b. Der quantitative unendliche Progreß

[262] Der Progreß ins Unendliche ist überhaupt der Ausdruck des Widerspruchs, hier desjenigen, den das quantitativ Endliche oder das Quantum überhaupt enthält. Er ist die Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen, die in der qualitativen Sphäre betrachtet worden ist, mit dem Unterschiede, daß, wie soeben erinnert, im Quantitativen sich die Grenze an ihr selbst in ihr Jenseits fortschickt und fortsetzt, somit umgekehrt auch das quantitativ Unendliche gesetzt ist, das Quantum an ihm selbst zu haben, denn das Quantum ist in seinem Außersichsein zugleich es selbst; seine Äußerlichkeit gehört seiner Bestimmung an.

Der unendliche Progreß ist nun nur der Ausdruck dieses Widerspruchs, nicht die Auflösung desselben, aber um der Kontinuität willen der einen Bestimmtheit in ihre andere führt er eine scheinbare Auflösung in einer Vereinigung beider herbei. Wie er zunächst gesetzt ist, ist er die Aufgabe des Unendlichen, nicht die Erreichung desselben: das perennierende Erzeugen desselben, ohne über das Quantum selbst hinauszukommen und ohne daß das Unendliche ein Positives und Gegenwärtiges würde. Das Quantum hat es in seinem Begriffe, ein Jenseits seiner zu haben. Dies Jenseits ist erstlich das abstrakte Moment des Nichtseins des Quantums; dieses löst sich an sich selbst auf; so bezieht es sich auf sein Jenseits als auf seine Unendlichkeit nach dem qualitativen Momente des Gegensatzes. Aber zweitens steht das Quantum in Kontinuität mit diesem Jenseits; das Quantum besteht eben darin, das Andere seiner selbst, sich selbst äußerlich zu sein; also ist dies Äußerliche ebensosehr nicht ein Anderes als das Quantum; das Jenseits oder das Unendliche[262] ist also selbst ein Quantum. Das Jenseits ist auf diese Weise aus seiner Flucht zurückgerufen und das Unendliche erreicht. Aber weil dies zum Diesseits Gewordene wieder ein Quantum ist, ist nur wieder eine neue Grenze gesetzt worden; diese, als Quantum, ist auch wieder von sich selbst geflohen, ist als solches über sich hinaus, und hat sich in sein Nichtsein, in sein Jenseits von sich selbst repelliert, das ebenso perennierend zum Quantum wird, als dieses sich von sich selbst zum Jenseits abstößt.

Die Kontinuität des Quantums in sein Anderes bringt die Verbindung beider in dem Ausdruck eines Unendlichgroßen oder Unendlichkleinen hervor. Da beide die Bestimmung des Quantums noch an ihnen haben, bleiben sie veränderliche, und die absolute Bestimmtheit, die ein Fürsichsein wäre, ist also nicht erreicht. Dies Außersichsein der Bestimmung ist in dem gedoppelten Unendlichen, das sich nach dem Mehr und Weniger entgegengesetzt ist, dem Unendlichgroßen und -kleinen gesetzt. An jedem selbst ist das Quantum im perennierenden Gegensatze gegen sein Jenseits erhalten. Das Große, noch so sehr erweitert, schwindet zur Unbeträchtlichkeit zusammen; indem es sich auf das Unendliche als auf sein Nichtsein bezieht, ist der Gegensatz qualitativ, das erweiterte Quantum hat daher dem Unendlichen nichts abgewonnen; dieses ist vor wie nach das Nichtsein desselben. Oder die Vergrößerung des Quantums ist keine Näherung zum Unendlichen, denn der Unterschied des Quantums und seiner Unendlichkeit hat wesentlich auch das Moment, ein nicht quantitativer Unterschied zu sein. Es ist nur der ins Engere gebrachte Ausdruck des Widerspruchs; es soll ein Großes, d. i. ein Quantum, und unendlich, d. i. kein Quantum sein. – Ebenso das Unendlichkleine ist als Kleines ein Quantum und bleibt daher absolut, d.h. qualitativ zu groß für das Unendliche und ist diesem entgegengesetzt. Es bleibt in beiden der Widerspruch des unendlichen Progresses erhalten, der in ihnen sein Ziel gefunden haben sollte.

Diese Unendlichkeit, welche als das Jenseits des Endlichen[263] beharrlich bestimmt ist, ist als die schlechte quantitative Unendlichkeit zu bezeichnen. Sie ist wie die qualitative schlechte Unendlichkeit, das perennierende Herüber- und Hinübergehen von dem einen Gliede des bleibenden Widerspruchs zum anderen, von der Grenze zu ihrem Nichtsein, von diesem aufs neue zurück zu ebenderselben, zur Grenze. Im Progresse des Quantitativen ist das, zu dem fortgegangen wird, zwar nicht ein abstrakt Anderes überhaupt, sondern ein als verschieden gesetztes Quantum; aber es bleibt auf gleiche Weise im Gegensatze gegen seine Negation. Der Progreß ist daher gleichfalls nicht ein Fortgehen und Weiterkommen, sondern ein Wiederholen von einem und eben demselben, Setzen, Aufheben und Wiedersetzen und Wiederaufheben, – eine Ohnmacht des Negativen, dem das, was es aufhebt, durch sein Aufheben selbst als ein Kontinuierliches wiederkehrt. Es sind zwei so zusammengeknüpft, daß sie sich schlechthin fliehen; und indem sie sich fliehen, können sie sich nicht trennen, sondern sind in ihrer gegenseitigen Flucht verknüpft.


Anmerkung 1

Die schlechte Unendlichkeit pflegt vornehmlich in der Form des Progresses des Quantitativen ins Unendliche – dies fortgehende Überfliegen der Grenze, das die Ohnmacht ist, sie aufzuheben, und der perennierende Rückfall in dieselbe für etwas Erhabenes und für eine Art von Gottesdienst gehalten zu werden, so wie derselbe in der Philosophie als ein Letztes angesehen worden ist. Dieser Progreß hat vielfach zu Tiraden gedient, die als erhabene Produktionen bewundert worden sind. In der Tat aber macht diese moderne Erhabenheit nicht den Gegenstand groß, welcher vielmehr entflieht, sondern nur das Subjekt, das so große Quantitäten in sich verschlingt. Die Dürftigkeit dieser subjektiv bleibenden Erhebung, die an der Leiter des Quantitativen hinaufsteigt, tut sich selbst damit kund, daß sie in vergeblicher Arbeit dem unendlichen Ziele nicht näherzukommen[264] eingesteht, welches zu erreichen freilich ganz anders anzugreifen ist.

Bei folgenden Tiraden dieser Art ist zugleich ausgedrückt, in was solche Erhebung übergeht und aufhört. Kant z.B. führt es als erhaben auf (Kritik der praktischen Vernunft, Beschluß), ›wenn das Subjekt mit dem Gedanken sich über den Platz erhebt, den es in der Sinnenwelt einnimmt, und die Verknüpfung ins unendlich Große erweitert, eine Verknüpfung mit Sternen über Sternen, mit Welten über Welten, Systemen über Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. – Das Vorstellen erliegt diesem Fortgehen ins Unermeßlich-Ferne, wo die fernste Welt immer noch eine fernere hat, die so weit zurückgeführte Vergangenheit noch eine weitere hinter sich, die noch so weit hinausgeführte Zukunft immer noch eine andere vor sich; der Gedanke erliegt dieser Vorstellung des Unermeßlichen; wie ein Traum, daß einer einen langen Gang immer weiter und unabsehbar weiter fortgehe, ohne ein Ende abzusehen, mit Fallen oder mit Schwindel endet.‹

Diese Darstellung, außerdem daß sie den Inhalt des quantitativen Erhebens in einen Reichtum der Schilderung zusammendrängt, verdient wegen der Wahrhaftigkeit vornehmlich Lob, mit der sie es angibt, wie es dieser Erhebung am Ende ergeht: der Gedanke erliegt, das Ende ist Fallen und Schwindel. Was den Gedanken erliegen macht und das Fallen desselben und den Schwindel hervorbringt, ist nichts anderes als die Langeweile der Wiederholung, welche eine Grenze verschwinden und wieder auftreten und wieder verschwinden, so immer das eine um das andere und eins im anderen, in dem Jenseits das Diesseits, in dem Diesseits das Jenseits perennierend entstehen und vergehen läßt und nur das Gefühl der Ohnmacht dieses Unendlichen oder dieses Sollens gibt, das über das Endliche Meister werden will und nicht kann.

Auch die Hallersche, von Kant so genannte schauderhafte Beschreibung der Ewigkeit pflegt besonders bewundert zu[265] werden, aber oft gerade nicht wegen derjenigen Seite, die das wahrhafte Verdienst derselben ausmacht:


Ich häufe ungeheure Zahlen,

Gebirge Millionen auf,

Ich setze Zeit auf Zeit und Welt auf Welt zu Hauf,

Und wenn ich von der grausen Höh

Mit Schwindel wieder nach dir seh,

Ist alle Macht der Zahl, vermehrt zu tausendmalen,

Noch nicht ein Teil von dir.

Ich zieh sie ab, und du liegst ganz vor mir.


Wenn auf jenes Aufbürgen und Auftürmen von Zahlen und Welten als auf eine Beschreibung der Ewigkeit der Wert gelegt wird, so wird übersehen, daß der Dichter selbst dieses sogenannte schauderhafte Hinausgehen für etwas Vergebliches und Hohles erklärt und daß er damit schließt, daß nur durch das Aufgeben dieses leeren unendlichen Progresses das wahrhafte Unendliche selbst zur Gegenwart vor ihn komme.

Es hat Astronomen gegeben, die sich auf das Erhabene ihrer Wissenschaft gern darum viel zugute taten, weil sie mit einer unermeßlichen Menge von Sternen, mit so unermeßlichen Räumen und Zeiten zu tun habe, in denen Entfernungen und Perioden, die für sich schon so groß sind, zu Einheiten dienen, welche, noch so vielmal genommen, sich wieder zur Unbedeutendheit verkürzen. Das schale Erstaunen, dem sie sich dabei überlassen, die abgeschmackten Hoffnungen, erst noch in jenem Leben von einem Sterne zum andern zu reisen und ins Unermeßliche fort dergleichen neue Kenntnisse zu erwerben, gaben sie für ein Hauptmoment der Vortrefflichkeit ihrer Wissenschaft aus, – welche bewundernswürdig ist, nicht um solcher quantitativen Unendlichkeit willen, sondern[266] im Gegenteil um der Maßverhältnisse und der Gesetze willen, welche die Vernunft in diesen Gegenständen erkennt und die das vernünftige Unendliche gegen jene unvernünftige Unendlichkeit sind.

Der Unendlichkeit, die sich auf die äußere sinnliche Anschauung bezieht, setzt Kant die andere Unendlichkeit gegenüber, wenn ›das Individuum auf sein unsichtbares Ich zurückgeht und die absolute Freiheit seines Willens als ein reines Ich allen Schrecken des Schicksals und der Tyrannei entgegenstellt, von seinen nächsten Umgebungen anfangend, sie für sich verschwinden, ebenso das, was als dauernd erscheint, Welten über Welten in Trümmer zusammenstürzen läßt und einsam sich als sich selbst gleich erkennt‹.

Ich in dieser Einsamkeit mit sich ist zwar das erreichte Jenseits, es ist zu sich selbst gekommen, ist bei sich, diesseits, im reinen Selbstbewußtsein ist die absolute Negativität zur Affirmation und Gegenwart gebracht, welche in jenem Fortgehen über das sinnliche Quantum nur flieht. Aber indem dies reine Ich in seiner Abstraktion und Inhaltslosigkeit sich fixiert, hat es das Dasein überhaupt, die Fülle des natürlichen und geistigen Universums, als ein Jenseits sich gegenüber. Es stellt sich derselbe Widerspruch dar, der dem unendlichen Progresse zugrunde liegt; nämlich ein Zurückgekehrtsein in sich, das unmittelbar zugleich Außersichsein, Beziehung auf sein Anderes als auf sein Nichtsein, ist; welche Beziehung eine Sehnsucht bleibt, weil Ich sich seine gehaltlose und unhaltbare Leere einerseits und die in der Negation doch präsent bleibende Fülle als sein Jenseits fixiert hat.

Kant fügt diesen beiden Erhabenheiten die Bemerkung bei, ›daß Bewunderung (für die erstere, äußerliche) und Achtung (für die zweite, innerliche) Erhabenheit zwar zur Nachforschung reizen, aber den Mangel derselben nicht ersetzen können‹. – Er erklärt damit jene Erhebungen als unbefriedigend für die Vernunft, welche bei ihnen und den damit verbundenen Empfindungen nicht stehenbleiben und das Jenseits und Leere nicht für das Letzte gelten lassen kann.[267]

Als ein Letztes aber ist der unendliche Progreß vornehmlich in seiner Anwendung auf die Moralität genommen worden. Der soeben angeführte zweite Gegensatz des Endlichen und Unendlichen als der mannigfaltigen Welt und des in seine Freiheit erhobenen Ichs ist zunächst qualitativ. Das Selbstbestimmen des Ich geht zugleich darauf, die Natur zu bestimmen und sich von ihr zu befreien; so bezieht es sich durch sich selbst auf sein Anderes, welches als äußerliches Dasein ein Vielfältiges und auch Quantitatives ist. Die Beziehung auf ein Quantitatives wird selbst quantitativ; die negative Beziehung des Ich darauf, die Macht des Ich über das Nicht-Ich, über die Sinnlichkeit und äußere Natur, wird daher so vorgestellt, daß die Moralität immer größer, die Macht der Sinnlichkeit aber immer kleiner werden könne und solle. Die völlige Angemessenheit aber des Willens zum moralischen Gesetze wird in den ins Unendliche gehenden Progreß verlegt, d.h. als ein absolutes unerreichbares Jenseits vorgestellt, und eben dies solle der wahre Anker und der rechte Trost sein, daß es ein Unerreichbares ist; denn die Moralität soll als Kampf sein; dieser aber ist nur unter der Unangemessenheit des Willens zum Gesetze, dieses damit schlechthin ein Jenseits für ihn.

In diesem Gegensatze werden Ich und Nicht-Ich oder der reine Wille und das moralische Gesetz und die Natur und Sinnlichkeit des Willens als vollkommen selbständig und gleichgültig gegeneinander vorausgesetzt. Der reine Wille hat sein eigentümliches Gesetz, das in wesentlicher Beziehung auf die Sinnlichkeit steht; und die Natur und Sinnlichkeit hat ihrerseits Gesetze, die weder aus dem Willen genommen und ihm entsprechend sind, noch auch nur, wenngleich verschieden davon, an sich eine wesentliche Beziehung auf ihn hätten, sondern sie sind überhaupt für sich bestimmt, in sich fertig und geschlossen. Zugleich sind beide aber Momente eines und desselben einfachen Wesens, des Ich; der Wille ist als das Negative gegen die Natur bestimmt, so daß er nur ist, insofern ein solches von ihm Verschiedenes ist, das von[268] ihm aufgehoben werde, von dem er aber hierin berührt und selbst affiziert ist. Der Natur und ihr als Sinnlichkeit des Menschen ist als einem selbständigen System von Gesetzen das Beschränken durch ein Anderes gleichgültig; sie erhält sich in diesem Begrenztwerden, tritt selbständig in die Beziehung ein und begrenzt den Willen des Gesetzes ebensosehr, als er sie begrenzt. – Es ist ein Akt, daß der Wille sich bestimmt und das Anderssein einer Natur aufhebt und daß dies Anderssein als daseiend gesetzt ist, sich in sein Aufgehobenwerden kontinuiert und nicht aufgehoben ist. Der Widerspruch, der hierin liegt, wird im unendlichen Progresse nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil als unaufgelöst und unauflösbar dargestellt und behauptet; der Kampf der Moralität und der Sinnlichkeit wird vorgestellt als das an und für sich seiende, absolute Verhältnis.

Die Ohnmacht, über den qualitativen Gegensatz des Endlichen und Unendlichen Meister zu werden und die Idee des wahrhaften Willens, die substantielle Freiheit, zu fassen, nimmt zur Größe ihre Zuflucht, um sie als die Mittlerin zu gebrauchen, weil sie das aufgehobene Qualitative, der gleichgültig gewordene Unterschied ist. Allein indem beide Glieder des Gegensatzes als qualitativ verschieden zugrunde liegen bleiben, so wird vielmehr dadurch, daß sie sich in ihrer gegenseitigen Beziehung als Quanta verhalten, jedes sogleich als gegen diese Veränderung gleichgültig gesetzt. Die Natur wird durch Ich, die Sinnlichkeit durch den Willen des Guten bestimmt; die durch denselben an ihr hervorgebrachte Veränderung ist nur ein quantitativer Unterschied, ein solcher, der sie als das bestehen läßt, was sie ist.

In der abstrakteren Darstellung der Kantischen Philosophie oder wenigstens ihrer Prinzipien, nämlich in der Fichteschen Wissenschaftslehre, macht der unendliche Progreß auf dieselbe Weise die Grundlage und das Letzte aus. Auf den ersten Grundsatz dieser Darstellung, Ich = Ich, folgt ein zweiter, davon unabhängiger, die Entgegensetzung des Nicht-Ich; die Beziehung beider wird sogleich auch als quantitativer[269] Unterschied angenommen, daß Nicht-Ich zum Teil durch Ich bestimmt werde, zum Teil auch nicht. Das Nicht-Ich kontinuiert sich auf diese Weise in sein Nichtsein so, daß es in seinem Nichtsein entgegengesetzt bleibt als ein nicht Aufgehobenes. Nachdem daher die Widersprüche, die darin liegen, im System entwickelt worden sind, so ist das schließliche Resultat dasjenige Verhältnis, welches der Anfang war; das Nicht-Ich bleibt ein unendlicher Anstoß, ein absolut Anderes; die letzte Beziehung seiner und des Ich aufeinander ist der unendliche Progreß, Sehnsucht und Streben, – derselbe Widerspruch, mit welchem angefangen wurde.

Weil das Quantitative die als aufgehoben gesetzte Bestimmtheit ist, so glaubte man für die Einheit des Absoluten, für die eine Substantialität viel oder vielmehr alles gewonnen zu haben, indem man den Gegensatz überhaupt zu einem nur quantitativen Unterschiede herabsetzte. »Aller Gegensatz ist nur quantitativ« war einige Zeit ein Hauptsatz neuerer Philosophie; die entgegengesetzten Bestimmungen haben dasselbe Wesen, denselben Inhalt, sie sind reale Seiten des Gegensatzes, insofern jede derselben seine beiden Bestimmungen, beiden Faktoren in ihr hat, nur daß auf der einen Seite der eine Faktor, auf der anderen der andere überwiegend, in der einen Seite der eine Faktor, eine Materie oder Tätigkeit, in größerer Menge oder in stärkerem Grade vorhanden sei als in der anderen. Insofern verschiedene Stoffe oder Tätigkeiten vorausgesetzt werden, bestätigt und vollendet der quantitative Unterschied vielmehr deren Äußerlichkeit und Gleichgültigkeit gegeneinander und gegen ihre Einheit. Der Unterschied der absoluten Einheit soll nur quantitativ sein; das Quantitative ist zwar die aufgehobene unmittelbare Bestimmtheit, aber die nur unvollkommene, erst die erste Negation, nicht die unendliche, nicht die Negation der Negation. – Indem Sein und Denken als quantitative Bestimmungen der absoluten Substanz vorgestellt werden, werden auch sie als Quanta, wie in untergeordneter Sphäre der Kohlenstoff, Stickstoff usf., sich vollkommen[270] äußerlich und beziehungslos. Es ist ein Drittes, eine äußerliche Reflexion, welche von ihrem Unterschiede abstrahiert und ihre innere, nur ansichseiende, nicht ebenso fürsichseiende Einheit erkennt. Diese Einheit wird damit in der Tat nur als erste unmittelbare vorgestellt oder nur als Sein, welches in seinem quantitativen Unterschiede sich gleich bleibt, aber nicht sich durch sich selbst gleich setzt; es ist somit nicht begriffen als Negation der Negation, als unendliche Einheit. Nur im qualitativen Gegensatze geht die gesetzte Unendlichkeit, das Fürsichsein, hervor, und die quantitative Bestimmung selbst geht, wie sich sogleich näher ergeben wird, in das Qualitative über.


Anmerkung 2

Es ist oben erinnert worden, daß die Kantischen Antinomien Darstellungen des Gegensatzes des Endlichen und Unendlichen in einer konkreteren Gestalt, auf speziellere Substrakte der Vorstellung angewendet, sind. Die daselbst betrachtete Antinomie enthielt den Gegensatz der qualitativen Endlichkeit und Unendlichkeit. In einer anderen, der ersten der vier kosmologischen Antinomien, ist es mehr die quantitative Grenze, die in ihrem Widerstreite betrachtet wird. Ich will die Untersuchung dieser Antinomie daher hier anstellen.

Sie betrifft die Begrenztheit oder Unbegrenztheit der Welt in Zeit und Raum. – Es konnte ebensogut dieser Gegensatz auch in Rücksicht auf Zeit und Raum selbst betrachtet werden, denn ob Zeit und Raum Verhältnisse der Dinge selbst oder aber nur Formen der Anschauung sind, ändert nichts für das Antinomische der Begrenztheit oder Unbegrenztheit in ihnen.

Die nähere Auseinanderlegung dieser Antinomie wird gleichfalls zeigen, daß die beiden Sätze und ebenso ihre Beweise, die wie bei der oben betrachteten apogogisch geführt sind, auf nichts als auf die zwei einfachen, entgegengesetzten Behauptungen hin auslaufen: es ist eine Grenze, und: es muß über die Grenze hinausgegangen werden.[271]

Die Thesis ist:

»Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.«

Der eine Teil des Beweises, die Zeit betreffend, nimmt das Gegenteil an,

»... die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang: so ist bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine Ewigkeit abgelaufen und mithin eine unendliche Reihe aufeinander folgender Zustände der Dinge in der Welt verflossen. Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit einer Reihe, daß sie durch sukzessive Synthesis niemals vollendet sein kann. Also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unmöglich, mithin ein Anfang der Welt eine notwendige Bedingung ihres Daseins; welches zuerst zu erweisen war.«

Der andere Teil des Beweises, der den Raum betrifft, wird auf die Zeit zurückgeführt. Das Zusammenfassen der Teile einer im Räume unendlichen Welt erforderte eine unendliche Zeit, welche als abgelaufen angesehen werden müßte, insofern die Welt im Räume nicht als ein Werdendes, sondern als ein vollendetes Gegebenes anzusehen ist. Von der Zeit aber wurde im ersten Teile des Beweises gezeigt, daß eine unendliche Zeit als abgelaufen anzunehmen unmöglich sei.

Man sieht aber sogleich, daß es unnötig war, den Beweis apogogisch zu machen oder überhaupt einen Beweis zu führen, indem in ihm selbst unmittelbar die Behauptung dessen zugrunde liegt, was bewiesen werden sollte. Es wird nämlich irgendein oder jeder gegebene Zeitpunkt angenommen, bis zu welchem eine Ewigkeit (Ewigkeit hat hier nur den geringen Sinn einer schlecht-unendlichen Zeit) abgelaufen sei. Ein gegebener Zeitpunkt heißt nun nichts anderes als eine bestimmte Grenze in der Zeit. Im Beweise wird also eine Grenze der Zeit als wirklich vorausgesetzt; sie ist aber eben das, was bewiesen werden sollte. Denn die Thesis besteht darin, daß die Welt einen Anfang in der Zeit habe.

Nur der Unterschied findet statt, daß die angenommene Zeitgrenze ein Jetzt als Ende der vorher verflossenen, die zu[272] beweisende aber Jetzt als Anfang einer Zukunft ist. Allein dieser Unterschied ist unwesentlich. Jetzt wird als der Punkt angenommen, in welchem eine unendliche Reihe aufeinander folgender Zustände der Dinge in der Welt verflossen sein soll, also als Ende, als qualitative Grenze. Würde dies Jetzt nur als quantitative Grenze betrachtet, welche fließend und über die nicht nur hinauszugehen, sondern die vielmehr nur dies sei, über sich hinauszugehen, so wäre die unendliche Zeitreihe in ihr nicht verflossen, sondern führe fort zu fließen, und das Räsonnement des Beweises fiele weg. Dagegen ist der Zeitpunkt als qualitative Grenze für die Vergangenheit angenommen, aber ist so zugleich Anfang für die Zukunft – denn an sich ist jeder Zeitpunkt die Beziehung der Vergangenheit und der Zukunft –, auch ist er absoluter, d.h. abstrakter Anfang für dieselbe, d. i. das, was bewiesen werden sollte. Es tut nichts zur Sache, daß vor seiner Zukunft und diesem ihrem Anfange derselben schon eine Vergangenheit ist; indem dieser Zeitpunkt qualitative Grenze ist – und als qualitative ihn anzunehmen, liegt in der Bestimmung des Vollendeten, Abgelaufenen, also sich nicht Kontinuierenden –, so ist die Zeit in ihm abgebrochen und jene Vergangenheit ohne Beziehung auf diejenige Zeit, welche nur Zukunft in Rücksicht auf diese Vergangenheit genannt werden konnte und daher ohne solche Beziehung nur Zeit überhaupt ist, die einen absoluten Anfang hat. Stünde sie aber (wie sie es denn tut) durch das Jetzt, den gegebenen Zeitpunkt, in einer Beziehung auf die Vergangenheit, wäre sie somit als Zukunft bestimmt, so wäre auch dieser Zeitpunkt von der andern Seite keine Grenze, die unendliche Zeitreihe kontinuierte sich in dem, was Zukunft hieß, und wäre nicht, wie angenommen worden, vollendet.

In Wahrheit ist die Zeit reine Quantität; der im Beweise gebrauchte Zeitpunkt, in welchem sie unterbrochen sein sollte, ist vielmehr nur das sich selbst aufhebende Fürsichsein des Jetzt. Der Beweis leistet nichts; als daß er die in der[273] Thesis behauptete absolute Grenze der Zeit als einen gegebenen Zeitpunkt vorstellig macht und ihn als vollendeten, d. i. abstrakten Punkt geradezu annimmt, – eine populäre Bestimmung, welche das sinnliche Vorstellen leicht als eine Grenze passieren, somit im Beweise dies als Annahme gelten läßt, was vorher als das zu Beweisende aufgestellt wurde.

Die Antithesis heißt:

»Die Welt hat keinen Anfang und keine Grenzen im Raume, sondern ist sowohl in Ansehung der Zeit als des Raumes unendlich

Der Beweis setzt gleichfalls das Gegenteil: »Die Welt habe einen Anfang. Da der Anfang ein Dasein ist, wovor eine Zeit vorhergeht, darin das Ding nicht ist, so muß eine Zeit vorhergegangen sein, darin die Welt nicht war, d. i. eine leere Zeit. Nun ist aber in einer leeren Zeit kein Entstehen irgendeines Dinges möglich; weil kein Teil einer solchen Zeit vor einem andern irgendeine unterscheidende Bedingung des Daseins vor der des Nichtdaseins an sich hat... Also kann zwar in der Welt manche Reihe der Dinge anfangen, die Welt selbst aber keinen Anfang nehmen und ist also in Ansehung der vergangenen Zeit unendlich.«

Dieser apogogische Beweis enthält, wie die anderen, die direkte und unbewiesene Behauptung dessen, was er beweisen sollte. Er nimmt nämlich zuerst ein Jenseits des weltlichen Daseins, eine leere Zeit an, aber kontinuiert alsdann auch das weltliche Dasein ebensosehr über sich hinaus in diese leere Zeit hinein, hebt diese dadurch auf und setzt somit das Dasein ins Unendliche fort. Die Welt ist ein Dasein; der Beweis setzt voraus, daß dies Dasein entstehe und das Entstehen eine in der Zeit vorhergehende Bedingung habe. Darin aber eben besteht die Antithesis selbst, daß es kein unbedingtes Dasein, keine absolute Grenze gebe, sondern das weltliche Dasein immer eine vorhergehende Bedingung fordere. Das zu Erweisende findet sich somit als Annahme in dem Beweise. – Die Bedingung wird dann ferner in der leeren Zeit gesucht, was soviel heißt, als daß sie als zeitlich[274] und somit als Dasein und Beschränktes angenommen wird. Überhaupt also ist die Annahme gemacht, daß die Welt als Dasein ein anderes bedingtes Dasein in der Zeit voraussetze und hiermit so fort ins Unendliche.

Der Beweis in Ansehung der Unendlichkeit der Welt im Raume ist dasselbe. Apogogischerweise wird die räumliche Endlichkeit der Welt gesetzt; ›diese befände sich somit in einem leeren unbegrenzten Raume und hätte ein Verhältnis zu ihm; ein solches Verhältnis der Welt zu keinem Gegenstande aber ist nichts‹.

Was bewiesen werden sollte, ist hier ebenso im Beweise direkt vorausgesetzt. Es wird direkt angenommen, daß die begrenzte räumliche Welt sich in einem leeren Raume befinden und ein Verhältnis zu ihm haben sollte, d.h. daß über sie hinausgegangen werden müsse, – einerseits in das Leere, in das Jenseits und Nichtsein derselben, andererseits aber daß sie damit im Verhältnis stehe, d. i. sich darein hinein kontinuiere, das Jenseits hiermit mit weltlichem Dasein erfüllt vorzustellen sei. Die Unendlichkeit der Welt im Raume, die in der Antithesis behauptet wird, ist nichts anderes als einerseits der leere Raum, andererseits das Verhältnis der Welt zu ihm, d.h. Kontinuität derselben in ihm oder die Erfüllung desselben; welcher Widerspruch – der Raum zugleich als leer und zugleich als erfüllt – der unendliche Progreß des Daseins im Raume ist. Dieser Widerspruch selbst, das Verhältnis der Welt zum leeren Raume, ist im Beweise direkt zur Grundlage gemacht.

Die Thesis und Antithesis und die Beweise derselben stellen daher nichts dar als die entgegengesetzten Behauptungen, daß eine Grenze ist und daß die Grenze ebensosehr nur eine aufgehobene ist; daß die Grenze ein Jenseits hat, mit dem sie aber in Beziehung steht, wohin über sie hinauszugehen ist, worin aber wieder eine solche Grenze entsteht, die keine ist.

Die Auflösung dieser Antinomien ist, wie die der obigen, transzendental, d.h. sie besteht in der Behauptung der Idealität[275] des Raumes und der Zeit als Formen der Anschauung, in dem Sinne, daß die Welt an ihr selbst nicht im Widerspruch mit sich, nicht ein sich Aufhebendes, sondern nur das Bewußtsein in seinem Anschauen und in der Beziehung der Anschauung auf Verstand und Vernunft ein sich selbst widersprechendes Wesen sei. Es ist dies eine zu große Zärtlichkeit für die Welt, von ihr den Widerspruch zu entfernen, ihn dagegen in den Geist, in die Vernunft zu verlegen und darin unaufgelöst bestehen zu lassen. In der Tat ist es der Geist, der so stark ist, den Widerspruch ertragen zu können, aber er ist es auch, der ihn aufzulösen weiß. Die sogenannte Welt aber (sie heiße objektive, reale Welt oder, nach dem transzendentalen Idealismus, subjektives Anschauen und durch die Verstandeskategorie bestimmte Sinnlichkeit) entbehrt darum des Widerspruchs nicht und nirgends, vermag ihn aber nicht zu ertragen und ist darum dem Entstehen und Vergehen preisgegeben.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 262-276.
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