestellt; aber es war das Göttliche in der Wirklichkeit des Geistes. Daß die Menschen selbst etwas sind, hat ihnen ein Interesse gegeben für die Menschen, die als solche etwas sind.

Damit ist die nähere Seite verbunden, daß – indem die formelle Bildung des Geistes der Scholastiker das Allgemeine geworden ist – das Resultat hat sein müssen, daß der Gedanke sich in sich selbst weiß und findet; daraus ist dann der Gegensatz entsprungen vom Verstand und der kirchlichen Lehre oder dem Glauben. Die Vorstellung ist allgemein geworden, daß der Verstand etwas für falsch erkennen könne, was die Kirche behauptet. Es ist von Wichtigkeit[11] gewesen, daß der Verstand sich so erfaßt hat, obschon im Gegensatz gegen das Positive überhaupt.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 11-12.
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