Zweiter Abschnitt

Von der Natur der Sprache und ihrer Beziehung auf den Menschen im Allgemeinen

[191] 34. Ich nehme hier den geistigen Process der Sprache in seiner weitesten Ausdehnung, nicht bloss in der Beziehung derselben auf die Rede und den Vorrath ihrer Wortelemente, als ihr unmittelbares Erzeugniss, sondern auch in der Beziehung auf ihren Einfluss auf das Denk- und Empfindungsvermögen. Der ganze Gang kommt in Betrachtung, auf dem sie, von dem Geiste ausgehend, auf den Geist zurückwirkt. Ich bleibe jedoch in dem gegenwärtigen Abschnitt nur bei den allgemeinen Begriffen des Menschen und der Sprache stehen, und behalte die Betrachtung der Verbreitung der Sprache über die verschiedenen Individuen einer Nation, und ihre Vertheilung unter mehrere Nationen, mithin in mehrere Sprachen dem nächstfolgenden vor.

35. Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken. Die intellectuelle Thätigkeit, durchaus geistig, durchaus innerlich, und gewissermassen spurlos vorübergehend, wird durch den Ton in der Rede äusserlich und wahrnehmbar für die Sinne, und erhält durch die Schrift einen bleibenden Körper. Das auf diese Weise Erzeugte ist das Gesprochene und Aufgezeichnete aller Art, die Sprache aber der Inbegriff der durch die intellectuelle Thätigkeit auf diesem Wege hervorgebrachten und hervorzubringenden Laute, und der nach Gesetzen, Analogieen und Gewohnheiten, die wieder um aus der Natur der intellectuellen Thätigkeit und des ihr entsprechenden Tonsystems hervorgehn, möglichen Verbindungen und Umgestaltungen derselben, so wie diese Laute, Verbindungen und Umgestaltungen in dem Ganzen alles Gesprochenen oder Aufgezeichneten enthalten sind. Die intellectuelle Thätigkeit und die Sprache sind daher Eins und unzertrennlich von einander; man kann nicht einmal schlechthin die erstere als das Erzeugende, die andre als das Erzeugte ansehen. Denn obgleich das jedesmal Gesprochene[191] allerdings ein Erzeugniss des Geistes ist, so wird es doch, indem es zu der schon vorher vorhandenen Sprache gehört, ausser der Thätigkeit des Geistes, durch die Laute und Gesetze der Sprache bestimmt, und wirkt, indem es gleich wieder in die Sprache überhaupt übergeht, wieder bestimmend auf den Geist zurück. Die intellectuelle Thätigkeit ist an die Nothwendigkeit geknüpft, eine Verbindung mit dem Ton einzugehen, das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen, die Vorstellung nicht zum Begriff werden. Den Ton erzeugt sie aus freiem Entschluss und formt ihn durch ihre Kraft, denn vermöge ihrer Durchdringung wird er zum articulirten Laut (wenn es möglich wäre, einen Anfang aller Sprache zu denken), begründet ein Gebiet solcher Laute, das selbständig, bestimmend und beschränkend, auf sie zurückwirkt.

36. Der articulirte Laut oder, allgemeiner zu sprechen, die Articulation ist das eigentliche Wesen der Sprache, der Hebel, durch welchen sie und der Gedanke zu Stande kommt, der Schlussstein ihrer beiderseitigen innigen Verbindung. Dasjenige aber, wessen das Denken, um den Begriff zu bilden, in der Sprache, strenge genommen bedarf, ist nicht eigentlich das dem Ohr wirklich Vernehmbare; oder um es anders auszudrucken, wenn man den articulirten Laut in die Articulation und das Geräusch zerlegt, nicht dieses, sondern jene. Die Articulation beruht auf der Gewalt des Geistes über die Sprachwerkzeuge, sie zu einer Behandlung des Tons zu nöthigen, welche der Form seines Wirkens entspricht. Dasjenige, worin sich diese Form und die Articulation, wie in einem verknüpfenden Mittel begegnen, ist, dass beide ihr Gebiet in Grundtheile zerlegen, deren Zusammenfügung lauter solche Ganze bildet, welche das Streben in sich tragen, Theile neuer Ganze zu werden. Ausser jener Gewalt ist aber auch in dem Geiste ein, sich den Sprachwerkzeugen selbst mittheilender Drang, von ihnen einen solchen Gebrauch zu machen, und auf jener Gewalt und diesem Drange beruht die Erzeugung der Sprache sogar unabhängig von dem Ohre vernehmbarem Geräusch.[192]

37. Dass die Sprache ohne vernommenen Laut möglich bleibt, und insofern ganz innerlich ist, lehrt das Beispiel der Taubstummen. Durch das Ohr ist jeder Zugang zu ihnen verschlossen, sie lernen aber das Gesprochene an der Bewegung der Sprachwerkzeuge des Redenden und dann an der Schrift verstehen, sie sprechen selbst, indem man die Lage und Bewegung ihrer Sprachwerkzeuge lenkt. Dies kann nur durch das, auch ihnen beiwohnende Articulationsvermögen geschehen, indem sie durch den Zusammenhang ihres Denkens mit ihren Sprachwerkzeugen im Andern aus dem einen Gliede, der Bewegung seiner Sprachwerkzeuge, das andre, sein Denken, errathen lernen. Der Ton, den wir hören, offenbart sich ihnen durch die Lage und Bewegung der Organe, sie vernehmen seine Articulation ohne sein Geräusch. Allerdings wirkt gewiss in ihnen, wenn auch das äussere Ohr verschlossen ist, der innere Gehörsinn mit; vielleicht sogar wird in ihrer, uns unzugänglichen Vorstellungsweise vor ihrer Phantasie an die Stelle des mangelnden Geräusches etwas andres Sinnliches gesetzt; immer aber geht bei ihnen eine merkwürdige Zerlegung des articulirten Lautes vor. Sie verstehen wirklich die Sprache, da sie alphabetisch lesen und schreiben, und selbst reden lernen, nicht bloss den Gedanken durch Zeichen oder Bilder. Sie lernen reden, nicht bloss dadurch, dass sie Vernunft, wie andre Menschen, sondern ganz eigentlich dadurch, dass sie auch Sprachfähigkeit besitzen, Uebereinstimmung ihres Denkens mit ihren Sprachwerkzeugen, und Drang beide zusammenwirken zu lassen, das eine und das andre wesentlich gegründet in der menschlichen, wenn auch von einer Seite verstümmelten Natur.

38. In diesen Fällen krankhafter Ausnahme ist aber der Ton nur als Geräusch abwesend. Er wird aus Noth auf seine Ursach, die Stimmwerkzeuge, zurückgeführt, bleibt aber demungeachtet immer das allein wirksame Princip. Die Articulation (deren Begriff ich hier nur nach ihrer Wirkung, als diejenige Gestaltung des Lautes nehme, welche ihn zum Träger von Gedanken macht), im Ganzen und Allgemeinen genommen, kann den Ton auch als Geräusch, als auf ein[193] Ohr wirkende Lufterschütterung, nicht entbehren; der Taubstumme kann nur unter Hörenden zur Sprache gelangen. Um aber den articulirten Laut ganz bestimmt von seiner intellectuellen, gleichsam innerlichen Seite zu zeigen, war es nothwendig, ihn, wie wir (§. 36.) gethan haben, für einen Augenblick ganz und gar von demjenigen zu trennen, was er mit dem unarticulirten gemein hat. In der Wirklichkeit ist das Ohr der ausschliesslich für die Articulation bestimmte Sinn. Nie lässt sie sich unmittelbar auf einen andren anwenden. Wo man dies, wie im Alphabete, versucht, erhält man immer nur Zeichen von Tönen. Die unzertrennliche Verbindung des Gedanken, der Stimmwerkzeuge und des Gehörs zur Sprache liegt unabänderlich in der ursprünglichen, nicht weiter zu erklärenden Einrichtung der menschlichen Natur. Die Uebereinstimmung des Tons mit dem Gedanken fällt indess auch klar in die Augen. Wie der Gedanke, einem Blitz oder Stosse vergleichbar, die ganze Vorstellungskraft in Einen Punkt sammelt, und alles Gleichzeitige ausschliesst, so erschallt der Ton in abgerissener Schärfe und Einheit. Wie der Gedanke das ganze Gemüth ergreift, so besitzt der Ton vorzugsweise eine eindringende, alle Nerven erschütternde Kraft. Wie der Verstand eine Reihe von Gedanken in beliebige Einheiten zusammenfassen kann, so ist dies der auf das Gehör bezogenen Einbildungskraft mit einer Reihe von Tönen möglich. Es beruht dies sichtbar darauf, dass das Ohr (was bei den übrigen Sinnen nicht immer oder anders der Fall ist) den Eindruck einer Bewegung, ja bei dem der Stimme entschallenden Ton einer wirklichen Handlung empfängt, und diese Handlung keine von unmittelbarer Berührung, und in dem hier in Betrachtung gezogenen Fall eine aus dem Innern eines lebenden Geschöpfs, im articulirten Laut eines denkenden, im unarticulirten eines empfindenden, herkommende ist.

39. Es liegt aber in dem Antheile des Tons an der Sprache dreierlei: das intellectuelle Streben nach Aeusserung, das Empfindungsbedürfniss der Hervorbringung des Schalls, und die Nothwendigkeit gesellschaftlicher Wechselwirkung[194] zur Ausbildung des Gedanken. Jedes dieser Stücke führt einzeln zur Hervorbringung des Tons, und die Sprache vereinigt alle im articulirten Laut.

40. Das Denken ist eine geistige Handlung, wird aber durch sein Bedürfniss nach Sprache ein Antrieb zu einer körperlichen. Es ist ein fortschreitendes Entwicklen, eine blosse innere Bewegung, in der nichts Bleibendes, Stätiges, Ruhendes angenommen werden kann, aber zugleich eine Sehnsucht aus dem Dunkel nach dem Licht, aus der Beschränkung nach der Unendlichkeit. In dem, aus zwiefacher Natur in Eins zusammengeschmolzenen menschlichen Wesen geht dies Streben natürlich nach aussen, und findet, durch die Vermittlung der Sprachwerkzeuge, in der Luft, dem natürlichsten und am leichtesten bewegbaren aller Elemente, dessen scheinbare Unkörperlichkeit dem Geiste auch sinnlich entspricht, einen ihm wundervoll angemessenen Stoff, in welchem, bei der menschlichen aufrechten Stellung, die Rede frei und ruhig von den Lippen zum Ohre strömt, der das Licht der Gestirne herbeiführt, und sich, ohne sichtbare Schranken, in die Unendlichkeit ausdehnt.

41. Subjective Thätigkeit bildet im Denken ein Object. Denn keine Gattung der Vorstellungen kann als ein reines Beschauen eines schon vorhandenen Gegenstandes betrachtet werden. Die Tätigkeit der Sinne muss sich mit der inneren Handlung des Geistes synthetisch verbinden, und aus dieser Verbindung reisst sich die Vorstellung los, wird, der subjectiven Kraft gegenüber, zum Object, und kehrt, als solches aufs neue wahrgenommen, in jene zurück. Hierzu aber ist die Sprache unentbehrlich. Denn indem in ihr das geistige Streben sich Bahn durch die Lippen bricht, kehrt das Erzeugniss desselben zum eignen Ohre zurück. Die Vorstellung wird also in wirkliche Objectivität hinüberversetzt, ohne darum der Subjectivität entzogen zu werden. Dies vermag nur die Sprache, und ohne diese, wo Sprache mitwirkt, auch stillschweigend immer vorgehende Versetzung ist die Bildung des Begriffs, mithin alles wahre Denken unmöglich. Ohne daher irgend auf die Mittheilung zwischen Menschen und Menschen zu sehn, ist das Sprechen eine nothwendige[195] Bedingung des Denkens des Einzelnen in abgeschlossener Einsamkeit. In der Erscheinung entwickelt sich jedoch die Sprache nur gesellschaftlich, und der Mensch versteht sich selbst nur, indem er die Verstehbarkeit seiner Worte an Andren versuchend geprüft hat. Dies liegt schon in dem allgemeinen Grunde, dass kein menschliches Vermögen sich in ungeselliger Vereinzelung entwickelt, worauf wir in der Folge zurückkommen werden. Es lässt sich aber auch aus dem eben Gesagten erklären. Denn die Objectivität wird gesteigert, wenn das selbstgebildete Wort aus dem Munde eines Andren wieder tönt. Der Subjectivität wird nichts geraubt, da der Mensch sich immer Eins mit dem Menschen fühlt; ja auch sie wird verstärkt, da die in Sprache verwandelte Vorstellung nicht mehr ausschliessend Einem Subject angehört.

42. Wenn der unarticulirte Laut, wie immer bei den Thieren, und bisweilen beim Menschen, die Stelle der Sprache vertritt, so entpresst ihn entweder, wie bei widrigen Empfindungen, die Noth, oder es liegt ihm Absicht zum Grunde, indem er lockt, warnt, zur Hülfe herbeiruft, oder er entströmt, ohne Noth und Absicht, dem frohen Gefühle des Daseyns, dem Gefallen am Schmettern der Töne. Das Letzte ist das Poëtische, ein aufglimmender Funke in der thierischen Dumpfheit. Diese verschiedenen Arten der Laute sind unter die mehr oder minder stummen und klangreichen Geschlechter der Thiere sehr ungleich vertheilt, und verhältnissmässig wenigen ist die höhere und freudigere Gattung geworden. Es wäre auch für die Sprache belehrend, bleibt aber vielleicht immer unmöglich, zu ergründen, woher diese Verschiedenheit stammt. Dass die Vögel allein den Gesang besitzen, liesse sich viel leicht daraus erklären, dass sie freier, als alle andre Thiere, in dem Elemente des Tons, und in seinen reineren Regionen leben, wenn nicht so viele Gattungen derselben, gleich den auf der Erde wandelnden Thieren, an wenige einförmige Laute gebunden wären.

43. In die Sprache gehen dieselben antreibenden Ursachen über: Noth, Absicht und Gefallen am Hervorbringen von[196] Lauten. Da aber Alles in der Sprache an dem ihr eigenthümlichen Charakter der Intellectualität Theil nimmt, so ist sie nicht aus einem Drange zum Hervorbringen blossen Schalles zu erklären. Das Gefallen am Sprechen ist Gefallen an Rede, und mithin auf Gedanken bezogen. Es kommt also in der Sprache noch eine vierte Ursach hinzu, das Bedürfniss geselliger Mittheilung, das ich hier aber nur von der Seite reiner Gesprächigkeit nehme. Es gehört gewiss zu den irrigsten Behauptungen, die Entstehung der Sprachen vorzugsweise dem Bedürfniss gegenseitiger Hülfsleistung beizumessen, und was unmittelbar daraus fliesst, ihnen in einem eingebildeten Naturstande einen bestimmten Kreis von Ausdrücken vorzuschreiben. Der Mensch ist nicht so bedürftig, und zur Hülfsleistung hätten, wie man an den Thieren sieht, unarticulirte Laute ausgereicht. Die Sprache ist, auch in ihren Anfängen, durchaus menschlich, und dehnt sich absichtslos auf alle Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung und inneren Bearbeitung aus. Auch die Sprachen der sogenannten Wilden, und gerade sie, zeigen eine überall über das Bedürfniss überschiessende Fülle und Mannigfaltigkeit von Ausdrücken. Die Worte entquillen freiwillig, ohne Noth und Absicht, der Brust, und es giebt wohl in keiner Einöde eine wandernde Familie, die nicht schon ihre Lieder besässe, denn der Mensch, als Thiergattung, ist wesentlich ein singendes Geschöpf, nur Ideen mit den Tönen verbindend. Ein viel wesentlicherer sinnlicher Entstehungsgrund der Sprache, da einmal hier nach einem solchen gesucht wird, ist das Gefallen am Sprechen, und daher ist es auf die Bildung der Sprachen von so wichtigem Einfluss, wie schweigsam oder geschwätzig ein Volk ist.

44. Man muss den Menschen, auch in seinen edelsten Bestrebungen, immer in seiner ganzen Natur, deren eine Seite er mit der Thierheit theilt, betrachten. Man darf daher auch in der Sprache, will man ihre Natur vollkommen in ihren Elementen durchschauen, nicht den Antheil des blossen Tönens übersehen, durch welches der articulirte Laut sich dem thierischen nähert. Hierhin gehört zuerst, wenn Völker ihrer Aussprache ein gar keiner Articulation fähiges[197] Tönen beimischen, wie das Schnalzen eines Afrikanischen, das von einer Art Schluchzen begleitete Innehalten einiger Amerikanischen Völker ist. Auch jede unreine, den Buchstaben mehr Tönen, als ihre Articulation erfordert, gebende Aussprache, wie sie oft im Munde des Volks gehört wird, muss dahin gerechnet werden. Aber auch wo jeder Consonant bestimmt, jeder Vocal in seinen reinen Gränzen ausgesprochen wird, ist das Verhältniss des Tönens zur Ideenbezeichnung im Ganzen der Sprache zu beachten. Indem die letztere mit grösserem oder geringerem Aufwande von Tönen und Tonveränderungen zu Stande kommt, zeigt (auch ohne noch irgend von Wohllaut zu reden) eine Nation mehr oder weniger Gefallen an blossen Tönen und Reizbarkeit für dieselben. Die Sprachen sind daher in diesem Stück, bald reicher, bald dürftiger, bald freier von schmetterndem Geräusch, bald mehr damit überladen, machen überhaupt einen üppigeren oder keuscheren Gebrauch von dem Laut. Sie neigen sich daher auch mehr oder weniger zu solchen grammatischen Formen, die, wie die Sylbenverdoppelung, eine Art klingelnden Getönes hervorbringen. Wo die Lautbehandlung in einer Sprache fehlerfrei erscheint, ist sie mit dem Colorit in der Malerei zu vergleichen, das auch stärker oder schwächer aufgetragen wird. Beide sind der sinnlichere Theil, welcher in Allem, was, wie die Sprache und die Kunst, aus dem Ganzen des Menschen hervorgeht, dem reiner intellectuellen oder formalen zur Seite steht. Es geschieht auch, dass Sprachen, überhaupt oder auf gewissen Bildungsstufen, mehr oder weniger ideenloses Tönen der wirklichen Rede beimischen, Sylben und Wörter ohne bestimmte Einwirkung auf den Sinn, fast nur zur Ausfüllung des Tones gebrauchen. Ich könnte von einer NordAmerikanischen Sprache ein sehr merkwürdiges Beispiel hiervon anführen, wenn es nicht gegen meine Absicht wäre, in diesem Abschnitt die Folge der allgemeinen Entwicklung durch Eingehen in Einzelnes zu unterbrechen. Ein gewisses Gefühl mag sich freilich mit allen solchen Partikeln, da diese Wörter nur zu diesem grammatischen Gebiet gerechnet werden können, verbinden. Es ist aber nicht allein[198] ein sehr geringes, oft gar nicht auf Begriffe zurückzuführendes, sondern die blosse Lautgewohnheit bringt diese Wörter auch da wieder, wo das sie allenfalls begleitende Gefühl gar nicht nothwendig eintritt. In diesem Sinne nehme ich, wie sehr sich auch unsre oft zu einseitig rationelle Grammatik dagegen verwahrt, bloss ausfüllende Partikeln in den Sprachen an. Sie werden angebracht, nicht weil der Sinn nicht ohne sie vollständig wäre, sondern weil, der Sprachgewohnheit gemäss, der Klang der Redensart nicht dem Ohr so erscheint. Am deutlichsten zeigt dies die Quichuische Sprache. Durch die Cultur der Sprache fallen solche blossen Klangwörter entweder hinweg, oder werden im günstigeren Fall durch künstlichere Bearbeitung Zeichen feinerer Nuancen der Ideen oder ihrer Verknüpfungen.

45. Wenn man aber auch ganz von der Möglichkeit eines richtigen oder unrichtigen Verhältnisses der Lautbehandlung zur Ideenbezeichnung absieht, muss man in den Sprachen dennoch, auch noch getrennt von den Wohllautsgesetzen, und den Buchstabenverknüpfungen und Veränderungen, die bestimmte Beschaffenheit ihres materiellen Tones beachten, da allein darin zuletzt die wahre Individualität jeder Sprache und Mundart liegt. Ich meine nemlich hiermit den ganzen Lauteindruck, welchen die Rede in einer Sprache auf das Ohr macht. Was man thun und versuchen mag, die Eigenthümlichkeiten einer Sprache zu schildern, so fliessen die Umrisse des entworfenen Bildes bei mehreren noch immer in einander über. Vieles lässt sich gar nicht, andres nur gradweise unterscheiden, das Ganze ist nicht in geschiedner Einheit darzustellen. In ihrer bestimmten Beschaffenheit, als diese und keine andre spricht sich jede Mundart und Sprache nur selbst durch ihren Klang aus. Obgleich das Alphabet der ganzen Menschheit von gewissen, nicht einmal sehr weiten Gränzen umschlossen ist, so hat doch jedes Volk mit eigner Sprache auch sein eignes Lautsystem in der Ausschliessung gewisser Töne, der Vorliebe für andre, der Bestimmung der verschiedenen zur Bezeichnung verschiedener Begriffe, der Behandlung der Töne in ihren Verbindungen u. s. f. Man kann dies mit dem[199] verschiedenartigen Geschrei und den Tonarten der Thiergattungen vergleichen. Es ist darin, wenn auch die fortschreitende Entwicklung Vieles abschliesst, doch etwas Festes, Stammartiges, tief in den Modificationen der Sprachwerkzeuge und dem Tongefühle Gegründetes. Das Lautsystem hat daher auf die wesentlichsten Theile jeder Sprache den bedeutendsten Einfluss; es ist das erste, worin man sich durchaus fest setzen muss. Freilich führt dies in eine mühvolle, oft ins Kleinliche gehende Elementaruntersuchung, es sind aber auch lauter in sich kleinliche Einzelnheiten, auf welchen der Totaleindruck, der Sprachen beruht, und nichts ist mit dem Studium derselben so unverträglich, als bloss in ihnen das Grosse, Geistige, Vorherrschende aufsuchen zu wollen. Genaues Eingehen in jede grammatische Subtilitaet, und Spalten der Wörter in ihre Elemente ist durchaus nothwendig, wenn man sich nicht in allen Urtheilen über den Bau und selbst über die Abstammung Irrthümern blossstellen will.

46. Die wichtigste Ursach, aus welcher die Sprache, vermittelst des Tones, der Wirkung nach aussen bedarf, ist die Geselligkeit, zu welcher der Mensch durch seine Natur unbedingt hingewiesen wird. Es liegt aber in derselben ein zwiefaches, allein in dem Begriffe der Menschheit Verbundenes: einmal dass alle menschlichen Kräfte sich nur gesellschaftlich vollkommen entwickeln, dann dass es etwas Gemeinsames in dem ganzen menschlichen Geschlechte giebt, von dem jeder Einzelne eine, das Verlangen nach Vervollständigung durch die andren in sich tragende Modification besitzt. Beides ist gerade in der Sprache besonders wichtig. Denn je grösser und bewegter das gesellige Zusammenwirken auf sie ist, je mehr gewinnt sie unter übrigens gleichen Umständen, und auf jenem eben erwähnten Gemeinsamen beruht die Möglichkeit der Verständigung, so wie es die Mittel der gegenseitigen Ausbildung der Sprachen enthält.

47. Auch die Geselligkeit lässt sich ohne Einseitigkeit nicht aus dem blossen Bedürfnis ableiten. Sie beruht nicht einmal in den Thieren darauf. Keines ist leicht sich so alleingenügend[200] in seiner Stärke, als der gerade vorzugsweise in Heerden lebende Elephant. Auch in den Thieren entspringt daher die bei einigen Gattungen grössere, bei andren geringere Neigung zur Geselligkeit aus viel tiefer in ihrem Wesen liegenden Ursachen. Es ist nur uns unmöglich, dieselben zu ergründen, weil wir uns gar keinen Begriff von der doch nicht abzuläugnenden Fähigkeit der Thiere machen können, wahrzunehmen, zu empfinden und Wahrnehmungen zu verknüpfen. Im Menschen aber ist das Denken wesentlich an gesellschaftliches Daseyn gebunden, und der Mensch bedarf, abgesehen von allen körperlichen und Empfindungsbeziehungen, zum blossen Denken eines dem Ich entsprechenden Du. Dies ist schon oben (§. 41.) erinnert worden, bedarf aber hier einer weiteren Ausführung. Der Begriff erreicht seine Bestimmtheit und Klarheit erst durch das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft. Er wird, wie wir im Vorigen sahen, erzeugt, indem er sich aus der bewegten Masse des Vorstellens losreisst, und dem Subject gegenüber zum Object bildet. Es genügt jedoch nicht, dass diese Spaltung in dem Subjecte allein vorgeht, die Objectivität ist erst vollendet, wenn der Vorstellende den Gedanken wirklich ausser sich erblickt, was nur in einem andren, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen möglich ist. Zwischen Denkkraft und Denkkraft aber ist die einzige Vermittlerin die Sprache, und so entsteht auch hier ihre Nothwendigkeit zur Vollendung des Gedanken.17 Es liegt aber auch in der Sprache selbst ein unabänderlicher Dualismus, und alles Sprechen ist auf Anrede und Erwiederung gestellt. Das Wort ist kein Gegenstand, vielmehr den Gegenständen gegenüber etwas Subjectives, dennoch soll es im Geiste des Denkenden ein Object, von ihm erzeugt und auf ihn zurückwirkend werden. Es bleibt zwischen dem Wort und seinem Gegenstande eine so befremdende Kluft, das Wort gleicht, allein im Einzelnen geboren, so sehr einem[201] blossen Scheinobject, die Sprache kann auch nur so zur Wirklichkeit gebracht werden, dass an einen gewagten Versuch ein neuer sich anknüpft. Das Wort muss also Wesenheit in einem Hörenden und Erwiedernden gewinnen. Diesen Urtypus aller Sprachen drückt das Pronomen durch die Unterscheidung der zweiten Person von der dritten aus. Ich und Er sind an und für sich selbst verschiedne, so wie man eines von beiden denkt, nothwendig einander entgegengesetzte Gegenstände, und mit ihnen ist auch Alles erschöpft, denn sie heissen mit andren Worten Ich und Nicht-ich. Du aber ist ein dem Ich gegenübergestelltes Er. Indem Ich und Er auf innrer und äusserer Wahrnehmung beruhen, liegt in dem Du Spontaneitaet der Wahl.18 Es ist auch ein Nicht-Ich, aber nicht, wie das Er, in der Sphäre aller Wesen, sondern in einer andren, der eines durch Einwirkung gemeinsamen Handelns. In dem Er selbst liegt nun dadurch, ausser dem Nicht-Ich, auch ein Nicht-Du, und es ist nicht bloss einem von ihnen, sondern beiden entgegengesetzt. Dass dieselbe Pronominalform durch alle Sprachen durchgeht, zeigt, dass, nach dem Gefühl aller Völker, das Sprechen in seinem Wesen voraussetzt, dass der Sprechende, sich gegenüber, einen Angeredeten von allen Andren unterscheidet. In einigen Sprachen zeigt sich sogar darin eine besondre Sorgfalt die zweite Person herauszuheben, dass sie auch in der ersten des Plurals durch verschiedene Formen andeuten, ob der Angeredete darunter begriffen, oder ausgeschlossen ist.

48. Das Pronomen in seiner wahren und vollständigen Form wird in das Denken bloss durch die Sprache eingeführt, und ist das Wichtigste, wodurch ihre Gegenwart sich verkündet. Solange man nur das Denken logisch, nicht die Rede grammatisch zergliedert, bedarf es der zweiten Person gar nicht, und dadurch stellt sich auch die erste verschieden. Man braucht dann das Darstellende nur vom Dargestellten,[202] nicht von einem Empfangenden und Zurückwirkenden zu unterscheiden. Da nun unsre allgemeine Grammatik ganz und gar von dem Logischen ausgeht, so stellt sich das Pronomen in ihr, die eine Zergliederung der Rede ist, anders, als in der gegenwärtigen Entwicklung, wo wir eine Zergliederung der Sprache selbst versuchen. Hier geht es allem Uebrigen voran, und wird als selbstbezeichnend angesehen, dort folgt es erst der vollendeten Erklärung der Haupttheile des Satzes, und trägt wesentlich, wie auch sein Name besagt, einen repraesentativen Charakter in sich. Beide Ansichten sind nach der Verschiedenheit der Standpunkte vollkommen richtig, zu tadeln ist bloss, dass man auf dem einen oft zu einseitig stehen geblieben ist, da man die wahre und vollständige Geltung des Pronomen, auch in der Rede, doch nur dann wahrhaft einsieht, wenn man seine tiefe Gründung in der innersten Natur der Sprache erkennt. Einen noch grösseren und ganz entschiedenen Einfluss hat aber diese auf die Form und Beschaffenheit des Pronomen in den verschiedenen Sprachen.

49. Was in der philosophischen Entwicklung der Sprache allgemeiner Ausdruck eines Nicht-Ich und Nicht-Du ist, erscheint in der Rede, die es nur mit concreten Gegenständen zu thun hat, nur als Stellvertreter von diesen. Neben seinem allgemeinen Ausdruck der dritten Person spaltet es sich in die mehr oder minder verschiednen Arten des Pronomen demonstrativum. Man möchte dies aber eher ein Erheben von diesen zum Allgemeinen nennen, da einige Sprachen gar nicht zu dem letzteren gelangen. In diesen ist dies Pronomen auch wirklich nicht sowohl repraesentativ, d. h. im Geist, als etwas andres Gedachtes vertretend, gedacht, sondern vielmehr nur eine von einer augenblicklichen Verhältniss-Eigenschaft (Er liegender, stehender u. s. f.) hergenommene, durch die Geberde vervollständigte Bezeichnung angesehen. Die reinen Begriffe unsrer allgemeinen Grammatik finden sich immer nur in den Sprachen vollendeter Bildung, und auch da nur in der philosophischen Ansicht derselben. Auf ähnliche Weise als das Pronomen der dritten Person sind in der Rede auch die der beiden ersten[203] repraesentativ, weil das bestimmte Ich und Du, als wahre Substantiva an ihre Stelle treten können. Allein der wesentliche Begriff aller drei Pronomina ist immer der durch die Natur der Sprache selbst gegebene, dass sie die ursprünglichen und nothwendigen Beziehungspunkte des Wirkens durch Sprache, als solche, bezeichnen, und dieselben in Individuen verwandeln. Ich ist nicht das mit diesen Eigenschaften versehene, in diesen räumlichen Verhältnissen befindliche Individuum, sondern der sich in diesem Augenblick einem Andren im Bewusstseyn, als ein Subject Gegenüberstellende, jene concreten Verhältnisse werden nur der Leichtigkeit und Sinnlichkeit wegen dem schwierigeren abgezogenen Begriff untergeschoben. Eben so geht es mit Du und Er. Alle sind hypostasirte Verhältnissbegriffe, zwar auf individuelle, vorhandene Dinge, aber in völliger Gleichgültigkeit auf die Beschaffenheit dieser, nur in Rücksicht auf das Eine Verhältniss bezogen, in welchem alle diese drei Begriffe sich nur gegenseitig durch einander halten und bestimmen.

50. Obgleich aber das Pronomen unmittelbar durch die Sprache gefordert wird, und obgleich alle Sprachen das dreifache Pronomen besitzen, so ist der Eintritt des Pronomen in die wirkliche Sprache doch von grossen Schwierigkeiten begleitet. Das Wesen des Ich's besteht darin, Subject zu seyn. Nun aber muss im Denken jeder Begriff vor dem wirklich denkenden Subject zum Object werden. Auch das Ich wird, als solches, im Selbstbewusstseyn zusammengefasst. Es muss mithin ein Object seyn, dessen Wesen ausschliesslich darin besteht, dass es Subject ist. Die grössere Leichtigkeit des Begriffs des Du ist nur scheinbar. Denn er besteht ja nur dadurch, dass er auf das Ich, das eben beschriebene Subject-Object bezogen wird. Wir bemerken daher an den Kindern, dass sie sehr lange noch an die Stelle der Pronomina Namen oder andre objective Bezeichnungen setzen. Dies hat verleitet zu behaupten, dass das Pronomen sich in den Sprachen überhaupt immer erst spät entwickelt habe. Dass diese Behauptung wenigstens auf diese Weise falsch ausgedruckt ist, beweist die ganze gegenwärtige Entwicklung.[204] Das Pronomen musste in den Sprachen ursprünglich seyn. Ueberhaupt ist, meiner innersten Ueberzeugung nach, alles Bestimmen einer Zeitfolge in der Bildung der wesentlichen Bestandtheile der Rede ein Unding. Was zu ihnen gehört, wird bewusstlos auf einmal von dem Sprachvermögen gegeben, und das ursprünglichste Gefühl, das Ich, ist kein nachher erst erfundener, allgemeiner, discursiver Begriff. Nur das reinere und richtigere Bewusstseyn der Redetheile entsteht allmälich und ist des Wachsthums fähig. Dagegen liesse sich das allerdings denken, dass die Wörter für die Pronomina ursprünglich Substantiva, wie alle andre, gewesen wären, und in der Nation ihnen auch diese Ansicht immer geblieben wäre. Dasselbe Substantivum, sey es Mensch, Seele, Gestalt, immer von jedem zur Bezeichnung seines Ichs gebraucht, würde alsdann in das wahre Pronomen übergegangen seyn, das Verbum hätte nur scheinbar drei, in der That bloss Eine Person gehabt. Hierüber historisch zu entscheiden, halte ich für unmöglich, da keine historische Untersuchung so weit zu führen vermag. Indess sprechen doch mehrere Umstände gegen eine solche Annahme. Mir ist keine einzige Sprache bekannt, in der es nicht ein oder mehrere Pronomina der ersten beiden Personen gäbe, welche gar keine Spur an sich tragen, eigentlich der dritten anzugehören. Die Malaiische, die leicht am meisten zu Pronomina der 1. und 2. Person gewordene Substantiva besitzt, hat doch für die erste aku, was durchaus keinen solchen Ursprung verräth, und einige hierin ähnliche für die zweite. Gerade diese finden sich in den verwandten Südseesprachen wieder, und beweisen dadurch ihre tief alterthümliche Gründung in der Sprache. Denn aku,19 ich, entspricht dem ganz gleichlautenden Neu Seeländischen aku,20 kita, wir, dem Tongischen gita, welches zwar dem Singularis angehört, aber abgekürzt in gi auch dem Pluralis dient, kamu, abgekürzt in mu, 2. sing. und plur. dem[205] Tongischen mo, 2. plur., und angkau, abgekürzt in kau, scheint das Neu Seeländische koe.21 Eben so giebt es auch im Chinesischen, wo erste und zweite Person jetzt ganz gewöhnlich durch Substantiva bezeichnet werden, zugleich reine Pronomina, die, allem Anscheine nach, die älteren sind.

51. Wenn man die sinnliche Natur des Menschen bedenkt, den Werth, den er von früh an auf die Unterscheidung des Mein und Dein legt, und der sich auch in der Sprache so mächtig ausdruckt, dass es, namentlich in Amerika, viele giebt, in welchen das Substantiv gar nicht ohne sein Besitzpronomen ausgesprochen werden kann, so halte ich es für ausgemacht, dass, welche Ideenbezeichnung der Mensch auch immer zum Pronomen erhob, er es nie that, ohne derselben gleich auf immer das wahre und wirkliche Gefühl der Ichheit aufzuprägen, und dass er nie von sich, wie von einem Fremden, sprach. Die Annahme des Gegentheils scheint mir durchaus unnatürlich. Auch die Kinder sprechen ihren Namen mit diesem Gefühl aus. Damit ist das Wesen des Pronomen gegeben, und der Unterschied zwischen diesem und allen andren Substantiven festgestellt. Wie weit derselbe hernach an der Sprache selbst sichtbar seyn soll, hängt von der Stärke und Feinheit des Sprachsinns ab. Viel reiner und getreuer, als im Pronomen selbst, ist der demselben zum Grunde liegende Verhältnissbegriff in den Personen des Verbum ausgedruckt. Hier ist keine Verwechslung mehr der Ichheit mit einem andren Substantiv, der ersten und dritten Person möglich. Wenn sich erweisen liesse, dass die Personen des Verbum in einer Sprache wirklich durch Flexion entstanden, und ursprünglich so gewesen wären, so gienge daraus untrüglich hervor, dass diese Nation den reinen Begriff des Pronomen vom Beginnen ihrer Sprache an gehabt hätte. Wo aber der Personenunterschied nur durch offenbare oder verstecktere Hinzufügung der Pronomina selbst entsteht, lässt sich hieraus nicht mehr,[206] als aus diesen, schliessen. Die durch das zur Ichheit gestempelte Substantivum gebildete nähert sich da auch nur insofern der wahren ersten Person, als jenes Substantivum dem Pronomen.

52. Aus dem mit dem Pronomen der ersten Person unmittelbar verbundenen, und bei dem der zweiten darauf bezognen Gefühl muss man es auch, glaube ich, herleiten, dass diese Pronomina nicht, wie das der dritten immer, in mehrere Formen nach den Eigenschaften oder Verhältnissen des jedesmaligen Ich und Du (Ich liegender, stehender u.s.f. §. 49.) auseinandergehen, und dass es in keiner Sprache ein Pronomen demonstrativum einer der beiden ersten Personen zu geben scheint.22 Denn die sogar, meiner Erfahrung nach, allen Sprachen eigenthümliche, gleichsam innigere Bestimmung der persönlichen Pronomina durch den Zusatz des Selbst ist nicht eine Spaltung, sondern eine Verstärkung ihres Begriffs. Das Ich und das Du, wie schwer auch ihr Wesen in das deutliche Bewusstseyn gelangt, werden doch von dem Menschen immer nur in der Einen Beziehung empfunden, die sie charakterisirt, und daher kann auch ihr Ausdruck nicht mehrfach seyn. Sie werden wirklich innerlich empfunden, das Ich im Selbstgefühl, das Du in der eigenen Wahl, da hingegen Alles, was sich unter die dritte Person stellt, nur wahrgenommen, gesehen, gehört, äusserlich gefühlt wird. Die hier aufgestellte Thatsache könnte zwar noch zweifelhaft scheinen. Da mehrere Sprachen, namentlich die Sanskritischen, gerade im Pronomen der beiden ersten Personen mehr als Einen Stammlaut haben, so könnte es möglich scheinen, dass diese wenigstens ehemals eine solche verschiedenartige Bedeutung des Ich und Du gehabt hätten. Es ist dies aber durchaus unwahrscheinlich. Diese Mehrheit der Stammformen entsteht entweder bloss zufällig aus zusammengeflossenen Mundarten, oder, wo sie die Casus obliqui vom Nominativus unterscheidet, aus so verschiedener Ansicht dieses Casusverhältnisses, dass daraus zwei[207] Wörter entstanden. Die Malaiische und Japanische Sprache sind vorzugsweise reich an synonymen Pronominalformen. In beiden giebt der höflichere und gröbere Styl Anlass dazu. Im Malaiischen hat nur die Schriftsprache gleichförmige. Die Volksmundarten besitzen, und oft in kleinen Districten, verschiedne. Im Japanischen sind eigne für Kinder, Greise und Weiber. Dagegen kommt kein wahrhaft gespaltenes doppeltes, näheres und entfernteres Ich oder Du vor.23

53a. Die Auffindung des Ursprungs der Pronominal-Wörter der beiden ersten Personen würde, wie schon das Obige zeigt, auch in philosophischer Rücksicht von der grössesten Wichtigkeit seyn. Man würde alsdann sehen, ob und in welchem Grade der ächte Charakter dieser Pronomina schon in der Bezeichnung selbst liegt, oder ihr nur erst durch den Gebrauch gegeben ist. Soll das Erstere der Fall seyn, so müssen sie einen sinnlichen Ausdruck enthalten, welcher auf alle mögliche Individuen, da jedes zum Ich und Du werden kann, passt, und doch den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen bestimmt und als wahren Verhältniss-Gegensatz angiebt. Es muss alsdann zur Bezeichnung ein sinnlicher, und doch von aller qualitativen Verschiedenheit abstrahirender Begriff gebraucht werden, welcher das Ich und das Du in Eine Sphäre umschliesst, innerhalb dieser Sphäre aber eine sich gegenseitig bestimmende Theilung möglich lässt. Ein solcher Begriff ist der Raum, und ich kann zwei Thatsachen anführen, welche deutlich beweisen, dass man den Raum auf den Pronominalbegriff bezogen hat. In dem einen dieser Fälle hat man den Ortsbegriff zu einem so gewöhnlichen Begleiter der drei Pronomina gemacht, dass man sehr oft im Sprechen ihrer nicht mehr zu bedürfen glaubt, sondern bloss ihn ihre Stelle vertreten lässt; doch bleibt er grammatisch sichtbar vom Pronomen geschieden. In dem andren Fall ist er wirklich zum Pronomen[208] geworden, aber auf eine Weise, die eine Vermischung beider Begriffe verräth.

53b. Die Sprache der Tonga-Inseln in der Südsee (die man auch wohl nur als eine Mundart der sogenannten Polynesischen anzusehen pflegt) hat drei Adverbia der Ortsbewegung, die gewöhnlich den Phrasen beigegeben werden, wo ein Verbum eine solche Bewegung gegen eine Person oder Sache enthält, jedoch so, dass sehr häufig bald das Verbum, bald das Pronomen ausgelassen wird. Im letzteren Fall entsprechen die drei Adverbien genau den drei Personen des Pronomen. Im Ganzen findet sich das Nemliche auch in andren Sprachen, namentlich im Deutschen. Denn es ist gerade ebenso, wenn bei uns: komm du her! zum blossen: her! abgekürzt wird. Das Merkwürdige und Eigenthümliche liegt aber in der Stätigkeit des Gebrauchs und ganz besonders in der dreifachen, und genau den drei Personen angepassten Eintheilung der Ortsbewegung. Denn mei ist die Bewegung zum Redenden, atû24 vom Redenden zum[209] Angeredeten, angi vom Redenden zu einer dritten, nicht angeredeten Person oder einer solchen Sache, und wo das Pronomen gesetzt oder ausgelassen ist, und diese Adverbia dasselbe begleiten oder vertreten, gehören sie den drei Personen in der obigen Folge an, und werden nie oder auf irgend eine Weise verwechselt. Da sie aber bloss die Personen bezeichnen, so bilden sie natürlich keinen Unterschied des Numerus. Mei ist sowohl mir als uns. Diese auf die Personen bezogene Ortsabtheilung ist nicht bloss in mehreren Sprachen, sondern mag überall zum Grunde gelegen haben, wo das Pronomen demonstrativum dreifach ist. Im Lateinischen ist dies auch daran sichtbar, dass, wo der Ort desjenigen, mit dem man redet, oder dem man schreibt, gemeint ist, ausschliesslich iste gebraucht wird. Es ist offenbar, dass die Sprache hier abermals ihren Urtypus (§. 47.) angewendet hat. Nur unterscheidet sie, da hier nicht dieselbe Vollständigkeit nothwendig war, hier auch willkührlicher bald nur hier und dort, dieser und jener. Ich und Nicht-ich, bald aber die drei verschiedenen Oerter und Stellungen, und hält im letzteren Fall den Unterschied fester an das Pronominalverhältniss geknüpft, oder lässt ihn lockrer bloss in Grade der Entfernung ausgehen. Nie, soviel mir bekannt ist, kommen vier Ortsabtheilungen im demonstrativen Pronomen vor. Ich möchte dies indess darum doch nicht als einen strengen Beweis des Vorherrschens der Pronominalansicht ansehen. In sich zwar liesse die Rücksicht auf die Entfernung vier und noch mehr Grade zu. Allein der Mensch giebt überhaupt gern, und in der Sprache sehen wir dies an den Steigerungsgraden der Adjective, zwei bestimmt aufgefassten Unterschieden bloss einen dritten, als ein angenommenes Aeusserstes bei, wenn dies Aeusserste auch noch eine gewisse Breite hat. Wenn vom Geben die Rede ist, braucht die Tongische Sprache jene Ortsadverbien so ausschliesslich allein, dass jenes Verbum durch diese unaufhörliche Auslassung in der Sprache ganz untergegangen zu seyn scheint. Denn in Martins Wörterbuch findet sich ein solches Verbum gar nicht, das die andren beiden nahe verwandten Sprachen, die Neu Seeländische und Tahitische[210] doch besitzen. Beispiele der hier erwähnten Wortfügungen sind folgende: mei ia giate au, her dies zu mir, gieb mir dies;25 tëû26 atû ia giate koi, werde-ich hin dies zu dir, ich werde dir dies geben; tëû ofa angi giate ia, werde-ich lieben dorthin zu ihr, ich werde sie lieben; bea behe mei he tûnga fafine, als sprachen her die mehreren Weiber, als sie zu uns sprachen,27 nëû ikéi abé lea atu fukkalotoboto, habe-ich nicht vielleicht gesprochen hin weise-sinnvernünftig, ich habe vielleicht nicht auf vernünftige Art zu euch gesprochen.28 Man hängt auch diese drei Ortsadverbia an Verba an, und die Auslassung der Endvocale dieser, wo Hiatus entstehen würde, und der veränderte Accent beweisen, dass aus dieser Verbindung Ein Wort wird, so dass das Verbum seine Richtung in sich einverleibt trägt, die aber, zum Unterschiede von unsren mit Adverbien verbundenen Verben (hingehen, herfahren), im Sinne des Volks genau eine auf die drei Personen gerichtete ist. Aus tála, erzählen, wird talaméi, mir oder uns, talátû, dir oder euch, talángi,[211] ihm, ihr oder ihnen erzählen.29 In allen diesen Fällen rückt der gewöhnliche Accent von tála auf die betonte Sylbe des Adverbium, auch da, wo diese Betonung der allgemeinen Regel, wie in talaméi widerspricht. Denn in Wörtern von drei Sylben ist eigentlich die mittlere die betonte. Martin schwankt, ob er diese Wörter defective Verba, die zugleich Hülfsverba sind, oder Praepositionen nennen soll, und führt sie beim Pronomen und Adverbium gar nicht an. Sie sind aber offenbar auf die drei Personen des Pronomen bezogene Ortsadverbien. Indess stehen sie in keiner Polynesischen Sprache in etymologischer Verbindung mit dem Pronomen,30 und ihre Verwechslung mit demselben ist bloss Folge elliptischer Redeabkürzung. Noch weniger sind sie, wie Martin zu glauben scheint, das Verbum geben.31

53c. Die Japanische Sprache hat für die dreifache Ortsbezeichnung bei dem Redenden, bei dem Angeredeten und ausserhalb der Stelle beider die drei Wörter ko, so, a, die aber nicht in dieser Einfachheit, sondern als ko-no, so-no, a-no, ko-re, so-re, a-re vorkommen, indem no und re affigirte Sylben sind.32 Nun findet man als Pronomen 2. pers. sonata, und dies (dem ein konata und anata entspricht) ist zusammengesetzt aus dem abgekürzten sono und dem Stamm der Praeposition ata-ri, nahe. Sonata, du, heisst also, wörtlich übersetzt: der bei der Stelle dort, dies Wort,[212] wie das Lateinische istic, genommen.33 Dieser Ausdruck ist aber so in das Pronomen übergegangen, dass, mit völligem Vergessen des Ursprungs, die Praeposition noch einmal hinzugesetzt und sonata atari, bei dir, euch, gesagt wird.34 Auch wird sonata mit allen Casuszeichen verbunden und declinirt. Man hat also hier ein wahres Pronomen 2. pers., ein Du, welchem, ohne dass es der Sprachgebrauch jetzt mehr zu ahnden scheint, ein Ortsbegriff zum Grunde liegt. In vollkommener Analogie hiermit ist konata, der bei der Stelle hier, Pronomen 1. pers. Allein hier geht nun die Verwirrung an. Denn konata wird auch, ganz gegen den wahren Begriff, unter den Pronominalformen der 2. Person aufgeführt, und da als eine Benennung eines Vornehmeren bezeichnet. Man hat also hier scheinbar ein Du hier, und Du dort, was dem oben Gesagten (§. 52.) widerspricht. Vermuthlich aber verhält sich die Sache anders und folgendergestalt. Konata und sonata scheinen, da man sie ausdrücklich mit unsrem Titel Excellenz vergleicht, als Pronomina 3. pers., die man der zweiten anpasst, gebraucht zu werden, obgleich sich dies nicht genau sehen lässt, da das Japanische Verbum die Personen nur vermittelst des Pronomen unterscheidet. Auf diese Weise können sie nie der ersten Person angehören, und sind eine der ursprünglichen Bedeutung der Ortsentfernung nach unterschiedene doppelte Form der dritten, obgleich im Gebrauch auf die zweite angewandt. Zugleich bedient man sich aber derselben beiden Formen, nach Oyangurens ausdrücklichem Zeugniss,35 auch als gemeiner Pronomina unter Leuten gleichen Standes, und dann ist, dem Ortsbegriff genau entsprechend, konata, das hier, erste, sonata, das dort, zweite Person. So begreift es sich, wie konata, nie aber sonata, zur ersten und zweiten zugleich gerechnet werden kann. Doch muss man gestehen, dass Rodriguez und Oyangurens Sprachlehren soviel Spuren[213] der Unvollkommenheit an sich tragen, und so wenig mit einander übereinstimmen,36 dass man sich des Wunsches nicht erwehren kann, erst das Factische über diesen Punkt sichrer und bestimmter festgestellt zu sehen.

53d. In durchgängiger Verbindung aber mit den Ortsbegriffen stehen die Armenischen Pronomina. Ihre ursprünglichen Laute sind nach der Reihe der Personen ss, 2t, n, wie aus den Affixen zu sehen ist. Danach lauten die selbständigen persönlichen Pronomina jes, ich, 2tu, du, 1inku, er.37 Diesen drei Personen entsprechen genau drei verschiedene Demonstrativ-Pronomina, die auch von den Grammatikern Demonstrativa der 1. 2. 3. Person genannt werden, und sich durch dieselben ursprünglichen Pronomina unterscheiden. Sie heissen ssa, der bei mir (Villotte hic) (Cirbied ce, celuici, la personne la plus proche), 2ta, der bei dir, bei dem Angeredeten[214] (Villotte iste) (Cirbied celui là, la personne un peu éloignée), na, der bei ihm, bei dem Dritten (Villotte ille) (Cirbied celui là, la personne la plus éloignée). Die beiden Begriffe,38 der nach der Stellung der beiden Redenden bestimmte Ort, und der des Grades der Entfernung verbinden sich nicht nur in den drei Demonstrativ-Pronominen, sondern auch in den Affixen, die, nach Massgabe des Zusammenhanges und Bedürfnisses der Rede, bald nur allgemein und im Ganzen den letzteren, bald zugleich bestimmt den ersteren bezeichnen. Das Ortsadverbium der ersten Person hat gleichfalls den Pronominallaut derselben, asd, hier. Dagegen scheint die 2. und 3. Person nur ein und eben dasselbe Adverbium 2ant zu haben.39 Aus dem hier Gesagten erhellet, dass genau dieselben Consonanten das Personen- und Raumverhältniss andeuten. Die Adverbia scheinen abgeleitet zu seyn. Aber die Demonstrativa und die beiden ersten der persönlichen Pronomina sind einfache Verbindungen Eines Consonanten mit Einem Vocal. Es giebt daher kaum einen etymologischen Grund, die einen mehr, als die andren für Primitiva zu halten.

54. Diese beiden Beispiele zeigen, wenn auch das Ortsverhältniss in dem ersten gar nicht zum Pronomen gemacht, und in dem zweiten nicht rein zu dem selben geworden ist, deutlich, wie leicht ein Volk seine Pronomina aus diesen Ortsadverbien hernehmen könnte. Es hat mir dies um so wichtiger geschienen, als es ein Beweis mehr ist, wie die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, vorzugsweise geeignet sind, die in der Sprache so häufig vorkommende Uebertragung abgezogner oder schwer zu versinnlichender Begriffe in concrete zu vermitteln. Ein Ausdruck der Neuseeländischen Sprache kommt der Bezeichnung des du auf eine schöner anschauliche Weise sehr nahe, und enthält eine sinnliche Analogie, die in andren Sprachen zur Bildung[215] dieses Pronominallauts hätte dienen können. Diese Sprache bildet bei mehreren Wörtern den Vocativus nicht so, dass sie den ihm eigenthümlichen Anruf e vor den Nominativus setzt, sondern braucht ein ganz eignes Wort für denselben. So ist matûa der Vater, tâma îne die Tochter, aber o Vater e pâ, o Tochter e kô. Es ist dies ein in die Sprache übergegangener höchst natürlicher Redegebrauch. Der Vocativus tritt gänzlich aus der Reihe der übrigen Casus heraus. Indem diese zur objectiven, aus dem Subject hinausgestellten Rede dienen, verbindet er durch eine Handlung des Willens, oder durch eine Empfindung unmittelbar das Subject mit dem Gegenstand, er kann zugleich in den meisten Fällen als der Casus der zweiten Pronominalperson betrachtet werden. Es begreift sich daher leicht, dass man für ihn innigere Ausdrücke, wie , oder kürzere, wie (eigentlich Mädchen) ist, braucht. Will man nun einen Menschen überhaupt, für den man keine besondre Benennung hat, anreden, so giebt es dafür ein eignes, in der Beziehung auf Menschen, allein im Vocativ gebräuchliches Wort mâra. Nach Lee's Erklärung40 heisst dies eine demjenigen, der sie anredet, gegenüberstehende Person. E mâra, gebraucht wie unser rufendes du, ihr, heisst also wörtlich o gegenüber. Zugleich aber, und dies ist sichtlich der ursprünglichere Begriff, heisst mâra ein offener, der Sonne ausgesetzter Platz, und ist dasselbe Wort mit mârama, hell, erleuchtet, Licht. Diese Metapher ist also hier auf das im Gegenüberstehen frei entfaltet da liegende, entgegenleuchtende menschliche Gesicht angewendet. Wir könnten es ganz treu durch o Antlitz! übersetzen. Der Ortsbegriff hat damit nur mittelbar zu schaffen. Diese Abschweifung über die Natur des Pronomen[216] schien mir nothwendig, weil die ursprüngliche Stellung, welche dasselbe wirklich in der Sprache einnimmt, durch die ihm in unsren Grammatiken angewiesene gewissermassen verdunkelt wird. Ich nehme nun wieder den Hauptfaden unsrer Untersuchung auf.

55. Wir haben gesehen, dass der Begriff der Geselligkeit nicht entbehrt werden kann, wenn man den einfachen Act des Denkens zu zergliedern versucht, das selbe wiederholt sich aber auch im geistigen Leben des Menschen unaufhörlich; die gesellige Mittheilung gewährt ihm Ueberzeugung und Anregung. Die Denkkraft bedarf etwas ihr Gleiches und doch von ihr Geschiedenes. Durch das Gleiche wird sie entzündet, durch das von ihr Geschiedne erhält sie einen Prüfstein der Wesenheit ihrer innern Erzeugungen. Obgleich der Quell der Wahrheit, des unbedingt Festen für den Menschen nur in seinem Inneren liegen kann, so ist das Anringen seines geistigen Strebens an sie immer mit Gefahren der Täuschung umringt. Klar und unmittelbar nur seine veränderliche Beschränktheit fühlend, muss er sie sogar als etwas ausser ihm Liegendes ansehn, und das mächtigste Mittel ihr nahe zu kommen, seinen Abstand von ihr zu messen, ist die gesellige Vereinigung mit Andren. So ist die Sprache ein nothwendiges Erforderniss zur ersten Erzeugung des Gedanken, und zur fortschreitenden Ausbildung des Geistes.

56. Die geistige Mittheilung setzt, von dem Einen zum Andren übergehend, in diesem etwas ihm mit jenem Gemeinsames voraus. Man versteht das gehörte Wort nur, weil man es selbst hätte sagen können. Es kann in der Seele nichts, als durch eigne Thätigkeit vorhanden seyn, und das Verstehen ist ebensowohl, als das Sprechen, selbst eine Anregung der Sprachkraft, nur in ihrer innern Empfänglichkeit, wie dieses in seiner äusseren Thätigkeit. Es ist daher dem Menschen auch so natürlich, das eben Verstandene gleich wieder auszusagen. Die Sprache liegt mithin in jedem Menschen in ihrem ganzen Umfange, was aber nichts anders sagen will, als dass jeder ein durch eine bestimmt modificirte Kraft, anstossend und beschränkend, geregeltes Streben[217] besitzt, die ganze Sprache, wie es äussere oder innere Veranlassung herbeiführt, nach und nach hervorzubringen, und hervorgebracht zu verstehen. Diese modificirende Kraft ist, wie jede, natürlich eine individuelle, aber nach allen den Gattungsbegriffen individualisirt, vermöge welcher jede Gattung gegen eine allgemeinere höhere als Individuum genommen werden kann. Sie ist mithin die allgemeine Sprachkraft, bestimmt durch den Völkerstamm, die Nation, die Mundart, dann in ihren Lautzeichen feststehend, ferner in der Art des Gebrauches bestimmt durch alle inneren Beschaffenheiten und äusseren Zufälligkeiten, die das Gemüth mächtig genug ergreifen, um die Wirkung in der Sprache fühlbar zu machen, zuletzt bestimmt durch die in keine allgemeinere Kategorie mehr zu bringende Individualität. Jede dieser bis zum Allgemeinsten aufsteigenden Stufen bildet eine Sprachsphäre, die durch das allem unter ihr Begriffenen Gemeinsame, und durch das von dem ausser ihr Befindlichen Verschiedne abgegränzt wird. Die factische Sprachuntersuchung kann in diesen verschiedenen Sphären nur von den untersten zu den höheren aufsteigen. Aber die allgemeine betrachtende muss an dem so gesammelten Stoff auch den umgekehrten Gang versuchen, bei den verschiedenen in Betrachtung kommenden Punkten, z.B. beim Alphabet, die sich factisch ergebenden Gränzen der menschlichen Sprache überhaupt abstecken, in diesem weiten Gebiete die kleineren, wieder einander untergeordneten Sprachgattungen absondern, und überall darauf sehen, ob und wie die Eigenthümlichkeiten jeder von diesen sich unter einen Begriff fassen lassen. Denn aufzusuchen, wie das Besondre in seinem geschichtlichen Daseyn ein durch die Idee gegebenes Ganzes bildet, ist der Zweck jeder historischphilosophischen, vorzüglich aber der Sprachuntersuchung.

57. Jede Vielfachheit des in sich Gleichartigen führt diese Aufgabe mit sich, und sie wird zu einem doppelt dringenden Bedürfniss da, wo die Untersuchung, wie bei der Sprache, nicht bloss dahin leiten soll, zu erkennen und darzustellen, sondern zugleich und hauptsächlich bildend zurückzuwirken. Den allgemeinen Zusammenhang der Sprachen[218] erklärt nun zwar allerdings die Gleichartigkeit der menschlichen Natur, in der ähnliche Kräfte nach gleichen Gesetzen wirken. Eine tiefere Untersuchung und vollere Würdigung der Sprache scheint mir aber noch viel weiter und auf einen Punkt zu führen, zu dem ich bis jetzt nur durch leichtere Betrachtungen den Weg habe bahnen wollen, und auf dem keine weitere Erklärung möglich ist, wie denn keine metaphysische d.h. auf die Ergründung des Seyns an sich gehende Untersuchung weiter als an das Ende des zu Erklärenden zu leiten vermag. Mir nun – denn ich spreche dies lieber in dem Tone innerer Ueberzeugung, als mit der Zuversicht allgemeiner Behauptung aus – scheint das Wesen der Sprache verkannt, der geistige Process ihrer Entstehung (nicht der an sich, sondern auch der im jedesmaligen Sprechen und Verstehen) nur scheinbar erklärt, und ihre mächtige Einwirkung auf das Gemüth unrichtig gewürdigt zu werden, wenn man das Menschengeschlecht als zahllose zu Einer Gattung gehörende Naturen, und nicht vielmehr als Eine in zahllose Individuen zerspaltene betrachtet, eine Ansicht, zu der man auch in ganz andren Beziehungen, als in der der Sprache, und von ganz anderen Punkten aus gelangt. Die Verschiedenheit der beiden einander gegenübergestellten Behauptungen ist einleuchtend, da die innere Verwandtschaft des Menschengeschlechts nach der letzteren auf der Einheit des Wesens desselben, nach der ersteren nur auf der Einheit der Idee beruht, welche dasselbe, betrachtend oder schaffend, zusammenfasst.

58. In der Art dieser Verwandtschaft liegt das Geheimniss der menschlichen Individualität verschlossen, das man zugleich als das des menschlichen Daseyns ansehen kann. Es ist der Punkt, in dem sich in einem auf den irdischen folgenden Zustande vorzüglich eine Verschiedenheit erwarten lässt, die dann, wenn Bewusstseyn beide Zustände verknüpfte, zugleich eine durchgängige Umänderung aller bisherigen Ansichten hervorbringen würde. Erklären und ergründen lässt sich dies Geheimniss nicht, aber zur richtigen Erklärung der Erscheinungen und zur Richtung des[219] intellectuellen Strebens muss man sich hüten, das wahre Wesen jener Verwandtschaft der menschlichen Individualität zu verkennen, es bloss aus logischen und discursiven Begriffen schöpfen zu wollen, statt es in der Tiefe des inneren Gefühls, und in einem die Untersuchung bis zu ihren Endpunkten verfolgenden Nachdenken aufzufassen. Man gewinnt daher schon, wenn man die im Vorigen als die richtige angegebene Ansicht auch nur in der Form geahndeter Möglichkeit als eine warnende stehen lässt, sich nicht in die entgegengesetzte zu verschliessen.

59. Was für mich am überzeugendsten für die Einheit der menschlichen Natur in der Verschiedenheit der Individuen spricht, ist das oben Gesagte: dass auch das Verstehen ganz auf der inneren Selbstthätigkeit beruht, und das Sprechen mit einander nur ein gegenseitiges Wecken des Vermögens des Hörenden ist. Das Begreifen von Worten ist durchaus etwas Andres, als das Verstehen unarticulirter Laute, und fasst weit mehr in sich, als das blosse gegenseitige Hervorrufen des Lauts und des angedeuteten Gegenstandes. Das Wort kann allerdings auch als untheilbares Ganzes genommen werden, wie man selbst in der Schrift wohl den Sinn einer Wortgruppe erkennt, ohne noch ihrer alphabetischen Zusammensetzung gewiss zu seyn, und es wäre möglich, dass die Seele des Kindes in den ersten Anfängen des Verstehens so verführe. So wie aber nicht bloss das thierische Empfindungsvermögen, sondern die menschliche Sprachkraft angeregt wird (und es ist viel wahrscheinlicher, dass es im Kinde keinen Moment giebt, wo dies, wenn auch noch so schwach, nicht der Fall wäre), so wird auch das Wort, als articulirt, vernommen. Nun aber ist dasjenige, was die Articulation dem blossen Hervorrufen seiner Bedeutung (welches natürlich auch durch sie in höherer Vollkommenheit geschieht) hinzufügt, dass sie das Wort unmittelbar durch seine Form als einen Theil eines unendlichen Ganzen, einer Sprache, darstellt. Denn es ist durch sie, auch in einzelnen Wörtern, die Möglichkeit gegeben, aus den Elementen dieser eine wirklich bis ins Unbestimmte gehende Anzahl anderer Wörter nach bestimmenden Gefühlen und[220] Regeln zu bilden, und dadurch unter allen Wörtern eine Verwandtschaft, entsprechend der Verwandtschaft der Begriffe, zu stiften. Die Seele würde aber von diesem künstlichen Mechanismus gar keine Ahndung erhalten, die Articulation ebensowenig, als der Blinde die Farbe, begreifen, wenn ihr nicht eine Kraft beiwohnte, jene Möglichkeit zur Wirklichkeit zu bringen. Denn die Sprache kann ja nicht als ein daliegender, in seinem Ganzen übersehbarer, oder nach und nach mittheilbarer Stoff, sondern muss als ein sich ewig erzeugender angesehen werden, wo die Gesetze der Erzeugung bestimmt sind, aber der Umfang und gewissermassen auch die Art des Erzeugnisses gänzlich unbestimmt bleiben. Das Sprechenlernen der Kinder ist nicht ein Zumessen von Wörtern, Niederlegen im Gedächtniss, und Wiedernachlallen mit den Lippen, sondern ein Wachsen des Sprachvermögens durch Alter und Uebung. Das Gehörte thut mehr, als bloss sich mitzutheilen, es schickt die Seele an, auch das noch nicht Gehörte leichter zu verstehen, macht längst Gehörtes, aber damals halb oder gar nicht Verstandenes, indem die Gleichartigkeit mit dem eben Vernommenen der seitdem schärfer gewordenen Kraft plötzlich einleuchtet, klar, und schärft den Drang und das Vermögen, aus dem Gehörten immer mehr und schneller in das Verständniss hinüberzuziehen, immer weniger davon als blossen Klang vorüberrauschen zu lassen. Die Fortschritte geschehen daher auch nicht, wie etwa beim Vocabellernen, in gleichmässigem, nur durch die verstärkte Uebung des Gedächtnisses wachsendem Verhältniss, sondern in beständig sich selbst steigerndem, da die Erhöhung der Kraft und die Gewinnung des Stoffs sich gegenseitig verstärken und erweitern. Dass bei den Kindern nicht ein mechanisches Lernen der Sprache, sondern eine Entwicklung der Sprachkraft vorgeht, beweist auch, dass allen menschlichen Kräften ein gewisser Zeitpunkt im Lebensalter zu ihrer Entwicklung angewiesen ist, und dass unter den verschiedenartigsten Umständen alle Kinder ungefähr in demselben, nur innerhalb eines kurzen Zeitraums schwankenden Alter sprechen und verstehen. Wie aber könnte sich der Hörende bloss[221] durch das Wachsen seiner eignen sich abgeschieden in ihm entwickelnden Kraft des Gesprochenen bemeistern, wenn nicht in dem Sprechenden und Hörenden dasselbe, nur individuel und zu gegenseitiger Angemessenheit getrennte Wesen wäre, so dass ein so feines, aber gerade aus der tiefsten und vollsten Natur desselben geschöpftes Zeichen, wie der articulirte Laut ist, hinreicht, beide auf übereinstimmende Weise, vermittelnd, anzuregen?

60. Indem die Absonderung und Vermischung der Nationen die Menschen aus einander oder zusammen rückt, tritt die Trennung der Individualität mehr oder weniger der Einheit des Wesens entgegen. Aber die Einheit der menschlichen Natur überhaupt beweist sich auch darin, dass Kinder jedes Volkes, vom Mut terschoosse in jedes fremde versetzt, ihr Sprachvermögen in dessen Sprache entwickeln. Da die Unmöglichkeit eines mechanischen Erlernens der Sprache im Vorigen bewiesen ist, so kann diese Erscheinung nicht gerade umgekehrt als ein Beweis angeführt werden, dass die Sprache bloss ein Wiedergeben des Gehörten sey, und ohne Rücksicht auf Einheit oder Verschiedenheit des Wesens vom Umgang abhange. Ihr Grund liegt allein darin, dass der Mensch überall Eins mit dem Menschen ist, und die Entwicklung des Sprachvermögens daher an jedem andren gegebenen, in seinem Erzeugniss noch so verschiedenen geschehen kann. Gerade aber die Vertheilung in Nationen beweist die gar nicht äusserliche, sondern ganz innerliche Natur der Sprache, indem sie die Gewalt der Abstammung auf sie zeigt. Der Einfluss dieser auf die Stimmwerkzeuge ist von selbst klar, da sie doch individuell und der Sprache der Völker gemäss modificirt seyn müssen, und nun im Aneignen und Widerstreben diese Modification jeder Wirkung auf sie beimischen. Nichts aber steht so vereinzelt im Menschen, und auch das intellectuelle Sprachvermögen kennt gewiss eine solche stammartige Anlage. Auch in jenen ausserordentlichen Fällen früher Versetzung in ganz fremde Nationen würde feinere Beobachtung die Wirkungen dieses Einflusses nicht verkennen. Achtete man nur hinlänglich auf Erscheinungen dieser Art, so liessen sich selbst[222] in dem feinsten und geistigsten Gebrauche der Sprache, in der Literatur der Nationen, Individuen aufweisen, die, von Kindheit an ihrer Sprache, die sie nicht einmal erlernten, entfremdet, doch immer im Gebrauche der angeeigneten verriethen, dass ihre ursprüngliche Bestimmung zu einer andren, gegen die Natur ihres Wesens, verrückt worden war. Der innige Zusammenhang der Sprache mit der physischen Abstammung, und dadurch ihr Ursprung aus der Tiefe des Wesens und die durch die Abstammung bedingte Einheit der menschlichen Natur gehen auch aus den gewöhnlichen Thatsachen hervor, dass die vaterländische Sprache für die Gebildeten und Ungebildeten eine viel grössere Stärke und Innigkeit besitzt, als eine fremde, dass sie das Ohr, nach langer Entbehrung, mit einer Art plötzlichen Zaubers begrüsst und in der Ferne mit Sehnsucht berührt, dass dies gar nicht auf dem Geistigen in derselben, dem ausgedruckten Gedanken oder Gefühle, sondern gerade auf dem Unerklärlichen, dem Individuellsten, auf ihrem Laute beruht, dass es ist, als wenn man mit dem heimischen einen Theil seines Selbst vernähme.

61. Ich habe im Vorigen (§. 31-60.) die Sprache als Organ des Denkens dargestellt, und mich bemüht ihr in der Thätigkeit ihres Erzeugens zu folgen. Ich wende mich jetzt zu dem durch das Sprechen, oder vielmehr durch das Denken in Sprache Erzeugten. Auch hier findet sich, dass die Vorstellungsart, als thue die Sprache nicht mehr, als die an sich wahrgenommenen Gegenstände zu bezeichnen, weit entfernt ist, ihren tiefen und vollen Gehalt zu erschöpfen. Ebensowenig als ein Begriff ohne sie möglich ist, ebensowenig kann es für die Seele ein Gegenstand seyn, da ja jeder äussere Gegenstand nur vermittelst des Begriffes für sie Wesenheit erhält. In die Bildung und den Gebrauch der Sprache geht nothwendig die ganze Art der subjectiven Wahrnehmung der Gegenstände über. Denn das Wort entsteht ja aus dieser Wahrnehmung, und ist nicht ein Abdruck des Gegenstandes an sich, sondern des von diesem in der Seele erzeugten Bildes. Da aller objectiven Wahrnehmung unvermeidlich Subjectivitaet beigemischt ist, so kann man[223] schon unabhängig von der Sprache jede menschliche Individualität als einen eignen Standpunkt der Weltansicht betrachten. Sie wird aber noch viel mehr dazu durch die Sprache, da das Wort sich, der Seele gegenüber, auch wieder selbst zum Object macht, und eine neue, vom Subject sich absondernde Eigenthümlichkeit hinzubringt, so dass nunmehr in dem Begriffe ein Dreifaches liegt, der Eindruck des Gegenstandes, die Art der Aufnahme desselben im Subject, die Wirkung des Worts, als Sprachlaut. In dieser letzten herrscht in derselben Sprache nothwendig eine durchgehende Analogie, und da nun auch auf die Sprache in derselben Nation eine gleichartige Subjectivitaet einwirkt, so liegt in jeder Sprache eine eigenthümliche Weltansicht. Dieser Ausdruck überschreitet auf keine Weise das Mass der einfachen Wahrheit. Denn der Zusammenhang aller Theile der Sprache unter einander, und der ganzen Sprache mit der Nation ist so enge, dass, wenn einmal diese Wechselwirkung eine bestimmte Richtung angiebt, daraus nothwendig durchgängige Eigenthümlichkeit hervorgehen muss. Weltansicht aber ist die Sprache nicht bloss, weil sie, da jeder Begriff soll durch sie erfasst werden können, dem Umfange der Welt gleichkommen muss, sondern auch deswegen, weil erst die Verwandlung, die sie mit den Gegenständen vornimmt, den Geist zur Einsicht des von dem Begriff der Welt unzertrennlichen Zusammenhanges fähig macht. Denn erst indem sie den Eindruck der Wirklichkeit auf die Sinne und die Empfindung in das, als Organ des Denkens eigen vorbereitete Gebiet der articulirten Töne hinüberführt, wird die Verknüpfung der Gegenstände mit den klaren und reinen Ideen möglich, in welchen der Weltzusammenhang ans Licht tritt. Der Mensch lebt auch hauptsächlich mit den Gegenständen, so wie sie ihm die Sprache zuführt, und da Empfinden und Handlen in ihm von seinen Vorstellungen abhängt, sogar ausschliesslich so. Durch denselben Act, vermöge welches der Mensch die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in dieselbe ein, und jede Sprache zieht um die Nation, welcher sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist,[224] als man zugleich in den Kreis einer andren Sprache hinübertritt. Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht seyn, da jede das ganze Gewebe der Begriffe und der Vorstellungsweise eines Theils der Menschheit enthält. Da man aber in eine fremde Sprache immer mehr oder weniger seine eigne Welt- ja seine eigne Sprachansicht hinüberträgt, so wird dieser Erfolg nie rein und vollständig empfunden.

62. Ich habe bisher mehr von dem Sprechen, als von der Sprache gehandelt. Aus dem Sprechen aber erzeugt sich die Sprache, ein Vorrath von Wörtern und System von Regeln, und wächst, sich durch die Folge der Jahrtausende hinschlingend, zu einer von dem jedesmal Redenden, dem jedesmaligen Geschlecht, der Nation, ja zuletzt selbst von der Menschheit in gewisser Art unabhängigen Macht an. Wir sind im Vorigen darauf aufmerksam geworden, dass der in Sprache aufgenommene Gedanke für die Seele zum Object wird, und insofern eine Wirkung auf sie ausübt, die ihr fremd ist. Aber wir haben das Object vorzüglich als aus dem Subject entstanden, die Wirkung als aus demjenigen, worauf sie zurückwirkt, hervorgegangen betrachtet. Jetzt tritt die entgegengesetzte Ansicht ein, nach welcher die Sprache wirklich ein fremdes Object, ihre Wirkung wirklich aus etwas andrem, als worauf sie wirkt, hervorgegangen ist. Denn die Sprache muss nothwendig (§. 47.) zweien angehören, und gehört in der That dem ganzen Menschengeschlecht an, da sie nun auch in der Schrift den schlummernden Gedanken dem Geiste erweckbar erhält, so bildet sie sich ein eigenthümliches Daseyn, das zwar immer nur in jedesmaligem Denken Geltung erhalten kann, aber in seiner Totalitaet von diesem unabhängig ist. Die beiden hier angeregten, einander entgegengesetzten Ansichten, dass die Sprache der Seele fremd und ihr angehörend, von ihr unabhängig und abhängig ist, verbinden sich wirklich in ihr, und machen die Eigenthümlichkeit ihres Wesens aus. Es muss dieser Widerstreit auch nicht so gelöst werden, dass sie zum Theil fremd und unabhängig und zum Theil beides[225] nicht sey. Die Sprache ist gerade insofern Object und selbständig, als sie Subject und abhängig ist. Denn sie hat nirgends, auch in der Schrift nicht, eine bleibende Stätte, sondern muss immer im Denken aufs neue erzeugt werden, und folglich ganz in das Subject übergehen; es liegt aber in dem Act dieser Erzeugung, sie gerade ebenso zum Object zu machen; sie erfährt auf diesem Wege jedesmal die ganze Einwirkung des Individuums, aber diese Einwirkung ist schon in sich durch das, was sie wirkt und gewirkt hat, gebunden. Die wahre Lösung jenes Gegensatzes liegt in der oben (§. 57.) angeführten Einheit der menschlichen Natur. Was aus dem stammt, was eigentlich mit mir Eins ist, darin gehen die Begriffe des Subjects und Objects, der Abhängigkeit und Unabhängigkeit in einander über. Die Sprache gehört mir an, weil ich sie hervorbringe. Sie gehört mir nicht an, weil ich sie nicht anders hervorbringen kann, als ich thue, und da der Grund hiervon in dem Sprechen und Gesprochenhaben aller Menschengeschlechter liegt, soweit Sprachmittheilung ohne Unterbrechung unter ihnen gewesen seyn mag, so ist es die Sprache selbst, von der ich diese Einschränkung erfahre. Allein was mich in ihr beschränkt und bestimmt, ist in sie aus menschlicher, mit mir innerlich zusammenhangender Natur gekommen, und das Fremde in ihr ist daher nur meiner augenblicklichen individuellen, nicht meiner ursprünglichen wahren Natur fremd.

63. Der fremde Einfluss, welchem der Mensch im Gebrauche der Sprache unterliegt, ist aber, ausser demjenigen, welchen sie selbst ausübt, bei ihrem engen Zusammenhange mit seinem ganzen übrigen Wesen auch noch der, welchen dieses durch Abstammung, umgebende Lage, und Art des gemeinsamen Lebens erfährt. Muss man sich daher auf der einen Seite hüten, eine Sprache ganz aus den auf die Nation einwirkenden Umständen zu erklären, so darf man auf der andren nicht vergessen, dass auch eine geschichtlich unläugbar überkommene Sprache durch die Nation unglaublich scheinende Abänderungen erleiden kann. Mit dieser zwiefachen Reihe verketteter Wirkungen hat man es bei Sprachuntersuchungen überall zu thun. Denn wie alle das Menschengeschlecht[226] geschichtlich betreffende, versetzen sie immer nur in eine Mitte der Dinge, und einen Anfang sich denken, oder gar erklären zu wollen, würde auf leere Voraussetzungen führen. Auch da, wo weder Geschichte noch Ueberlieferung von einem früheren Zustand Kenntniss geben, und einen allgemeineren Zusammenhang zeigen, muss man es daher doch immer als eine Aufgabe für die überall hin gerichtete Aufmerksamkeit ansehen, irgend einen zu finden.

64. Wenn man bedenkt, wie auf die jedesmalige Generation in einem Volk Alles das bindend einwirkt, was die Sprache desselben alle vorigen Jahrhunderte hindurch erfahren hat, und wie damit nur die Kraft der einzelnen Generation in Berührung tritt, und diese nicht einmal rein, da das aufwachsende und abtretende Geschlecht untermischt neben einander leben, so wird klar, wie gering eigentlich die Kraft des Einzelnen gegen die Macht der Sprache ist. Nur durch die ungemeine Bildsamkeit der letzteren, durch die Möglichkeit, von der ich weiter unten reden werde, ihre Formen, dem allgemeinen Verständniss unbeschadet, auf sehr verschiedene Weise aufzunehmen, und durch die Gewalt, welche alles lebendig Geistige über das todt Ueberlieferte ausübt, wird das Gleichgewicht wieder einigermassen hergestellt. Doch ist es immer die Sprache, in welcher jeder Einzelne am lebendigsten fühlt, dass er nichts als ein Ausfluss des ganzen Menschengeschlechts ist. Nur weil doch jeder einzeln und unaufhörlich auf sie zurückwirkt, bringt demungeachtet jede Generation eine Veränderung in ihr hervor, die sich nur oft der Beobachtung entzieht. Denn die Veränderung liegt nicht immer in den Wörtern und Formen selbst, sondern bisweilen nur in dem anders modificirten Gebrauche derselben, und dies letztere ist, wo Schrift und Literatur mangeln, schwieriger wahrzunehmen.

65. Die Rückwirkung des Einzelnen auf die Sprache wird noch einleuchtender, wenn man, was zur scharfen Begränzung der Begriffe nicht fehlen darf, bedenkt, dass die Individualität einer Sprache (wie man das Wort gewöhnlich nimmt) auch nur vergleichungsweise eine solche ist, dass[227] aber die wahre Individualität nur in dem jedesmal Sprechenden liegt. Erst im Individuum erhält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit, und dies erst vollendet den Begriff. Eine Nation hat freilich im Ganzen dieselbe Sprache, allein schon nicht alle Einzelnen in ihr, wie wir gleich im Folgenden sehen werden, ganz dieselbe, und geht man noch weiter in das Feinste über, so besitzt wirklich jeder Mensch seine eigne. Keiner denkt bei dem Wort gerade das, was der andre, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wenn man die Sprache mit dem beweglichsten aller Elemente vergleichen will, durch die ganze Sprache fort. Bei jedem Denken und Empfinden kehrt, vermöge der Einerleiheit der Individualitaet, dieselbe Verschiedenheit zurück, und bildet eine Masse aus einzeln Unbemerkbarem. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen, eine Wahrheit, die man auch im praktischen Leben trefflich benutzen kann, alle Uebereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen, Dies wird nur da nicht sichtbar, wo es sich unter der Allgemeinheit des Begriffs und der Empfindung verbirgt; wo aber die erhöhete Kraft die Allgemeinheit durchbricht, und auch für das Bewusstseyn schärfer individualisirt, da tritt es deutlich ans Licht. So wird niemand abläugnen, dass jeder bedeutende Schriftsteller seine eigene Sprache besitzt. Zwar lässt sich entgegnen, dass man unter Sprache nur eben jene Allgemeinheit der Formen, Wörter und Regeln versteht, welche gerade verschiedenartiger Individualitaet Raum erlaubt, und diese Bestimmung des Begriffs ist allerdings in vielfacher Hinsicht zweckmässig. Wo aber von ihrem Einfluss die Rede ist, kommt es doch auf ihre wahre, wirkende Kraft an, und da muss sie in der ganzen Individualität ihrer Wirklichkeit genommen werden. Die angeregte Ansicht lässt sich daher nicht aus dem Gebiete auch der allgemeinsten Sprachuntersuchung verbannen. Es giebt mehrere Stufen, auf denen die Allgemeinheit der Sprachformen sich auf diese Weise individualisirt, und das individualisirende Princip ist dasselbe: das Denken und Sprechen in einer bestimmten Individualität. Dadurch entsteht die Verschiedenheit in[228] der Sprache der Einzelnen, wie der Nationen. Es ist überall nur ein Mehr oder Weniger. Man muss daher bis zur letzten Stufe herabsteigen. Man könnte zwar die Gränze da finden wollen, wo die Sprache, wenn auch individuell nuancirt, sich doch derselben Wörter bedient. Aber auch dies ist schon bei den verschiedenen Classen einer Nation nicht ganz der Fall, und selbst der Einzelne braucht einige vorzugsweise, bedient sich andrer, gleichsam als ihm fremder, schliesst noch andre ganz aus, und bildet sich dadurch, auch ausser den Abweichungen in der Bedeutung, sein eignes Wörterbuch.

66. Die Modificirung der Sprache in jedem Individuum zeigt eine Gewalt des Menschen über die Sprache, so wie wir im Vorigen ihre Macht über ihn dargestellt haben. Diese letztere kann man (wenn man den Ausdruck auf geistige Kräfte anwenden will) als ein physiologisches Wirken ansehen, jene erstere, von ihm ausgehende, ist ein rein dynamisches, in dem auf ihn ausgeübten Einfluss liegt die Gesetzmässigkeit der Sprache, in der aus ihm kommenden Rückwirkung das Princip ihrer Freiheit. Denn es kann im Menschen etwas aufsteigen, dessen Grund kein Verstand in den vorhergehenden Zuständen aufzufinden vermag, und man würde die Natur der Sprache verkennen, und gerade die geschichtliche Wahrheit ihrer Entstehung und Umänderung verletzen, wenn man die Möglichkeit solcher unerklärbaren Erscheinungen von ihr ausschliessen wollte. Ist aber auch die Freiheit an sich unbestimmbar und unerklärbar, so lassen sich doch ihre Gränzen innerhalb eines gewissen Spielraums auffinden, und die Sprachuntersuchung muss die Erscheinung der Freiheit erkennen und ehren, aber ihren Gränzen sorgfältig nachspüren, um nicht in den Sprachen durch Freiheit für möglich zu halten, was es nicht ist.[229]

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 3, Darmstadt 1963, S. 191-230.
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