Beschluß von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft
§ 57

[224] Nach den allerkläresten Beweisen, die wir oben gegeben haben, würde es Ungereimtheit sein, wenn wir von irgend einem Gegenstande mehr zu erkennen hoffeten, als zur möglichen Erfahrung desselben gehört, oder auch von irgend einem Dinge, wovon wir annehmen, es sei nicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung, nur auf das mindeste Erkenntnis Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen; denn wodurch wollen wir diese Bestimmung verrichten, da Zeit, Raum, und alle Verstandesbegriffe, vielmehr aber noch die durch empirische Anschauung, oder Wahrnehmung in der Sinnenwelt, gezogene[224] Begriffe keinen andern Gebrauch haben, noch haben können, als bloß Erfahrung möglich zu machen, und, lassen wir selbst von den reinen Verstandesbegriffen diese Bedingung weg, sie alsdenn ganz und gar kein Objekt bestimmen, und überall keine Bedeutung haben.

Es würde aber anderer Seits eine noch größere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einräumen, oder unsere Erfahrung vor die einzig mögliche Erkenntnisart der Dinge, mithin unsre Anschauung in Raum und Zeit vor die allein mögliche Anschauung, unsern diskursiven Verstand aber vor das Urbild von jedem möglichen Verstande ausgeben wollte, mithin Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung vor allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen.

Unsere Prinzipien, welche den Gebrauch der Vernunft bloß auf mögliche Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst transzendent werden, und die Schranken unsrer Vernunft vor Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon Humes Dialogen zum Beispiel dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte, und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte. Der Skeptizism ist uranfänglich aus der Metaphysik und ihrer polizeilosen Dialektik entsprungen. Anfangs mochte er wohl bloß, zu Gunsten des Erfahrungsgebrauchs der Vernunft, alles, was diesen übersteigt, vor nichtig und betrüglich ausgeben, nach und nach aber, da man inne ward, daß es doch eben dieselbe Grundsätze a priori sind, deren man sich bei der Erfahrung bedient, die unvermerkt, und, wie es schien, mit eben demselben Rechte noch weiter führeten, als Erfahrung reicht, so fing man an, selbst in Erfahrungsgrundsätze einen Zweifel zu setzen. Hiemit hat es nun wohl keine Not; denn der gesunde Verstand wird hierin wohl jederzeit seine Rechte behaupten; allein es entsprang doch eine besondere Verwirrung in der Wissenschaft, die nicht bestimmen kann, wie weit und warum nur bis dahin und nicht weiter der Vernunft zu trauen sei, dieser Verwirrung[225] aber kann nur durch förmliche und aus Grundsätzen gezogene Grenzbestimmung unseres Vernunftgebrauchs abgeholfen und allem Rückfall auf künftige Zeit vorgebeugt werden.

Es ist wahr: wir können über alle mögliche Erfahrung hinaus von dem, was Dinge an sich selbst sein mögen, keinen bestimmten Begriff geben. Wir sind aber dennoch nicht frei vor der Nachfrage nach diesen, uns gänzlich derselben zu enthalten; denn Erfahrung tut der Vernunft niemals völlig Gnüge; sie weiset uns in Beantwortung der Fragen immer weiter zurück, und läßt uns in Ansehung des völligen Aufschlusses derselben unbefriedigt, wie jedermann dieses aus der Dialektik der reinen Vernunft, die eben darum ihren guten subjektiven Grund hat, hinreichend ersehen kann. Wer kann es wohl ertragen, daß wir von der Natur unserer Seele bis zum klaren Bewußtsein des Subjekts und zugleich der Überzeugung gelangen, daß seine Erscheinungen nicht materialistisch können erklärt werden, ohne zu fragen, was denn die Seele eigentlich sei, und, wenn kein Erfahrungsbegriff hiezu zureicht, allenfalls einen Vernunftbegriff (eines einfachen materiellen Wesens) bloß zu diesem Behuf anzunehmen, ob wir gleich seine objektive Realität gar nicht dartun können? Wer kann sich bei der bloßen Erfahrungserkenntnis in allen kosmologischen Fragen, von der Weltdauer und Größe, der Freiheit oder Naturnotwendigkeit, befriedigen, da, wir mögen es anfangen, wie wir wollen, eine jede nach Erfahrungsgrundgesetzen gegebene Antwort immer eine neue Frage gebiert, die eben so wohl beantwortet sein will, und dadurch die Unzulänglichkeit aller physischen Erklärungsarten zur Befriedigung der Vernunft deutlich dartut? Endlich, wer sieht nicht bei der durchgängigen Zufälligkeit und Abhängigkeit alles dessen, was er nur nach Erfahrungsprinzipien denken und annehmen mag, die Unmöglichkeit, bei diesen stehen zu bleiben, und fühlt sich nicht notgedrungen, unerachtet alles Verbots, sich nicht in transzendente Ideen zu verlieren, dennoch über alle Begriffe, die er durch Erfahrung rechtfertigen kann, noch in[226] dem Begriffe eines Wesens Ruhe und Befriedigung zu suchen, davon die Idee zwar an sich selbst der Möglichkeit nach nicht eingesehen, obgleich auch nicht widerlegt werden kann, weil sie ein bloßes Verstandeswesen betrifft, ohne die aber die Vernunft auf immer unbefriedigt bleiben müßte?

Grenzen (bei ausgedehnten Wesen) setzen immer einen Raum voraus, der außerhalb einem gewissen bestimmten Platze angetroffen wird, und ihn einschließt; Schranken bedürfen dergleichen nicht, sondern sind bloße Verneinungen, die eine Größe affizieren, so fern sie nicht absolute Vollständigkeit hat. Unsre Vernunft aber sieht gleichsam um sich einen Raum vor die Erkenntnis der Dinge an sich selbst, ob sie gleich von ihnen niemals bestimmte Begriffe haben kann, und nur auf Erscheinungen eingeschränkt ist.

So lange die Erkenntnis der Vernunft gleichartig ist, lassen sich von ihr keine bestimmte Grenzen denken. In der Mathematik und Naturwissenschaft erkennt die menschliche Vernunft zwar Schranken, aber keine Grenzen, d.i. zwar, daß etwas außer ihr liege, wohin sie niemals gelangen kann, aber nicht, daß sie selbst in ihrem innern Fortgange irgendwo vollendet sein werde. Die Erweiterung der Einsichten in der Mathematik, und die Möglichkeit immer neuer Erfindungen geht ins Unendliche; eben so die Entdeckung neuer Natureigenschaften, neuer Kräfte und Gesetze, durch fortgesetzte Erfahrung und Vereinigung derselben durch die Vernunft. Aber Schranken sind hier gleichwohl nicht zu verkennen, denn Mathematik geht nur auf Erscheinungen, und was nicht ein Gegenstand der sinnlichen Anschauung sein kann, als die Begriffe der Metaphysik und Moral, das liegt ganz außerhalb ihrer Sphäre, und dahin kann sie niemals führen; sie bedarf aber derselben auch gar nicht. Es ist also kein kontinuierlicher Fortgang und Annäherung zu diesen Wissenschaften, und gleichsam ein Punkt oder Linie der Berührung. Naturwissenschaft wird uns niemals das Innere der Dinge, d.i. dasjenige, was nicht Erscheinung ist, aber doch zum obersten Erklärungsgrunde der Erscheinungen dienen kann, entdecken; aber sie braucht dieses auch nicht zu ihren physischen Erklärungen; ja, wenn ihr auch[227] dergleichen anderweitig angeboten würde (z.B. Einfluß immaterieller Wesen), so soll sie es doch ausschlagen und gar nicht in den Fortgang ihrer Erklärungen bringen, sondern diese jederzeit nur auf das gründen, was als Gegenstand der Sinne zu Erfahrung gehören, und mit unsern wirklichen Wahrnehmungen nach Erfahrungsgesetzen in Zusammenhang gebracht werden kann.

Allein Metaphysik führet uns in den dialektischen Versuchen der reinen Vernunft (die nicht willkürlich, oder mutwilliger Weise angefangen werden, sondern dazu die Natur der Vernunft selbst treibt) auf Grenzen, und die transzendentale Ideen, eben dadurch, daß man ihrer nicht Umgang haben kann, daß sie sich gleichwohl niemals wollen realisieren lassen, dienen dazu, nicht allein uns wirklich die Grenzen des reinen Vernunftgebrauchs zu zeigen, sondern auch die Art, solche zu bestimmen, und das ist auch der Zweck und Nutzen dieser Naturanlage unserer Vernunft, welche Metaphysik, als ihr Lieblingskind, ausgeboren hat, dessen Erzeugung, so wie jede andere in der Welt, nicht dem ungefähren Zufalle, sondern einem ursprünglichen Keime zuzuschreiben ist, welcher zu großen Zwecken weislich organisiert ist. Denn Metaphysik ist vielleicht mehr, wie irgend eine andere Wissenschaft, durch die Natur selbst ihren Grundzügen nach in uns gelegt, und kann gar nicht als das Produkt einer beliebigen Wahl, oder als zufällige Erweiterung beim Fortgange der Erfahrungen (von denen sie sich gänzlich abtrennt) angesehen werden.

Die Vernunft, durch alle ihre Begriffe und Gesetze des Verstandes, die ihr zum empirischen Gebrauche, mithin innerhalb der Sinnenwelt, hinreichend sind, findet doch von sich dabei keine Befriedigung; denn durch ins Unendliche immer wiederkommende Fragen wird ihr alle Hoffnung zur vollendeten Auflösung derselben benommen. Die transzendentale Ideen, welche diese Vollendung zur Absicht haben, sind solche Probleme der Vernunft. Nun sieht sie klärlich: daß die Sinnenwelt diese Vollendung nicht enthalten könne, mithin eben so wenig auch alle jene Begriffe, die lediglich zum Verständnisse derselben dienen: Raum und Zeit, und[228] alles, was wir unter dem Namen der reinen Verstandesbegriffe angeführt haben. Die Sinnenwelt ist nichts als eine Kette nach allgemeinen Gesetzen verknüpfter Erscheinungen, sie hat also kein Bestehen vor sich, sie ist eigentlich nicht das Ding an sich selbst, und bezieht sich also notwendig auf das, was den Grund dieser Erscheinung enthält, auf Wesen, die nicht bloß als Erscheinung, sondern als Dinge an sich selbst erkannt werden können. In der Erkenntnis derselben kann Vernunft allein hoffen, ihr Verlangen nach Vollständigkeit im Fortgange vom Bedingten zu dessen Bedingungen einmal befriedigt zu sehen.

Oben (§ 33, 34) haben wir Schranken der Vernunft in Ansehung aller Erkenntnis bloßer Gedankenwesen angezeigt, jetzt, da uns die transzendentale Ideen dennoch den Fortgang bis zu ihnen notwendig machen, und nur also gleichsam bis zur Berührung des vollen Raumes (der Erfahrung) mit dem leeren (wovon wir nichts wissen können, den Noumenis) geführt haben, können wir auch die Grenzen der reinen Vernunft bestimmen; denn in allen Grenzen ist auch etwas Positives (z.B. Fläche ist die Grenze des körperlichen Raumes, indessen doch selbst ein Raum, Linie ein Raum, der die Grenze der Fläche ist, Punkt die Grenze der Linie, aber doch noch immer ein Ort im Raume), dahingegen Schranken bloße Negationen enthalten. Die im angeführten § angezeigte Schranken sind noch nicht genug, nachdem wir gefunden haben, daß noch über dieselbe etwas (ob wir es gleich, was es an sich selbst sei, niemals erkennen werden) hinausliege. Denn nun frägt sich, wie verhält sich unsere Vernunft bei dieser Verknüpfung dessen, was wir kennen, mit dem, was wir nicht kennen, und auch niemals kennen werden? Hier ist eine wirkliche Verknüpfung des Bekannten mit einem völlig Unbekannten (was es auch jederzeit bleiben wird), und, wenn dabei das Unbekannte auch nicht im mindesten bekannter werden sollte – wie denn das in der Tat auch nicht zu hoffen ist –, so muß doch der Begriff von dieser Verknüpfung bestimmt, und zur Deutlichkeit gebracht werden können.[229]

Wir sollen uns denn also ein immaterielles Wesen, eine Verstandeswelt, und ein höchstes aller Wesen (lauter Noumena) denken, weil die Vernunft nur in diesen, als Dingen an sich selbst, Vollendung und Befriedigung antrifft, die sie, in der Ableitung der Erscheinungen aus ihren gleichartigen Gründen, niemals hoffen kann, und weil diese sich wirklich auf etwas von ihnen Unterschiedenes (mithin gänzlich Ungleichartiges) beziehen, indem Erscheinungen doch jederzeit eine Sache an sich selbst voraussetzen, und also darauf Anzeige tun, man mag sie nun näher erkennen, oder nicht.

Da wir nun aber diese Verstandeswesen, nach dem, was sie an sich selbst sein mögen, d.i. bestimmt, niemals erkennen können, gleichwohl aber solche im Verhältnis auf die Sinnenwelt dennoch annehmen, und durch die Vernunft damit verknüpfen müssen, so werden wir doch wenigstens diese Verknüpfung vermittelst solcher Begriffe denken können, die ihr Verhältnis zur Sinnenwelt ausdrucken. Denn, denken wir das Verstandeswesen durch nichts als reine Verstandesbegriffe, so denken wir uns dadurch wirklich nichts Bestimmtes, mithin ist unser Begriff ohne Bedeutung; denken wir es uns durch Eigenschaften, die von der Sinnenwelt entlehnt sind, so ist es nicht mehr Verstandeswesen, es wird als eines von den Phänomenen gedacht und gehört zur Sinnenwelt. Wir wollen ein Beispiel vom Begriffe des höchsten Wesens hernehmen.

Der deistische Begriff ist ein ganz reiner Vernunftbegriff, welcher aber nur ein Ding, das alle Realität enthält, vorstellt, ohne deren eine einzige bestimmen zu können, weil dazu das Beispiel aus der Sinnenwelt entlehnt werden müßte, in welchem Falle ich es immer nur mit einem Gegenstande der Sinne, nicht aber mit etwas ganz Ungleichartigem, was gar nicht ein Gegenstand der Sinne sein kann, zu tun haben würde. Denn ich würde ihm z.B. Verstand beilegen; ich habe aber gar keinen Begriff von einem Verstande, als dem, der so ist, wie der meinige, nämlich ein solcher, dem durch Sinne Anschauungen müssen gegeben werden, und der sich damit beschäftigt, sie unter Regeln der Einheit des Bewußtseins zu bringen. Aber alsdenn würden die Elemente[230] meines Begriffs immer in der Erscheinung liegen; ich wurde aber eben durch die Unzulänglichkeit der Erscheinungen genötigt, über dieselbe hinaus, zum Begriffe eines Wesens zu gehen, was gar nicht von Erscheinungen abhängig, oder damit, als Bedingungen seiner Bestimmung, verflochten ist. Sondere ich aber den Verstand von der Sinnlichkeit ab, um einen reinen Verstand zu haben: so bleibt nichts als die bloße Form des Denkens ohne Anschauung übrig, wodurch allein ich nichts Bestimmtes, also keinen Gegenstand erkennen kann. Ich müßte mir zu dem Ende einen andern Verstand denken, der die Gegenstände anschauete, wovon ich aber nicht den mindesten Begriff habe, weil der menschliche diskursiv ist, und nur durch allgemeine Begriffe erkennen kann. Eben das widerfährt mir auch, wenn ich dem höchsten Wesen einen Willen beilege: Denn ich habe diesen Begriff nur, indem ich ihn aus meiner innern Erfahrung ziehe, dabei aber meiner Abhängigkeit der Zufriedenheit von Gegenständen, deren Existenz wir bedürfen, und also Sinnlichkeit zum Grunde liegt, welches dem reinen Begriffe des höchstens Wesens gänzlich widerspricht.

Die Einwürfe des Hume wider den Deismus sind schwach, und treffen niemals etwas mehr als die Beweistümer, niemals aber den Satz der deistischen Behauptung selbst. Aber in Ansehung des Theismus, der durch eine nähere Bestimmung unseres dort bloß transzendenten Begriffs vom höchsten Wesen zu Stande kommen soll, sind sie sehr stark, und, nachdem man diesen Begriff einrichtet, in gewissen (in der Tat, allen gewöhnlichen) Fällen unwiderleglich. Hume hält sich immer daran: daß durch den bloßen Begriff eines Urwesens, dem wir keine andere als ontologische Prädikate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben können: es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern wie seine Kausalität beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen; und da fangen seine Angriffe der Sache selbst, nämlich des Theismus an, da er vorher nur die Beweisgründe[231] des Deismus gestürmt hatte, welches keine sonderliche Gefahr nach sich ziehet. Seine gefährlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus, von dem er davor hält, er sei von dem Theism unabtrennlich, und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man ihn aber weg, so fiele dieser hiemit auch, und es bliebe nichts als ein Deism übrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann. Wenn diese Unvermeidlichkeit des Anthropomorphismus gewiß wäre, so möchten die Beweise vom Dasein eines höchsten Wesens sein, welche sie wollen, und alle eingeräumt werden, der Begriff von diesem Wesen würde doch niemals von uns bestimmt werden können, ohne uns in Widersprüche zu verwickeln.

Wenn wir mit dem Verbot, alle transzendente Urteile der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit, dem Anschein nach, streitende Gebot, bis zu Begriffen, die außerhalb dem Felde des immanenten (empirischen Gebrauchs) liegen, hinauszugehen, verknüpfen, so werden wir inne, daß beide zusammen bestehen können, aber nur gerade auf der Grenze alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehöret eben so wohl zum Felde der Erfahrung, als dem der Gedankenwesen, und wir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene so merkwürdige Ideen lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft dienen, nämlich, einerseits Erfahrungserkenntnis nicht unbegrenzt auszudehnen, so daß gar nichts mehr als bloß Welt von uns zu erkennen übrig bliebe, und andererseits dennoch nicht über die Grenze der Erfahrung hinauszugehen, und von Dingen außerhalb derselben, als Dingen an sich selbst, urteilen zu wollen.

Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns[232] Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei, und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht.

Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr, als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment, zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles das, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zu dem Unbekannten, das ich also hiedurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es vor mich ist, nämlich in Ansehung der Welt, davon ich ein Teil bin, erkenne.




§ 58

Eine solche Erkenntnis ist die nach der Analogie, welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge, sondern eine vollkommne Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet.24 Vermittelst dieser Analogie[233] bleibt doch ein vor uns hinlänglich bestimmter Begriff von dem höchsten Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und an sich selbst bestimmen könnte; denn wir bestimmen ihn doch respektiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nötig. Die Angriffe, welche Hume auf diejenigen tut, welche diesen Begriff absolut bestimmen wollen, indem sie die Materialien dazu von sich selbst und der Welt entlehnen, treffen uns nicht; auch kann er uns nicht vorwerfen, es bleibe uns gar nichts übrig, wenn man uns den objektiven Anthropomorphism von dem Begriffe des höchsten Wesens wegnähme.

Denn wenn man uns nur anfangs (wie es auch Hume in der Person des Philo gegen den Kleanth in seinen Dialogen tut), als eine notwendige Hypothese, den deistischen Begriff des Urwesens einräumt, in welchem man sich das Urwesen durch lauter ontologische Prädikate, der Substanz, Ursache etc. denkt (welches man tun muß, weil die Vernunft, in der Sinnenwelt durch lauter Bedingungen, die immer wiederum bedingt sind, getrieben, ohne das gar keine Befriedigung haben kann, und welches man auch füglich tun kann, ohne in den Anthropomorphism zu geraten, der Prädikate aus der Sinnenwelt auf ein von der Welt ganz unterschiedenes Wesen überträgt, indem jene Prädikate bloße Kategorien sind, die zwar keinen bestimmten, aber auch eben dadurch keinen auf Bedingungen der Sinnlichkeit eingeschränkten Begriff desselben geben): so kann uns nichts hindern, von diesem Wesen eine Kausalität durch Vernunft in Ansehung der Welt zu prädizieren, und so zum Theismus überzuschreiten, ohne eilen genötigt zu sein, ihm diese Vernunft an ihm selbst, als eine ihm anklebende Eigenschaft, beizulegen. Denn, was das erste betrifft, so ist es der einzige mögliche Weg, den Gebrauch der Vernunft, in Ansehung aller möglichen Erfahrung, in der Sinnenwelt durchgängig mit sich einstimmig auf den höchsten Grad zu treiben, wenn man selbst wiederum eine höchste Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt annimmt: ein solches Prinzip muß ihr durchgängig vorteilhaft[234] sein, kann ihr aber nirgend in ihrem Naturgebrauche schaden. Zweitens aber wird dadurch doch die Vernunft nicht als Eigenschaft auf das Urwesen an sich selbst übertragen, sondern nur auf das Verhältnis desselben zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphism gänzlich vermieden. Denn hier wird nur die Ursache der Vernunftform betrachtet, die in der Welt allenthalben angetroffen wird, und dem höchsten Wesen, so fern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthält, zwar Vernunft beigelegt, aber nur nach der Analogie, d.i. so fern dieser Ausdruck nur das Verhältnis anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur Welt hat, um darin alles im höchsten Grade vernunftmäßig zu bestimmen. Dadurch wird nun verhütet, daß wir uns der Eigenschaft der Vernunft nicht bedienen, um Gott, sondern um die Welt vermittelst derselben so zu denken, als es notwendig ist, um den größtmöglichen Vernunftgebrauch in Ansehung dieser nach einem Prinzip zu haben. Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise so gar undenkbar sei, und werden dadurch abgehalten, nach unseren Begriffen, die wir von der Vernunft als einer wirkenden Ursache (vermittelst des Willens) haben, keinen transzendenten Gebrauch zu machen, um die göttliche Natur durch Eigenschaften, die doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt sind, zu bestimmen und uns in grobe oder schwärmerische Begriffe zu verlieren, anderer Seits aber auch nicht die Weltbetrachtung, nach unseren auf Gott übertragenden Begriffen von der menschlichen Vernunft, mit hyperphysischen Erklärungsarten zu überschwemmen und von ihrer eigentlichen Bestimmung abzubringen, nach der sie ein Studium der bloßen Natur durch die Vernunft und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen von einer höchsten Vernunft sein soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: daß wir uns die Welt so denken, als ob sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme, wodurch wir teils die Beschaffenheit,[235] die ihr, der Welt, selbst zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaßen, die ihrer Ursache an sich selbst bestimmen zu wollen, teils anderer Seits in das Verhältnis der obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit (der Vernunftform in der Welt) legen, ohne die Welt dazu vor sich selbst zureichend zu finden.25

Auf solche Weise verschwinden die Schwierigkeiten, die dem Theismus zu widerstehen scheinen, dadurch: daß man mit dem Grundsatze des Hume, den Gebrauch der Vernunft nicht über das Feld aller möglichen Erfahrung dogmatisch hinaus zu treiben, einen anderen Grundsatz verbindet, den Hume gänzlich übersah, nämlich: das Feld möglicher Erfahrung nicht vor dasjenige, was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begrenzte, anzusehen. Kritik der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatism, den Hume bekämpfte, und dem Skeptizism, den er dagegen einführen wollte, einen Mittelweg, der nicht, wie andere Mittelwege, die man gleichsam mechanisch (etwas von einem, und etwas von dem andern) sich selbst zu bestimmen anrät, und wodurch kein Mensch eines Besseren belehrt wird, sondern einen solchen, den man nach Prinzipien genau bestimmen kann.


§ 59

Ich habe mich zu Anfange dieser Anmerkung des Sinnbildes einer Grenze bedient, um die Schranken der Vernunft in Ansehung ihres ihr angemessenen Gebrauchs festzusetzen. Die Sinnenwelt enthält bloß Erscheinungen, die noch nicht Dinge an sich selbst sind, welche letztere (noumena)[236] also der Verstand, eben darum, weil er die Gegenstände der Erfahrung vor bloße Erscheinungen erkennt, annehmen muß. In unserer Vernunft sind beide zusammen befaßt, und es frägt sich: wie verfährt Vernunft, den Verstand in Ansehung beider Felder zu begrenzen? Erfahrung, welche alles, was zur Sinnenwelt gehört, enthält, begrenzt sich nicht selbst: sie gelangt von jedem Bedingten immer nur auf ein anderes Bedingte. Das, was sie begrenzen soll, muß gänzlich außer ihr liegen, und dieses ist das Feld der reinen Verstandeswesen. Dieses aber ist vor uns ein leerer Raum, so fern es auf die Bestimmung der Natur dieser Verstandeswesen ankommt, und so fern können wir, wenn es auf dogmatisch-bestimmte Begriffe angesehen ist, nicht über das Feld möglicher Erfahrung hinaus kommen. Da aber eine Grenze selbst etwas Positives ist, welches so wohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als zum Raume, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine wirkliche positive Erkenntnis, deren die Vernunft bloß dadurch teilhaftig wird, daß sie sich bis zu dieser Grenze erweitert, so doch, daß sie nicht über diese Grenze hinaus zu gehen versucht, weil sie daselbst einen leeren Raum vor sich findet, in welchem sie zwar Formen zu Dingen, aber keine Dinge selbst denken kann. Aber die Begrenzung des Erfahrungsfeldes durch etwas, was ihr sonst unbekannt ist, ist doch eine Erkenntnis, die der Vernunft in diesem Standpunkte noch übrig bleibt, dadurch sie nicht innerhalb der Sinnenwelt beschlossen, auch nicht außer derselben schwärmend, sondern so, wie es einer Kenntnis der Grenze zukommt, sich bloß auf das Verhältnis desjenigen, was außerhalb derselben liegt, zu dem, was innerhalb enthalten ist, einschränkt.

Die natürliche Theologie ist ein solcher Begriff auf der Grenze der menschlichen Vernunft, da sie sich genötigt sieht, zu der Idee eines höchsten Wesens (und, in praktischer Beziehung, auch auf die einer intelligibelen Welt) hinauszusehen, nicht, um in Ansehung dieses bloßen Verstandeswesens, mithin außerhalb der Sinnenwelt, etwas zu bestimmen, sondern nur, um ihren eigenen Gebrauch innerhalb derselben[237] nach Prinzipien der größt-möglichen (theoretischen so wohl als praktischen) Einheit zu leiten, und zu diesem Behuf sich der Beziehung derselben auf eine selbständige Vernunft, als der Ursache aller dieser Verknüpfungen, zu bedienen, hiedurch aber nicht etwa sich bloß ein Wesen zu erdichten, sondern, da außer der Sinnenwelt notwendig etwas, was nur der reine Verstand denkt, anzutreffen sein muß, dieses nur auf solche Weise, obwohl freilich bloß nach der Analogie, zu bestimmen.

Auf solche Weise bleibt unser obiger Satz, der das Resultat der ganzen Kritik ist: »daß uns Vernunft durch alle ihre Prinzipien a priori niemals etwas mehr, als lediglich Gegenstände möglicher Erfahrung und auch von diesen nichts mehr, als was in der Erfahrung erkannt werden kann, lehre«; aber diese Einschränkung hindert nicht, daß sie uns nicht bis zur objektiven Grenze der Erfahrung, nämlich der Beziehung auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der Erfahrung, aber doch der oberste Grund aller derselben sein muß, führe, ohne uns doch von demselben etwas an sich, sondern nur in Beziehung auf ihren eigenen vollständigen und auf die höchsten Zwecke gerichteten Gebrauch im Felde möglicher Erfahrung, zu lehren. Dieses ist aber auch aller Nutzen, den man vernünftiger Weise hiebei auch nur wünschen kann, und mit welchem man Ursache hat zufrieden zu sein.


§ 60

So haben wir Metaphysik, wie sie wirklich in der Naturanlage der menschlichen Vernunft gegeben ist, und zwar in demjenigen, was den wesentlichen Zweck ihrer Bearbeitung ausmacht, nach ihrer subjektiven Möglichkeit ausführlich dargestellt. Da wir indessen doch fanden, daß dieser bloß natürliche Gebrauch einer solchen Anlage unserer Vernunft, wenn keine Disziplin derselben, welche nur durch wissenschaftliche Kritik möglich ist, sie zügelt und in Schranken setzt, sie in übersteigende, teils bloß scheinbare, teils unter sich so gar strittige dialektische Schlüsse verwickelt, und überdem diese vernünftelnde Metaphysik zur[238] Beförderung der Naturerkenntnis entbehrlich, ja wohl gar ihr nachteilig ist, so bleibt es noch immer eine der Nachforschung würdige Aufgabe, die Naturzwecke, worauf diese Anlage zu transzendenten Begriffen in unsere Vernunft abgezielt sein mag, auszufinden, weil alles, was in der Natur liegt, doch auf irgend eine nützliche Absicht ursprünglich angelegt sein muß.

Eine solche Untersuchung ist in der Tat mißlich: auch gestehe ich, daß es nur Mutmaßung sei, wie alles, was die ersten Zwecke der Natur betrifft, was ich hievon zu sagen weiß, welches mir auch in diesem Fall allein erlaubt sein mag, da die Frage nicht die objektive Gültigkeit metaphysischer Urteile, sondern die Naturanlage zu denselben angeht, und also außer dem System der Metaphysik in der Anthropologie liegt.

Wenn ich alle transzendentale Ideen, deren Inbegriff die eigentliche Aufgabe der natürlichen reinen Vernunft ausmacht, welche sie nötigt, die bloße Naturbetrachtung zu verlassen, und über alle mögliche Erfahrung hinauszugehen und in dieser Bestrebung das Ding (es sei Wissen oder Vernünfteln) was Metaphysik heißt, zu Stande zu bringen, so glaube ich gewahr zu werden, daß diese Naturanlage dahin abgezielet sei, unseren Begriff von den Fesseln der Erfahrung und den Schranken der bloßen Naturbetrachtung so weit loszumachen, daß er wenigstens ein Feld vor sich eröffnet sehe, was bloß Gegenstände vor den reinen Verstand enthält, die keine Sinnlichkeit erreichen kann, zwar nicht in der Absicht, um uns mit diesen spekulativ zu beschäftigen (weil wir keinen Boden finden, worauf wir Fuß fassen können), sondern damit praktische Prinzipien, die, ohne einen solchen Raum vor ihre notwendige Erwartung und Hoffnung vor sich zu finden, sich nicht zu der Allgemeinheit ausbreiten könnten, deren die Vernunft in moralischer Absicht unumgänglich bedarf.

Da finde ich nun, daß die psychologische Idee, ich mag dadurch auch noch so wenig von der reinen und über[239] alle Erfahrungsbegriffe erhabenen Natur der menschlichen Seele einsehen, doch wenigstens die Unzulänglichkeit der letzteren deutlich gnug zeige, und mich dadurch vom Materialism, als einem zu keiner Naturerklärung tauglichen, und überdem die Vernunft in praktischer Absicht verengenden psychologischen Begriffe abführe. So dienen die kosmologische Ideen durch die sichtbare Unzulänglichkeit aller möglichen Naturerkenntnis, die Vernunft in ihrer rechtmäßigen Nachfrage zu befriedigen, uns vom Naturalism, der die Natur vor sich selbst gnugsam ausgeben will, abzuhalten. Endlich da alle Naturnotwendigkeit in der Sinnenwelt jederzeit bedingt ist, indem sie immer Abhängigkeit der Dinge von andern voraussetzt, und die unbedingte Notwendigkeit nur in der Einheit einer von der Sinnenwelt unterschiedenen Ursache gesucht werden muß, die Kausalität derselben aber wiederum, wenn sie bloß Natur wäre, niemals das Dasein des Zufälligen als seine Folge begreiflich machen könnte, so macht sich die Vernunft vermittelst der theologischen Idee vom Fatalism los, so wohl einer blinden Naturnotwendigkeit in dem Zusammenhange der Natur selbst, ohne erstes Prinzip, als auch in der Kausalität dieses Prinzips selbst, und führt auf den Begriff einer Ursache durch Freiheit, mithin einer obersten Intelligenz. So dienen die transzendentale Ideen, wenn gleich nicht dazu, uns positiv zu belehren, doch die freche und das Feld der Vernunft verengende Behauptungen des Materialismus, Naturalismus, und Fatalismus aufzuheben, und dadurch den moralischen Ideen außer dem Felde der Spekulation Raum zu verschaffen, und dieses würde, dünkt mich, jene Naturanlage einigermaßen erklären.

Der praktische Nutzen, den eine bloß spekulative Wissenschaft haben mag, liegt außerhalb den Grenzen dieser Wissenschaft, kann also bloß als ein Scholion angesehen werden, und gehört, wie alle Scholien, nicht als ein Teil zur Wissenschaft selbst. Gleichwohl liegt diese Beziehung doch wenigstens innerhalb den Grenzen der Philosophie, vornehmlich derjenigen, welche aus reinen Vernunftquellen schöpft, wo der spekulative Gebrauch der Vernunft in der[240] Metaphysik mit dem praktischen in der Moral notwendig Einheit haben muß. Daher die unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, in einer Metaphysik als Naturanlage betrachtet, nicht bloß als ein Schein, der aufgelöset zu werden bedarf, sondern auch als Naturanstalt seinem Zwecke nach, wenn man kann, erklärt zu werden verdient, wiewohl dieses Geschäfte, als überverdienstlich, der eigentlichen Metaphysik mit Recht nicht zugemutet werden darf.

Vor ein zweites, aber mehr mit dem Inhalte der Metaphysik verwandtes Scholion müßte die Auflösung der Fragen gehalten werden, die in der Kritik von Seite 647 bis 668 fortgehen. Denn da werden gewisse Vernunftprinzipien vorgetragen, die die Naturordnung oder vielmehr den Verstand, der ihre Gesetze durch Erfahrung suchen soll, a priori bestimmen. Sie scheinen konstitutiv und gesetzgebend in Ansehung der Erfahrung zu sein, da sie doch aus bloßer Vernunft entspringen, welche nicht so, wie Verstand, als ein Prinzip möglicher Erfahrung angesehen werden darf. Ob nun diese Übereinstimmung darauf beruhe, daß, so wie Natur den Erscheinungen oder ihrem Quell, der Sinnlichkeit, nicht an sich selbst anhängt, sondern nur in der Beziehung der letzteren auf den Verstand angetroffen wird, so diesem Verstande die durchgängige Einheit seines Gebrauchs, zum Behuf einer gesamten möglichen Erfahrung (in einem System) nur mit Beziehung auf die Vernunft zukommen könne, mithin auch Erfahrung mittelbar unter der Gesetzgebung der Vernunft stehe, mag von denen, welche der Natur der Vernunft, auch außer ihrem Gebrauch in der Metaphysik, so gar in den allgemeinen Prinzipien, eine Naturgeschichte überhaupt systematisch zu machen, nachspüren wollen, weiter erwogen werden; denn diese Aufgabe habe ich in der Schrift selbst zwar als wichtig vorgestellt, aber ihre Auflösung nicht versucht.26[241]

Und so endige ich die analytische Auflösung der von mir selbst aufgestellten Hauptfrage: Wie ist Metaphysik überhaupt möglich? indem ich von demjenigen, wo ihr Gebrauch wirklich, wenigstens in den Folgen gegeben ist, zu den Gründen ihrer Möglichkeit hinaufstieg.

24

So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnisse menschlicher Handlungen, und dem mechanischen Verhältnisse der bewegenden Kräfte: ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun; eben so wie kein Körper auf einen andern mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß der andre ihm eben so viel entgegen wirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnisse ist doch völlige Ähnlichkeit. Vermittelst einer solchen Analogie kann ich daher einen Verhältnisbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Z.B. wie sich verhält die Beförderung des Glücks der Kinder = a zu der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgend einer menschlichen Neigung hätte, sondern, weil wir das Verhältnis derselben zur Welt demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt unter einander haben. Der Verhältnisbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat.

25

Ich werde sagen: die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache selbst unbekannt: ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die Weltordnung) und deren Vernunftmäßigkeit mit den mir bekannten Wirkungen menschlicher Vernunft, und nenne daher jene eine Vernunft, ohne darum eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe, oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen.

26

Es ist mein immerwährender Vorsatz durch die Kritik gewesen, nichts zu versäumen, was die Nachforschung der Natur der reinen Vernunft zur Vollständigkeit bringen könnte, ob es gleich noch so tief verborgen liegen möchte. Es steht nachher in jedermanns Belieben, wie weit er seine Untersuchung treiben will, wenn ihm nur angezeigt worden, welche noch anzustellen sein möchten, denn dieses kann man von demjenigen billig erwarten, der es sich zum Geschäfte gemacht hat, dieses ganze Feld zu übermessen, um es hernach zum künftigen Anbau und beliebigen Austeilung andern zu überlassen. Dahin gehören auch die beiden Scholien, welche sich durch ihre Trockenheit Liebhabern wohl schwerlich empfehlen dürften, und daher nur vor Kenner hingestellt worden.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 5, Frankfurt am Main 1977, S. 224-242.
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Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

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Große Erzählungen der Frühromantik

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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

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