11. Kapitel
Stellen und Beispiele aus der Heiligen Schrift über die Rechte der Staatsgewalt, welche das Bisherige bestätigen

[194] 1. Ich habe in Kap. 6, Abschn. 2, den Anfang des institutiven oder politischen Staates von der Einwilligung der Menge so abgeleitet, daß entweder alle ihre Einwilligung geben oder für Feinde gehalten werden müssen. Einen solchen Anfang nahm auch die Herrschaft Gottes über die Juden, wie sie von Moses eingerichtet wurde, Exod. 19, 5-8: »Wenn ihr meine Stimme hören werdet usw., so werdet ihr mir in der priesterlichen Herrschaft gehören usw. – Moses kam, und die Ältesten des Volkes wurden berufen usw., und alles Volk sprach allzumal: Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun.« Ebenso begann auch die Macht Mosis unter Gott oder seine Macht als Stellvertreter des Königs, Exod. 20, 18-19: »Das ganze Volk hörte die Stimmen und sah die Fackeln usw. und sagte dem Moses: Sprich du zu uns und wir werden hören.« Ähnlich begann die Herrschaft Sauls, I. Sam. 12, 12-13: »Als ihr sahet, daß Naas, der König der Kinder Ammons, gegen euch gekommen war, sagtet ihr zu mir: Mitnichten; ein König soll über uns herrschen, da euer Herr über euch geherrscht hat. Jetzt ist also euer König gegenwärtig, den ihr gewählt und erbeten habt.« Da aber nicht alle einwilligten, sondern nur der größere Teil, denn einige Söhne Belials sagten, I. Sam. 10, 27: »Wird uns jener auch erretten können? Und sie verachteten ihn«, so wurden die, welche nicht eingewilligt hatten, gleich Feinden zum Tode geführt. Und das Volk sagte zu Samuel, I. Sam. 11, 12: »Wer ist es, der gesagt hat, Saul soll über uns herrschen; gebt uns Leute, daß wir ihn töten.«[194]

2. In demselben Kap. 6, Abschn. 6 u. 7 habe ich gezeigt, daß sowohl die Rechtsprechung wie die Kriegführung dem Inhaber der höchsten Gewalt zukommt; also in der Monarchie einem Menschen oder König. Dies wird durch den Ausspruch des Volkes selbst bestätigt. I. Sam. 8, 20: »Wir werden sein wie alle andern Völker, und unser König wird Recht sprechen über uns, und er wird vor uns ausziehen und unsere Kriege für uns führen.« Auch König Salomo zeugt dafür sowohl in betreff der Rechtsprechung wie in allem, worüber man streiten kann, ob es gut oder schlecht ist, I. Könige 3, 9: »Du wirst also deinem Knechte ein gelehriges Herz geben, damit er über dein Volk Recht sprechen und zwischen Gutem und Bösem unterscheiden kann.« Auch Absalon sagt 2. Sam. 15, 3: »Es ist vor dem König keiner vorgesetzt, der dich anhören soll.«

3. In Kap. 6, Abschn. 12, habe ich gezeigt, daß die Könige von ihren Untertanen nicht bestraft werden können; dies bestätigt König David, der, als Saul versuchte, ihm das Leben zu nehmen, sich dennoch enthielt, Saul zu töten, auch den Abisai davon abhielt, indem er sagte, I. Sam. 26, 9: »Töte ihn nicht, denn wer will seine Hand gegen den Gesalbten des Herrn erheben; er wird unschuldig sein.« Und als er den Saum vom Rocke Sauls abgeschnitten, I. Sam. 24, 7: »Der Herr sei mir gnädig, damit ich dies meinem Herrscher nicht antue, dem Gesalbten des Herrn, daß ich meine Hand gegen ihn ausstreckte.« Ebenso, 2. Sam. 1, 15, hieß er den Amalekiter, welcher ihm zuliebe den Saul getötet hatte, dennoch mit dem Tode belegen.

4. Das, was Richter 17, 6 steht: »In jenen Tagen war kein König in Israel, sondern jeder tat, was ihm recht schien«, als wenn da, wo kein Monarch ist, die Anarchie oder Verwirrung aller Dinge herrscht, könnte zum Beweis angeführt werden, daß die königliche Herrschaft besser als alle andern Staatsformen ist; indes könnte man unter »König« nicht bloß einen Menschen, sondern auch eine Versammlung verstehen, sobald ihr nur die höchste Gewalt zukommt. Aber selbst in diesem Sinne erhellt, daß ohne eine höchste und absolute Gewalt (wie ich im sechsten Kapitel zu beweisen versucht habe) einem jeden alles erlaubt ist, was ihm beliebt oder was er für recht hält. Allein[195] dieses verträgt sich nicht mit der Erhaltung des menschlichen Geschlechts; deshalb besteht schon nach dem Naturrecht eine höchste Gewalt in jedem Staate.

5. In Kap. 8, Abschn. 7 u. 8, habe ich gezeigt, daß die Sklaven ihren Herren einen Gehorsam schlechthin, und in Kap. 9, Abschn. 7, daß die Söhne ihren Eltern diesen selben Gehorsam schulden. Dasselbe sagt der heilige Paulus, und zwar in bezug auf die Sklaven, Kol. 3, 22: »Sie sollen ihrem fleischlichen Herrn nicht nach den Augen dienen, als wenn sie nur den Menschen gefallen wollten, sondern in Einfalt ihres Herzens, aus der Furcht Gottes.« Über die Söhne, Kol. 3, 20: »Ihr Söhne, gehorcht den Vätern in allem, denn daran hat der Herr Gefallen.« So wie ich unter einfachem Gehorsam alles befasse, was nicht gegen die Gesetze Gottes verstößt, so muß man auch in diesen Stellen von Paulus das »in allem« nur von dem verstehen, was nicht gegen die Gesetze Gottes geht.

6. Um jedoch das Recht der Fürsten nicht Stück für Stück zu erweisen, führe ich nur die Stellen an, wo ihre ganze Gewalt zusammenfassend festgesetzt wird, nämlich daß die Untertanen ihnen einfachen und unbeschränkten Gehorsam schulden. Zunächst aus dem Neuen Testament, Matth. 23, 2-3: »Auf dem Sessel Mosis haben die Schriftgelehrten und Pharisäer gesessen; deshalb beobachtet und tut alles, was sie euch sagen.« »Tut alles,« sagt Christus, »d.h. gehorchet einfach.« Weshalb? Weil sie »auf dem Sessel Mosis sitzen«, d.h. »des weltlichen Fürsten«, nicht des Priesters Aaron. Ferner Röm. 13, 1-2: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat; denn alle Gewalt kommt nur von Gott, und wo Obrigkeit ist, da ist sie von Gott eingesetzt. Wer deshalb der Obrigkeit Widerstand leistet, der widersetzt sich der Einrichtung Gottes, und wer sich widersetzt, der bereitet sich selbst das Verderben« usw. Da sonach alle Obrigkeiten zur Zeit Pauli von Gott eingerichtet waren, alle Könige aber damals von ihren Untertanen vollen Gehorsam forderten, so erhellt, daß eine solche Gewalt von Gott angeordnet worden. I. Petri 2, 13-15: »Seid untertan jeder menschlichen Kreatur um Gottes willen, d.h. dem Könige, der über allen steht, oder den von ihm gesandten Beamten, damit sie die Übeltäter[196] strafen und die Gerechten loben; denn das ist der Wille Gottes.« Weiter sagt der heilige Paulus zu Titus, Tit. 3, 1: »Ermahne sie, daß sie untertan seien den Fürsten und Obrigkeiten, und daß sie ihren Befehlen gehorchen.« Aber welchen Fürsten? Doch offenbar den Fürsten jener Zeit, welche den einfachen Gehorsam verlangten! Um endlich auf das Beispiel Christi selbst zu kommen, dem nach dem von David herkommenden Erbrecht die Herrschaft über die Juden gebührte, so zahlte er, da er nach der Weise eines Untertanen lebte, seine Abgaben an den Kaiser und bekannte, daß sie dem Kaiser gehörten. Matth. 22, 2-3: »Gebet«, sagt er, »dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.« Als es ihm gefiel, als König aufzutreten, verlangte er vollen Gehorsam und sagte, Matth. 21, 23: »Gehet in das Haus euch gegenüber, und ihr werdet dort eine Eselin mit ihrem Füllen finden, bindet sie los und bringt sie mir, und wenn jemand etwas dagegen sagen sollte, so antwortet, daß der Herr ihrer bedarf.« Er tat sonach dies aus seinem Rechte der Herrschaft oder als König der Juden. Wenn man den Untertanen ihr Gut nur unter dem Vorwande nimmt, daß der Herr es bedarf, so ist dessen Herrschaft unbeschränkt. Die einleuchtendsten Stellen des Alten Testaments sind folgende, 5. Moses 5, 27: »Gehe hin und höre auf alles, was der Herr unser Gott dir sagen wird, und du wirst es uns dann sagen, und wenn wir es gehört, werden wir es tun.« Unter dem Worte »alles« ist hier der volle Gehorsam gemeint. Ferner bei Josua, Josua 1, 16-18: »Und sie antworteten dem Josua und sagten: Alles, was du uns geheißen hast, wollen wir tun, und wohin du uns sendest, wollen wir gehen. So wie wir in allem dem Moses gehorcht haben, so wollen wir auch dir gehorchen; nur sei der Herr dein Gott mit dir, wie er es mit Moses war. Wer deinem Munde widerspricht und nicht allen deinen Geboten gehorcht, der soll des Todes sterben.« Ferner das Gleichnis des Rhamnus, Richter 9, 14-15: »Und alle Hölzer sagten zu Rhamnus: Komm und herrsche über uns! Er aber antwortete: Wenn ihr mich wahrhaft zum König bestellt, so kommt und ruht unter meinem Schatten; wenn ihr aber nicht wollt, so soll das Feuer von Rhamnus ausgehen und die Zedern des Libanon[197] verzehren.« Der Sinn dieser Worte ist, daß man sich bei den Worten dessen beruhigen müsse, den man wahrhaft zum König über sich eingesetzt hat, wenn man nicht durch den Feuerbrand des Bürgerkrieges verzehrt sein wolle. Noch bestimmter wird die Gewalt des Königs von Gott selbst in I. Sam. 8, 9 ff. beschrieben: »Beschreibe ihnen das Recht des Königs, der über sie herrschen soll, also: Das Recht des Königs, der über euch herrschen soll, wird sein, daß er eure Söhne euch nimmt und auf seine Wagen stellt; und eure Töchter wird er nehmen, damit sie heilen und kochen usw. Die besten Ölgärten wird er nehmen und seinen Knechten geben.« Ist dies nicht eine unbeschränkte Gewalt? Und doch wird sie von Gott das Recht des Königs genannt. Niemand, nicht einmal der höchste Priester ist bei den Juden von diesem Gehorsam ausgenommen gewesen. Denn als der König, nämlich Salomon, dem Priester Abiathar sagte, I. Kön. 2, 26-27: »Gehe nach Anathot zu deinem Acker, denn du bist ein Mann des Todes; aber heute will ich dich nicht töten, weil du die Lade Gottes vor David, meinem Vater, getragen hast, und weil du in allem, worin mein Vater gearbeitet hat, ihm beigestanden hast. Und Salomon vertrieb den Abiathar, daß er nicht mehr der Priester des Herrn war,« – so ergibt sich aus nichts, daß diese Tat Gott mißfiel; denn wir lesen weder, daß Salomo deshalb von Gott getadelt worden, noch daß er ihm weniger angenehm gewesen sei.[198]

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 194-199.
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