[Kommentare]

[414] 1. Durch die Verbindung der Seele und durch den Willen entsteht in dem Körper und in seinen Theilen Bewegung in der Form von Muskelthätigkeit. Die Hand steht hier für den Körper und seine Theile. In dieser Bewegung in der Form von Muskelthätigkeit ist die inhärirende Ursache der Körper und seine Theile, die nicht-inhärirende Ursache die Verbindung mit der Seele, und die Mittelursache der Willen. V.

2. Durch eine solche (tathâ) Verbindung mit der Hand, d.h. durch die Verbindung mit der Muskelthätigkeit der Hand, welche mit der wollenden Seele verbunden ist, entsteht Bewegung in der Mörserkeule. Das »Und« fasst die im Sûtra nicht ausdrücklich angeführte Schwere u.s.w. zusammen. Demnach ist in der Bewegung der Mörserkeule diese die inhärirende Ursache, eine solche Verbindung der Hand mit der Mörserkeule die nicht-inhärirende, und der Wille der Seele sowie die Muskelthätigkeit der Hand die Mittelursache. V.

Etwas verschieden davon der Upaskâra: Hier ist die Verbindung der Mörserkeule mit der Hand, welche verbunden ist mit der wollenden Seele, die nicht-härente Ursache, die Mörserkeule die inhärirende, und Wille und Schwere die Mittelursache.

Ich verbinde tathâ nicht, wie U. und V., mit hasta- sanyogât (durch eine solche Vereinigung der Hand), sondern fasse es als den Ausspruch des vorigen Sûtra, und supplire mushalasya, weil die Erklärungen derselben zu künstlich sind und noch weitere Erklärungen nöthig machen.

3. Wenn hier auch eine Verbindung der Hand mit der nach oben gehenden Mörserkeule Statt findet, so ist jene Verbindung doch nicht die wahre Ursache; vielmehr ist der Schlag des Mörsers die nicht-inhärente Ursache. Weshalb? »Weil sie verschieden ist«, d.h. weil der Willen fehlgeht. U.

Unter Schlag ist hier ein zufälliger, von dem Willen unabhängiger Schlag zu verstehen.

4. »In der Bewegung der Hand«, welche mit der Mörserkeule [409] nach oben geht, ist »die Verbindung der Seele«, die Verbindung der wollenden Seele, »auf dieselbe Weise«, nicht Ursache. U.

5. Wie beim Aufsteigen der Mörserkeule das Eisen, welches an der Spitze der Mörserkeule sich befindet, in die Höhe geht, so geht auch die Hand zu gleicher Zeit in die Höhe. Schlag meint hier metaphorisch die durch den Schlag erzeugte Wiederhervorbringung (sanskâra). U.

Durch den Schlag auf den Mörser entsteht Geschwindigkeit in der Mörserkeule; sodann entspringt Geschwindigkeit auch in der Hand durch ihre Verbindung mit der mit Geschwindigkeit begabten Mörserkeule; dadurch findet das in die Höhe Gehen der Hand Statt. Auf diese Weise ist beides, die Verbindung mit dem mit Geschwindigkeit begabten Mörser, und die Geschwindigkeit die Ursache des Aufsteigens der Hand, nicht aber der Willen, oder dessen Verbindung mit der Seele. V.

Der Ausdruck âtmâ (Seele) meint metaphorisch einen Theil des Körpers, indem, wo kein logischer Zusammenhang (bei einer wörtlichen Erklärung) Statt findet, die metaphorische Erklärung ihr Recht hat. Demnach, die Bewegung, welche in einem Körpertheile, der Hand, Statt findet, entsteht durch die Verbindung der Hand mit der Mörserkeule. Durch das »Und« wird die Geschwindigkeit eingeschlossen. In der Bewegung der Hand ist die Verbindung der Hand die nicht-inhärirende Ursache. Hier giebt es kein Fehlgehen. Diese Verbindung ist (nämlich) zuweilen die Verbindung mit der wollenden Seele, zuweilen die Verbindung der Hand mit der mit Geschwindigkeit begabten Mörserkeule u.s.w., wie die Bewegung der Körpertheile bei dem Irren. U.

6. Die Bewegung eines Theils des Körpers entsteht durch die Verbindung der wollenden Seele und durch die Verbindung einer, mit Geschwindigkeit begabten Substanz. Der Ausdruck »Hand« bezeichnet etwas, was Muskelthätigkeit hat, und der volle Sinn ist, die Verbindung zwischen zwei Substanzen, wovon die eine Muskelthätigkeit, und die andere Geschwindigkeit hat. V.

Dies Sûtra ist seines aphoristischen Ausdrucks wegen ganz unverständlich. Will man nicht den Text als verdorben voraussetzen, so kann man sich die Erklärung des Upaskâra gefallen lassen. Offenbar soll hier nichts Neues gelehrt, sondern nur das Frühere entweder bekräftigt oder zusammengefasst werden.

[410] 7. Der Ausdruck »Verbindung« dient hier lediglich zur Bezeichnung eines Hindernisses. Demnach, bei dem Nicht-Dasein eines Hindernisses entsteht durch die Schwere, als nicht-inhärirende Ursache, das Fallen, eine Bewegung, deren Resultat eine Verbindung nach unten ist. Hier denn ist bei einer Frucht u.s.w., welche Schwere hat, die Verbindung (derselben mit dem Baume) das Hinderniss (ihres Fallens), bei einem Vogel u.s.w. das regelmässige Wollen, beim Abschnellen eines Pfeiles u.s.w. die Wiederhervorbringung (sanskâra). Der Sinn ist, dass beim Nicht-Dasein jener Hindernisse, der Fall, abhängig von der Schwere, geschieht. U.

Die Vivriti erwähnt noch als ein Beispiel, dass die Erde und andere Welten, wegen der Verbindung mit dem Willen Gottes, nicht fallen.

8. Die Bewegung eines Schwere habenden Erdkloses oder Pfeiles nach oben oder nach der Seite geschieht durch einen besondern, d.h. stärkeren Wurf. Demnach beim Fallen einer Frucht, eines Vogels, eines Pfeiles u.s.w., welches beim Nicht-Vorhanden sein der Verbindung, des Wollens, und der Wiederhervorbringung Statt findet, giebt es keine Bewegung nach der Seite, oder nach oben. U.

10. Von einem besonderen Willen in der Form des Wunsches, ich will seitwärts, in die Höhe, weit, oder nahe werfen, entspringt ein besonderer Wurf, und von diesem die Bewegung nach der Seite, oder in die Höhe eines Schwere habenden Dinges, wie eines Erdkloses u.s.w. U.

11. Wenn auch das Bewegen der Hände, Füsse u.s.w. beim Knaben vom Willen abhängt, so geschieht es doch nicht mit Rücksicht auf ein Gut oder Uebel; auch ist es nicht die Ursache des Verdienstes oder der Sünde. U.

12. Wenn ein Verbrecher ein Haus anzündet, und der darin befindliche Mann verbrannt wird, so ist die Bewegung der Hand u.s.w., welche durch den Willen, den Verbrecher zu tödten, entsteht, weder die Ursache eines Verdienstes, noch einer Sünde. U.

[411] Dagegen einfacher die Vivriti: Wenn etwas Brennendes, ein Körper, ein Haus, eine Frucht u.s.w., zerreisst, und die Theile desselben nach der Seite, oder nach oben sich bewegen, so ist die Ursache (dieser Bewegung) nicht das Werfen, welches durch einen bestimmten Willen hervorgebracht wird.

13. Sie geschieht nämlich durch den Lebenswind. U.

14. Gras bedeutet hier alle dergleichen ähnliche Dinge. U.

15. Edelstein bedeutet hier mit Wasser gefüllte Gefässe von Gold u.s.w. Um gestohlene Sachen zu erhalten, werden Zauberformeln mit Bezug auf ein solches Gefäss von den Kundigen gebraucht. Ein solches Gefäss nun steht auf dem Boden. Legt nun irgend ein Anderer die rechte Hand darauf, so bewegt sich durch die Kraft der Zauberformel das Gefäss mit der Hand nach dem Orte, wo die gestohlenen Sachen sich befinden, und bleibt hier feststehen. Also verkündet es eine alte Sage. Bei einer solchen Bewegung des Gefässes ist nicht ein besonderer Wille die Ursache, sondern das Verdienst des früheren Eigenthümers, oder die Missethat des Diebes ist die Mittel-Ursache, die nicht-inhärirende Ursache ist die Verbindung eines solchen Gefässes mit der Seele, welche ein solches Geschick hat, und die inhärirende Ursache ist ein solches Gefäss. V. Das Sich-Nähern einer Nadel, eines eisernen Stiftes (?) an einen Magnet geschieht ebenfalls durch das Geschick. V.

16. Der Sinn ist: Ein Aufhören der Bewegung wird, nach der Verbindung der sich mit Geschwindigkeit bewegenden Pfeile u.s.w. mit einem Körper u.s.w., eben in dem daseienden Pfeile u.s.w. bemerkt. Hier ist zwar eine Zerstörung des von dem Substrat Abhängigen1, aber kein Zerstörendes, indem das Substrat (nämlich der Pfeil u.s.w.) bleibt. Auch wird keine andere entgegengesetzte Eigenschaft wahrgenommen (welche die Bewegung auf höbe). Deshalb muss man schliessen, dass die Verbindung, welche durch die Bewegung selbst hervorgebracht wird, das ist, was die Bewegung zerstört. Diese im vierten Augenblicke (nach der Entstehung der Bewegung) hervorgebrachte Verbindung zerstört die Bewegung. Zur Erklärung: (Zuerst) Entstehen der Bewegung, dann [412] Trennung (des bewegten Dinges), dann Zerstörung der früheren Verbindung (welche der bewegte Körper mit einem anderen hatte), (dann) die nachfolgende Verbindung (des bewegten mit einem anderen Körper), (und zuletzt) Zerstörung der Bewegung. Demnach ist der Sinn, die nicht-gleichzeitigen besonderen Verbindungen belehren uns, dass die Bewegung mehrfach ist. Es wird gesagt »die besonderen Verbindungen«; das Besondere in der Verbindung ist eben das durch sie selbst (die Bewegung) Hervorgebracht-Werden; sonst, wäre die Verbindung allein das, was die Bewegung zerstörte, so würde die Bewegung nirgends einen Haltpunkt haben. U.

Die nicht-gleichzeitigen, zu verschiedenen Zeiten entstandenen, besonderen Verbindungen des Pfeils, des vom Bogen geschnellten Pfeils, d.h. die aufeinander folgenden Verbindungen, sind die Ursachen der Verschiedenheit der Bewegung, der Mehrheit der Bewegung, welche der Pfeil hat. Der Singular »Ursache«, ist eine dem Rishi erlaubte Freiheit des Ausdrucks, und meint den Plural. Demnach, weil es Gesetz ist, dass die Bewegung von der durch sie selbst hervorgebrachten im vierten Augenblicke (nach dem Anfang der Bewegung) entstandenen nachfolgenden Verbindung zerstört wird, und weil wegen der Unmöglichkeit eines Stützpunktes im fünften Augenblicke und in den darauf folgenden, ein Stützpunkt für eine Bewegung vom Anfange des ersten Fortschreitens des Pfeils bis zu seinem Falle unmöglich ist, so muss man nothwendig zugestehen, dass verschiedene Bewegungen entstehen, welche durch die von ihnen selbst hervorgebrachten nachfolgenden Verbindungen zerstört werden.

17. Die erste Bewegung eines abgeschnellten Pfeils entsteht durch den von dem Willen des Menschen angezogenen Bogen. Hier ist das Werfen die nicht-inhärirende Ursache, der Pfeil die inhärirende, der Wille und die Schwere die Mittelursachen. Deshalb entspringt durch die erste Bewegung die Geschwindigkeit genannte, gleichbedeutende Selbst-Wiederhervorbringung; denn dass etwas mit Geschwindigkeit sich bewegt, ist durch die Wahrnehmung erwiesen. Durch diese Selbst-Wiederhervorbringung entspringt nun in demselben Pfeile Bewegung. Hier ist die Selbst-Wiederhervorbringung die nicht-inhärirende Ursache, der Pfeil die inhärirende, die Mittelursache das starke, besondere Werfen. Auf dieselbe Weise entsteht durch die bis zum Falle des Pfeils fortdauernde Selbst-Wiederhervorbringung die folgende und folgende Fortsetzung der Bewegung. Weil bei der Zerstörung der Bewegung durch die von ihr selbst hervorgebrachte nachfolgende Verbindung die fernere Bewegung[413] durch die Selbst-Wiederhervorbringung entspringt, so ist eben nur eine und dieselbe Selbst-Wiederhervorbringung die Ursache der fortgesetzten Bewegung. Nicht nöthig ist es jedoch, gleich der Fortsetzung der Bewegung, auch eine Fortsetzung der Selbst-Wiederhervorbringung anzunehmen, weil dies komplizirt wäre. Um dies zu zeigen, wird gesagt: »Auf dieselbe Weise die folgende und folgende«, und »durch die von dieser Bewegung verursachte Selbst-Wiederhervorbringung«, wo dieses im Singular steht. Nach der Annahme der Nyâya aber wäre die Annahme der Fortsetzung der Selbst-Wiederhervorbringung, gleich der der Bewegung, komplizirt. Dass von zwei gleichzeitig geworfenen Pfeilen der eine stärker, der andere schwächer sich bewegt, davon ist die Stärke oder Schwäche des Werfens die Mittelursache. U.

18. Auf diese Weise würde nun wohl der Pfeil für immer sich bewegen, und niemals wieder fallen? Dar auf antwortet das Sûtra: Wenn die Selbst-Wiederhervorbringung, d.h. die durch die erste Bewegung verursachte Geschwindigkeit, nicht da ist, aufgehoben ist, so entspringt durch die Schwere als Ursache der Fall des Pfeils u.s.w. Die Zeit, in welcher eine bestimmte Geschwindigkeit dauert, zerstört in ihrem letzten Augenblicke die Geschwindigkeit. Zuweilen wird die Geschwindigkeit auch durch die Verbindung mit einer anderen Substanz zerstört. V.

Fußnoten

1 In dem âçraya des Textes finde ich keinen Sinn, und lese deshalb statt desselben âçrayana.

Quelle:
Die Lehrsprüche der Vaiçeshika-Philosophie von Kaṇâda. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 21, Leipzig 1867, S. 309–420, S. 409-415.
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