Viertes Hauptstück.
Metaphysische Anfangsgründe der Phänomenologie
Erklärung

[122] Materie ist das Bewegliche, so fern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann.


Anmerkung

Bewegung ist, so wie alles, was durch Sinne vorgestellt wird, nur als Erscheinung gegeben. Damit ihre Vorstellung Erfahrung werde, dazu wird noch erfodert, daß etwas durch den Verstand gedacht werde, nämlich zu der Art, wie die Vorstellung dem Subjekte inhäriert, noch die Bestimmung eines Objekts durch dieselbe. Also wird das Bewegliche, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung, wenn ein gewisses Objekt (hier also ein materielles Ding) in Ansehung des Prädikats der Bewegung als bestimmt gedacht wird. Nun ist aber Bewegung Veränderung der Relation im Raume. Es sind also hier immer zwei Correlata, deren einem in der Erscheinung erstlich eben so gut wie dem anderen die Veränderung beigelegt, und dasselbe entweder, oder das andere bewegt genannt werden kann, weil beides gleichgültig ist, oder zweitens, deren eines in der Erfahrung mit Ausschließung des anderen als bewegt gedacht werden muß, oder drittens, deren beide notwendig durch Vernunft als zugleich bewegt vorgestellt werden müssen. In der Erscheinung, die nichts als die Relation in der Bewegung (ihrer Veränderung nach) enthält, ist nichts von diesen Bestimmungen enthalten; wenn aber das Bewegliche als ein solches, nämlich seiner Bewegung nach, bestimmt gedacht werden soll, d.i. zum Behuf einer möglichen Erfahrung, ist es nötig, die Bedingungen anzuzeigen, unter welchen der Gegenstand (die Materie) auf eine oder andere Art durch das Prädikat der Bewegung bestimmt werden müsse. Hier ist nicht die Rede von Verwandlung des[122] Scheins in Wahrheit, sondern der Erscheinung in Erfahrung; denn beim Scheine ist der Verstand mit seinen einen Gegenstand bestimmenden Urteilen jederzeit im Spiele, obzwar er in Gefahr ist, das Subjektive für objektiv zu nehmen; in der Erscheinung aber ist gar kein Urteil des Verstandes anzutreffen; welches nicht bloß hier, sondern in der ganzen Philosophie anzumerken nötig ist, weil man sonst, wenn von Erscheinungen die Rede ist, und man nimmt diesen Ausdruck für einerlei der Bedeutung nach mit dem des Scheins, jederzeit übel verstanden wird.


Lehrsatz 1

Die geradlinichte Bewegung einer Materie in Ansehung eines empirischen Raumes ist, zum Unterschiede von der entgegengesetzten Bewegung des Raums, ein bloß mögliches Prädikat. Eben dasselbe in gar keiner Relation auf eine Materie außer ihr, d.i. als absolute Bewegung gedacht, ist unmöglich.


Beweis

Ob ein Körper im relativen Raume bewegt, dieser aber ruhig genannt werde, oder, umgekehrt, dieser in entgegengesetzter Richtung gleich geschwinde bewegt, dagegen jener ruhig genannt werden solle, ist kein Streit über das, was dem Gegenstande, sondern nur seinem Verhältnisse zum Subjekt, mithin der Erscheinung und nicht der Erfahrung, zukommt. Denn, stellt sich der Zuschauer in demselben Raume als ruhig, so heißt ihm der Körper bewegt; stellt er sich (wenigstens in Gedanken) in einem andern und jenen umfassenden Raum, in Ansehung dessen der Körper gleichfalls ruhig ist, so heißt jener relative Raum bewegt. Also ist in der Erfahrung (einer Erkenntnis, die das Objekt für alle Erscheinungen gültig bestimmt) gar kein Unterschied zwischen der Bewegung des Körpers im relativen Raume, oder der Ruhe des Körpers im absoluten und der entgegengesetzten gleichen Bewegung des relativen Raums. Nun ist die[123] Vorstellung eines Gegenstandes durch eines von zweien Prädikaten, die in Ansehung des Objekts gleichgeltend sind und sich nur in Ansehung des Subjekts und seiner Vorstellungsart von einander unterscheiden, nicht die Bestimmung nach einem disjunktiven, sondern bloß die Wahl nach einem alternativen Urteile (deren das erstere von zweien objektiv entgegengesetzten Prädikaten eines mit Ausschließung des Gegenteils, das andere aber von objektiv zwar gleichgeltenden, subjektiv aber einander entgegengesetzten Urteilen, ohne Ausschließung des Gegenteils vom Objekt – also durch bloße Wahl – eines zur Bestimmung desselben annimmt);7 das heißt: durch den Begriff der Bewegung, als Gegenstandes der Erfahrung, ist es an sich unbestimmt, mithin gleichgeltend, ob ein Körper im relativen Raume, oder dieser in Ansehung jenes als bewegt vorgestellt werde. Nun ist dasjenige, was in Ansehung zweier einander entgegengesetzter Prädikate an sich unbestimmt ist, so fern bloß möglich. Also ist die geradlinichte Bewegung einer Materie im empirischen Raume, zum Unterschiede von der entgegengesetzten gleichen Bewegung des Raumes, in der Erfahrung ein bloß mögliches Prädikat; welches das erste war.

Da ferner eine Relation, mithin auch eine Veränderung derselben, d.i. Bewegung, nur so fern ein Gegenstand der Erfahrung sein kann, als beide Korrelate Gegenstände der Erfahrung sind; der reine Raum aber, den man auch, im Gegensatze gegen den relativen (empirischen), den absoluten Raum nennt, kein Gegenstand der Erfahrung und überall nichts ist: so ist die geradlinichte Bewegung ohne Beziehung auf irgend etwas Empirisches, d.i. die absolute Bewegung, schlechterdings unmöglich, welches das zweite war.


Anmerkung

Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Bewegung in Ansehung der Phoronomie.
[124]



Lehrsatz 2

Die Kreisbewegung einer Materie ist, zum Unterschiede von der entgegengesetzten Bewegung des Raums, ein wirkliches Prädikat derselben; dagegen ist die entgegengesetzte Bewegung eines relativen Raums, statt der Bewegung des Körpers genommen, keine wirkliche Bewegung des letzteren, sondern, wenn sie dafür gehalten wird, ein bloßer Schein.


Beweis

Die Kreisbewegung ist (so wie jede krummlinichte) eine kontinuierliche Veränderung der geradlinichten, und, da diese selbst eine kontinuierliche Veränderung der Relation in Ansehung des äußeren Raumes ist, so ist die Kreisbewegung eine Veränderung der Veränderung dieser äußeren Verhältnisse im Raume, folglich ein kontinuierliches Entstehen neuer Bewegungen. Weil nun nach dem Gesetze der Trägheit eine Bewegung, so fern sie entsteht, eine äußere Ursache haben muß, gleichwohl aber der Körper in jedem Punkte dieses Kreises (nach eben demselben Gesetze) für sich in der den Kreis berührenden geraden Linie fortzugehen bestrebt ist, welche Bewegung jener äußeren Ursache entgegenwirkt, so beweiset jeder Körper in der Kreisbewegung durch seine Bewegung eine bewegende Kraft. Nun ist die Bewegung des Raumes, zum Unterschiede der Bewegung des Körpers bloß phoronomisch, und hat keine bewegende Kraft. Folglich ist das Urteil, daß hier entweder der Körper, oder der Raum, in entgegengesetzter Richtung bewegt sei, ein disjunktives Urteil, durch welches, wenn das eine Glied, nämlich die Bewegung des Körpers, gesetzt ist, das andere, nämlich die des Raumes, ausgeschlossen wird; also ist die Kreisbewegung eines Körpers, zum Unterschiede von der Bewegung des Raums, wirkliche Bewegung, folglich die letztere, wenn sie gleich der Erscheinung nach mit der ersteren übereinkommt, dennoch im Zusammenhange aller Erscheinungen, d.i. der möglichen Erfahrung, dieser widerstreitend, also nichts als bloßer Schein.


Anmerkung

[125] Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Bewegung in Ansehung der Dynamik; denn eine Bewegung, die nicht ohne den Einfluß einer kontinuierlich wirkenden äußern bewegenden Kraft stattfinden kann, beweiset, mittelbar oder unmittelbar, ursprüngliche Bewegkräfte der Materie, es sei der Anziehung oder Zurückstoßung. – Übrigens kann Newtons Scholium zu den Definitionen, die er seinen Princ. Phil. Nat. Math. vorangesetzt hat, gegen das Ende, hierüber nachgesehen werden, aus welchem erhellet, daß die Kreisbewegung zweier Körper um einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt (mithin auch die Achsendrehung der Erde), selbst im leeren Raume, also ohne alle durch Erfahrung mögliche Vergleichung mit dem äußeren Raume, dennoch vermittelst der Erfahrung könne erkannt werden, daß also eine Bewegung, die eine Veränderung der äußeren Verhältnisse im Raume ist, empirisch gegeben werden könne, obgleich dieser Raum selbst nicht empirisch gegeben und kein Gegenstand der Erfahrung ist, welches Paradoxon aufgelöset zu werden verdient.


Lehrsatz 3

In jeder Bewegung eines Körpers, wodurch er in Ansehung eines anderen bewegend ist, ist eine entgegengesetzte gleiche Bewegung des letzteren notwendig.




Beweis

Nach dem dritten Gesetze der Mechanik (Lehrs. 4) ist die Mitteilung der Bewegung der Körper nur durch die Gemeinschaft ihrer ursprünglich bewegenden Kräfte und diese nur durch beiderseitige entgegengesetzte und gleiche Bewegung möglich. Die Bewegung beider ist also wirklich. Da aber die Wirklichkeit dieser Bewegung nicht (wie im zweiten Lehrsatze) auf dem Einflusse äußerer Kräfte beruht, sondern aus dem Begriffe der Relation des Bewegten im Raume zu jedem anderen dadurch Beweglichen unmittelbar und[126] unvermeidlich folgt, so ist die Bewegung des letzteren notwendig.


Anmerkung

Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Bewegung in Ansehung der Mechanik. – Daß übrigens diese drei Lehrsätze die Bewegung der Materie in Ansehung ihrer Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit, mithin in Ansehung aller dreien Kategorien der Modalität bestimmen, fällt von selbst in die Augen.


Allgemeine Anmerkung zur Phänomenologie

Es zeigen sich also hier drei Begriffe, deren Gebrauch in der allgemeinen Naturwissenschaft unvermeidlich, deren genaue Bestimmung um deswillen notwendig, obgleich eben nicht so leicht und faßlich ist, nämlich der Begriff der Bewegung im relativen (beweglichen) Raume, zweitens der Begriff der Bewegung im absoluten (unbeweglichen) Raume, drittens der Begriff der relativen Bewegung überhaupt, zum Unterschiede von der absoluten. Allen wird der Begriff des absoluten Raumes zum Grunde gelegt. Wie kommen wir aber zu diesem sonderbaren Begriffe, und worauf beruht die Notwendigkeit seines Gebrauchs?

Er kann kein Gegenstand der Erfahrung sein; denn der Raum ohne Materie ist kein Objekt der Wahrnehmung, und dennoch ist er ein notwendiger Vernunftbegriff, mithin nichts weiter, als eine bloße Idee. Denn, damit Bewegung auch nur als Erscheinung gegeben werden könne, dazu wird eine empirische Vorstellung des Raums, in Ansehung dessen das Bewegliche sein Verhältnis verändern soll, erfodert, der Raum aber, der wahrgenommen werden soll, muß material, mithin, dem Begriffe einer Materie überhaupt zu Folge, selbst beweglich sein. Um ihn nun bewegt zu denken, darf man ihn nur als in einem Raume von größerem Umfange enthalten denken und diesen als ruhig annehmen. Mit diesem aber läßt sie eben dasselbe in Ansehung eines noch[127] mehr erweiterten Raumes veranstalten und so ins Unendliche, ohne jemals zu einem unbeweglichen (unmateriellen) Raume durch Erfahrung zu gelangen, in Ansehung dessen irgend einer Materie schlechthin Bewegung oder Ruhe beigelegt werden könne, sondern der Begriff dieser Verhältnisbestimmungen wird beständig abgeändert werden müssen, nachdem man das Bewegliche mit einem oder dem anderen dieser Räume in Verhältnis betrachten wird. Da nun die Bedingung, etwas als ruhig oder bewegt anzusehen, im relativen Raume ins Unendliche immer wiederum bedingt ist, so erhellet daraus erstlich: daß alle Bewegung oder Ruhe bloß relativ und keine absolut sein könne, d.i. daß Materie bloß in Verhältnis auf Materie, niemals aber in Ansehung des bloßen Raumes, ohne Materie, als bewegt oder ruhig gedacht werden könne, mithin absolute Bewegung, d.i. eine solche, die ohne alle Beziehung einer Materie auf eine andere gedacht wird, schlechthin unmöglich sei; zweitens, daß auch eben darum kein für alle Erscheinung gültiger Begriff von Bewegung oder Ruhe im relativen Raume möglich sei, sondern man sich einen Raum, in welchem dieser selbst als bewegt gedacht werden könne, der aber seiner Bestimmung nach weiter von keinem anderen empirischen Raume abhängt und daher nicht wiederum bedingt ist, d.i. einen absoluten Raum, auf den alle relative Bewegungen bezogen werden können, denken müsse, in welchem alles Empirische beweglich ist, eben darum, damit in demselben alle Bewegung des Materiellen, als bloß relativ gegen einander, als alternativ-wechselseitig8, keine aber als[128] absolute Bewegung oder Ruhe (da, indem das eine bewegt heißt, das andere, worauf in Beziehung jenes bewegt ist, gleichwohl als schlechthin ruhig vorgestellt wird) gelten möge. Der absolute Raum ist also nicht, als ein Begriff von einem wirklichen Objekt, sondern als eine Idee, welche zur Regel dienen soll, alle Bewegung in ihm bloß als relativ zu betrachten, notwendig, und alle Bewegung und Ruhe muß auf den absoluten Raum reduziert werden, wenn die Erscheinung derselben in einen bestimmten Erfahrungsbegriff (der alle Erscheinungen vereinigt) verwandelt werden soll.

So wird die geradlinichte Bewegung eines Körpers im relativen Raume auf den absoluten Raum reduziert, wenn ich den Körper als an sich ruhig, jenen Raum aber im absoluten (der nicht in die Sinne fällt) in entgegengesetzter Richtung bewegt, und diese Vorstellung als diejenige denke, welche gerade dieselbe Erscheinung gibt, wodurch denn alle mögliche Erscheinungen geradlinichter Bewegungen, die ein Körper allenfalls zugleich haben mag, auf den Erfahrungsbegriff, der sie insgesamt vereinigt, nämlich den der bloß relativen Bewegung und Ruhe, zurückgeführt werden.

Die Kreisbewegung, weil sie, nach dem zweiten Lehrsatze, auch ohne Beziehung auf den äußeren empirisch-gegebenen Raum als wirkliche Bewegung in der Erfahrung gegeben werden kann, scheint doch in der Tat absolute Bewegung zu sein. Denn die relative, in Ansehung des äußeren Raums (z.B. die Achsendrehung der Erde relativ auf die Sterne des Himmels), ist eine Erscheinung, an deren Stelle die entgegengesetzte Bewegung dieses Raums (des Himmels) in derselben Zeit, als jener völlig gleichgeltend,[129] gesetzt werden kann, die aber nach diesem Lehrsatze in der Erfahrung durchaus nicht an deren Stelle gesetzt werden darf, mithin auch jene Kreisdrehung nicht als äußerlich relativ vorgestellt werden soll, welches so lautet, als ob diese Art der Bewegung für absolut anzunehmen sei.

Allein es ist wohl zu merken: daß hier von der wahren (wirklichen) Bewegung, die doch nicht als solche erscheint, die also, wenn man sie bloß nach empirischen Verhältnissen zum Raume beurteilen wollte, für Ruhe könnte gehalten werden, d.i. von der wahren Bewegung, zum Unterschiede vom Schein, nicht aber von ihr als absoluten Bewegung im Gegensatze der relativen die Rede sei, mithin die Kreisbewegung, ob sie zwar in der Erscheinung keine Stellen-Veränderung, d.i. keine phoronomische, des Verhältnisses des bewegten zum (empirischen) Raume, zeigt, dennoch eine durch Erfahrung erweisliche kontinuierliche dynamische Veränderung des Verhältnisses der Materie in ihrem Raume, z.B. eine beständige Verminderung der Anziehung durch eine Bestrebung zu entfliehen, als Wirkung der Kreisbewegung, zeige und dadurch den Unterschied derselben vom Schein sicher bezeichne. Man kann sich z.B. die Erde im unendlichen leeren Raum als um die Achse gedreht vorstellen, und diese Bewegung auch durch Erfahrung dartun, obgleich weder das Verhältnis der Teile der Erde untereinander, noch zum Raume außer ihr, phoronomisch, d.i. in der Erscheinung verändert wird. Denn in Ansehung des ersteren als empirischen Raumes verändert nichts auf und in der Erde seine Stelle, und in Beziehung des zweiten, der ganz leer ist, kann überall kein äußeres verändertes Verhältnis, mithin auch keine Erscheinung einer Bewegung stattfinden. Allein, wenn ich mir eine zum Mittelpunkt der Erde hingehende tiefe Höhle vorstelle, und lasse einen Stein darin fallen, finde aber, daß, obzwar in jeder Weite vom Mittelpunkte die Schwere immer nach diesem hingerichtet ist, der fallende Stein dennoch von seiner senkrechten Richtung im Fallen kontinuierlich und zwar von West nach Ost abweiche, so schließe ich, die Erde sei von Abend gegen Morgen um die Achse gedreht. Oder wenn ich[130] auch außerhalb den Stein von der Oberfläche der Erde weiter entferne, und er bleibt nicht über demselben Punkte der Oberfläche, sondern entfernt sich von demselben von Osten nach Westen, so werde ich auf eben dieselbe vorhergenannte Achsendrehung der Erde schließen und beiderlei Wahrnehmungen werden zum Beweise der Wirklichkeit dieser Bewegung hinreichend sein, wozu die Veränderung des Verhältnisses zum äußeren Raume (dem bestirnten Himmel) nicht hinreicht, weil sie bloße Erscheinung ist, die von zwei in der Tat entgegengesetzten Gründen herrühren kann und nicht ein aus dem Erklärungsgrunde aller Erscheinungen dieser Veränderung abgeleitetes Erkenntnis, d.i. Erfahrung, ist. Daß aber diese Bewegung, ob sie gleich keine Veränderung des Verhältnisses zum empirischen Raume ist, dennoch keine absolute Bewegung, sondern kontinuierliche Veränderung der Relationen der Materien zu einander, obzwar im absoluten Raume vorgestellt, mithin wirklich nur relative und sogar darum allein wahre Bewegung sei, das beruht auf der Vorstellung der wechselseitigen kontinuierlichen Entfernung eines jeden Teils der Erde (außerhalb der Achse) von jedem andern ihm in gleicher Entfernung vom Mittelpunkte im Diameter gegenüber liegenden. Denn diese Bewegung ist im absoluten Raume wirklich, indem dadurch der Abgang der gedachten Entfernung, den die Schwere für sich allein dem Körper zuziehen würde, und zwar ohne alle dynamische zurücktreibende Ursache (wie man aus dem von Newton Princ. Ph. N. pag. 10. Edit. 17149[131] gewählten Beispiele ersehen kann), mithin durch wirkliche, aber auf den innerhalb der bewegten Materie (nämlich des Zentrum derselben) beschlossenen, nicht aber auf den äußeren Raum bezogene Bewegung, kontinuierlich ersetzt wird.

Was den Fall des dritten Lehrsatzes anlangt, so bedarf es, um die Wahrheit der wechselseitig-entgegengesetzten und gleichen Bewegung beider Körper auch ohne Rücksicht auf den empirischen Raum zu zeigen, nicht einmal des im zweiten Fall nötigen durch Erfahrung gegebenen tätigen dynamischen Einflusses (der Schwere, oder eines gespannten Fadens), sondern die bloße dynamische Möglichkeit eines solchen Einflusses, als Eigenschaft der Materie (die Zurückstoßung oder Anziehung), führt, bei der Bewegung der einen, die gleiche und entgegengesetzte Bewegung der andern zugleich mit sich, und zwar aus bloßen Begriffen einer relativen Bewegung, wenn sie im absoluten Raume, d.i. nach der Wahrheit betrachtet wird, und ist daher, wie alles, was aus bloßen Begriffen hinreichend erweislich ist, ein Gesetz einer schlechterdings notwendigen Gegenbewegung.

Es ist also auch keine absolute Bewegung, wenn gleich ein Körper im leeren Raume in Ansehung eines anderen als bewegt gedacht wird; die Bewegung beider wird hier nicht relativ auf den sie umgebenden Raum, sondern nur auf den zwischen ihnen, welcher ihr äußeres Verhältnis unter einander allein bestimmt, als den absoluten Raum betrachtet, und ist also wiederum nur relativ. Absolute Bewegung würde also nur diejenige sein, die einem Körper ohne ein Verhältnis auf irgend eine andere Materie zukäme. Eine solche wäre allein die geradlinichte Bewegung des Weltganzen, d.i. des Systems aller Materie. Denn, wenn außer einer Materie noch irgend eine andere, selbst durch den leeren Raum getrennte Materie wäre, so würde die Bewegung schon relativ sein. Um deswillen ist ein jeder Beweis eines Bewegungsgesetzes, der darauf hinausläuft, daß das Gegenteil desselben eine geradlinichte Bewegung des ganzen Weltgebäudes zur Folge haben müßte, ein apodiktischer Beweis der Wahrheit desselben; bloß weil daraus absolute Bewegung folgen[132] würde, die schlechterdings unmöglich ist. Von der Art ist das Gesetz des Antagonisms in aller Gemeinschaft der Materie durch Bewegung. Denn eine jede Abweichung von demselben würde den gemeinschaftlichen Mittelpunkt der Schwere aller Materie, mithin das ganze Weltgebäude aus der Stelle rücken, welches dagegen, wenn man dieses sich als um seine Achse gedreht vorstellen wollte, nicht geschehen würde, welche Bewegung also immer noch zu denken möglich, obzwar anzunehmen, so viel man absehen kann, ganz ohne begreiflichen Nutzen sein würde.

Auf die verschiedenen Begriffe der Bewegung und bewegenden Kräfte haben auch die verschiedenen Begriffe vom leeren Raume ihre Beziehung. Der leere Raum in phoronomischer Rücksicht, der auch der absolute Raum heißt, sollte billig nicht ein leerer Raum genannt werden; denn er ist nur die Idee von einem Raume, in welchem ich von aller besonderen Materie, die ihn zum Gegenstande der Erfahrung macht, abstrahiere, um in ihm den materiellen, oder jeden empirischen Raum noch als beweglich und dadurch die Bewegung nicht bloß einseitig, als absolutes, sondern jederzeit wechselseitig, als bloß relatives Prädikat zu denken, Er ist also gar nichts, was zur Existenz der Dinge, sondern bloß zur Bestimmung der Begriffe gehört und so fern existiert kein leerer Raum. Der leere Raum in dynamischer Rücksicht ist der, der nicht erfüllet ist, d.i. worin dem Eindringen des Beweglichen nichts anderes Bewegliches widersteht, folglich keine repulsive Kraft wirkt, und er kann entweder der leere Raum in der Welt (vacuum mundanum), oder, wenn diese als begrenzt vorgestellt wird, der leere Raum außer der Welt (vacuum extramundanum) sein; der erstere auch entweder als zerstreuter (vacuum disseminatum, der nur einen Teil des Volumens der Materie ausmacht), oder als gehäufter leerer Raum (vacuum coacervatum, der die Körper, z.B. Weltkörper, von einander absondert) vorgestellt werden, welche Unterscheidung, da sie nur auf den Unterschied der Plätze, die man dem leeren Raum in der Welt anweiset, beruht, eben nicht wesentlich ist, aber doch in verschiedener Absicht gebraucht wird, der[133] erste, um den spezifischen Unterschied der Dichtigkeit, der zweite, um die Möglichkeit einer von allem äußeren Widerstande freien Bewegung im Weltraume davon abzuleiten. Daß den leeren Raum in der ersteren Absicht anzunehmen nicht nötig sei, ist schon in der allgemeinen Anmerkung zur Dynamik gezeigt worden; daß er aber unmöglich sei, kann aus seinem Begriffe allein, nach dem Satze des Widerspruchs, keinesweges bewiesen werden. Gleichwohl, wenn hier auch kein bloß logischer Grund der Verwerfung desselben anzutreffen wäre, könnte doch ein allgemeiner physischer Grund, ihn aus der Naturlehre zu verweisen, nämlich der von der Möglichkeit der Zusammensetzung einer Materie überhaupt, dasein, wenn man die letztere nur besser einsähe. Denn, wenn die Anziehung, die man zur Erklärung des Zusammenhanges der Materie annimmt, nur scheinbare, nicht wahre Anziehung, vielmehr etwa bloß die Wirkung einer Zusammendrückung durch äußere im Weltraume allenthalben verbreitete Materie (den Äther), welche selbst nur durch eine allgemeine und ursprüngliche Anziehung, nämlich die Gravitation, zu diesem Drucke gebracht wird, sein sollte, welche Meinung manche Gründe für sich hat, so würde der leere Raum innerhalb den Materien, wenn gleich nicht logisch, doch dynamisch und also physisch unmöglich sein, weil jede Materie sich in die leeren Raume, die man innerhalb derselben annähme (da ihrer expansiven Kraft hier nichts widersteht), von selbst ausbreiten und sie jederzeit erfüllet erhalten würde. Ein leerer Raum außer der Welt würde, wenn man unter dieser den Inbegriff aller vorzüglich attraktiven Materien (der großen Weltkörper) versteht, aus eben denselben Gründen unmöglich sein, weil nach dem Maße, als die Entfernung von diesen zunimmt, auch die Anziehungskraft auf den Äther (der jene Körper alle einschließt und, von jener getrieben, sie in ihrer Dichtigkeit durch Zusammendrückung erhält) in umgekehrtem Verhältnisse abnimmt, dieser also selbst nur ins Unendliche an Dichtigkeit abnehmen, nirgend aber den Raum ganz leer lassen würde. Daß es indessen mit dieser Wegschaffung des leeres Raums ganz hypothetisch[134] zugeht, darf niemand befremden; geht es doch mit der Behauptung desselben nicht besser zu. Diejenige, welche diese Streitfrage dogmatisch zu entscheiden wagen, sie mögen es bejahend oder verneinend tun, stützen sich zuletzt auf lauter metaphysische Voraussetzungen, wie aus der Dynamik zu ersehen ist, und es war wenigstens nötig, hier zu zeigen, daß diese über gedachte Aufgabe gar nicht entscheiden können. Was drittens den leeren Raum in mechanischer Absicht betrifft, so ist dieser das gehäufte Leere innerhalb dem Weltganzen, um den Weltkörpern freie Bewegung zu verschaffen. Man siehet leicht, daß die Möglichkeit oder Unmöglichkeit desselben nicht auf metaphysischen Gründen, sondern dem schwer aufzuschließenden Naturgeheimnisse, auf welche Art die Materie ihrer eigenen ausdehnenden Kraft Schranken setze, beruhe. Gleichwohl, wenn das, was in der Allgem. Anmerk. zur Dynamik von der ins Unendliche möglichen größeren Ausdehnung spezifisch verschiedener Stoffe, bei derselben Quantität der Materie (ihrem Gewichte nach) gesagt worden, eingeräumt wird, so möchte wohl, um der freien und daurenden Bewegung der Weltkörper willen, einen leeren Raum anzunehmen unnötig sein, weil der Widerstand, selbst bei gänzlich erfülleten Räumen, alsdenn doch so klein, als man will, gedacht werden kann.


Und so endigt sich die metaphysische Körperlehre mit dem Leeren und eben darum Unbegreiflichen, worin sie einerlei Schicksal mit allen übrigen Versuchen der Vernunft hat, wenn sie im Zurückgehen zu Prinzipien den ersten Gründen der Dinge nachstrebt, da, weil es ihre Natur so mit sich bringt, niemals etwas anders, als so fern es unter gegebenen Bedingungen bestimmt ist, zu begreifen, folglich sie weder beim Bedingten stehen bleiben, noch sich das Unbedingte faßlich machen kann, ihr, wenn Wißbegierde sie auffodert, das absolute Ganze aller Bedingungen zu fassen, nichts übrig bleibt, als von den Gegenständen auf sich selbst zurückzukehren, um, anstatt der letzten Grenze der Dinge, die letzte Grenze ihres eigenen sich selbst überlassenen Vermögens zu erforschen und zu bestimmen.[135]


7

Von diesem Unterschiede der disjunktiven und alternativen Entgegensetzung ein Mehreres in der allgemeinen Anmerkung zu diesem Hauptstücke.

8

In der Logik bezeichnet das Entweder-Oder jederzeit ein disjunktives Urteil; da denn, wenn das eine wahr ist, das andere falsch sein muß. Z.B. ein Körper ist entweder bewegt, oder nicht bewegt, d.i. in Ruhe. Denn man redet da lediglich von dem Verhältnis des Erkenntnisses zum Objekte. In der Erscheinungslehre, wo es auf das Verhältnis zum Subjekt ankommt, um darnach das Verhältnis der Objekte zu bestimmen, ist es anders. Denn da ist der Satz: der Körper ist entweder bewegt und der Raum ruhig, oder umgekehrt, nicht ein disjunktiver Satz in objektiver, sondern nur in subjektiver Beziehung, und beide darin enthaltene Urteile gelten alternativ. In eben derselben Phänomenologie, wo die Bewegung nicht bloß phoronomisch, sondern vielmehr dynamisch betrachtet wird, ist dagegen der disjunktive Satz in objektiver Bedeutung zu nehmen; d.i. an die Stelle der Umdrehung eines Körpers kann ich nicht die Ruhe desselben und dagegen die entgegengesetzte Bewegung des Raums annehmen. Wo aber die Bewegung sogar mechanisch betrachtet wird (wie wenn ein Körper gegen einen dem Scheine nach ruhigen anläuft), ist sogar das der Form nach disjunktive Urteil in Ansehung des Objekts distributiv zu gebrauchen, so daß die Bewegung nicht entweder dem einen oder dem andern, sondern einem jeden ein gleicher Anteil daran beigelegt werden muß. Diese Unterscheidung der alternativen, disjunktiven und distributiven Bestimmung eines Begriffs, in Ansehung entgegengesetzter Prädikate, hat ihre Wichtigkeit, kann aber hier nicht weiter erörtert werden.

9

Er sagt daselbst: Motus quidem veros corporum singulorum cognoscere et ab apparentibus actu discriminare difficillimum est: propterea, quod partes spatii illius immobilis, in quo corpora vere moventur, non incurrunt in sensus. Causa tamen non est prorsus desparata. Hierauf laßt er zwei durch einen Faden verknüpfte Kugeln sich um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt im leeren Raume drehen, und zeigt, wie die Wirklichkeit ihrer Bewegung samt der Richtung derselben dennoch durch Erfahrung könne gefunden werden. Ich habe dieses auch an der um ihre Achse bewegten Erde unter etwas veränderten Umständen zu zeigen gesucht.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 9, Frankfurt am Main 1977.
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