A. Studium der Alten

[12] Die nächste Weise, wie das Umschauen nach dem Menschlichen in Ansehung des Wissenschaftlichen sich hervorgetan hat, ist die gewesen, daß ein Interesse der Art im Abendlande, eine Empfänglichkeit für die Alten in ihrer Klarheit und Schönheit entstanden ist und daß die Bekanntschaft mit den Alten Interesse gewonnen hat. Die Wiedererweckung der Wissenschaften und Künste, besonders des Studiums der alten Literatur in Beziehung auf Philosophie, war aber zuerst einesteils eine Wiedererweckung bloß der alten Philosophie in ihrer früheren ursprünglichen Gestalt; Neues ist noch nicht aufgekommen. Besonders das Studium der Griechen erwachte wiederum. Die Bekanntschaft, die das Abendland mit den griechischen Originalen gemacht hat, hängt mit äußeren politischen Begebenheiten zusammen. Das Abendland stand durch Kreuzzüge und Italien durch Handel mit den Griechen in häufigem Verkehr; vom Orient hatte es die römischen Gesetze, bis ein Kodex des corpus iuris zufällig entdeckt wurde, – keine diplomatische Beziehung. Das Abendland ist mit dem griechischen Morgenlande wieder in Berührung gekommen, als nun bei dem unglücklichen Sturz des byzantinischen Kaisertums die edelsten und ausgezeichnetsten Griechen nach Italien flüchteten. Schon früher in der Bedrängnis des griechischen Kaisertums von den Türken sind Gesandte nach dem Abendland geschickt worden, die um Hilfe bitten sollten; es waren dies Gelehrte, und durch diese, die sich größtenteils im Abendlande niederließen, ist diese Liebe dorthin verpflanzt. Petrarca lernte so Griechisch von Barlaam, einem Mönch in Kalabrien, wo dergleichen viele wohnten von dem Orden des heiligen Basilius, der Klöster in Unteritalien mit griechischem Ritus[12] hatte. Der Mönch lernte in Konstantinopel Griechen kennen, insbesondere Chrysoloras, der seit 1395 sich Italien zum beständigen Wohnsitz wählte. Jene Griechen machten das Abendland mit den Werken der Alten, des Platon bekannt. Man tut den Mönchen zuviel Ehre, daß sie die Alten uns aufbewahrt; sie sind vielmehr aus Konstantinopel gekommen, – die lateinischen Werke sind freilich im Abendlande konserviert worden. Jetzt wurde man hier erst mit den eigentlich Aristotelischen Schriften bekannt und dadurch die alten Philosophien wiedererweckt, wenngleich diese mit ungeheuer wilden Gärungen vermischt wurden.

So wurde teils die alte platonische Philosophie, teils die neuplatonische wieder in ihrer ersten Gestalt hervorgesucht, die aristotelische, epikureische, auch die ciceronianische Populärphilosophie, und mit dem Widerspruch gegen die Scholastik zunächst geltend gemacht, – Bemühungen, die jedoch mehr durch die Beförderung der Bildung als durch die Originalität der philosophischen Produktion merkwürdig sind. Wir haben noch Schriften aus jener Zeit, die das enthalten, daß jede Schule der Griechen ihre Anhänger gefunden hat, Aristoteliker, Platoniker usf., aber ganz anders als die Alten; wir lernen an diesen Bestrebungen nichts Neues kennen. Dies hängt mit der Literatur- und Bildungsgeschichte zusammen.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 12-13.
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