9. Kapitel
Von dem Recht der Eltern an ihre Kinder und über die patrimoniale Staatsgewalt

[171] 1. Sokrates ist ein Mensch, folglich ein lebendes Geschöpf: dies ist ein richtiger und völlig überzeugender Schluß; denn es bedarf zur Einsicht in die Wahrheit dieser Folge nur, daß man wisse, was das Wort »Mensch« bedeutet; weil ein lebendes Geschöpf in der Definition eines Menschen enthalten ist und jeder den fehlenden Obersatz ergänzt, nämlich: Jeder Mensch ist ein lebendes Geschöpf. Auch der Schluß: Sophroniskus ist der Vater des Sokrates, folglich auch sein Herr, ist vielleicht richtig, aber nicht so klar, weil in der Definition des »Vaters« der »Herr« nicht enthalten ist; daher muß zur Beweiskraft noch die Verbindung des Vaters mit dem Herrn dargelegt werden. Wenn man bisher versucht hat, ein Eigentumsrecht des Vaters über seine Kinder zu beweisen, so hat man sich nur auf die Erzeugung gestützt; als ob es selbstverständlich wäre, daß das von mir Erzeugte auch mein sei. Man ist dabei ebenso verfahren, als wenn man glaubt, aus dem Dasein eines Dreiecks folge sofort, ohne weitere Begründung, daß seine drei Winkel zwei rechten gleich seien. Überdies ist das Eigentum, d.h. das höchste Recht, unteilbar, da niemand zweien Herren dienen kann. Zur Erzeugung gehören aber zwei Personen, ein Mann und eine Frau, und deshalb ist es unmöglich, daß das Eigentum durch die bloße Erzeugung erworben werde. Der Ursprung der väterlichen Gewalt bedarf deshalb noch einer genauem Untersuchung.[171]

2. Wir müssen dazu auf den Naturzustand zurückgehen, in welchem bei der Gleichheit in der Natur alle erwachsenen Menschen für gleich gelten müssen. Hier ist nach dem Naturrecht der Sieger der Herr des Besiegten. Daher gehört nach dem Naturrecht das Eigentum an dem Kinde zunächst dem, der es zuerst in seine Gewalt bringt. Offenbar ist aber das neugeborene Kind eher in der Gewalt der Mutter als eines andern; da sie es mit Recht entweder aufziehen oder aussetzen kann, wie es ihr beliebt.

3. Erzieht sie es, so nimmt man an, weil der Naturzustand ein Zustand des Krieges ist, daß sie es unter der Bedingung erzieht, daß es, wenn es erwachsen, nicht ihr Feind werde, d.h. unter der Bedingung, daß es ihr gehorche. Denn nach dem natürlichen Triebe verlangt jeder nach dem, was ihm gut scheint; und man kann deshalb nicht annehmen, daß jemand einem andern das Leben gegeben habe, damit er, sobald er mit dem reifem Alter zu Kräften gekommen, sein Feind wird. Nun ist aber jeder ein Feind des andern, wenn er ihm weder gehorcht noch befiehlt. Deshalb wird im Naturzustande jede Frau, welche ein Kind gebiert, zugleich Mutter und Eigentümerin desselben. Wenn aber andere meinen, daß in diesem Falle nicht die Mutter, sondern der Überlegenheit des Geschlechts wegen der Vater der Eigentümer werde, so ist dies unbegründet. Die Vernunft vielmehr erweist das Gegenteil; denn die Ungleichheit der natürlichen Kräfte ist nicht so groß, daß der Mann ohne Krieg die Gewalt über die Frau erlangen könnte. Auch die Erfahrung bestätigt dies nicht; denn es haben ja Frauen, nämlich die Amazonen, einst Kriege gegen ihre Feinde geführt und über ihre Kinder nach Belieben geschaltet. Und noch heutzutage haben in manchen Ländern Frauen die Staatsgewalt, und über ihre Kinder bestimmt nicht der Mann, sondern sie selbst. Offenbar geschieht dies aus natürlichem Recht, da die Inhaber der höchsten Staatsgewalt an die bürgerlichen Gesetze, wie gezeigt worden, nicht gebunden sind. Dazu kommt noch, daß man in dem Naturzustande nur durch die Mutter wissen kann, wer der Vater des Kindes sei; deshalb gehört das Kind dem, welchem es die Mutter geben will, und folglich ihr. Das ursprüngliche Eigentumsrecht über die Kinder[172] gebührt daher der Mutter; und bei den Menschen ebenso wie bei den übrigen lebenden Geschöpfen folgt das Erzeugte der Erzeugerin.

4. Von der Mutter kann indes das Eigentum am Kinde auf andere in mannigfacher Weise übergehen. Erstens, wenn sie ihr Recht aufgibt und das Kind durch Aussetzung von sich stößt. Wer daher ein solch ausgesetztes Kind erzieht, erlangt damit dasselbe Eigentum, das die Mutter hatte. Denn die Mutter hatte das Leben, das sie (nicht durch Erzeugung, sondern durch Ernährung) gewährt hatte, durch das Aussetzen wieder genommen; deshalb erlischt auch die Verbindlichkeit, die aus der Schenkung des Lebens entsprungen war, wieder durch diese Aussetzung. Dagegen schuldet das erhaltene Kind alles dem, der es durch Ernährung am Leben erhalten hat; es ist sein Pflegling, wie es der der Mutter war, und es ist sein Sklave, da jener der Herr ist. Denn wenn auch die Mutter in dem Naturzustande, wo alles allen gehört, das Kind zurückfordern könnte, nämlich aus demselben Rechte wie jeder andere dies tun könnte, so kann doch das Kind nicht mit Recht sich wieder zur Mutter begeben.

5. Zweitens gehört das Kind einer kriegsgefangenen Mutter dem Gefangennehmenden. Denn wer das Eigentum an der Person hat, hat es auch an allen ihr gehörenden Sachen, mithin, nach dem in Abschn. 5 des vorigen Kapitels Gesagten, auch an dem Kinde. Drittens hat, wenn die Mutter Bürgerin irgendeines Staates ist, der Inhaber der höchsten Gewalt dieses Staates das unbeschränkte Recht über die von ihr geborenen Kinder; denn er hat auch das Recht über die Mutter, die in allem dem Inhaber der höchsten Gewalt zu gehorchen verpflichtet ist. Viertens gehört, wenn die Frau sich einem Manne zum gemeinsamen Leben unter der Bedingung überlassen hat, daß er die Herrschaft haben solle, dem Vater infolge dieser Herrschaft über die Mutter auch das Eigentum über die von ihnen erzeugten Kinder. Hat dagegen eine Frau als Inhaberin der höchsten Gewalt Kinder mit einem Untertan erzeugt, so gehören diese der Mutter; denn die Mutter kann nur in dieser Weise unbeschadet ihrer Herrschaft Kinder haben. Überhaupt gilt allgemein, daß, wenn die Verbindung zwischen[173] Mann und Frau so eingegangen wird, daß einer über den andern die Herrschaft haben solle, dann die Kinder dem gehören, der die Herrschaft führt.

6. Im Naturzustande jedoch gehören, wenn Mann und Frau sich so verbinden, daß keinem die Herrschaft über den andern zustehen solle, die Kinder der Mutter, aus den oben in Abschn. 3 angeführten Gründen, wenn nicht durch Verträge etwas anderes ausgemacht ist. Denn durch Verträge kann die Mutter beliebig über ihr Recht verfügen; wie es einst die Amazonen taten, welche die mit ihren Nachbarn erzeugten Kinder männlichen Geschlechts ihnen vertragsmäßig zurückschickten und die weiblichen bei sich behielten. Dagegen gehören im Staate, wenn ein Vertrag zwischen Mann und Frau besteht, die Kinder dem Vater; weil in allen Staaten, die ja von den Vätern, nicht von den Müttern begründet worden sind, das häusliche Regiment dem Manne gebührt; ein solcher Vertrag heißt, wenn er nach den bürgerlichen Gesetzen vollzogen wird, die Ehe. Wird dagegen nur ein außereheliches Verhältnis eingegangen, so gehören die Kinder bald dem Vater, bald der Mutter, je nach Unterschied der Gesetze der einzelnen Staaten.

7. Aus Abschn. 3 erhellt, daß die Mutter die ursprüngliche Eigentümerin des Kindes ist, und nach ihr der Vater oder andere durch abgeleitete Rechte; folglich sind auch die Kinder denen, von welchen sie ernährt und erzogen werden, ebenso unterworfen wie die Sklaven ihrem Herrn und wie die Untertanen dem Inhaber der Staatsgewalt; also kann auch der Vater dem Sohne, solange er in seiner Gewalt ist, kein Unrecht tun. Auch wird der Sohn auf dieselben Arten frei von seiner Untertänigkeit wie die Sklaven und die Untertanen; die Entlassung des Sohnes aus der Gewalt ist dasselbe wie die Freilassung der Sklaven und wie die Entsagung der Herrschaft oder die Verbannung.

8. Der von der väterlichen Gewalt befreite Sohn oder der freigelassene Sklave fürchten nun ihren Vater und Herrn, der seiner natürlichen und herrschaftlichen Gewalt über sie sich begeben hat, weniger als früher; und in bezug auf die wahre und innere Ehre ehren sie ihn weniger als vorher. Denn die Ehrfurcht besteht nach dem früher Gesagten nur[174] in der Achtung der Macht eines andern; und der minder Mächtige erhält daher auch weniger Ehre. Man kann aber nicht annehmen, daß der Herr seinen Freigelassenen und der Vater seinen entlassenen Sohn sich so habe gleichstellen wollen, daß dieser es nicht als Wohltat anerkennen, sondern sich in allen Dingen als seinesgleichen benehmen würde. Man muß deshalb voraussetzen, daß die aus der Untertänigkeit Befreiten, sei es ein Sklave oder ein Sohn oder irgendwelcher Leibeigene, wenigstens alle äußern Zeichen in ihrem Benehmen versprochen haben, durch welche die Höhern von den Niedern geehrt zu werden pflegen. Hieraus erhellt, daß das Gebot, die Eltern zu ehren, zu den natürlichen Gesetzen gehört und nicht bloß auf der Pflicht der Dankbarkeit, sondern auch auf der Verbindlichkeit aus einem Vertrage beruht.

9. Welcher Unterschied, kann man daher fragen, besteht dann zwischen einem Freien oder einem Bürger und einem Sklaven? Ich wüßte nun nicht, daß ein Schriftsteller eine befriedigende Erklärung über die Freiheit und die Sklaverei gegeben hätte. Gewöhnlich gilt die Freiheit als das Recht, alles nach seinem Belieben und straflos tun zu dürfen; Sklaverei ist dagegen der Zustand, wo man das nicht kann. Indes kann dies im Staate und beim Friedenszustand nicht statt finden; denn es besteht kein Staat ohne Gewalt und das Recht zum Zwange. Nach meiner Ansicht ist die Freiheit nichts anderes als die Abwesenheit von allem, was die Bewegung hindert. Deshalb ist das in ein Gefäß eingeschlossene Wasser nicht frei, das Gefäß hindert sein Ausfließen; dagegen wird es frei, wenn das Gefäß zerbricht. Ein jeder hat mehr oder weniger Freiheit, je nachdem er mehr oder weniger Raum zur Bewegung hat. Deshalb hat der in ein weites Gefängnis Eingeschlossene mehr Freiheit als der in einem engen Gefängnis Befindliche. Auch kann der Mensch nach einer Seite hin frei sein und nach der andern nicht. So wird der Fußgänger an der einen oder der andern Seite durch Zäune und Mauern gehindert, damit er nicht die an den Weg angrenzenden Saatfelder und Weinberge zerstöre. Dergleichen Hindernisse sind äußerliche und unbedingte; und in diesem Sinne sind alle Sklaven und der Gewalt Unterworfene frei, die nicht[175] gefesselt oder eingekerkert sind. Andere Hindernisse treffen nur den Willen; sie hindern die Bewegung nicht unbedingt, sondern mittelbar, indem sie unsre Wahl beeinflussen. So ist der Passagier im Schiffe nicht derart gehindert, daß er sich nicht in das Meer stürzen könnte, wenn er will. Aber auch hier hat ein Mensch um so größere Freiheit, auf je mehr Arten er sich bewegen kann. Und hierin besteht die bürgerliche Freiheit; denn kein Sklave oder Familiensohn oder Untertan wird durch die wenn auch noch so strengen Strafen, welche der Staat oder der Vater oder der Herr ihm auferlegt, gehindert, alles zu tun und von allen Mitteln, die zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit notwendig sind, Gebrauch zu machen. Ich wüßte also nicht, in welchem Punkte sich der Sklave beklagen könnte, daß ihm die Freiheit fehle; er müßte es denn für ein Elend halten, daß er gehindert ist, sich selbst zu verletzen, und daß er das Leben, das er durch den Krieg oder Unglücksfälle oder wohl gar durch seine Trägheit verwirkt hatte, samt allem zur Ernährung Nötigen und allem zum Leben und der Gesundheit Erforderlichen unter der Bedingung bewilligt erhalten habe, daß er sich leiten lasse. Denn wer durch angedrohte Strafen so in Zucht gehalten wird, daß er nicht alles, was ihm einfällt, tut, ist nicht unter dem Drucke der Sklaverei, sondern wird nur geleitet und erhalten. In. jedem Staate und jeder Familie aber, wo sich Sklaven befinden, haben die freien Bürger und die Familiensöhne vor den Sklaven das Privilegium voraus, daß sie die ehrenvollem Ämter im Staate oder in der Familie innehaben und an überflüssigen Dingen mehr besitzen. Und der Unterschied zwischen einem freien Bürger und einem Sklaven liegt darin, daß der Freie nur dem Staate, der Sklave aber auch einem Mitbürger dient. Jede andere Freiheit ist eine Befreiung von den Gesetzen des Staates und gebührt nun den Herrschern.

10. Der Familienvater mit seinen Kindern und seinen Sklaven wird durch seine väterliche Herrschaft zu einer bürgerlichen Person geeint, welche die Familie heißt. Ist diese durch Vermehrung der Nachkommenschaft und Erwerb von Sklaven so zahlreich geworden, daß sie ohne das Wagstück des Krieges nicht unterjocht werden kann,[176] so heißt sie ein patrimoniales Königtum. Da es durch Gewalt erlangt ist, so ist es zwar in seinem Ursprunge und in der Art seiner Errichtung von der vertragsmäßigen Monarchie verschieden, allein im übrigen hat es, wenn es einmal besteht, dieselben Eigentümlichkeiten, und das Herrscherrecht ist in beiden dasselbe, so daß ich darüber nicht besonders zu handeln brauche.

11. Durch welches Recht die höchste Staatsgewalt begründet wird, habe ich bisher dargelegt; ich habe nun noch mit wenigem zu erklären, durch welches Recht sie sich fortsetzt. Das Recht, wodurch sie sich fortsetzt, ist das Erbfolgerecht. In der Demokratie ist die höchste Gewalt bei dem Volke, und solange noch Bürger da sind, bleibt sie mithin bei derselben Person, da das Volk keine Nachfolger hat. Ähnlich wird in der Aristokratie, wenn ein Vornehmer stirbt, ein anderer an dessen Stelle von den übrigen eingesetzt; und da nicht alle auf einmal sterben, was wohl niemals eintreten kann, so gibt es auch hier keine Nachfolge. Deshalb entsteht die Frage nach dem Nachfolger nur in der absoluten Monarchie. Denn die, die nur für eine bestimmte Zeit die höchste Gewalt ausüben, sind nicht Monarchen, sondern Staatsbeamte.

12. Hat ein Monarch sich einen Nachfolger in seinem Testamente ernannt, so folgt dieser ihm nach. Denn ist der Monarch vom Volke eingesetzt, so hat er die ganze Staatsgewalt, die das Volk besaß, wie ich in Kap. 7, Abschn. 11, gezeigt habe. So wie nun das Volk ihn selbst hat erwählen können, so kann auch er mit gleichem Rechte sich einen andern wählen. Auch in dem patrimonialen Staate gelten diese Rechte ebenso wie in dem vertragsmäßigen Staate. Deshalb kann jeder Monarch sich seinen Nachfolger durch letzten Willen ernennen.

13. Wer aber etwas durch letzten Willen auf einen andern übertragen kann, der kann es auch bei Lebzeiten verschenken oder verkaufen. Mithin hat der die Staatsgewalt mit Recht inne, dem sie von dem Monarchen durch Geschenk oder Verkauf übertragen worden ist.

14. Hat der Monarch bei Lebzeiten weder durch Testament noch sonst sich über seinen Nachfolger erklärt, so[177] nimmt man erstens an, daß er nicht gewollt habe, der Staat solle in die Anarchie oder den Kriegszustand, d.h. in das Verderben der Bürger zurückfallen; denn teils konnte er das nicht wollen, ohne die natürlichen Gesetze zu verletzen, durch die er zur Erfüllung alles dessen, was zum Frieden nötig ist, verpflichtet war; teils hätte er, wenn er dies gewollt, es leicht offen erklären können. Zweitens ist, da das Recht nach dem Willen des Vaters übergeht, über den Nachfolger nach seinen Willenszeichen zu entscheiden. Deshalb muß man annehmen, daß er seine Untertanen lieber unter der monarchischen Herrschaft als unter einer andern haben möchte, da er selbst durch sein Beispiel und Regierung diese Staatsform empfohlen und sie später durch keine entgegengesetzte Handlung oder Äußerung verworfen hat.

15. Ferner sind die Menschen von Natur notwendig denen mehr gewogen, durch die sie Ehre und Ruhm erlangen, als den andern; diese Ehre und dieser Ruhm wird aber einem jeden nach seinem Tode mehr durch seine Kinder als durch die Macht anderer Menschen zuteil, und man kann deshalb annehmen, daß der Vater seine Kinder allen andern vorgezogen haben will. Deshalb gilt bei einem Vater, der ohne letzten Willen gestorben, daß er eins seiner Kinder zu seinem Nachfolger hat haben wollen. Doch gilt dies nur mit dem Vorbehalt, daß keine deutlichem Willensäußerungen für das Gegenteil vorliegen, wohin z.B. auch eine Gewohnheit gehören würde, nach der bereits mehreremal die Nachfolge stattgefunden hat. Denn wer sich über die Nachfolge nicht äußert, von dem nimmt man an, daß er sich den Gewohnheiten seines Staates fügt.

16. Unter den Kindern haben die männlichen den Vorrang; im Anfange wohl deshalb, weil in der Regel, wenn auch nicht immer, sie zur Verwaltung großer Angelegenheiten, insbesondere zur Führung der Kriege geeigneter sind; nachher, als dieser Vorrang sich zur Gewohnheit ausgebildet hatte, deshalb, weil dieser Gewohnheit nicht widersprochen wurde. Und deshalb ist der Wille des Vaters zugunsten der männlichen Kinder auszulegen, wenn nicht eine andere Gewohnheit oder ein deutliches Zeichen dem entgegensteht.[178]

17. Bei mehreren Söhnen folgt, da die Söhne gleich sind und die Herrschaft nicht geteilt werden kann, der älteste nach. Denn bei dem Unterschied des Alters hat der älteste den Vorrang, da nach Ausspruch der Natur der ältere (der Regel nach) auch der klügere ist, und einen andern Richter hat man nicht. Wären aber alle Brüder dem Werte nach gleich, so müßte die Nachfolge durch das Los bestimmt werden. Die Erstgeburt ist aber eine natürliche Losentscheidung, und durch sie erhielt der älteste schon den Vorrang; es hat auch niemand die Macht, darüber zu urteilen, ob auf diese oder eine andere Art des Loses die Sache zu entscheiden ist. Diese hier für den erstgeborenen Sohn sprechenden Gründe gelten auch für die erstgeborene Tochter.

18. Sind keine Kinder vorhanden, so geht die Herrschaft auf die Brüder und Schwestern über, und zwar aus demselben Grunde, aus dem die Kinder nachfolgen würden, wenn welche vorhanden wären. Denn die der Natur nach am nächsten Stehenden gelten auch als die Geliebtesten, und zwar die Brüder mehr als die Schwestern, und der ältere mehr als der jüngere, aus denselben Gründen wie bei den Kindern.

19. In der Weise, wie man in der Herrschaft nachfolgt, folgt man auch in dem Erbfolgerechte nach. Deshalb nimmt man an, daß der Erstgeborene, der vor dem Vater stirbt, sein Nachfolgerecht, wenn der Vater nicht etwas anderes verordnet, auf seine Kinder übertragen hat. Und deshalb werden die Enkel und Enkelinnen ihren Oheimen in der Erbfolge vorangehen. Dies alles findet aber nur statt, soweit nicht Landesgewohnheiten (da beim Stillschweigen des Vaters ein Einverständnis damit vorausgesetzt wird) etwas anderes bestimmen.[179]

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 171-180.
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