Erster Abschnitt

Von der allgemeinen Sprachkunde und dem besondren Zwecke der gegenwärtigen Schrift

[144] 1. Die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues aufzusuchen, sie in ihrer wesentlichen Beschaffenheit zu schildern, die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit, von richtig gewählten Standpunkten aus, auf eine einfachere Weise zu ordnen, den Quellen jener Verschiedenheit und vor Allem ihrem Einfluss auf die Denkkraft, Empfindung und Sinnesart der Sprechenden nachzugehen, und durch alle Umwandlungen der Geschichte hindurch dem Gange der geistigen Entwicklung der Menschheit an der Hand der tief in dieselbe verschlungenen und sie von Stufe zu Stufe begleitenden Sprache zu folgen, ist das wichtige und vielumfassende Geschäft der allgemeinen Sprachkunde. Ich sage hier Sprachkunde, nicht, wie gewöhnlich zu geschehen pflegt, Sprachenkunde. Bekanntlich geht im Deutschen bald der Singular, bald der Plural in die Zusammensetzung über. In einigen Fällen geschieht dies nach zufälligem und gewissermassen willkührlichem Sprachgebrauch, in andren nachsinniger Beachtung des Unterschiedes in der Bedeutung. Sprach– und Sprachenkunde gehören offen bar zu der letzteren Classe, und ich brauche, obgleich hier immer von mehreren Sprachen die Rede ist, dennoch mit Absicht die erstere dieser Formen, um gleich durch den Ausdruck daran zu erinnern, dass die Sprache eigentlich nur Eine, und es nur diese eine menschliche Sprache ist, die sich in den zahllosen des Erdbodens verschieden offenbart.[144]

2. Es bedurfte der Zeit und mannigfaltiger Zurüstungen, ehe nur der Begriff dieser Wissenschaft vollständig aufgefasst werden konnte, von welcher die Alten noch keine Ahndung besassen. Zwar bereiteten die Griechen dasjenige vor, was die nothwendigste und festeste Grundlage derselben ausmacht. Denn die Neueren verdanken ihnen alle wesentlichen und bildenden Ideen der allgemeinen philosophischen Grammatik, von welcher alle Sprachkunde zuerst ausgehen muss. Die besondre, sich, wie ich weiter unten ausführlich zu entwickeln hoffe, vor dem ihr sonst so nahe verwandten Sanskrit auszeichnende Natur ihrer Sprache führte sie von selbst darauf hin. Es kam ihnen jedoch auch die eigenthümliche Geistesrichtung, in der Bestimmung und Spaltung der Begriffe immer bis an die Gränze der Spitzfindigkeit zu gehen, aber dort, gerade an dem entscheidenden Punkt, von dem Tiefsinn gehalten zu werden, welcher, immer die gediegene Wesenheit der Dinge erfassend, niemals den Begriff in nichts verfliegen lässt, vorzugsweise in einem Gebiete zu Hülfe, auf dem das Gelingen gerade der richtigen und genievollen Verbindung dieser beiden Geistesthätigkeiten bedarf. Noch mehr aber vielleicht wirkten sie auf das Sprachstudium durch die gewissermassen unbewusst in ihnen vorgehende Behandlung ihrer Sprache ein. Jede andre, von irgend einer Seite gleich vollkommene Sprache würde demselben, als ein vorzüglich dankbarer Gegenstand der Forschung, gleich wohlthätig werden. Die Griechen zeichnet aber auch die Eigenthümlichkeit aus, dass die Sprache viel lichtvoller und bestimmter aus dem Wesen des ganzen Volkes zurückstrahlt. Sein lebendiges Gefühl derselben ist sichtbar, und ihr selbst steht auch das Bewusstseyn gegenüber, das sie geweckt hatte. Aus den dichterischen und prosaischen Werken leuchtet die Lebendigkeit und die Richtigkeit des Sprachsinnes der Nation hervor, die wahrhaft künstlerische Liebe und das Geschick, mit welchem sie ein Werkzeug behandelte, das gerade wegen seiner Vollendung grössere Gewandtheit, Sicherheit des Taktes und Zartheit des Gefühles erforderte. Das Volk trug nicht bloss, wie es überall mehr oder weniger thut, die[145] Stärke und Fülle der Sprache in Frische und Lebendigkeit fort, sondern prüfte und richtete auch mit ungewöhnlicher Feinheit des Ohrs und selbst des höheren Geschmacks, ohne dass jene Eigenschaften hierdurch vermindert wurden. Der Sprachforscher sieht also die Erscheinung, die er immer zu verfolgen hat, die Wechselwirkung des Menschen mit der Sprache, bei den Griechen in bestimmteren und leichter erkennbaren Zügen vor sich. Bei aller Stärke, Tiefe und Regsamkeit des Sprachsinnes aber gelangten die Griechen nie zu dem Punkt, auf welchem das Bedürfniss der Erlernung fremder Sprachen, um der Sprache willen, fühlbar wird. Sie erhoben sich zu dem reinen Begriffe derselben; dass es aber ein geschichtliches Studium der Sprache geben könnte, welches auf jenem einseitig verfolgten Wege unerreichbare, allgemeine Uebersichten gewährte, blieb ihnen fremd. Wo sie sich diesem Theile des Wissens nähern, wie wenn sie Wortherleitungen versuchen, zeigt es sich vielmehr, dass sie sich auf einem, ihnen unbekannten Gebiete befinden. Bis es möglich war, auf diesem heimisch zu werden, mussten erst geschichtliche Umwälzungen den Menschen mehr auf den Zustand seines ganzen Geschlechts richten, und hierdurch neue Ansichten auch über die Natur der Sprache eröffnen.

3. Der grösste Theil des Erdbodens musste erst bekannt und mannigfaltig durchstrichen seyn, und die Beschäftigung mit seinen Bewohnern musste ins Einzelne, in ihren häuslichen Zustand, ihre geistige Entwicklung eingehen, um nur das zu dem Studium nothwendige Material zu gewinnen. Immer muss man sich indess gestehen, dass auch im Alterthum ein genügen der Theil der Erde und hinlänglich bekannt war, um auch dem Sprachstudium genügende Nahrung darzubieten. Von den frühesten Zeiten an hatten Kriegszüge, Völkerverpflanzungen, und Wissbegierde und Forschungsgeist die Nationen in Berührung mit einander gebracht, und von jedem Punkte höherer Civilisation gieng stärker oder schwächer dämmernde Kenntniss der ihn umgebenden fremdartigen Erdstriche aus. Auch verbreitete sich die Aufmerksamkeit hinlänglich über die oben genannten Gegenstände. Herodot schildert sorgfältig Sitten und Lebensweise,[146] sammelt Sagen und Lehrsätze, forscht ausdrücklich in Aegypten nach dem Ursprunge Hellenischen Wesens, zeigt Begriffe von Sprachverwandtschaft;1 und täuscht doch alle Erwartung, wenn man nun gewiss glauben sollte, er müsste nothwendig auch in die Sprache, ihre Beschaffenheit, ihre Verschiedenheit von der Griechischen eingehen. Mit Alexander treten die Ideen von Weltherrschaft und Welthandel in die nicht mehr durch Fabeln entstellte Geschichte ein; Aristoteles gründet genauere Naturforschung und grössere Strenge in jeder wissenschaftlichen Behandlung. Durch Rom und Karthago ward, wenn auch das Wissenschaftliche nachstand, alles dies weiter fortgeführt und sichrer befestigt. Dennoch hat uns das ganze Alterthum nur die dürftigsten Nachrichten über Aegyptische Sprache und Schrift hinterlassen; mit dem Persischen und Punischen steht es noch schlimmer; und nur die Komiker der beiden welterleuchtenden und weltbeherrschenden Nationen halten es werth, die fremden Töne von ihrer Bühne herab erschallen zu lassen. Es fehlten also nicht bloss eine Menge von Antrieben zu der Verbindung der Nationen, sondern es waren offenbar auch hemmende Ursachen vorhanden,

4. Ich setze diese vorzüglich in die Abgeschiedenheit, in welche sich im Alterthum, und noch tief bis in das Mittelalter hinein, die Nationen ummauerten, und in eine unrichtige Ansicht von der Natur der Sprache. Die erstere hinderte, sich so angelegentlich mit fremden Nationen zu beschäftigen, als es nothwendig aller Sprachkunde vorausgehen muss, die letztere machte, dass auch die hinlänglich bekannten Sprachen so lange, und bis in ganz späte Zeiten hin, für die Wissenschaft unbenutzt blieben. Wenn es eine Idee giebt, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist, wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher misverstandne Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist, so ist es die der Menschlichkeit, das Bestreben, die Gränzen, welche Vorurtheile und einseitige Ansichten aller Art feindselig[147] zwischen die Menschen stellen, aufzuheben, und die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen grossen, nahe verbrüderten Stamm zu behandeln. Es ist dies das letzte, äusserste Ziel der Geselligkeit, und die Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseyns, beides durch seine Natur selbst in ihn gelegt. Er sieht den Boden, so weit er sich ausdehnt, den Himmel, soweit, ihm entdeckbar, ihn Gestirne umflammen, als innerlich sein, als ihm zur Betrachtung und Wirksamkeit gegeben an. Schon das Kind sehnt sich über die Hügel, die Gebirge, die Seen, die Meere hinaus, die seine enge Heimath umschliessen, und sich dann gleich wieder pflanzenartig zurück, wie das überhaupt das Rührende und Schöne im Menschen ist, dass Sehnsucht nach Erwünschtem und nach Verlorenem ihn immer bewahrt, ausschliesslich am Augenblicke zu haften. So, festgewurzelt in der innersten Natur des Menschen, und zugleich geboten durch seine höchsten Bestrebungen, ist jene wohlwollend menschliche Verbindung des ganzen Geschlechts eine der grossen leitenden Ideen in der Geschichte der Menschheit. Alle solche Ideen, ununterbrochen ihrem Zwecke zueilend, erscheinen, neben ihren reinen Offenbarungen, auch in oft fast unkenntlichen Abarten. Abarten jener sind, ihrem Ursprunge und Zwecke nach, alle aus selbstsüchtigen oder doch, nach dem Ausdruck der Indischen Philosophie, der Irdischheit entnommenen Absichten begonnenen Länder- und Völkerverbindun gen, ihrem Principe nach, wenn sie auch das Heiligste vorkehren, die die Freiheit und Eigenthümlichkeit der Nationen gewaltsam, unzart oder gleichgültig behandelnden. Die stürmenden Ländervereinigungen Alexanders, die staatsklug bedächtigen der Römer, die wild grausamen der Mexicaner2 gehören hierher. Grosse und starke Gemüther, ganze Nationen handelten unter der Macht einer Idee, die ihnen in ihrer Reinheit gänzlich fremd war. In der Wahrheit ihrer tiefen Milde sprach sie[148] zuerst, ob es ihr gleich nur langsam Eingang verschaffen konnte, das Christentum aus. Früher kommen nur einzelne Anklänge vor. Die neuere Zeit hat den Begriff der Civilisation lebendiger aufgefasst und klarer entwickelt, die civilisirten Nationen fühlen das Bedürfniss, die unter ihnen herrschende Verbindung weiter zu verbreiten, auch die Selbstsucht gewinnt die Ueberzeugung, dass sie auf diesem Wege weiter gelangt, als auf dem gewaltsamer Absonderung, und menschenfreundliche Philosophie und weise Gesetzgebung haben den Grundsatz klar und rein aufgestellt. Allein auch die Religion und Civilisation haben Abarten der reinen Idee in der Geschichte aufgestellt. Der Islamismus gebietet ausdrücklich gewaltsame Bekehrung, das Christenthum hat sich in seiner Entartung oft dazu hingegeben, und die Scheinheiligkeit der Civilisation zeigt sich in einem merkwürdigen Beispiel an den Ländervereini gungen[149] der Incas, die, um Völker menschlicher und gesitteter zu machen, sie mit Krieg überzogen, unterjochten, und ihrer mönchischen Polizei unterwarfen. Die grossen Nationen des Alterthums bildeten, streng genommen, nur die schöne Abgeschlossenheit in der eignen Nationalitaet aus. Ihr unsterbliches Verdienst um die Menschheit, das sich forterben wird, solange die Kette der jetzigen Begebenheiten sich fortschlingt, die bewundernswürdige Höhe, auf der sie standen, gehören einer andren gleich wichtigen Idee in der Geschichte der Menschheit an. Ihre, eng mit dem Staatswesen verbundene Religion verschmähte eher die Verbreitung nach aussen, als sie danach strebte, wenn sie sich auch dem Eindringen fremden Gottesdienstes wenig und selten widersetzte. Der Gegensatz zwischen Civilisation und Uncultur war in der alten Welt vorhanden, bekannt und beachtet, aber die Idee der ersteren war nicht so klar aufgefasst, als unter uns, ward nicht so lebendig gefühlt, und griff nirgends recht wirksam in das Leben ein. Die Geringschätzung des Fremden vermischte Rohes und Gebildetes mit einander. Nur die Griechische Kunst, Wissenschaft und Sprachbildung zwang den Römern Bewunderung ab, auch wirkte unverkennbare Stammverwandtschaft mit. Aegyptisches und Punisches liess man in langsame Vergessenheit sinken, oder zerstörte es mit wahrhafter Rohheit, ohne es eines ernsteren Studiums zu würdigen.

5. Die Sprache umschlingt mehr, als sonst etwas im Menschen, das ganze Geschlecht. Gerade in ihrer völkertrennenden Eigenschaft vereinigt sie durch das Wechselverständniss fremdartiger Rede die Verschiedenheit der Individualitäten, ohne ihnen Eintrag zu thun. Ich musste daher ausführlicher des Bestrebens gedenken, welches auf die Schicksale der Sprachen und die Kenntniss derselben den wichtigsten Einfluss ausübt. Ich musste besonders der Religion und Civilisation erwähnen, da unter den vielen, die Brust öde lassenden menschlichen Richtungen sie gerade das aufsuchen müssen, wozu nur die heimathliche Sprache den Schlüssel bewahrt. Zwar finden auf allen diesen Wegen auch viele Sprachen den Untergang, die sich nach der Weise des[150] Alterthums oder in der Abgeschiedenheit der Uncultur länger erhalten hätten. Indess entstehen auch neue durch Mischung, und vorher abgesonderte werden allgemeiner. Dies liegt in dem Gange der Natur, Sprachen, wie Menschen und Völker, kommen und scheiden. Aber die Sprache im Allgemeinen, die ganze menschliche als Eine genommen, und jede einzelne, welche in diese höhere Berührung kommt, gewinnen, je grösser die Masse der Gegenstände, der in Sprache verwandelten Welt, wird, und je vielfacher die in gemeinsames Verständniss tretenden Individualitaeten, diese eigentlich sprachbildenden Potenzen, sind. Die Sprachkunde bereichert sich nicht bloss an Masse des Stoffs, sondern es entsteht auch für sie die Möglichkeit neuer und den Geist mehr anziehender Erscheinungen.

6. So gewiss aber auch die vollständigere Kenntniss der verschiedenen Sprachen des Erdbodens erst der neueren Zeit aufbehalten bleiben musste, so hätte doch diejenige, welche die Alten, und namentlich die Griechen wirklich besassen, vollkommen hingereicht, sie auf die Idee einer allgemeinen Sprachkunde zu führen, wenn ihnen nicht die dahin einschlagende Ansicht der Sprache gefehlt hätte; oder vielmehr, hätten sie diese besessen, so würde es ihnen leicht geworden seyn, aus der ihnen bekannten Welt eine bedeutende Masse des Stoffs für ein solches Studium herbeizuführen. Das benachbarte Asien besass eine Menge verschiedener Sprachen oder wenigstens Mundarten, Mithridates ist noch heute die sprichwörtliche Bezeichnung linguistischer Polyhistorie, auf der andren Seite war Italien in ähnlichem Falle, auch Sicilien hatte anders redende Stämme, mitten unter den Griechen selbst wohnten solche, von denen es für uns heute von der grössesten Wichtigkeit seyn würde zu wissen, ob sie hellenische früherer Zeit oder wirklich fremde anderen Sprachgebiets waren. So weit gieng die Sorglosigkeit des Alterthums hierin, dass uns die Griechischen Schriftsteller in vollkommenem Dunkel über die Sprache der Pelasger lassen,3 die Römischen nur dürftige Nachrichten[151] über die Italischen Mundarten enthalten, und wenn sie ausdrücklich Turdetanischer Literatur und Sprache erwähnen, dennoch darüber unbefriedigend und unbelehrend bleiben. Trotz dieser Sorglosigkeit aber liesse sich durch eine genaue Sammlung aller bei den Alten zerstreuten Nachrichten über fremde Sprachen, die eine höchst verdienstvolle Arbeit seyn würde, zeigen, dass die Masse ihrer Kenntnisse auch in diesem Fach nicht unbedeutend war. Es lag also nicht so sehr an dem Mangel des Stoffs, als hauptsächlich an dem Mangel der Idee, die ihn bearbeitet und befruchtet haben würde. Zu sehr in ihren heimischen Sprachen befangen, hatten die Griechen und Römer keinen Begriff davon, dass das Studium einer fremden, zumal wenn es nicht Mittel zur Erlernung ausländischer Weisheit oder Geschichte war, Werth haben konnte. Hat doch auch in neuerer Zeit dasselbe Vorurtheil lange geherrscht, giebt es doch auch jetzt noch viele, welche die Zergliederung von Sprachen uncultivirter Nationen kaum für mehr, als für eine Beschäftigung müssiger Wissbegierde halten, höchstens geeignet, auffallende, aber wenig weiter führende Aehnlichkeiten entfernter Sprachen aufzudecken, und Beispiele sonderbarer grammatischer Eigenheiten zu liefern. Daher Werden so oft nur diese herausgehoben, der Zusammenhang des individuellen inneren Baues, gerade das Einzige, was den auf intellectuelle Naturbeobachtung Gerichteten anzieht und entzückt, unbeachtet gelassen. Auch bei uns dankt die allgemeine Sprachkunde die Aufmerksamkeit, die man ihr, etwa seit Leibnitz Zeiten geschenkt hat, weniger ihrem innern Begriff, als dem Streben, die Verwandtschaft der Völker etymologisch aufzufinden, und der Geschäftigkeit der, unbekümmert um den augenblicklichen Zweck, alles Wissbare unermüdet zusammentragenden Gelehrsamkeit. Jenes Streben war in den Alten zwar schon früh sichtbar, aber doch weniger ernst und lebendig, und diese Geschäftigkeit, deren Sorglosigkeit um den nahe liegenden Zweck gewiss nicht Tadel, sondern die höchste Schätzung verdient,[152] war bei ihnen nicht auf diesen Gegenstand gerichtet, so manche andre unbedeutende und spielende ihm auch hätten würdiger Platz machen können.

7. Die Vorstellung, dass die verschiednen Sprachen nur dieselbe Masse der unabhängig von ihnen vorhandenen Gegenstände und Begriffe mit andren Wörtern bezeichnen und diese nach andren Gesetzen, die aber, ausser ihrem Einfluss auf das Verständniss, keine weitere Wichtigkeit besitzen, an einander reihen, ist, ehe er tiefer über die Sprache nachdenkt, dem Menschen zu natürlich, als dass er sich leicht davon losmachen könnte. Er verschmäht das im Einzelnen so klein und geringfügig, als blosse grammatische Spitzfindigkeit Erscheinende, und vergisst, dass die sich anhäufende Masse dieser Einzelnheiten ihn doch, ihm selbst unbewusst, beschränkt und beherrscht. Immer in Objecten lebend, webend und handelnd, bringt er die Subjectivitaet zu wenig in Anschlag, und gelangt schwer zu dem Begriff einer durch die Natur selbstgegebnen, sich allem Objectiven in ihm beimischenden, und es, nicht zufällig, launisch oder willkührlich, sondern nach innern Gesetzen so umgestaltenden, dass das scheinbare Object selbst nur zu subjectiver, und doch mit vollem Recht auf Allgemeingültigkeit Anspruch machender Auffassung wird. Die Verschiedenheit der Sprachen ist ihm nur eine Verschiedenheit von Schällen, die er, gerichtet auf Sachen, bloss als Mittel behandelt, zu diesen zu gelangen. Diese Ansicht ist die dem Sprachstudium verderbliche, diejenige, welche die Ausdehnung der Sprachkenntniss verhindert, und die wirklich vorhandene todt und unfruchtbar macht. Sie war vermuthlich, wird sie auch nirgends ausdrücklich ausgesprochen, bei den Alten die vorherrschende. Sonst würden aus der Tiefe ihrer Philosophie andre Ideen über die Natur der Sprache, nicht bloss über die logische und grammatische Form der Rede, hervorgegangen seyn, ihre Wissbegierde würde mehr fremden Sprachstoff zusammengetragen, und ihr bewundernswürdiger Scharfsinn ihn bearbeitet haben.

8. Die wahre Wichtigkeit des Sprachstudiums liegt in dem Antheil der Sprache an der Bildung der Vorstellungen.[153] Hierin ist alles enthalten, denn diese Vorstellungen sind es, deren Summe den Menschen ausmacht. Ist aber auch mit diesem Einen Alles ausgesprochen, so wird es klarer, wenn man es einzeln entwickelt. Der Antheil der Sprache an den Vorstellungen ist nicht bloss ein metaphysischer, das Daseyn des Begriffs bedingender; sie wirkt auch auf die Art seiner Gestaltung und drückt ihm ihr Gepräge auf. Indem, bei aller objectiven Verschiedenheit in ihm, sie immer in dem ihr eignen Charakter auf ihn wirkt, giebt sie der ganzen Masse der Vorstellungen eine mit ihr zusammenhangende gleichmässige Gestaltung. Sie steht ebenso der Fügung des Gedanken in innerlicher oder äusserlicher Rede vor, und bestimmt dadurch auch die Verknüpfungsweise der Ideen, die wieder auf den Menschen nach allen Richtungen hin zurückwirkt. Das Verfahren der verschiednen Sprachen ist hierbei sichtbarlich nicht dasselbe, und es kann doch nicht durchaus gleichgültig seyn, da nichts dies ist, und am wenigsten im Gebiete des Intellectuellen, wo auch die leiseste Berührung in den Schwingungen aller Theile vernehmbar wird. Ein sehr grosser Theil der Sprache und ihres Baues kann erkannt werden, ehe man noch zu den einzelnen Lauten herabsteigt, so wenig besteht ihr Wesen in blossen Schällen. Aber diese Schälle sind doch in jeder individuellen die Hauptsache, und ihr Studium darf nicht verschmäht werden. Denn der Mensch kommt nicht nach Art eines reinen Geistes in die Welt, der den fertigen Gedanken nur mit Tönen umkleidet, sondern als ein tönendes Erdengeschöpf, aus dessen Tönen sich aber, nach ihrer wundervollen Natur, durch ein in ihrem scheinbar zufälligen Gewirr ruhendes System alles Grosse, Reine und Geistige entwickelt. Sie sind es also doch, welche auch jenen, ohne sie erkennbaren Theil der Sprache bestimmen und gewissermassen beherrschen, und wenigstens steht alles auf die Sprache Einwirkende in einer Verbindung, deren unzertrennliche Innigkeit jede Verschiedenheit in der Würdigung des Einzelnen von selbst zurückweist. Die Sprache gehört aber dem Menschen selbst an, sie hat und kennt keine andere Quelle, als sein Wesen, wenn man sagt, dass sie auf ihn wirkt, sagt man nur, dass[154] er sich in ihr nach und nach in immer steigendem Umfang und immer wechselnder Mannigfaltigkeit bewusst wird. Wenn sich aber die Sprache so mit dem Menschen identificirt, so thut sie dies nicht bloss mit dem Menschen, allgemein und metaphysisch gedacht, sondern mit dem wirklich vorhandenen, lebendigen, durch alle die vielfachen örtlichen und geschichtlichen Verhältnisse der Irdischheit enge bedingten, nicht mit dem einzelnen, nicht mit der Nation allein, zu der er sich rechnet, nicht mit der jedesmaligen Generation, sondern mit allen Völkern und allen gewesenen Geschlechtern, die, wie fern und mittelbar die Verknüpfungen gewesen seyn mögen, mit ihm in Sprachberührung gestanden haben. Dadurch wird die Sprache dem einzelnen Menschen und der einzelnen Nation auch zu einer äusserlichen Macht, aber so, dass auch aus dem fremdesten Laut ihm innige Verwandtschaft entgegenklingt. Wie also der Begriff der Sprache richtig gefasst wird, ist auch die Nothwendigkeit allgemeiner historischer Sprachkunde gegeben, der Begriff der Wissenschaft unmittelbar mit dem ihres Gegenstandes.

9. Wie erkennbar indes das eben Gesagte auf dem Wege blosser Ideen ist, so waren, um darauf geleitet zu werden, doch vielleicht erst recht auffallende Wahrnehmungen von Sprachverschiedenheit nothwendig; die Kenntniss der Sprachen musste sich nicht nur auf ganz abweichend gebaute verbreiten, sondern es mussten sich auch unter den Sprachen selbst ganz neue geistige Erscheinungen entwickeln. Zwei grosse Fragen, beide geschichtlich und im Einzelnen zu beantworten, bilden den Umfang der allgemeinen Sprachkunde: wie gestaltet sich in dem Menschen die ihm eigenthümliche Sprache tauglich zum Verständniss und zum Ausdruck aller sich ihr möglicherweise in der Vielfachheit der Gegenstände, und der Mannigfaltigkeit der Redenden darbietenden Begriffe und Empfindungen? und wie werden der Mensch und seine Weltansicht durch die ihm eigenthümliche Sprache angeregt und bestimmt? Die erstere dieser Fragen umfasst den Organismus der Sprachen, die letztere bringt ihre Betrachtung mit dem geistigsten aller[155] Einflüsse in Berührung, welchen durch die ganze Geschichte hindurch gleichzeitige Nationen und verschiedne Generationen auf einander ausüben. Die Verschiedenheit des Baues wird, auch wo sie schon wesentlich genug ist, dennoch leicht nicht hinreichend erkannt und gewürdigt, solange man sich mit wenigen, und nicht ganz von einander abweichenden Sprachen beschäftigt. Denn der Organismus aller Sprachen ist doch wieder ein gemeinsamer, und die Verschiedenheit und selbst der Gegensatz dürfen nur innerhalb dieser allgemeinen Identitaet genommen werden. Sprache kann auch nicht, gleichsam wie etwas Körperliches, fertig erfasst werden; der Empfangende muss sie in die Form giessen, die er, für sie bereitet, hält, und das ist es, was man verstehen nennt. Nun zwängt er entweder die fremde in die Form der seinigen hinüber, oder versetzt sich, mit recht voller und lebendiger Kenntniss jener ausgerüstet, ganz in die Ansicht dessen, dem sie einheimisch ist. Die lichtvolle Erkennung der Verschiedenheit fordert etwas Drittes, nämlich ungeschwächt gleichzeitiges Bewusstseyn der eignen und fremden Sprachform. Dies aber setzt in seiner Klarheit voraus, dass man zu dem höheren Standpunkt, dem beide untergeordnet sind, gelangt sey, und erwacht auch dunkel erst recht da, wo scheinbar gänzliche Verschiedenheit es auf den ersten Anblick gleich unmöglich macht, das Fremde sich, und sich dem Fremden zu assimiliren. Das Gemeinsame liegt auch noch weit mehr in dem Menschen, als in den Sprachen selbst. Daher versteht der Mensch den Menschen leicht auch da, wo, genau untersucht, die Sprache keine Brücke des Verständnisses darbietet. Man übersieht daher leicht, ob und welche Andeutungen die Sprache selbst, wirklich und körperlich enthält, worauf es doch hauptsächlich bei ihrem unaufhörlichen Einfluss auf den in seinem ganzen Innern immer sinnlich von aussen erregten, bestimmten und bedingten Menschen ankommt. So erscheint das Verschiedene gleich, das Getrennte gemeinsam. In der That ist dasjenige, was wirklich diesen letzteren Charakter in sich trägt, in der Schärfe vollständiger intellectueller Individualität betrachtet, durchaus eigenthümlich. Man[156] wird aber erst durch die Erscheinung selbst, und nur wo sie recht auffallend ist, darauf geführt.

10. Geistige Wechselwirkung der Sprachen auf einander kann in höherem Grade erst dann eintreten, wann sie, ihrer ursprünglichen Natur augenblicklich verhallender Laute zuwider, sich in bleibenden Worten verewigen. Ueberhaupt ist dies eine nothwendige und die wichtigste Epoche in ihrem Entwicklungsgange. Die Sprachen streben, bewusst und unbewusst, wie der Mensch, theils als Naturkörper, allmälich erstarrend, theils als Wesen der Zeit, die das Höhere über aller Zeit ahnden, in der Begierde, dem flüchtigen Daseyn Dauer zu schaffen, nach Fixation. Der erzeugte Stoff muss zu ruhiger, gesammelter, oft wiederkehrender Betrachtung da liegen, um klar und voll ins Bewusstseyn zu treten, und zu neuen Erzeugnissen befruchtet zu werden. Die erste Epoche dieser Fixation ist das Alphabet, die zweite die Literatur, das Entstehen durch Gedanken- und Empfindungswerth bleibender Werke. Beide gehören ganz besonders den Sprachen an, weil diese oder jene das Eintreten dieser Epochen mehr oder minder begünstigt. Die Erscheinung des gleichzeitigen Bestehens der Literaturen mehrerer hochgebildeten Nationen neben einander war erst der neueren Zeit aufbehalten, und wurde Jahrhunderte lang durch welthistorische Begebenheiten vorbereitet. Die Nationen mussten erst enge religiöse, politische und sittliche Verbindungen eingehen, sie mussten, ihnen vom Alterthum überliefert, ein allgemeines Sprachverbindungsmittel besitzen, endlich, grösstentheils durch dieses und die Werke der Alten belehrt, geübt und ermuthigt, sich von diesem selbst, als von einer einengenden Fessel losmachen, und es nur beschränktem, willkührlichem Gebrauch vorbehalten. Das Verlassen einer todten Sprache im wissenschaftlichen und literärischen Gebrauch ist unstreitig der wichtigste Schritt im Entwicklungsgange der Sprachen zu nennen. Die Alten kannten die Erscheinung, welche das heutige Europa darbietet, nur auf höchst beschränkte Weise. Bloss Griechische und Römische Sprache traten in geistige Berührung mit einander, und an eine Rückwirkung der letzteren auf[157] die erstere war, ohne dass man die Schuld gerade in der letzteren suchen dürfte, gar nicht zu denken. Es leuchtete daher nicht so klar, wie bei uns an lebendigen Beispielen in die Augen, dass die Vorzüge der Sprachen vor einander grossentheils nur relative sind, und dass selbst den scheinbar und auch wirklich mangelhaften gerade aus dieser Beschaffenheit wieder eigenthümliche Vorzüge erwachsen. Noch weniger liess sich wahrnehmen, wie Nationen, in innigem Bunde mit ihren Sprachen, in Dichtung und Prosa, und in jeder Gattung intellectueller Schöpfung neue Bahnen zu eröffnen vermochten, welche das Nachdenken über die Natur dieser Erzeugungsarten nie entdeckt haben würde. Alles, was Jahrhunderte hindurch auf ein Volk einwirkt, findet in seiner vaterländischen Sprache, die ja selbst dadurch mitgebildet ist, freiwillig erwiedernde Begegnung. Es ist überhaupt die Natur der Sprache, sich an alles Vorhandne, Körperliche, Einzelne, Zufällige zu heften, aber dasselbe in ein idealisches, geistiges, allgemeines, nothwendiges Gebiet hinüberzuspielen, und ihm darin eine an seinen Ursprung erinnernde Gestaltung zu leihen; allein nur der vaterländischen gelingt es, diesem schon in sich mit ihr verwandten Stoffe sein volles Recht zu erhalten, und durch die freiwillige Begeisterung der Brust ihn schärfer, tiefer und eigenthümlicher auszuprägen, als je in einer todten oder fremden möglich ist. Zwar dringt der Mensch in seiner Individualität durch jeden Zwang auch des ihn am mächtigsten beherrschenden Werkzeugs hindurch. Wie die neuere Latinitaet auch strebt, die Farbe des Alterthums anzunehmen, strahlt aus ihr doch, und dies darf ihr gewiss nicht zum Tadel angerechnet werden, die ihrer Zeit wieder, und gerade in den guten Latinisten der verschiednen Nationen erkennt der irgend Geübte immer ihren nationellen Charakter; es fehlt aber natürlich der freie und volle Erguss und die rein gediegene Eigenthümlichkeit. Die Sprachen trennen allerdings die Nationen, aber nur um sie auf eine tiefere und schönere Weise wieder inniger zu verbinden; sie gleichen darin den Meeren, die, anfangs furchtsam an den Küsten umschifft, die länderverbindendsten Strassen geworden[158] sind. Das Ineinanderwirken hochgebildeter Nationen hat erst den ganzen Process des geistigen Lebens, welchen die zu vollendeter Entwicklung ihrer Intellectualitaet gelangenden durchgehen, an leuchtenden und deutlich zu erkennenden Beispielen entfaltet. Die Sprache spielt natürlich in demselben die wichtigste Rolle, und das Letzte und Höchste ihrer Wirksamkeit, ihre eigentliche Bestimmung wird erst hieran sichtbar. Sie bezeichnet die Gegenstände, leiht den Empfindungen Ausdruck, besitzt ihr eigenthümliches Lautsystem, ihre Analogieen der Wortbildung, ihre grammatischen Gesetze. Dies ist die breite, schon zu ihrem unmittelbarsten Zweck, dem Verständniss, nothwendige Basis, auf welcher sie ruht, und die das sorgfältigste, strengste, in jede Einzelnheit eindringende Studium erfordert. An dieser Form leitet sie die Nation, aber umschlingt sie auch beschränkend, mit dieser eröffnet sie ihr die Welt, mischt aber der Farbe der Gegenstände auch die ihrige bei. Sie dient den niedrigsten Zwecken und Bedürfnissen des Menschen, führt aber unbemerkt, wie von selbst, alles ins Allgemeinere und Höhere hinauf, und das Geistige kann sich nur durch sie Geltung verschaffen. Sie vermittelt die Verschiedenheit der Individualitäten, heftet durch Ueberlieferung und Schrift das sonst unwiederbringlich Verhallende, und hält der Nation, ohne dass diese sich dessen selbst einzeln bewusst wird, in jedem Augenblick ihre ganze Denk- und Empfindungsweise, die ganze Masse des geistig von ihr Errungenen, wie einen Boden gegenwärtig, von dem sich der auftretend beflügelte Fuss zu neuen Aufschwüngen erheben kann, als eine Bahn, die, ohne zwängend einzuengen, gerade durch die Begränzung die Stärke begeisternd vermehrt. In welchem Grade, welcher Art sie dies thut, steht aber in durchgängiger Verbindung mit dem, was wir eben ihre Basis nannten, und die Forschung der Sprachkunde muss immer auf diesen Zusammenhang, immer zugleich auf die beiden Endpunkte des Ganges der Sprachen gerichtet seyn.

11. Durch diesen heftenden, leitenden und bildenden Einfluss der Sprache wird auch erst der höhere, und oft wohl nicht[159] deutlich genug erkannte Begriff des Wortes Nation sichtbar, so wie die Stelle, welche die Vertheilung der Nationen in dem grossen Gange einnimmt, auf dem sich der geistige Bildungstrieb des Menschengeschlechts seine Bahn bricht. Eine Nation in diesem Sinne ist eine durch eine bestimmte Sprache charakterisirte geistige Form der Menschheit, in Beziehung auf idealische Totalitaet individualisirt. In Allem, was die menschliche Brust bewegt, namentlich aber in der Sprache, liegt nicht nur ein Streben nach Einheit und Allheit, sondern auch eine Ahndung, ja eine innere Ueberzeugung, dass das Menschengeschlecht, trotz aller Trennung, aller Verschiedenheit, dennoch in seinem Urwesen und seiner letzten Bestimmung unzertrennlich und eins ist. Die Sehnsucht in allen concreten Gestalten, die sie in dem ewig untermischt sinnlich und geistig angeregten Menschen annimmt, ist, so wie sie auf Ergänzung des vereinzelten Daseyns geht, Aushauch dieses einen Gefühls. Die Individualitaet zerschlägt, aber auf eine so wunderbare Weise, dass sie gerade durch die Trennung das Gefühl der Einheit weckt, ja als ein Mittel erscheint, diese wenigstens in der Idee herzustellen. Das Menschengeschlecht kann nicht als zu einem Zwecke bestimmt angesehen werden, der, wie ein Werk, oder die Befolgung eines Gebots, die innere Uebereinstimmung mit einer Maxime, einmal seinen Endpunkt erreicht. Es ist zu einem Entwicklungsgange bestimmt, in dem wir keinen endlichen Stillstand an erreichtem Ziele wahrnehmen, der vielmehr jeden solchen Stillstand, seiner Idee selbst nach, zurückweist. Denn tief innerlich nach jener Einheit und Allheit ringend, möchte der Mensch über die trennenden Schranken seiner Individualität hinaus, muss aber gerade, da er, gleich dem Riesen, der nur von der Berührung der mütterlichen Erde seine Kraft empfängt, nur in ihr Stärke besitzt, seine Individualitaet in diesem höheren Ringen erhöhen. Er macht also immer zunehmende Fortschritte in einem in sich unmöglichen Streben. Hier kommt ihm nun auf eine wahrhaft wunderbare Weise die Sprache zu Hülfe, die auch verbindet, indem sie vereinzelt, und in die Hülle des individuellsten Ausdrucks die Möglichkeit[160] allgemeinen Verständnisses einschliesst. Die Sprachen aber werden nur von Nationen erzeugt, festgehalten und verändert, die Vertheilung des Menschengeschlechts nach Nationen ist nur seine Vertheilung nach Sprachen, und auf diese Weise ist sie es allein, welche die sich in Individualität der Allheit nähernde Entwicklung der Menschheit zu begünstigen vermag. Dasselbe Streben, welches das Innere des Menschen zur Einheit hinlenkt, sucht auch äusserlich sein ganzes Geschlecht (§. 4. 5.) zu verbinden, und so ist sie in allen Beziehungen ein vermittelndes, verknüpfendes, ihn vor der Entartung durch Vereinzelung bewahrendes Princip. Der Einzelne, wo, wann und wie er lebt, ist ein abgerissenes Bruchstück seines ganzen Geschlechts, und die Sprache beweist und unterhält diesen ewigen, die Schicksale des Einzelnen und die Geschichte der Welt leitenden Zusammenhang.

12. In wie undurchdringliches Geheimniss auch alles gehüllt ist, was den Ursprung der dem einzelnen und concreten Menschen inwohnenden Kraft in ihrem Grade und ihrer Art zu erklären vermöchte, so sind doch zwei Dinge nicht zu verkennen: die vorherrschende Gewalt dieser Kraft über alle auf sie eindringende Einflüsse und ihre, nur auf eine uns unerforschliche Weise bedingte Abhängigkeit von der physischen Abstammung. Wie mächtig Natur und Geschichte auf die Nationen einwirken, ist es doch immer jene inwohnende Kraft, welche die Wirkung aufnimmt und bestimmt, und nur dieselben Menschen, nicht Menschen überhaupt, würden unter denselben Umständen zu demjenigen geworden seyn, was wir jetzt an diesem oder jenem Volksstamm erblicken. Ohne die reelle Kraft, die bestimmte Individualität an die Spitze der Erklärung aller menschlichen Zustände zu setzen, verliert man sich in hohle und leere Ideen. Wenn daher oben (§. 11.) die Nationen geistige Formen der Menschheit genannt sind, so war darum der Rückblick auf ihr reales, irdisches Treiben nicht aufgegeben, sondern der Ausdruck nur gewählt, weil dort von der durch vollendete Sprachentwicklung geläuterten Ansicht ihrer Intellectualitaet die Rede war. In der Wirklichkeit sind sie[161] geistige Kräfte der Menschheit in irdischer, zeitbedingter Erscheinung. Alle ihre Wirkungen in dieser Erscheinung finden ihren letzten bestimmenden Grund in der Natur dieser Kräfte, die daher selbst, in Art und Grade, verschieden seyn müssen. Es kann aber bis auf einen gewissen Punkt für uns gleichviel gelten, ob diese Verschiedenheit, wie ich glaube, eine ursprüngliche, oder eine durch die Totalitaet der Einflüsse vom Ursprung an bewirkte ist, da unsre Erfahrung die Nationen immer nur da aufnimmt, wo schon eine Unendlichkeit von Einflüssen auf dieselben gewirkt hat, mithin für uns die Verschiedenheit immer einer ursprünglichen gleichkommt. Dass die menschlich geistige Kraft, die doch wahrhaft individuell nur im Einzelnen erscheint, sich auch in Bildung einer Mittelstufe nationenweis individualisiren musste, liegt zwar im Allgemeinen in dem den Begriff der Menschheit nothwendig bedingenden Charakter der Geselligkeit, allein ganz bestimmt in der Sprache, die nie das Erzeugniss des Einzelnen, schwerlich das einer Familie, sondern nur einer Nation seyn, nur aus einer hinreichenden Mannigfaltigkeit verschiedner, und doch nach Gemeinsamkeit strebender Denk- und Empfindungsweisen hervorgehen kann. Die Sprache aber dankt selbst dieser Kraft ihren Ursprung, oder was der richtigere Ausdruck seyn dürfte, die bestimmte nationelle Kraft kann nur in der bestimmten nationellen Sprache, diesen Lauten, diesen analogischen Verknüpfungen, diesen symbolischen Andeutungen, diesen bestimmenden Gesetzen innerlich zur Entwicklung, äusserlich zur Mittheilung kommen. Dies ist es, was wir wohl, aber immer uneigentlich, Schaffen der Sprache durch die Nation nennen. Denn der Mensch spricht nicht, weil er so sprechen will, sondern weil er so sprechen muss; die Redeform in ihm ist ein Zwang seiner intellectuellen Natur; sie ist zwar frei, weil diese Natur seine eigne, ursprüngliche ist, aber keine Brücke führt ihn in verknüpfendem Bewusstseyn von der Erscheinung im jedesmaligen Augenblick zu diesem unbekannten Grundwesen hin. Die Ueberzeugung, dass das individuelle Sprachvermögen (die Verschiedenheit der Sprachen des Erdbodens von der Seite[162] ihrer Erzeugung aus genommen) nur die sich als Sprache äussernde, den individuellen Charakter der Nationen bestimmende Kraft selbst ist, bildet den letzten und stärksten Gegensatz gegen die oben (§. 7.) gerügte Ansicht der Sprachen, welche ihre Verschiedenheit nur als eine Verschiedenheit von Schällen und durch Uebereinkunft entstandenen Zeichen betrachtet. Man begreift nun erst recht, wie die Sprache, obgleich immer bemüht, zum Gedanken und zur Intellectualitaet hinzuführen, und den Empfindungen und den Regungen des Wollens eine allgemeinere Form zu leihen, dennoch innig in den Charakter und die Thatkraft der Nationen verwebt ist, wie jene Empfindungen und Regungen nicht bloss insofern durch sie bedingt werden, dass sie nur in ihr auch ihren inneren Ausdruck finden, sondern dass sie das sie ursprünglich mitgestaltende Wesen selbst ist. Wir sahen oben (§. 10.) die Sprachen durch Werke in die Folge der Zeiten eingreifen, hier sehen wir, dass sie dasselbe durch Energieen thun. Ihrer innersten Natur nach, selbstzeugende Kräfte pflanzen sie sich, auch als solche, als Vermögen neuer Spracherzeugung fort, verknüpfen auch so die Generationen mit einander, und erscheinen überall als real, lebendig, den Entwicklungsgang des Menschengeschlechts bestimmend, und in alle Schicksale desselben tief und innig verschlungen.

13. Wie in der gesammten Sprachkunde (§. 9.), so muss aber auch hier die im denkenden, empfindenden, handlenden Menschen lebendig mitwirkende Sprache sorgfältig von ihrer gewissermassen todten und verkörperten Form geschieden werden, in welcher sie, als Vorrath von Wörtern und System von Analogieen und Gesetzen, ihm als etwas Fremdes entgegentritt. Die Sprachen müssen daher auch in der Geschichte eine doppelte Berücksichtigung erfahren, die Fäden ihres Zusammenhanges mit der Geistesbildung, dem Charakter, den Einrichtungen, den inneren und äusseren Schicksalen der Nationen müssen aufgesucht, dann aber, ohne Beziehung auf eine solche Mitwirkung, die Erscheinungen des gleichzeitigen und auf einander folgenden, gegenseitig bedingten oder unabhängigen Entstehens der verschiednen Sprachformen dargestellt werden. Aus dem letzteren ergeben[163] sich neue Folgerungen auf die Geschichte der Nationen selbst. Ob diese mehr auf ihre Sprachen, oder ihre Sprachen auf sie selbst einwirken? ist gewissermassen eine müssige Frage, da die Sprachen, im immanenten Sinne genommen, ja nur die in Beziehung auf ihr Vermögen der Gedankenbezeichnung durch Töne betrachteten Nationen selbst sind; allein in anderer Beziehung ist die Sache keineswegs gleichgültig. Das Sprachvermögen hat Grade der verhältnissmässigen Stärke und Lebendigkeit. Es wird vorherrschender seyn, wenn es eine Nation lebendiger durchstrahlt, nachgiebiger im entgegengesetzten Fall, so wie die Nationen selbst in ihrem gesammten Wirken ihren äusseren Schicksalen einen grösseren Einfluss verstatten, oder sie, wie es wohl nirgend so sichtbar, als bei den Römern ist, aus sich heraus selbstherrschend bestimmen. Schon die blosse und einfache Thatsache, ob eine Nation in ihrem Wesen und Thun oft und unwillkührlich an ihre Sprache und diese an jenes erinnert, ist von grosser Erheblichkeit. Ein solcher Zusammenhang liegt bisweilen in Dingen, die gar nicht gerade die geistige Cultur der Nation betreffen, und in Theilen des Sprachbaus, die auch nicht die intellectuelle Auffassung angehen. In keiner Sprache übt der Accent eine so überwiegende Herrschaft aus, als in der Englischen; er wird nicht nur in der Aussprache besonders stark herausgehoben, sondern verändert auch die unter ihm stehenden Sylben und die Geltung ihrer Vocale. Da die Betonung so stark und mit einer Art der Vorliebe angedeutet wird, so erfährt auch dieser Theil der Sprache, als von der Nation immer bearbeitet, in einzelnen Wörtern häufigere Aenderungen, als andre, dem nationellen Sprachsinn gleichgültigere, und wiederum ist die Aufmerksamkeit der Grammatiker angelegentlicher auf diese Aenderungen gerichtet. Man weiss die Zeit zu bestimmen, wo sich der Accent eines Wortes verändert hat, und nennt diejenigen, welche noch in der Aenderung, dem Uebergehen desselben von einer ihrer Sylben zu der andren begriffen sind. Ursprünglich schreibt sich zwar diese Eigenthümlichkeit aus dem Deutschen Sprachstamme her, welcher auch den Accent über das Zeitmass[164] erhebt, allein durch ihre Herrschaft auch über die Vocalgeltung und ihre grosse, die ganze Aussprache mit sich fortreissende, gewissermassen unruhige Schärfe stellt sich die Englische Betonung der gleichmässigen Ruhe der Deutschen vielmehr als ein Gegensatz gegenüber. Sie steht daher wohl in Zusammenhang mit dem von früher Zeit an auf politische Freiheit gerichteten Streben, dem es vor Allem an der Eindringlichkeit des lebendigen Worts lag, erinnert aber zugleich, da andre hierin im gleichen Fall befindliche Völker ihren Sprachen dies Gepräge nicht aufdrückten, an die rasche Regsamkeit, die rastlose Thätigkeit, die vorzugsweis auf unmittelbar praktische Ausführung gehende Richtung der Nation. Denn die Heftigkeit des Entschlusses, die sich eng daran knüpfende Schärfe des Verstandes in der Aussonderung der vor die Aufmerksamkeit zu führenden Gegenstände, die habituelle Weile der Gedanken und Empfindungen und alle Verschiedenheiten der Nationen in diesen Punkten offen baren sich in der Sprache vorzüglich in dem Verhältniss der Betonung zu der übrigen Aussprache.

14. Die Nationen, welche in dem uns bekannten, und namentlich in dem nicht erst durch ganz neue Forschungen aufgehellten Theile der Geschichte eine wichtige Rolle spielen, gehören hauptsächlich nur zwei Sprachstämmen an, dem Sanskritischen und Semitischen, also zwei in ihrem Bau nicht so weit, als dies bei andren der Fall ist, abweichenden. Die alten Völker anderer Sprachen erscheinen uns nur gleichsam im Gegenlichte der Griechen und Römer, und sind uns nur durch ihre Nachrichten bekannt. Ueber die innere Asiatische Geschichte, in welcher Völker ganz verschiedener Sprachen in Berührung kommen, haben erst die Untersuchungen ganz neuer Zeit Licht verbreitet. In Europa sind Volksstämme dieser Art nur vorübergehende Erscheinungen, bleibend und auf das Europaeische Staatenverhältniss, jedoch wichtig auch nur periodenweis einwirkend, nur zwei, die Ungarn und Türken gewesen. Sehr lange hat sich daher auch die Sprachkunde nur mit den oben genannten zwei Sprachstämmen beschäftigt, und zwar mit Sprachen des Sanskritischen bis auf die neuesten Zeiten[165] hin, ohne deutlich inne zu werden, dass sie Eines, und welchen Stammes sie wären. Sie hat sich vorzugsweise auf das ausschliesslich classisch genannte und auf das morgenländische Studium gelegt, dem ersteren hauptsächlich den Namen der Philologie gegeben, und unter dem der Orientalisten eigentlich nur die Kenner der Semitischen Sprachen zusammengefasst.

15. Man muss es, meiner innigsten Ueberzeugung nach, als einen höchst günstigen Umstand für das Sprachstudium ansehen, dass es sich sehr lange Zeit hindurch in dieser Beschränkung gehalten, und wenn es auch längst Wörterbücher und Grammatiken vieler andren Sprachen gab, diese nicht mit in sein Gebiet gezogen hat. In diesem so lange fortgesetzten, gründlichen, scheinbar bis ins Kleinliche gehenden philologischen Studium liegt allein die wahre Bürgschaft, dass die allgemeine Sprachkunde, auch in ihrer weitesten Ausbreitung, nicht seicht und oberflächlich werden wird, wenigstens nicht es zu werden braucht. Wenn ein allgemeines Sprachstudium gelingen soll, so muss erst das Organ dazu geschärft und gebildet werden, und dies zu bewirken ist, philosophisch und historisch, am meisten das philologische Studium fähig, da es, sich nur mit zwei Sprachen beschäftigend, die Forschung bei einem individuellen Sprachbau festhält, dazu gerade die beiden Sprachen wählt, die, meinem Urtheile nach, unter allen bekannten, an sich und durch ihr Verhältniss zu einander dazu am tauglichsten sind, da es sich auf die Arbeiten einer langen Reihe, ihren verschiedenen Richtungen nach, durch Gelehrsamkeit, Tiefe und Scharfsinn ausgezeichneter Männer stützt, und die längst erstorbenen Sprachen doch, soviel als möglich, dadurch in ihrem lebendigen Zusammenwirken auffasst, dass es dieselben eigentlich nur als Mittel zur Wiederherstellung und Erklärung der Werke des Alterthums behandelt. Das philologische Studium erstreckt seinen wohlthätigen Einfluss natürlich über das Gebiet der Sprachkunde hinaus, aber diese bedarf desselben zu einer nothwendigen Vorschule, und nie möchte ich dem philologischen Studium rathen, sich als einen blossen Theil der Sprachkunde zu[166] betrachten, und der allgemeinen Sprachkunde einen erweiternden, immer nur einen in einzelnen Punkten berichtigenden und vorbildenden Einfluss auf sich zu gestatten.

16. Namen sind, vorzüglich in Bearbeitung der Wissenschaft, niemals ganz gleichgültig, und ich möchte den der Philologie, so wie er unter uns gewöhnlich genommen wird, nicht, nach dem Beispiel des Auslands, auf das Sprachstudium überhaupt ausdehnen. Seine Bedeutung ist zwar grösstentheils nur historisch und zufällig, allein auch hierin möchte ich sie nicht verrücken, und es lässt sich auch eine wesentlich die Sache angehende damit verknüpfen, ja es liegt dies sogar im wirklichen Sprachgebrauch. Die Philologie ist, wie ich schon im Vorigen (§. 15.) andeutete, ohne sie, in anderer Erweiterung, zur Alterthumskunde zu machen, die auch besser wie eine Hülfswissenschaft von ihr angesehen, als selbst mit ihr vermischt wird, ihrem reinen Begriff nach, auf die alte Literatur, die Sprachkunde auf die Sprachen gerichtet. Zwar ist beides unzertrennlich verbunden, ja sogar Eins, gerade die Philologie hat die tiefste Sprachforschung zum Zweck, und die Sprachkunde muss, auch bei ganz ungebildeten und unliterärischen Nationen, Stücke verbundener Rede aufsuchen; allein bei den geistigen Einflüssen wissenschaftlicher Behandlung ist die Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit der Richtung nicht gleichgültig. Die anhaltende Beschäftigung mit den classischen Schriftstellern führt auf Feinheiten und Eigenthümlichkeiten des Sprachgebrauchs und selbst des Baues, auf welche der nicht so auf Kritik und Hermeneutik gerichtete Sprachforscher nicht gekommen seyn würde; dagegen lenkt die unmittelbare Rücksicht auf die Sprache den Geist unvermerkt von der Strenge der Individualität der Forschung auf philosophisch und historisch Allgemeineres hin. Es liegt auch in dem wohlthätigen Bildungszwecke der Philologie, die man als die grosse Erzieherin des Menschen zu der schönsten und edelsten Humanität betrachten kann, die das in ihn pflanzt, was allem Streben nach Wissenschaft und Kunst Mass, Haltung und innere Uebereinstimmung giebt, dass sie die Sprache nicht sowohl an sich, als gleichsam in dem[167] Spiegel ihrer gelungensten Werke zeige; nur dadurch kann sie bis in das Knabenalter ihres Zöglings hinabsteigen, schaffend und vorbereitend, was ihr im Jüngling und Mann entgegenreifen soll. Ein Anderes ist es, wie die Philologie die allgemeine Sprachkunde wieder als Hülfswissenschaft behandelt, da aus der Sichtung und Erweiterung dieser ihr unläugbar grosser Nutzen erwachsen kann. Auch versteht es sich von selbst, dass die Philologie nicht sich an die Stelle der Sprachkunde stellen, nicht aus der Beschränktheit ihres Umfanges heraus in dieser entscheiden, noch auf das ihr fremde, weitere Gebiet mit stolzer Verachtung herabblicken darf.

17. Die Bearbeitung der gelehrten Sprachen Asiens, des Persischen, Armenischen, Chinesischen, Mandchuischen, gewährte der Sprachkunde einen reichlichen Zuwachs. Aber die genauere Kenntniss des Sanskrits blieb auf eine auffallende Weise zurück, und war erst den letzten Decennien vorbehalten. Dennoch muss das Sanskritstudium gerade als die wichtigste Epoche für die Sprachkunde angesehen werden. Die Griechische Sprache, die Römische mit allen aus ihr entstandenen, die Deutsche in ihren weit verbreiteten, zum Theil untergegangenen Mundarten, so wie die Skandinavischen und Slavischen, folglich so gut, als alle Sprachen des heutigen Europa, finden die gemeinschaftliche Erklärung ihres grammatischen Baues und grösstentheils auch ihres Wörtervorraths allein vollständig im Sanskrit. Man hatte Jahrhunderte hindurch diese Sprachen einzeln durchforscht und zergliedert und vielfältig Verwandtschaften unter ihnen entdeckt, aber das letzte Glied, zu dem man in der Kette erklärender Ursachen hinuntersteigen konnte, war unbekannt, man hielt sogar bisweilen eine sichtbar auch abgeleitete, die Persische, für den Urstamm. Nun fiel die, unmittelbar aus den reinsten Quellen, den einheimischen Grammatikern und den ältesten Indischen Dichtungen geschöpfte Kenntniss des Sanskrits gerade in die Zeit, wo der Sinn für linguistische Untersuchungen vorzüglich rege und richtig geleitet war, und wo, was man als ein überaus wichtiges Moment hierbei ansehen muss, die Grammatik Jacob[168] Grimm's einen ganz neuen Begriff tiefer und gründlicher Sprachforschung eröffnet, und den Deutschen Sprachstamm, den ergiebigsten in dieser Hinsicht, in allen seinen grossen Verzweigungen zu der Vergleichung mit der neu hervortretenden Stammsprache vorbereitet hatte. Das Studium des Sanskrits warf nun auf einmal auf ein lang ununterbrochen mühevoll und erfolgreich bearbeitetes Feld einen erhellenden und befruchtenden Sonnenblick. Die bessere und tiefere Einsicht in das Sanskrit selbst wurde aber erst durch die vorausgegangne Bearbeitung jener mit ihm verwandten Sprachen möglich gemacht. Der enge Zusammenhang aller hier aufgeführten Sprachen, der sich mit der grössten Bestimmtheit bis in die kleinsten Einzelnheiten hin verfolgen lässt, der Reichthum des, auch von den untergegangenen unter ihnen noch übrigen Stoffes, und die gründlichen über die einzelnen vorhandenen Untersuchungen machen diesen Theil des Sprachgebiets zu dem einzigen, in welchem die Sprachkunde die ganze Gliederung des grammatischen und Wortbaues in allen seinen geheimsten Verbindungen, die Abweichungen desselben in gleichzeitigen, und seine Umgestaltung in auf einander folgenden Mundarten wahrhaft gründlich erforschen und deutlich übersehen kann. Die Sanskritischen Sprachen sind auch diejenigen, in welchen der Begriff der grammatischen Formen am lichtvollsten hervortritt, und das System derselben am feinsten, am consequentesten und am meisten den sich durch blosses Nachdenken ergebenden Gesetzen der Redeverbindung gemäss ausgesponnen ist. Sie bilden dadurch für die Sprachkunde die wichtigste Classe der Sprachen, und die Eigenthümlichkeit derjenigen, die hierin einen abweichenden Bau besitzen, lässt sich erst von ihnen aus, und nur dann vollkommen erkennen, wenn man mit ihren Formen und der wahren Geltung und Rückwirkung derselben vollkommen vertraut ist.

18. Durch die Kenntniss des Sanskrits wurde es aber zugleich recht sichtbar, auf welchem gleichförmigen Theile des Sprachgebiets sich die ganze Sprachkunde bis dahin eigentlich bewegt hatte. Ich habe schon oben (§. 14.) darauf hingedeutet,[169] dass die ganze heutige gebildete Welt, so wie der Theil der alten, welcher allein wesentlich auf uns eingewirkt hat, unter dem Einfluss von Sprachen desselben Stammes steht. Dieser Umstand ist in der Verknüpfung der Schicksale und Begebenheiten, welche uns als Weltgeschichte gelten, gewiss von dem erheblichsten Einfluss gewesen, und gehört unläugbar zu dem grossen Gewebe der sie leitenden Ursachen. Für die Sprachkunde hat er die Folge gehabt, dass man lange Zeit hindurch die Sanskritische Sprachform, in deren Besitz man sich lange vor der Entdeckung des Sanskrit selbst befand, für die einzig mögliche Form aller Sprache hielt, von ihr abweichenden Sprachbau übersah oder gewaltsam in sie hineinzwängte.

19. Es giebt eine ganze Gattung, gerade in ihrem durchaus abgesonderten Bau merkwürdiger Sprachen, welche bisher so gut als gar nicht in den Kreis gelehrter Sprachforschung gezogen wurden, die Sprachen der sogenannten rohen, uncivilisirten, wilden Völker, der Afrikanischen und Amerikanischen, und einiger uralter, ihre Sprache, wie im Verborgenen forterhaltender Europaeischen Stämme. Man dankte die Kenntniss der aussereuropaeischen dem Eifer der Missionarien, der Europaeischen einem achtungswürdigen, aber auf die unpartheiische Beurtheilung der Sprachen oft nachtheilig einwirkenden Nationalsinn. Dieser mühevoll gesammelte, in seinem ganzen Umfang erstaunenswürdige und in seinen Trümmern noch reichliche Stoff war aber verstreut und unbeachtet, und ein grosser Theil desselben gieng verloren durch Zufall und Sorglosigkeit, aber vor allem durch Eine grosse, diesem Theile der Sprachkunde höchst verderbliche Begebenheit, die Vertreibung der Jesuiten aus Amerika. Die rohe Gewalt, mit der man diese Massregel ausführte, erstreckte sich von den unglücklichen Schlachtopfern derselben auf das Unschuldigste, was sie in der freundlichen Absicht ihres Berufs, in den ungünstigsten Lagen mühevoll aufgezeichnet und einer dem andren allmälich überliefert hatten. Ein grosser Schatz der Sprachkenntniss gieng so auf einmal verloren. Glücklicherweise versuchten, jedoch leider nicht früh genug nach dem Ereigniss,[170] zwei würdige Männer, in Deutschland und Italien, ohne Verabredung, jeder von nützlichem Sammelgeiste und auf Sprachverschiedenheit gerichtetem Sinn geleitet, die Ueberreste jener Kenntniss zusammenzubringen und zu benutzen. Sie veranlassten die zurückgekommenen Exjesuiten dasjenige aufzuschreiben, was ihnen noch von jenen Sprachen, von welchen einige eine bewundernswürdig ausgedehnte Kenntniss besassen, beiwohnte, und erhielten auf diese Weise Grammatiken, Wörtersammlungen und Proben von Sprachen, von welchen, ohne sie, jede Spur verloschen wäre. Allein auch die Früchte dieses Fleisses der Exjesuiten sind zum Theil wieder verloren gegangen.4 Vieles ist auch bei dem wenigen allgemeinen Interesse, welches diese Sprachen erwecken, und den Schwierigkeiten der öffentlichen Bekanntmachung bei den Familien der Exmissionarien verborgen geblieben.5 So wird schon die Einsammlung des Stoffs zu diesem Theil der Sprachkunde schwierig.[171]

20. Der überaus merkwürdige Bau mehrerer dieser Sprachen müsste ihnen die Aufmerksamkeit der Sprachforscher viel früher und anhaltender zugewendet haben, wenn nicht die Behandlung derselben alles gethan hätte, gerade die auffallenden Eigenthümlichkeiten dieses Baues unkenntlich zu machen. Es gehört ein sehr genaues Studium dieser zum Theil sehr ausführlichen Grammatiken dazu, um in dem scheinbar unsren Sprachen ganz ähnlichen System von Declinations- und Conjugationsparadigmen einen in Wahrheit höchst verschiedenen Organismus zu entdecken, und es muss beinahe aus jeder solchen Grammatik erst eine neue, der Natur der Sprache gemässere zusammengetragen werden. Glücklicherweise ist dies bei den meisten möglich, da der beharrliche Fleiss ihrer Verfasser einen bedeutenden Theil des Sprachschatzes darin niedergelegt hat, und fast bei allen diesen Sprachen eine gewisse Masse des Stoffes, dem Zwange der fremden Form siegreich widerstehend, ihn unter allerlei Titeln von Partikeln, Redensarten, Soloecismen u. s. f. einzeln vorzutragen nöthigte, und die wahre Natur der Sprache deutlicher an den Tag legt. Das Verdienst, die Wichtigkeit der Amerikanischen Sprachen für die Sprachkunde gefühlt zu haben, gebührt dem verewigten Schlözer. Er hat wohl überhaupt seit Leibnitz zuerst wieder unter uns den wahren Begriff dieser Wissenschaft aufgefasst. Er las ein Collegium über eine grosse, damals Erstaunenerregende Anzahl von Sprachen, er zog im 31. Theil der allgemeinen Weltgeschichte die ersten Linien zu einer sichreren Sprachkritik, und während seines Aufenthalts in Rom im Jahr 1782. lernte er durch den Abate Gilij zuerst die Amerikanischen Sprachen kennen. Sein warmer und einsichtsvoller Antheil an den Arbeiten dieses Gelehrten[172] über dieselben spricht sich in einem treflichen von Gilij seinem Werke6 beigefügten lateinischen Briefe aus.7 Leider aber leistete Gilij, mehr bemüht, eine lesbare und anziehende, als eine tief eingehende und gründliche Darstellung der Amerikanischen Sprachen zu liefern, bei weitem nicht das, wozu ihn sein langjähriger Aufenthalt in Amerika, seine genaue Kenntniss des Tamanakischen und Maipurischen und seine Verbindung mit den übrigen zurückgekommenen Exjesuiten in Stand gesetzt haben würden.

21. Gilij stieg nemlich nicht genug in die Individualität einer einzelnen Sprache hinab, sondern wollte aus viel zu flüchtig aufgefassten Eigenthümlichkeiten vieler ein allgemeines Bild entwerfen. Nun aber zeigt es sich auch bei dieser Gattung von Sprachen, dass möglichst erschöpfende Behandlung des Einzelnen einen viel grösseren Werth für die allgemeine Sprachkunde hat, als das Streben, den ganzen Umfang zu umfassen. So wichtig und unentbehrlich Werke über alle bekannten Sprachen, als allgemeine Repertorien der Ethnographik und Linguistik sind, vorzüglich wenn sie von so unermüdlichem und gründlichem Fleisse, wie der Vatersche Theil des Mithridates, zeugen, so leisten sie den höheren Forderungen der Sprachkunde, so wie ich versucht habe,[173] sie hier zu entwickeln, nur einen sehr untergeordneten Nutzen. Ueber den Bau einzelner Sprachen wird, wer selbst Gründlichkeit liebt, sie niemals zu Rathe ziehen, ohne da, wo es ihm möglich ist, auf die einzelnen sichreren Hülfsmittel zurückzugehen. Diejenigen, die wir den Missionarien verdanken, sind gerade darum so vorzüglich, weil diese Männer, die sich die Fertigkeit verschaffen mussten, selbst Vorträge in diesen Sprachen zu halten, genöthigt waren, indem sie sich den ganzen Sprachvorrath zugänglich zu machen versuchten, in das allerindividuellste derselben einzudringen. Welche Vorzüge ein solches Verfahren vor dem entgegengesetzen hat, sieht man recht deutlich bei den Sprachen der Inseln des stillen Meers. So reichliche und schätzenswerthe Nachrichten die Werke der früheren Reisenden über sie enthalten, so ist es doch erst seit dem Erscheinen eigner den einzelnen gewidmeter Schriften8 möglich geworden, einen bestimmten Begriff von ihnen zu fassen.

22. Ich halte es daher immer für ein glückliches Ereigniss in der Reihefolge meiner eignen Sprachuntersuchungen, dass mich, als ich zuerst das Gebiet der Sprachen, von denen hier die Rede ist, betrat, der Zufall auf ein ganz genaues Studium einer einzelnen, der Vaskischen, führte, dass ich gleich damit begann, das grosse Larramendische Spanisch-Vaskische Wörterbuch in ein Vaskisch-Spanisches umzusetzen und durch ein handschriftliches der Königlichen Bibliothek in Paris zu vervollständigen, und an diese Beschäftigungen einen Aufenthalt in dem Fände selbst knüpfte. Jedes richtig unternommene Studium wirkt, ausser der materiellen Bereicherung, die es an Kenntnissen gewährt, lebendig, ermunternd, erschliessend und leitend, auf den Sinn und den Geist, und dies ist sein wesentlichster Nutzen. Es ist auch der, welcher mir jene, bloss der Sprache wegen unternommene Reise, wenn gleich meine Kenntniss des[174] Vaskischen natürlich unvollständig blieb, vorzüglich wichtig machte. Einige Zeit unter dem merkwürdigen Volke zu verweilen, dem diese Sprache eigenthümlich ist, und das mit leidenschaftlicher Heimathsliebe an ihr hängt, aus dem der nationelle Sinn überall hervorleuchtet, das sich innerhalb einer mächtigen Monarchie durch seine ältere, reinere und ursprünglichere Sprache, und damals auch noch durch Freiheiten und eigne Verfassung in seinen Gränzen selbständig fühlte, dessen kühner Muth und rüstige Thätigkeit sich in dem doppelten, durch seinen Wohnsitz selbst gegebenen Charakter des Bergbewohners und des Seefahrers ausspricht, das, in die fernsten Weltgegenden zerstreut, immer nach dem kleinen Punkte seines Vaterlandes zurückblickt, und wo die am Ende einer langen Laufbahn Zurückkehrenden wetteiferten ihrem Geburtsorte verschönernde Denkmale zu hinterlassen, erschloss mir den Sinn ganz anders, als es sonst hätte geschehen können, für den innigen Zusammenhang zwischen dem Charakter eines Volks, seiner Sprache und seinem Lande. Denn der Reiz des grossentheils von einem weiten und unruhigen Meere bespülten Landes, die Mannigfaltigkeit der nirgends öden, sondern theils bearbeiteten, theils mit Bäumen gekrönten Gebirge, von den anmuthigen Hügeln Vizcayas bis zu den Pyrenaeen hinauf, die Fruchtbarkeit der Thäler, die Frische der Vegetation, das erquickende und milde Klima des Nordens eines südlichen Landes, dem Palmen und Südfrüchte nicht fremd sind, die gesicherte Lage, welche Biscaya gegen Römer und Araber zum Zufluchtsort der zurückgedrängten Bevölkerung der Halbinsel machte, mussten nothwendig zur Bildung des Nationalcharakters mitwirken, und erklären wenigstens auch dem Fremden die Sehnsucht nach einer so eigenthümlich anziehenden Heimath. Vorzüglich aber belehrte mich dieser Aufenthalt auf eine anschauliche Weise über die Geschiedenheit sehr getrennter Dialecte in dem Gemeinsamen einer jetzt auf enge Gränzen zurückgedrängten Sprache. Nirgends habe ich in der festen und treuen Anhänglichkeit an die allgemeine Nationalität einen so rege mit und gegen einander wetteifernden Geist, wie man ihn sich zwischen den[175] altgriechischen Städten denken muss, an welche das Land überhaupt als gebirgiges Küstenland und in seiner selbstthätigen innern Verwaltung erinnerte, gefunden, als in Biscaya. Dieser sich der allgemeinen Gleichheit entgegensetzende Ortsgeist war auch in der Sprache sichtbar. Von den dialectweise verschiedenen Wörtern für denselben Gegenstand fand man die gleichen eher in von einander entfernten, als in nahen Gegenden im Gebrauch. Nur an Ort und Stelle endlich liess sich wahrnehmen, dass das ganze Land selbst das reichste und sicherste, viele im Gebrauch verloren gegangene Wörter aufbewahrende Wörterbuch ist. Jedes der immer einzeln und nur nach dem Massstabe ihrer Nähe oder Ferne von der Kirche dichter oder weitläuftiger liegenden Häuser trägt von alten Zeiten her seinen Namen,9 und es bedarf nur einer genauen Aufmerksamkeit auf seine Lage, oder die dasselbe umgebenden Gewächse, um den Grund und die Bedeutung desselben zu finden, die immer aus dieser Einen Sprache genommen ist. Was man daher allerdings auch in jedem andren Lande antrifft, ist hier ungleich vollständiger und deutlicher vorhanden. Zugleich wurde ich in den so sehr abweichenden Bau dieser Sprache, der sich aus Harriet's und Larramendi's Grammatiken mehr ahnden, als rein erkennen lässt, durch einen einheimischen Sprachforscher eingeführt, der, ohne irgend bedeutende gelehrte Kenntnisse, seine eigne Sprache mit grossem, wenn auch vielleicht zu weit getriebenem Scharfsinn zergliedert hatte.

23. Dieser ersten Erfahrung in diesem Theile der Sprachkunde[176] folgte ich in dem übrigen. Es schien mir auch um so nothwendiger, gerade das Grammatische dieser Sprachen zum Gegenstand der Forschung zu machen, als man sie gewöhnlich nur zu etymologischen Untersuchungen benutzt hat. Die grammatischen jeder einzelnen Sprache sollten aber überhaupt den etymologischen immer vorangehn, da man in den wahren Wortbau erst mit Hülfe der Grammatik eindringt, und erst durch die Einsicht in den ganzen Sprachorganismus die Laut- und Gedankengeltung der Wörter auf eine zu gründlicher Vergleichung genügende Weise kennen lernt. Oft ist es unmöglich, diesen Weg einzuschlagen, in vielen Fällen, vorzüglich bei nahe verwandten Sprachen, ist ein kürzerer, und unvollständigere Einsicht hinreichend; wenn man aber im Allgemeinen die Bedingungen gründlicher und sicherer Etymologie, das Ziel, zu dem die Wissenschaft einmal gelangen muss, aufstellen will, so ist jene Forderung unerlasslich. Der Wunsch zu prüfen, wie weit die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues gehe, und gewissermassen in ein ganz neues Gebiet versetzt zu werden, führte mich zu den Amerikanischen. Die Sprachen eines Welttheils, der bis auf die letzten Jahrhunderte für uns in geschichtlicher Einsamkeit vereinzelt dasteht, von dessen früherer Verbindung mit andren alle Geschichte schweigt, von dessen Bevölkerung aus der Fremde nur Vermuthungen und immer dunkle Ueberlieferungen herrschen, und von dem wohl schwerlich anzunehmen ist, dass ihm eine eigne und ursprüngliche gänzlich gemangelt hätte, schienen für Forschungen solcher Art vorzugsweise geeignet. Die Reise meines Bruders bot mir in den Hülfsmitteln, die er mitgebracht, den Verbindungen, die er unterhalten hatte, reichliche Materialien dar, und seine in eignen den Sprachen gewidmeten Kapiteln entwickelten Ansichten über sie, ihre Verzweigungen und ihren Zusammenhang mit den Völkern, die sie reden, leiteten dahin, jenen Stoff richtiger zu benutzen. Ich gieng daher so tief, als es mir möglich war, in dies Studium ein, und arbeitete, nach dem vorhin (§. 20.) angedeuteten Plane, eigne Grammatiken der meisten Amerikanischen Sprachen aus.[177]

24. Bei der auf diese Gesichtspunkte gerichteten Beschäftigung mit Sprachen so durchaus eigenthümlichen Baues musste es mir auffallend werden, wie dasjenige, was wir in den Sanskritischen Sprachen grammatische Form nennen, in diesen so ganz anders gebildet erscheint, wie es in verschiedenen Graden der Festigkeit von fast bloss habitueller Redensart zu der Annäherung an wirkliche Form stoffartig zusammengerinnt, wie man glaubt, es in seiner werdenden Gestaltung zu erblicken. Ich legte meine ersten Erfahrungen und Ansichten hierüber in einer akademischen10 Abhandlung nieder. Ich habe in dieser die Verschiedenheit der grammatischen Formen als ein Entstehen derselben vorgestellt, allein dieser genetische Begriff, der, wenn er in die Wirklichkeit übergetragen, nicht bloss für das Erscheinen vor uns genommen wird, immer, wo es nicht die Geschichte derselben Sprache gilt, schwer durchzuführen ist, hat weder damals, noch jetzt, wesentlich auf meine Ansicht eingewirkt. Was ich gemeint habe und noch meine, ist nur die Verschiedenheit der Gestaltung der grammatischen Form, und das Verhältniss der verschiedenen Gestaltungen zu dem vollendeten Begriff derselben. Dies Verhältniss druckt sich natürlich in Graden aus, in welchen sich ein stufenartiges Fortschreiten denken lässt, aber nicht nothwendig angenommen zu werden braucht.

25. Durch Umstände, die öffentlich bekannt geworden sind,11 wurde ich veranlasst, die Chinesische Sprache von diesem Standpunkte aus zu betrachten, und ich hatte längst die Nothwendigkeit gefühlt, wenigstens einigermassen in dies, mit Unrecht für abschreckend und abgelegen gehaltene Studium einzugehen. Die Bearbeitung der allgemeinen Sprachkunde macht es nothwendig, wenn man auch die Unmöglichkeit[178] fühlt, jede Sprache tief zu ergründen, sich doch auf gewissen Punkten recht festzusetzen, und nun giebt es in ihr keine so leuchtenden, so die Ansicht des ganzen Sprachgebietes beherrschenden, als das Sanskrit und das Chinesische. Beide Sprachen stellen sich in ihrem grammatischen Bau dergestalt einander gegenüber, dass sie das ganze Feld unter sich theilen, und keine dritte in dieselbe Reihe treten kann. Wenn gründliches Studium des Sanskrits unerlasslich ist, weil man nur aus diesem die letzten Erklärungen des Baues nicht bloss der mächtigsten und am weitesten verbreiteten, sondern auch edelsten und vollkommensten Sprachen schöpfen kann, und weil die Sanskritischen den Begriff der grammatischen Form bis zu seiner grössesten Vollendung ausbilden; so muss man an dem Chinesischen lernen, in welchem unglaublichen Grade eine mit unverkennbaren Vorzügen begabte, von einer reichen philosophischen, geschichtlichen und dichterischen Literatur begleitete Sprache dieses Begriffs zu entbehren vermag. Wenn man sonst nach der Art und Beschaffenheit der Grammatik einer Sprache forscht, so scheint hier die Frage über das Daseyn einer Grammatik überhaupt zu entstehen, und man glaubt in der verknüpften Betrachtung des Chinesischen und einiger der im Vorigen (§. 19.) zusammengefassten Sprachen auf ein Gebiet zu gerathen, das man sich kaum enthalten kann, auch der Zeit nach, als jenseits des Sanskritischen Baues liegend anzusehen, auf ein Gebiet erst werdender Grammatik. Aber auch unter diesen Sprachen steht das Chinesische wieder in gleichsam riesenhafter Vereinzelung da. Indem sie dem Besitz einer Grammatik, zum Theil mühevoll, entgegenringen, hat sich das Chinesische aus dem Mangel einer Grammatik selbst eine eigne, in der gerade dieser Mängel das Charakteristische ist, gebildet. Nur insofern das Chinesische und jene Sprachen die Sanskritische Form entbehren, kann und muss man sie von dem hier gewählten Standpunkte aus zusammenfassen. Sehr wichtige Thatsachen zur Einsicht in diesen eigenthümlichen grammatischen und ungrammatischen Zustand liefern die Inselsprachen des stillen Oceans, mit welchen ich mich später[179] angelegentlich beschäftigt habe, und andre werden sich aus der Untersuchung der Afrikanischen und einiger innerasiatischen ergeben. Denn wenn man in diesen Untersuchungen einmal dafür gesorgt hat, seine Ansicht auf eine so genügende Anzahl von Thatsachen zu gründen, dass man derselben im Ganzen sicher seyn kann; so bleibt nichts übrig, als die Sphäre möglicher Berichtigung, durch immer an Umfang und Tiefe wachsende Kenntniss, allmälich in engere Gränzen einzuschliessen. Nur ob jene im Ganzen gefasste, hernach bloss weiter im Einzelnen anzuwendende Ansicht durch die anzuführenden Thatsachen wirklich begründet, oder ob diese falsch aufgefasst, oder nicht aus ihrem wahren Lichte beurtheilt sind? ist der eigentliche Punkt des Streits und der Untersuchung.

26. Es handelt sich hier um das Wesen des Sprachbaus, ja unläugbar um den ganzen Organismus der Sprache. Denn es kommt auf die Verschiedenheit des Verfahrens an, vermittelst dessen die einzelnen Sprachen die Einheit des Gedanken aus den Elementen des Lautes zusammensetzen, und auf die Unterscheidung dessen, was in der Auffassung dieser Einheit dem Verständniss des Hörenden überlassen, und was der Sprache selbst, bezeichnend oder andeutend, beigegeben ist. Die verbundene Rede, also das Grammatische, ist der unmittelbare Gegenstand der Betrachtung, dies zieht aber nothwendig auch die Bildung der Wörter, das System der Laute und die ganze Bezeichnung der Begriffe mit in den Kreis der Untersuchung. Denn wenn wir gleich gewöhnt sind, von den Lauten zu den Wörtern und von diesen zur Rede überzugehen, so ist im Gange der Natur die Rede das Erste und das Bestimmende. Das Streben des Geistes, welches die Rede erzeugt, individualisirt in demselben Augenblick und mit Einem Schlage Laut, Wort und Fügung, und wird durch die Anlagen individualisirt, die es nach diesen drei Hauptrichtungen der Sprache hin in sich trägt. Sie selbst stehen daher in untrennbarer Wechselbestimmung. An die Darstellung der Beschaffenheit des Sprachverfahrens muss aber die Prüfung des Einflusses desselben auf den Geist und den Menschen überhaupt geknüpft[180] werden, und da der lebendige Mensch eigentlich der allein wahre Träger der sich immer nur in Möglichkeit geistiger Umgestaltung vorübergehend verkörpernden Sprache ist, so wirkt auch ihr Einfluss auf ihn wieder auf sie in ihrer Totalität zurück. Das Sprachverfahren kann auch nicht bloss historisch geschildert werden. Der Mensch erscheint in einer doppelten idealischen d.h. nicht durch die Wirklichkeit zu gebenden Gestalt, einmal ohne Individualität, in seiner allgemeinen, nur durch den Gedanken zu erreichenden Beschaffenheit, in den nothwendigen Bedingungen seines Wesens, dann in der Gesammtheit aller Individualität, als Menschengeschlecht, in der Totalität aller gleichzeitig vergangener, gegenwärtiger und künftiger Zustände. In der Mitte dieser beiden Erscheinungen steht der wirkliche Mensch angegebenem Ort und in gegebener Zeit, und jedes auf ihn gerichtete, aber in sich auf wissenschaftliche Allgemeinheit Anspruch machende Studium muss von der ersteren ausgehen und nach der andren hinblicken. Doppelt nothwendig ist das eine und das andre bei der mit seinem Daseyn gegebenen, und ganz ausdrücklich alle Theile des Erdbodens und alle Zeiten seines Bestehens zu allseitiger Totalität zu verknüpfen bestimmten Sprache. Nur die philosophische Erörterung der allgemeinen menschlichen Natur sichert den Pfad der Untersuchung, und nur die immer gespannte Frage, wie die historisch erkannte Mannigfaltigkeit in dem Bilde des Ganzen Lücken ergänzt, Schroffheiten abschleift, einseitig Starkes in Harmonie bringt, einzeln Allgemeinem Zustrebendes vervollständigt, lässt die Individualität als das ansehen, was sie in ihrer innersten Natur ist, und in der Erscheinung werden sollte, eine in immer mehr rein umschreibender, aber immer minder ausschliessend beschränkender Begränzung einem Alles umfassenden Ideal asymptotenartig zulaufende Bahn. Nur unter der Beherrschung bestimmter Gesetze, und mit dem Blick auf leitende allgemeine Endideen lässt sich die reiche und lebendige Mannigfaltigkeit des historischen Stoffes in jeder Art, ohne Gefahr, dass er sich selbst einseitig beschränke, mit der Strenge wissenschaftlicher Behandlung so[181] vereinigen, dass der realen Vielfachheit kein Eintrag geschieht.

27. Die Frage über die Beschaffenheit der grammatischen Formen, ihren wirklich mehr formalen oder materialen Gehalt und die Abstufungen ihrer in sich gerundeten Vollendung (§. 24.) berührt also die ganze Sprache, und muss zugleich von allen Beziehungen aus, in welchen diese genommen werden kann, betrachtet werden. Sie ist, da sie das Daseyn und die Art der Grammatik in den Sprachen betrifft, die Grundfrage des Baues jeder einzelnen. Wenn sie aber als die höchste angesehen werden muss, zu welcher die historische Untersuchung einer Sprache aufsteigen kann, so ist dasjenige, was sich aus ihrer Beantwortung ergiebt, auch das Elementarische, aus welchem sich die Beschaffenheit der Sprache erklären lässt.

28. Es ist meine Absicht in der gegenwärtigen Schrift, diese Frage vollständiger zu untersuchen, als es mir bisher möglich war, und die hauptsächlichsten zu ihrer Beantwortung dienenden Thatsachen anzuführen, auf die ich in meinen bisherigen Sprachforschungen gekommen bin. Ich werde mich daher über Alles verbreiten, was mit dieser Frage zusammenhängt, da die Meinung, welche man über sie fasst, genau mit den Ansichten über die Natur der Sprache selbst, des Wortes, der Redefügung, über das wunderbare zugleich dem Menschen beiwohnende und doch nicht dem Einzelnen angehörende Daseyn dieser Dinge, über die Wechselwirkung, in der sie mit dem Menschen stehen, ja über ihn selbst, seine Individualität und das Verhältniss derselben zum Menschen überhaupt und zum ganzen Geschlechte in Verbindung steht. Ich werde natürlich nicht jede dieser Beziehungen vollständig verfolgen können, sondern sogar absichtlich in alle diese Punkte nur soweit und auf die Art eingehen, wie es mir zu meinem besondren Zwecke nöthig scheint. Es schien mir aber nichts desto weniger nothwendig, an den ganzen Umfang der Forderungen zu erinnern, welche diese Frage (§. 26.) an die Untersuchung macht, weil bei jeder der Geist, wie viel oder wenig ihm nun auch zu erreichen gelinge, richtig und fern von beschränkender Einseitigkeit[182] gestimmt seyn muss. Noch weniger werde ich in Absicht der nothwendigen Sprachkenntniss genügende Vollständigkeit zu erreichen vermögen, sondern werde wesentlich bei meiner gegenwärtigen, natürlich beschränkten stehen bleiben müssen. Denn die Ansicht des Sprachbaues, auf die es hier ankommt, kann nur aus längerem Studium der Sprachen, nicht aus mehr oder minder flüchtiger Benutzung der fertigen Hülfsmittel geschöpft werden. Das Ziehen von Resultaten kann aber darum doch in keiner Wissenschaft, und am wenigsten in der allgemeinen Sprachkunde bis zum niemals erscheinenden Augenblick des vollendeten Studiums verschoben werden. Man muss stufenweise das Gesammelte in einzelne Bilder zusammenfassen, und die Vervollständigung der Einseitigkeit, die Verbesserung einzelner Irrthümer der Zeit und glücklicheren Bearbeitern überlassen. Auf dem Gebiete, in dem wir uns hier befinden, führt indess auch schon jede einzelne Untersuchung für sich zu einem einzeln vollendeten Ganzen. Was aus der Prüfung einer einzelnen Sprache über die Beschaffenheit ihrer grammatischen Formen hervorgeht, steht vollendet für sich zu jeder künftigen Benutzung da. Zwar können neue Entdeckungen auch in diesem, historisch richtig Aufgefassten andere Ansichten bewirken, vorher unbekannte oder mangelhaft untersuchte Sprachen auf früher bearbeitete ein ganz neues Licht werfen, wie das Sanskrit namentlich auf das Lateinische und das Verhältniss desselben zum Griechischen gethan hat. Aber gerade um vermittelst des sich immer in der Wissenschaft erweiternden Stoffs die Ansicht zu verallgemeinern und zu berichtigen, muss früher aus dem noch mangelhaften eine gefasst seyn.

29. Dagegen würde ich es wirklich zu früh halten, schon jetzt eine wahre Theorie des menschlichen Sprachbaus, ein Lehrbuch der allgemeinen Sprachkunde, ja nur eine allgemeine Grammatik, die es auch im historischen Sinne seyn sollte, schreiben zu wollen. Auch der wirklich vorhandene Stoff ist dazu bei weitem noch nicht genug im Einzelnen bearbeitet, und die einzelne Bearbeitung muss hier nothwendig vorangehn. Es ist daher vorsichtiger und zweckmässiger,[183] für jetzt diesen Weg einzuschlagen, und einzelne Bearbeitungen, nach den verschiedensten Richtungen hin, zu versuchen. Als eine solche, aber der Grundideen alles Sprachbaues, wünsche ich, dass der gegenwärtige Versuch betrachtet werden möge. Was darin auf bloss philosophischer Entwicklung beruht, so wie die auf historische Forschung sich gründende Darstellung einzelner Sprachen kann für sich vollständig beurtheilt und gewürdigt werden. Die Untersuchung wird aber in keinem Punkt als geschlossen angesehen, es wird den Folgerungen aus neuen Forschungen und Entdeckungen nicht vorgegriffen. Das grosse Gebäude allgemeiner Sprachwissenschaft, das gewiss einst, wenn gleich spät, zu Stande kommt, wird vorbereitet, aber nicht aus ungenügendem, nicht hinlänglich haltbarem Stoff voreilig aufgeführt. Ich habe daher diese Schrift auch in ihrem Titel nur unbestimmt eine Arbeit über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaus, nicht Darstellung, Theorie, Zergliederung, Grundzüge oder sonst mit einem Worte, welches auf Erschöpfung des Gegenstandes Anspruch macht, genannt; dagegen über den Sprachbau, nicht bloss über die Grammatik und die grammatischen Formen, weil diese wirklich (§. 27.) den ganzen Sprachbau durchdringen, und man sich bei gründlichem Eingehen in ihre Natur den Zugang zu keinem Theile desselben verschliessen darf.

30. Ueberhaupt muss man sich bei Sprachuntersuchungen wohl hüten, zu sehr und zu abschneidend zu trennen. Die Sprache muss immer von der Seite ihres lebendigen Wirkens betrachtet werden, wenn man ihre Natur wahrhaft erforschen, und mehrere mit einander vergleichen will. Eine Sprache ist auch nicht einmal in der durch sie gegebenen Masse von Wörtern und Regeln ein daliegender Stoff, sondern eine Verrichtung, ein geistiger Process, wie das Leben ein körperlicher. Nichts, was sich auf sie bezieht, kann mit anatomischer, sondern nur mit physiologischer Behandlung verglichen werden, nichts in ihr ist statisch, alles dynamisch. Auch todte Sprachen machen hierin keine Ausnahme. Was man in ihnen erforscht, ist der in ihnen festgehaltene Gedanke[184] der Vorzeit, und der Gedanke ist immer Aushauch des Lebendigen, immer nur so in feste Form zu beschränken, dass ihm dadurch selbst seine natürliche Schrankenlosigkeit, seine Freiheit, in andre und andre überzugehen, gesichert wird. Man kann zwar auf der andren Seite nicht umhin, die Sprache auch wieder als einen festen und vollendeten Körper anzusehen, und sie in ihre Bestandtheile zu zerlegen. Allein dies Geschäft muss immer der höheren Rücksicht untergeordnet bleiben: durch welche ursprüngliche Geistes und Tonart, vermöge welcher technischen Mittel, jede Sprache zu welcher individuell modificirten Erreichung des allgemeinen Sprachzwecks gelangt? Die Bestandtheile und das Verfahren der Sprache (um auf diese kurze Weise den doppelten Weg der vorzunehmenden Untersuchung zu bezeichnen) müssen nach einander durchgegangen und geprüft werden. Indess bleibt, trotz dieses, bloss der Wissenschaft angehörenden Gegensatzes, die Sprache in ihrer Einheit immer der eigentliche Gegenstand der Forschung. Sie wird nur auf dem einen Wege mehr im Einzelnen, auf dem andren mehr in ihrer Gesammtheit betrachtet.

31. Das Letztere aber ist die Hauptsache. Denn jede Sprache besitzt, ungeachtet der Aehnlichkeit der hervorbringenden Ursachen, der technischen Mittel und des Zweckes aller, eine entschiedne Individualität, und diese wird nur in ihrem Zusammenwirken gefühlt. Die Zergliederung ist nothwendig, um dies Gefühl in Erkenntniss zu verwandeln, sie verdunkelt aber allemal in etwas die Anschauung der lebendigen Eigenthümlichkeit, schon dadurch, dass eben jene Verwandlung des Gefühls in Erkenntniss nie ganz vollständig vor sich gehen kann. Es ist daher derbes sere Weg, die Prüfung einer Sprache bei ihrem Totaleindruck anzufangen, es verbreitet sich alsdann wenigstens jenes Gefühl auf die ganze Folge der Untersuchung. Kehrt man es um, oder bleibt man gar bei der Zergliederung stehen, so erhält man eine lange Reihe von Analysen von Sprachen, ohne die wesentliche Eigenthümlichkeit einer einzigen derselben zu erkennen oder zu fühlen. Man kann den Plan[185] dieser Zergliederungen nicht einmal jeder besondren Sprachindividualität anpassen, da hierzu diese erst aus andren Quellen bekannt seyn müsste. Man lernt daher sehr vieles über die verglichenen Sprachen, aber nicht das Eine, worauf es ankommt. Jeder, welcher oft mehrere Grammatiken verschiedner Sprachen hinter einander gelesen hat, wird bemerkt haben, wie schwer, ja wie fast unmöglich es ihm fällt, sich aus dem Gewirre so vieler Einzelnheiten heraus ein irgend deutliches Bild der Sprachen selbst zu entwerfen.

32. Was allein geeignet ist, als Leitstern, durch das ganze Labyrinth der Sprachkunde hindurchzuführen, findet auch hier Anwendung. Die Sprache liegt nur in der verbundenen Rede, Grammatik und Wörterbuch sind kaum ihrem todten Gerippe vergleichbar. Die blosse Vergleichung selbst dürftiger und nicht durchaus zweckmässig gewählter Sprachproben lehrt daher viel besser den Totaleindruck des Charakters einer Sprache auffassen, als das gewöhnliche Studium der grammatischen Hülfsmittel. Man findet auf diesem Wege, vorzüglich bei Sprachen sehr abweichenden Baues, auch sehr Vieles, wovon Grammatik und Wörterbuch schweigen, vorzüglich die erstere, und da gern Übergängen wird, was sich nicht in den gewöhnlichen Gang hineinzwängen lassen will, so ist gerade dies das Innerste und Eigenthümlichste der Sprachen. Nach möglichst ausführlichen Sprachproben muss man sich daher zuerst umsehen, und glücklich wenn man bei Völkern, die keine Literatur besitzen, einheimische erlangen kann.12 Sehr[186] schlimm ist es, dass man sich meistentheils mit von Fremden herrührenden, ja mit Uebersetzungen nach Bacmeisterschen13 Formeln behelfen muss. Ein grosser Nachtheil auch für die Sprachkunde ist die Abneigung der Katholischen Kirche gegen die Verbreitung des Bibellesens gewesen. Fast überall, wo evangelische Missionarien hingedrungen sind, findet man Uebersetzungen biblischer Bücher oder wenigstens Biblischer Erzählungen.14 Sind auch einige, gerade vorzugsweise[187] oft übersetzte Bücher der Bibel zur Uebertragung in die Sprachen, von welchen hier hauptsächlich die Rede ist, sehr wenig geeignet, so passt doch kein Buch so gut, als die Bibel dazu, die auf eine wahrhaft wundervolle Weise geschichtliche, dichterische und philosophische Bücher vereinigt, und dadurch für ein Volk an die Stelle einer ganzen Literatur tritt, ohne noch der Treflichkeit und Erhabenheit des Einzelnen, und des Geistes des einfachsten Alterthums zu erwähnen, welcher den Menschen unmittelbar an seinen Ursprung, die Natur und die Gottheit, rückt. Man muss nicht denken, dass jene Sprachen dies auch nur entfernt wiederzugeben unfähig wären. In der Sprache, wie in der menschlichen Brust, liegt ein dichterisches, und wie in noch unerschlossener Knospe mit diesem verbunden, ein philosophisches Streben. Dieser jugendliche Geist verweht erst im Laufe der überentfaltenden Zeit. Man sollte daher nur auf möglichst vollkommene und treue Uebersetzungen und zwar der ganzen Bibel denken, da gerade die Mannigfaltigkeit des Inhalts und Styls der biblischen Schriften so fruchtbar auf das Gemüth wirkt, und sie zugleich zu einem so wichtigen Bildungsmittel macht. In dieser Hinsicht ist der neuerlich von der Englischen Bibelgesellschaft gefasste Entschluss, die apokryphischen Bücher auszuschliessen und diese Ausschliessung auch bei den Bibelgesellschaften andrer Länder zu bewirken, keineswegs zu billigen.15 Es könnte nur als ein bedenklicher Schritt erscheinen, einen Theil der Bibel willkührlich dem Volke entziehen zu wollen, wenn nicht glücklicherweise vorauszusehen wäre, dass dieser Versuch doch niemals diesen Erfolg haben wird. Ein bis jetzt nicht bloss unübertroffenes, sondern ganz einzig dastehendes[188] Beispiel zweckmässig ausgewählter Sprachproben sind die der Tongischen Sprache in Mariner's bekanntem Werk über die Tonga Inseln – eine alte Sage über die erste Bevölkerung des Landes, eine sehr merkwürdige Rede eines Häuptlings, und ein lieblich wehmüthiger Gesang der eingeborenen Weiber.16 Es traf hier der seltne glückliche Fall ein, dass ein einsichtsvoller Herausgeber einen gar nicht gelehrt gebildeten, aber mit natürlichen Anlagen versehenen Europaeer benutzen konnte, der durch mehrjährigen Aufenthalt und vertrauten Umgang mit den Grossen des Landes wie zum gebildeten Eingebornen geworden war. So entstand ein an geistvoller individueller Schilderung reiches Werk.

33. Die Betrachtung der Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaus sollte, dem ersten Anblicke nach, zu einer genauen und erschöpfenden Classification der Sprachen führen. Versteht man unter dieser ein Ordnen derselben nach ihrer Stammverwandtschaft, so hat man dies im Einzelnen oft vorgenommen, es aber durch die ganze Sprachkunde durchzuführen, möchte schwierig, und vielleicht immer unmöglich seyn. Allein einer andren und solchen Classification, wo auch die gar nicht stammverwandten Sprachen nach allgemeinen Aehnlichkeiten ihres Baues zusammengestellt würden, widerstrebt, wenn man den Begriff genau nimmt, und fordert, dass die zusammengestellten wirklich als Gattungen in allen wahrhaft charakteristischen Merkmalen einander ähnlich, und von andren verschieden seyn sollen, die tiefer erörterte Natur der Sprache selbst. Die einzelnen Sprachen sind nicht als Gattungen, sondern als Individuen verschieden, ihr Charakter ist kein Gattungscharakter, sondern ein individueller. Das Individuum, als solches genommen, füllt aber allemal eine Classe für sich. Liessen sich die Sprachen auf diese Weise classificiren, so[189] müsste dasselbe auch mit der geistigen Natur des Menschen möglich seyn; nicht einmal aber die Eintheilung nach den körperlichen Merkmalen der Racen ist bisher vollkommen gelungen. Der Mensch allein ist der Gattungsbegriff, und zwischen ihm und dem Individuum giebt es keine so festbestimmten und so durchgreifenden Merkmale, dass sich daraus neue Gattungsbegriffe bilden liessen. Noch viel mehr aber ist dies der Fall mit der Sprache. Es ist nur ein mehr und ein weniger, ein theilweis ähnlich und verschieden seyn, was die einzelnen unterscheidet, und es sind nicht diese Eigenschaften, einzeln herausgehoben, sondern ihre Masse, ihre Verbindung, die Art dieser, worin ihr Charakter besteht, und zwar alle diese Dinge nur auf die individuelle Weise, die sich vollständig gar nicht in Begriffe fassen lässt. Denn bei allem Individuellen ist dies nur mit einem Verluste möglich, welcher gerade das Entscheidende hinwegnimmt. Aus zwei, die ganze Frage abschneidenden Gründen ist daher die so oft angeregte Eintheilung der Sprachen nach Art der Eintheilung der Naturgegenstände ein für allemal und für immer zurückzuweisen. Die Naturkunde hat es nie mit Geistigem und nie mit Individuellem zu thun, und eine Sprache ist eine geistige Individualität. Im Unorganischen giebt es keine Individualität, die als für sich bestehendes Wesen betrachtet werden könnte, und im Organischen steigt die Naturkunde nicht bis zum Individuum herunter. Nur also zum Behuf der Betrachtung oder der Darstellung, nicht um über ihre wahre Natur zu entscheiden, lassen sich Classificationen der Sprachen versuchen, nur in Hinsicht auf einzelne ihrer Beschaffenheiten. Auf diese Weise aber sind sie nothwendig und unschädlich, wenn man nur dabei die jeder wahren und constitutiven Classification widerstrebende Natur der Sprache im Auge behält.[190]

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 3, Darmstadt 1963, S. 144-191.
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