Dritte Betrachtung.
Von dem schlechterdings notwendigen Dasein
1. Begriff der absolut notwendigen Existenz überhaupt

[642] Schlechterdings notwendig ist, dessen Gegenteil an sich selbst unmöglich ist. Dieses ist eine ungezweifelt richtige Nominal-Erklärung. Wenn ich aber frage: worauf kommt es denn an, damit das Nichtsein eines Dinges schlechterdings unmöglich sei? so ist das, was ich suche, die Realerklärung, die uns allein zu unserm Zwecke etwas nutzen kann. Alle unsere Begriffe von der inneren Notwendigkeit, in den Eigenschaften möglicher Dinge, von welcher Art sie auch sein mögen, laufen darauf hinaus, daß das Gegenteil sich selber widerspricht. Allein wenn es auf eine schlechterdings notwendige Existenz ankommt, so würde man mit schlechtem Erfolg, durch das nämliche Merkmal, bei ihr etwas zu verstehen suchen. Das Dasein ist gar kein Prädikat, und die Aufhebung des Daseins keine Verneinung eines Prädikats, wodurch etwas in einem Dinge sollte aufgehoben werden, und ein innerer Widerspruch entstehen können. Die Aufhebung eines existierenden Dinges ist eine völlige Verneinung alle desjenigen, was schlechthin oder absolute durch sein Dasein gesetzt würde. Die logische Beziehungen zwischen dem Dinge als einem Möglichen und seinen Prädikaten bleiben gleichwohl. Allein diese sind ganz was anders, als die Position des Dinges zusamt seinen Prädikaten schlechthin, als worin das Dasein besteht. Demnach wird nicht eben dasselbe, was in dem Dinge gesetzt wird, sondern was anders durch das Nichtsein aufgehoben, und ist demnach hierin niemals ein Widerspruch. In der letztern Betrachtung dieses Werks wird alles dieses in dem Falle, da man die absolutnotwendige Existenz wirklich vermeinet hat durch den Satz des Widerspruchs zu begreifen, durch eine klare Entwickelung dieser Untauglichkeit überzeugender gemacht werden. Man kann indessen die Notwendigkeit, in den Prädikaten[642] bloß möglicher Begriffe, die logische Notwendigkeit nennen. Allein diejenige, deren Hauptgrund ich aufsuche, nämlich die des Daseins, ist die absolute Realnotwendigkeit. Ich finde zuerst: daß, was ich schlechterdings als nichts und unmöglich ansehen soll, das müsse alles Denkliche vertilgen. Denn bliebe dabei noch etwas zu denken übrig, so wäre es nicht gänzlich undenklich, und schlechthin unmöglich.

Wenn ich nun einen Augenblick nachdenke, weswegen dasjenige, was sich widerspricht, schlechterdings nichts und unmöglich sei, so bemerke ich: daß, weil dadurch der Satz des Widerspruchs, der letzte logische Grund alles Denklichen, aufgehoben wird, alle Möglichkeit verschwinde, und nichts dabei mehr zu denken sei. Ich nehme daraus alsbald ab, daß, wenn ich alles Dasein überhaupt aufhebe, und hiedurch der letzte Realgrund alles Denklichen wegfällt, gleichfalls alle Möglichkeit verschwindet, und nichts mehr zu denken bleibt. Demnach kann etwas schlechterdings notwendig sein, entweder wenn durch sein Gegenteil das Formale alles Denklichen aufgehoben wird, das ist, wenn es sich selbst widerspricht, oder auch, wenn sein Nichtsein das Materiale zu allem Denklichen, und alle Data dazu aufhebt. Das erste findet, wie gesagt, niemals beim Dasein statt, und weil kein Drittes möglich ist, so ist entweder der Begriff von der schlechterdings notwendigen Existenz gar ein täuschender und falscher Begriff, oder er muß darin beruhen, daß das Nichtsein eines Dinges zugleich die Verneinung von den Datis zu allen Denklichen sei. Daß aber dieser Begriff nicht erdichtet, sondern etwas Wahrhaftes sei, erhellet auf folgende Art.




2. Es existiert ein schlechterdings notwendiges Wesen

Alle Möglichkeit setzet etwas Wirkliches voraus, worin und wodurch alles Denkliche gegeben ist. Demnach ist eine gewisse Wirklichkeit, deren Aufhebung selbst alle innere Möglichkeit überhaupt aufheben würde. Dasjenige aber,[643] dessen Aufhebung oder Verneinung alle Möglichkeit vertilgt, ist schlechterdings notwendig. Demnach existiert etwas absolut notwendiger Weise. Bis dahin erhellet, daß ein Dasein eines oder mehrerer Dinge selbst aller Möglichkeit zum Grunde liege, und daß dieses Dasein an sich selbst notwendig sei. Man kann hieraus auch leichtlich den Begriff der Zufälligkeit abnehmen. Zufällig ist nach der Worterklärung, dessen Gegenteil möglich ist. Um aber die Sacherklärung davon zu finden, so muß man auf folgende Art unterscheiden. Im logischen Verstande ist dasjenige, als ein Prädikat, an einem Subjekte zufällig, dessen Gegenteil demselben nicht widerspricht. Z. E. Einem Triangel überhaupt ist es zufällig, daß er rechtwinklicht sei. Diese Zufälligkeit findet lediglich bei der Beziehung der Prädikate zu ihren Subjekten statt, und leidet, weil das Dasein kein Prädikat ist, auch gar keine Anwendung auf die Existenz. Dagegen ist im Realverstande zufällig dasjenige, dessen Nichtsein zu denken ist, das ist, dessen Aufhebung nicht alles Denkliche aufhebt. Wenn demnach die innere Möglichkeit der Dinge ein gewisses Dasein nicht voraussetzt, so ist dieses zufällig, weil sein Gegenteil die Möglichkeit nicht aufhebt. Oder: Dasjenige Dasein, wodurch nicht das Materiale zu allem Denklichen gegeben ist, ohne welches also noch etwas zu denken, das ist, möglich ist, dessen Gegenteil ist im Realverstande möglich, und das ist in eben demselben Verstande auch zufällig.


3. Das notwendige Wesen ist einig

Weil das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller andern Möglichkeit enthält, so wird ein jedes andere Ding nur möglich sein, in so fern es durch ihn als einen Grund gegeben ist. Demnach kann ein jedes andere Ding nur als eine Folge von ihm statt finden, und ist also aller andern Dinge Möglichkeit und Dasein von ihm abhängend. Etwas aber, was selbst abhängend ist, enthält nicht den letzten Realgrund aller Möglichkeit, und ist demnach nicht schlechterdings notwendig. Mithin können nicht mehrere Dinge absolut notwendig sein.[644]

Setzet, A sei ein notwendiges Wesen, und B ein anderes. So ist, vermöge der Erklärung, B nur in so fern möglich, als es durch einen andern Grund A, als die Folge desselben gegeben ist. Weil aber vermöge der Voraussetzung B selber notwendig ist, so ist seine Möglichkeit in ihm als ein Prädikat, und nicht als eine Folge aus einem andern, und doch nur als eine Folge laut dem vorigen gegeben, welches sich widerspricht.


4. Das notwendige Wesen ist einfach

Daß kein Zusammengesetztes aus viel Substanzen ein schlechterdings notwendiges Wesen sein könne, erhellet auf folgende Art. Setzet, es sei nur eins seiner Teile schlechterdings notwendig, so sind die andern nur insgesamt als Folgen durch ihn möglich, und gehören nicht zu ihm als Nebenteile. Gedenket euch, es wären mehrere oder alle notwendig, so widerspricht dieses der vorigen Nummer. Es bleibt demnach nichts übrig, als sie müssen ein jedes besonders zufällig, alle aber zusammen schlechterdings notwendig existieren. Nun ist dieses aber unmöglich, weil ein Aggregat von Substanzen nicht mehr Notwendigkeit im Dasein haben kann, als denen Teilen zukommt, und da diesen gar keine zukommt, sondern ihre Existenz zufällig ist, so würde auch die des Ganzen zufällig sein. Wenn man gedächte, sich auf die Erklärung des notwendigen Wesens berufen zu können, so daß man sagte, in jeglichem derer Teile wären die letzten Data einiger innern Möglichkeit, in allen zusammen alles Mögliche gegeben, so würde man etwas ganz Ungereimtes, nur auf eine verborgene Art vorgestellet haben. Denn wenn man sich alsdenn die innere Möglichkeit so gedenket, daß einige können aufgehoben werden, doch so, daß übrigens, was durch die andere Teile noch Denkliches gegeben worden, bliebe, so müßte man sich vorstellen, es sei an sich möglich, daß die innere Möglichkeit verneinet oder aufgehoben werde. Es ist aber gänzlich undenklich und widersprechend, daß etwas nichts sei, und dieses will so viel sagen: eine innere Möglichkeit aufheben ist alles Denkliche vertilgen,[645] woraus erhellet, daß die Data zu jedem Denklichen in demjenigen Dinge müssen gegeben sein, dessen Aufhebung auch das Gegenteil aller Möglichkeit ist, daß also, was den letzten Grund von einer innern Möglichkeit enthält, ihn auch von aller überhaupt enthalte, mithin dieser Grund nicht in verschiedenen Substanzen verteilt sein könne.




5. Das notwendige Wesen ist unveränderlich und ewig

Weil selbst seine eigene Möglichkeit, und jede andere dieses Dasein voraussetzt, so ist keine andere Art der Existenz desselben möglich, das heißt, es kann das notwendige Wesen nicht auf vielerlei Art existieren. Nämlich alles, was da ist, ist durchgängig bestimmt, da dieses Wesen nun lediglich darum möglich ist, weil es existiert, so findet keine Möglichkeit desselben statt, außer in so fern es in der Tat da ist; es ist also auf keine andere Art möglich, als wie es wirklich ist. Demnach kann es nicht auf andere Art bestimmt oder verändert werden. Sein Nichtsein ist schlechterdings unmöglich, mithin auch sein Ursprung und Untergang, demnach ist es ewig.


6. Das notwendige Wesen enthält die höchste Realität

Da die Data zu aller Möglichkeit in ihm anzutreffen sein müssen, entweder als Bestimmungen desselben, oder als Folgen, die durch ihn als den ersten Realgrund gegeben sein, so sieht man, daß alle Realität auf eine oder andere Art durch ihn begriffen sei. Allein eben dieselbe Bestimmungen, durch die dieses Wesen der höchste Grund ist von anderer möglichen Realität, setzen in ihm selber den größesten Grad realer Eigenschaften, der nur immer einem Dinge beiwohnen kann. Weil ein solches Wesen also das realste unter allen möglichen ist, indem so gar alle andere nur durch dasselbe möglich sein, so ist dieses nicht so zu verstehen, daß[646] alle mögliche Realität zu seinen Bestimmungen gehöre. Dieses ist eine Vermengung der Begriffe, die bis dahin ungemein geherrscht hat. Man erteilt alle Realitäten Gott, oder dem notwendigen Wesen ohne Unterschied als Prädikate, ohne wahrzunehmen, daß sie nimmermehr in einem einzigen Subjekt als Bestimmungen neben einander können statt finden. Die Undurchdringlichkeit der Körper, die Ausdehnung u.d.g. können nicht Eigenschaften von demjenigen sein, der da Verstand und Willen hat. Es ist auch umsonst, eine Ausflucht darin zu suchen, daß man die gedachte Beschaffenheiten nicht vor wahre Realität halte. Es ist ohne allen Zweifel der Stoß eines Körpers oder die Kraft des Zusammenhanges etwas wahrhaftig Positives. Eben so ist der Schmerz in den Empfindungen eines Geistes nimmermehr eine bloße Beraubung. Ein irriger Gedanke hat eine solche Vorstellung dem Scheine nach gerechtfertigt. Es heißt, Realität und Realität widersprechen einander niemals, weil beides wahre Bejahungen sein; demnach wider streiten sie auch einander nicht in einem Subjekte. Ob ich nun gleich einräume, daß hier kein logischer Widerstreit sei, so ist dadurch doch nicht die Realrepugnanz gehoben. Diese findet jederzeit statt, wenn etwas als ein Grund die Folge von etwas andern durch eine reale Entgegensetzung vernichtigt. Die Bewegungskraft eines Körpers nach einer Direktion, und die Tendenz mit gleichem Grade in entgegengesetzter stehen nicht im Widerspruche. Sie sind auch wirklich zugleich in einem Körper möglich. Aber eine vernichtigt die Realfolge aus der andern, und da sonst von jeder insbesondere die Folge eine wirkliche Bewegung sein würde, so ist sie jetzt von beiden zusammen in einem Subjekte 0, das ist, die Folge von diesen entgegen gesetzten Bewegungskräften ist die Ruhe. Die Ruhe aber ist ohne Zweifel möglich, woraus man denn auch sieht, daß die Realrepugnanz ganz was anders sei als die logische, oder der Widerspruch; denn das, was daraus folgt, ist schlechterdings unmöglich. Nun kann aber in dem allerrealsten Wesen keine Realrepugnanz oder positiver Widerstreit seiner eigenen Bestimmungen sein, weil die Folge davon eine Beraubung oder Mangel sein würde,[647] welches seiner höchsten Realität widerspricht, und da, wenn alle Realitäten in demselben als Bestimmungen lägen, ein solcher Widerstreit entstehen müßte, so können sie nicht insgesamt als Prädikate in ihm sein, mithin weil sie doch alle durch ihn gegeben sein, so werden sie entweder zu seinen Bestimmungen oder Folgen gehören.

Es könnte auch beim ersten Anblick scheinen zu folgen: daß, weil das notwendige Wesen den letzten Realgrund aller andern Möglichkeit enthält, in ihm auch der Grund der Mängel und Verneinungen derer Wesen der Dinge liegen müsse, welches, wenn es zugelassen würde, auch den Schluß veranlassen dürfte, daß es selbst Negationen unter seinen Prädikaten haben müsse, und nimmermehr nichts als Realität. Allein man richte nur seine Augen auf den einmal festgesetzten Begriff desselben. In seinem Dasein ist seine eigene Möglichkeit ursprünglich gegeben. Dadurch, daß es nun andere Möglichkeiten sein, wovon es den Realgrund enthält, folgt nach dem Satze des Widerspruchs, daß es nicht die Möglichkeit des realsten Wesens selber, und daher solche Möglichkeiten, welche Verneinungen und Mängel enthalten, sein müssen.

Demnach beruhet die Möglichkeit aller andern Dinge, in Ansehung dessen, was in ihnen real ist, auf dem notwendigen Wesen, als einem Realgrunde, die Mängel aber darauf, weil es andere Dinge und nicht das Urwesen selber sind, als einem logischen Grunde. Die Möglichkeit des Körpers, in so fern er Ausdehnung, Kräfte u. d. g. hat, ist in dem obersten alle Wesen gegründet; in so ferne ihm die Kraft zu denken gebricht, so liegt diese Verneinung in ihm selbst, nach dem Satz des Widerspruchs.

In der Tat sind Verneinungen an sich selbst nicht etwas, oder denklich, welches man sich leichtlich auf folgende Art faßlich machen kann. Setzet nichts als Negationen, so ist gar nichts gegeben, und kein Etwas, das zu denken wäre. Verneinungen sind also nur durch die entgegengesetzte Positionen denklich, oder vielmehr, es sind Positionen möglich, die nicht die größte sein. Und hierin liegen schon, nach[648] dem Satze der Identität die Verneinungen selber. Es fällt auch leicht in die Augen, daß alle den Möglichkeiten anderer Dinge beiwohnende Vereinigungen keinen Realgrund (weil sie nichts Positives sind), mithin lediglich einen logischen Grund voraussetzen.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 642-649.
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