b. Das hypothetische Urteil

[337] »Wenn A ist, so ist B«; oder »das Sein des A ist nicht sein eigenes Sein, sondern das Sein eines Anderen, des B«. – Was in diesem Urteil gesetzt ist, ist der notwendige Zusammenhang von unmittelbaren Bestimmtheiten, welcher im kategorischen Urteile noch nicht gesetzt ist. – Es sind hier zwei unmittelbare Existenzen oder äußerlich zufällige, deren im kategorischen Urteile zunächst nur eine, das Subjekt, ist; indem aber das eine äußerlich gegen das andere ist, so ist unmittelbar dies andere auch äußerlich gegen das erste. – Nach dieser Unmittelbarkeit ist der Inhalt beider Seiten noch ein gleichgültiger gegeneinander; dies Urteil ist daher zunächst ein Satz der leeren Form. Nun ist die Unmittelbarkeit erstlich zwar als solche ein selbständiges, konkretes Sein; aber zweitens ist die Beziehung desselben das wesentliche; jenes Sein ist daher ebensosehr als bloße Möglichkeit; das hypothetische Urteil enthält nicht, daß A ist oder daß B ist, sondern nur, wenn eines ist, so ist das andere; nur der Zusammenhang der Extreme ist gesetzt als seiend, nicht sie selbst. Vielmehr ist in dieser Notwendigkeit jedes gesetzt als ebensosehr das Sein eines Anderen. – Der Satz der Identität sagt aus: A ist nur A, nicht B; und B ist nur B, nicht A, im hypothetischen Urteil ist dagegen das Sein der endlichen Dinge nach ihrer formellen Wahrheit durch den Begriff gesetzt, daß nämlich das Endliche sein eigenes Sein, aber ebensosehr nicht das seinige, sondern das Sein eines Anderen ist. In der Sphäre des Seins verändert sich das Endliche,[337] es wird zu einem Anderen; in der Sphäre des Wesens ist es Erscheinung und gesetzt, daß sein Sein darin besteht, daß ein Anderes an ihm scheint, und die Notwendigkeit ist die innere, noch nicht als solche gesetzte, Beziehung. Der Begriff aber ist dies, daß diese Identität gesetzt ist und daß das Seiende nicht die abstrakte Identität mit sich, sondern die konkrete ist und unmittelbar an ihm selbst das Sein eines Anderen.

Das hypothetische Urteil kann durch die Reflexionsverhältnisse in näherer Bestimmtheit genommen werden als Verhältnis von Grund und Folge, Bedingung und Bedingtem, Kausalität usf. Wie im kategorischen Urteile die Substantialität, so ist im hypothetischen der Zusammenhang der Kausalität in seiner Begriffsform. Dieses und die anderen Verhältnisse stehen sämtlich unter ihm, sind aber hier nicht mehr als Verhältnisse von selbständigen Seiten, sondern diese sind wesentlich nur als Momente einer und derselben Identität. – Jedoch sind sie in ihm noch nicht nach den Begriffsbestimmungen als Einzelnes oder Besonderes und Allgemeines entgegengesetzt, sondern nur erst als Momente überhaupt. Das hypothetische Urteil hat insofern mehr die Gestalt eines Satzes; wie das partikuläre Urteil von unbestimmtem Inhalte ist, so ist das hypothetische von unbestimmter Form, indem sein Inhalt sich nicht in der Bestimmung von Subjekt und Prädikat verhält. – Doch an sich ist das Sein, da es das Sein des Anderen ist, eben dadurch Einheit seiner selbst und des Anderen und hiermit Allgemeinheit, es ist damit zugleich eigentlich nur ein Besonderes, da es Bestimmtes und in seiner Bestimmtheit sich nicht bloß auf sich Beziehendes ist. Es ist aber nicht die einfache abstrakte Besonderheit gesetzt, sondern durch die Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheiten haben, sind die Momente derselben als unterschiedene; zugleich durch die Einheit derselben, die ihre Beziehung ausmacht, ist die Besonderheit auch als die Totalität derselben. – Was in Wahrheit daher in diesem Urteile gesetzt ist, ist die Allgemeinheit als die konkrete Identität des[338] Begriffs, dessen Bestimmungen kein Bestehen für sich haben, sondern nur in ihr gesetzte Besonderheiten sind. So ist es das disjunktive Urteil.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 337-339.
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