Zwölftes Kapitel (117. Gegenstand).

Gedanken über den Angreifer im Rücken.

[462] Wenn der Eroberer und sein Nebenbuhler zusammenarbeitend zwei Widersacher, während diese einen anderen angreifen, im Rücken packen, so hat der den Nachteil bei dem Ränkespiel, der dem mit den drei Kräften reichlich ausgestatteten in den Rücken fällt. Denn der mit den Kräften Ausgerüstete wird, nachdem er seinen Widersacher vernichtet hat, den vernichten, der ihm in den Rücken gefallen ist, nicht aber der mit geringen Kräften, da er keinen Erfolg erlangt hat.1

Sind die Kräfte (der beiden Kriegführenden) gleich, dann hat der den Nachteil, welcher dem große Unternehmungen Führenden in den Rücken fällt, denn der mit großen Unternehmungen wird, nachdem er seinen Widersacher vernichtet hat, den Angreifer im Rücken vernichten, nicht aber der, [462] Mann der kleinen Unternehmungen, dessen Rad der Herrschaft (in seinem Laufe) stecken bleibt.2

Sind die Unternehmungen bei zweien gleich groß, so hat der den Vorteil, der den Fürsten, welcher mit allen ihm zu Gebote stehenden Streitkräften ausgezogen ist, im Rücken packt; denn da dieser seine Basis (sein Stammland oder seine Hauptstadt) entblößt hat, ist er für jenen leicht zu überwältigen, nicht aber der, der nur mit einem Teil seines Heeres ins Feld gezogen ist und für seinen Rücken vorgesorgt hat.

Wenn es sich im Punkte der Truppenverwendung bei zweien gleich verhält, so ist der im Nachteil, der dem gegen einen beweglichen (d.h. im freien Lande sitzenden, burgenlosen) Widersacher Ausgezognen in den Rücken fällt, denn der gegen einen beweglichen Widersacher Ausgezogene wird leicht Erfolg erlangen und dann seinen Angreifer im Rücken vertilgen, nicht aber der gegen einen standfesten (in einer Burg verschanzten) Widersacher Ausgezogene; denn dieser Ausgezogene wird durch die Burg zurückgeworfen und, wenn er sich gegen den Angreifer im Rücken zurückwendet, von dem standfesten Widersacher zu Boden gedrückt.3

Dasselbe gilt von den früher Genannten.

Stehen die beiden Feinde einander gleich, dann hat der den Vorteil, der dem in den Rücken fällt, welcher den gerechten Fürsten ngreift. Denn wer den Gerechten angreift, der wird auch seinen eigenen Leuten hassenswert, wer den Ungerechten angreift, lieb und teuer.4

Das Gesagte gilt auch vom Rückenangriff auf die Bekrieger dessen, der all sein Gut verschwendet, dessen, der nur in den Tag hineinlebt und des Knickers.A1

[463] Die nämlichen Gründe sind maßgebend bei dem Rückenangriff auf zwei ihren Bundesgenossen (mitra) Bekriegenden.5

Handelt es sich um zwei, von denen der eine den Freund (mitra), der andere den Widersacher angreift, so hat der den Vorteil, der den im Rücken packt, welcher den Widersacher angreift. Denn der seinen Freund Angreifende wird leicht einen Friedensvergleich erlangen und dann seinen Feind im Rücken vertilgen. Leicht ist nämlich der Friedensvergleich mit dem Freunde, nicht aber mit dem Feinde.6

Handelt es sich um zwei, von denen der eine den Freund, der andere den Feind ausrottet, dann ist der im Vorteil, der dem Ausrotter des Freundes in den Rücken fällt. Denn wer seine Feinde ausrottet und wessen Freunde gedeihen, der wird den Angreifer im Rücken vernichten, nicht aber wer (durch Schädigung seiner Freunde) die eigene Partei schädigt.

Ziehen die zwei, ohne einen Gewinn erlangt zu haben, ab (apagamane), so ist der Angreifer im Rücken, dessen Widersacher um einen großen Gewinn gekommen ist oder die größeren Verluste und Ausgaben hat, im Vorteil. Ziehen sie ab, nachdem sie beide einen Gewinn erlangt haben, so ist der Angreifer im Rücken, dessen Widersacher durch den Gewinn verloren hat an Macht, im Vorteil7. Oder (wer einem in den Rücken fällt), dessen anzugreifender Gegner imstande ist, den Feind zu bekriegen und ihm Leids anzutun.

Ferner: Von zwei Angreifern im Rücken hat der, der tüchtiger ist in wirklich ausführbaren Unternehmungen (çakyārambha mit Gaṇ.) oder in Truppenaufgeboten, oder der ein standfester (mit Burgen gesegneter) Gegner ist, oder der sich an der Flanke (des Widersachers) aufgepflanzt hat, den Vorteil. Denn der an der Flanke Aufgepflanzte kann dem Anzugreifenden zu Hilfe eilen und kann die Basis (des Angreifers) in Drangsal bringen. Nur die Basis bedrängt aber der Fürst im Rücken (paçcātsthāyin).

Drei, die an der Ferse packen (in den Rücken fallen) und als solche des Widersachers Bewegungen hemmen, sind zu erkennen: die Gruppe von Fürsten überall im Rücken8 und die Nachbarn an beiden Seiten.

[464] Der Schwache, der zwischen den führenden Fürsten und seinen Nebenbuhler gestellt ist, wird der »Hineingeklemmte« genannt, (und er ist ein) Buffer (pratighāta) für den Mächtigen, wenn er (dieser Eingeklemmte) sich in Burg oder Waldwildnis zurückziehen kann.9

Wenn aber der Eroberer und sein Nebenbuhler einen Mittelfürsten zu packen (zu überwältigen) suchen und ihm deshalb in den Rücken fallen, so hat, falls sie nach Erlangung eines Gewinnes abziehen, der den Vorteil erlistet, der den Mittelfürsten vom Freunde trennt und selber einen Feind zum Freunde gewinnt. Und geschickt zu einem Bündnis ist ein Feind, der einem Gutes erweist, nicht aber ein Freund, der aufgehört hat, ein Freund zu sein.A2

Ebenso steht es bei dem Versuch, einen »Unbeteiligten« zu packen.

»Sowohl beim Angriff im Rücken als beim gewöhnlichen Zuge gegen einen Feind kommt Erstarkung und Oberhand vom Kampf mit den Mitteln des (klugen) Rats. Im Kampfe der körperlichen Kraftbetätigung (vyāyāmayuddha) werden beide schwächer durch Verluste und Unkosten. Denn auch der Sieger ist Besiegter, weil ihm Schatz und Heer dahingeschwunden ist«. So die Lehrer.

Nein, also Kauṭilya. Auch um sehr großen Verlust und Kostenaufwand muß die Vernichtung des Feindes erreicht werden.

Ist Verlust und Geldaufwand (auf beiden Seiten) gleich, so erlistet der den Vorteil, der zuerst seine aus verräterischen Elementen bestehenden Truppen (in die Schlacht schickt und) töten läßt, sich so von Schädlingen (»Dornen«) befreit und darauf mit gehorsamem Heere den Kampf führt. Von zweien aber, die beide zuerst das aus Verräterischen bestehende Heer töten lassen, ist der im Vorteil, der das zahlreichere, mächtigere und übermäßig verräterische vernichten läßt. Dasselbe gilt auch von der Vernichtung der vom Feinde herübergenommenen und der aus Waldstämmen bestehenden Truppen.10

Wenn der Bekrieger von vorn (ahhiyoktar) oder der »Anzugreifende« dem Eroberer in den Rücken fällt, dann möge dabei der Eroberer folgende Richtschnur (netra) anwenden.11

Der führende Fürst falle dem Hauptfeinde (çatru), während dieser gegen den Freund (des Führenden) anstürmt, in den Rücken, nachdem [465] er seinen eigenen »Beistand im Rücken« (den Angerufenen, ākranda) zuerst gegen den, der dem Feind im Rücken zu Hilfe kommt (pārshṇigrāhābhisārin oder pārshṇigrāhāsāra), hat in den Kampf ziehen lassen. Den Feind im Rücken möge er dadurch abwehren, daß er ihn vermittelst des Beistandes im Rücken (ākranda) angreift; ebenso den Helfer des Feindes im Rücken (pārshṇigrāhābhisārin) vermittelst des Helfers des Beistandes im Rücken (ākrandābhisāra).

Und vorn lasse er seinen eigenen Freund mit dem Freunde des Feindes (Nebenbuhlers, ari) zusammenstoßen und wehre mittels des Freundes seines eigenen Freundes den Freundesfreund des Feindes ab.

Von vorn angegriffen, lasse er seinen Freund dem »Angreifer von vorn« in den Rücken fallen, und durch den Freund seines eigenen Freundes lasse er seinen eigenen Beistand im Rücken (ākranda) vom Angreifer im Rücken retten.12

So bringe der Eroberer seinen Staatenkreis zum Dienste seines eigenen Nutzens, hinter ihm und vor ihm, durch die Vollzahl und Tüchtigkeit der »Freunde« genannten Staatsfaktoren.

Und in seinem ganzen Staatenkreise lasse er beständig Gesandte und Geheimdiener wohnen, als Freund seiner Nebenbuhler erscheinend, aber in der Verborgenheit sie fort und fort tötend.

Die Geschäfte dessen, der offen zu Werke geht, und besonders auch die, die recht und gut sind, verunglücken zweifellos, wie ein geborstenes Fahrzeug auf dem Meer.13

Fußnoten

1 Lies mit Sham. 2. Textausgabe, var. lect., -çaktir alabdhalābhaḥ, obwohl auch labdhalābhaḥ »wenn er (auch wirklich) einen Erfolg erlangt hat«, zur Not anginge. Er ist zu sehr erschöpft und wird sich vom Feind loskaufen oder die Sache hingehen lassen. Hier wie mehrere Male im Folgenden muß man atisaṃdhīyate statt atisaṃdhatte lesen. Wenigstens ist es mir bisher nicht gelungen, den betr. Lesarten des Textes einen ordentlichen Sinn abzugewinnen. Sham.'s Übertragung läßt hier und in den folgenden Sätzen, wo durch meine Änderung alles klipp und klar wird, weder das Skt., noch den Verstand zu seinem Rechte kommen. Meine ursprüngliche Auffassung: »Wenn zwei Widersacher (des Eroberers und seines Nebenbuhlers) sich zusammentun und dem Eroberer und seinem Nebenbuhler, die beide ihren Gegner angreifen, in den Rücken fallen« hat drei Gründe gegen sich: 1. so wäre die Wortstellung des Sanskritsatzes weniger natürlich, 2. deutlich auf die Auslegung im Text der Übersetzung weist 301, 12ff.; 3. das Arthaçāstra kümmert sich doch nur um den vijigīshu und seinen Gegner, nicht um einen x-beliebigen »Fersenpacker«. Zu meiner Genugtuung sehe ich, daß auch Sham. hier das Richtige hat.A3


2 Saktacakra; vielleicht eher: »dessen Heeresmacht stecken bleibt, nichts mehr vermag«. Hier ist ebenfalls atisaṃdhīyate zu lesen.


3 Ich lese atisaṃdhīyate, ebenso pratinivṛittaḥ sthitenāmitreṇa.


4 Lies dhārmikābhiyoginaḥ. Weisheit, auch hier redest du wie – Kauṭilya. Nur muß man »Gerechter« in einem uns geläufigen Sinne verstehen. Zwar spricht hier Kauṭ. allem Anschein nach in der Sprache der gewöhnlichen Sterblichen und hat »Gerechter« (oder: »Frommer«) seinen kindlich naiven Sinn. Aber seine Mitauguren vom politischen Fach, mögen sie am grünen oder am Zeitungsredaktionstische sitzen, verstehen ihn schon. Vor ihnen baucht ein mächtiges Faß, gefüllt mit vorsintflutlichem, aber immer nur wirkungskräftiger werdendem Zaubersaft. Sie tauchen die eigene Nation oder die eigene Partei hinein, und wäre sie auch schwarz wie der Teufel, vom Golde reinster Tugend umstrahlt heben sie sie wieder empor. Sie stoßen den Feind hinein, Scheusäligeres hat man nie gesehen, als was jetzt aus der gleichen Wunderflüssigkeit abgründiger Verlogenheit hervorkommt. Sie zeigen diese zwei dem lieben Gott im Himmel und der hochmoralischen Mitmenschheit. Beide ergrimmen in frommer Wut, und furchtbar zermalmend ist die Rache, die auf den Widersacher des »Gerechten«, auf diese Bestie in Menschengestalt, herniedertrifft.


5 D. h. da, wo es sich darum handelt, den einen oder den anderen von zweien, die ihren Bundesgenossen angreifen, »an der Ferse zu packen«. Also wohl: Ist der betr. Bundesgenosse sittlich tadelnswert (oder: hat man ihn so erscheinen machen), oder ein Gutverschwender, ein nur in den Tag Hineinlebender oder ein Knicker, so nehmen die Menschen Partei für seinen Gegner oder findet er doch nicht die nötige Hilfe, und ist es töricht, diesem in den Rücken zu fallen.


6 Auch hier atisaṃdhīyate zu lesen? Oder man muß 'mitrābhiyoginaḥ setzen, wenn man atisaṃdhatte beibehält. Übrigens ist grade der zum Feinde gewordene Freund gewöhnlich am erbittertsten. Auch stimmt diese Stelle nicht recht mit 301, 14–15.A4


7 Der »Widersacher« (amitra) ist hier jedenfalls derselbe, der im Eingangssatz und später ari genannt wird, d.h. der Nebenbuhler und jetzige Verbündete des »Eroberers«.


8 So wenn man samantāt statt des falschen sāmantāt liest. Möglich ist aber auch sāmantaḥ: »die an ihn angrenzende Gruppe (von Fürsten) im Rücken«.


9 Antardhi »der Zwischensatz« (»der in der Zange Gehaltene,« wie ich auch übersetzt habe).A5


10 Falls diese sich als schwierig erweisen. Ja, auch wenn sie keine Tücke zeigen. Denn unzuverlässig sind sie immer, und wer sie zuerst als Kanonenfutter verwendet, der schont wenigstens, sogar wenn er mit ihnen wenig Erfolg erringt, so seine besseren Truppen und beugt drohendem Verrate vor.


11 Dies ist sprachlich die einzige natürliche Auffassung und sie paßt am besten zu den folgenden Sätzen. Meine ursprüngliche Übersetzung, die mit der des Sham. zusammentrifft, muß ich also fallen lassen. Abiyuj und seine Ableitungen bezeichnen mithin den Angriff von vorn, im Gegensatz zum Angriff im Rücken. So schon Sham.A6


12 Wörtl.: »zurückhalten, fernhalten von«. Also läge näher: »vor ihm bewahren«. Aber das ist kaum gemeint. Der Ausdruck klingt unbeholfen, und das hat wohl zu der noch verkehrteren Lesart pārshṇigrāhaṃ geführt. Es handelt sich in diesem çloka um einen zweiten Fall. Hier kommt offenbar der »Angreifer von vorn« (abhiyogin = abhiyoktar in Zeile 8), wie es seine Pflicht ist, von vorne. Weshalb aber da der doch weit vorn (purastāt) sitzende »Freundesfreund« (s. 258, 14ff.) bemüht wird, dem ziemlich weit hinter dem »Führenden« wohnhaften »Angerufenen« zu helfen, ist mir nicht klar. Kāmandakas Lehren über diesen Gegenstand (VIII, 43ff.) sind ziemlich verschieden.


13 Prāpta angebracht, recht, billig MBh. V, 160, 6; VIII, 31, 30; vielleicht auch in aprāpta Kauṭ. 285, 8. Oder ist viçeshatas = in ihrer Besonderheit, einzeln wie MBh. V, 160, 35? Dann: »auch die angemessenen eins ums andere«. Der Sache und der Glätte des Ausdrucks wäre dienlicher: »sogar wenn sie sich vorzüglich anlassen« (vorzüglich eingesetzt haben, wörtl. etwa dahin gelangt, vorgerückt, gereift sind); oder: »wenn sie auch vorzüglich geplant sind« (wörtl. getroffen, unternommen). Aber ich könnte diese Bedeutungen nicht belegen.A7


A1 Den Bekrieger dieser drei soll also der Fürst ebensowenig im Rücken packen wie den Bekrieger des Ungerechten. Der Geizhals verkürzt und erbittert ja seine eigenen Leute, wie Kauṭ. in 69, 8 gesagt hat. Er wird also von ihnen im Stich gelassen. Alle drei sind leicht zu überwältigen. Wir sehen, auch hier handelt es sich nur um die Frage, ob der Fersenpacker sich Erfolg versprechen kann. Nach Gaṇ.'s Glossen freilich soll der Fürst gerade denen in den Rücken fallen, die diese drei angreifen, weil nämlich die drei leicht überwunden werden können und dann der Sieggeschwellte den vernichten möchte, der ihn nicht an der Ferse gepackt und geschwächt hat. Da wäre tena in 300, 11, das doch den Inhalt des Vorhergehenden zusammenfassen sollte – und nur von der Leichtigkeit oder vom sicheren Erfolge des Unternehmens ist da die Rede – beispiellos lotterig gebraucht.


A2 »Mit dem Feinde, der da nützt, gibt es ein Bündnis, nicht mit dem Freunde, der schadet. Denn Nutzen und Schaden ist das entscheidende Merkmal dieser beiden.« Mit diesen Worten zeigt Māgha in Çiçup. II, 37, daß er unsere Stelle und Kauṭ. 287, 11–12 kennt. Mudrār. 134, 9f. sieht also in der Politik eine Art Tod, wenn es da heißt: Sie macht den Freund zum Feinde und den Feind zum Freund, läßt den Menschen das frühere Leben ganz vergessen, gleich als führte sie ihn bei lebendigem Leibe in ein anderes Leben ein. Darum gilt: »Wer aber mit dem Widersacher ein Bündnis schließt und mit dem Freunde feindlich bricht, sowie er einen Vorteil dabei sieht, der erwirbt sehr großen Gewinn.« So erklärt MBh. XII, 138, 17 im Einklang mit vielen Nītiaussprüchen und knüpft daran die vorzügliche Fabel, die Hillebrandt in seinem kleinen, aber inhalt- und aufschlußreichen Buche Altindische Politik, S. 41ff. wiedergibt. – Der »Freund« in Zeile 8 wird der jetzige Mitangreifer im Rücken sein. Die beiden vertragen sich mit dem Mittelfürsten, und der eine bringt es fertig, den neuen Friedensgenossen von dem früheren Mitbefehder ab-und zu sich herüberzuziehen.


A3 Auch Gaṇ. hat hier und in den anderen Fällen, wo ich in atisandhīyate ändere, nur atisandhatte. Nach seinen Glossen muß so übersetzt werden: »... so hat der den Vorteil, der dem mit den drei Kräften reichlich Ausgestatteten in den Rücken fällt. Denn hätte der mit den drei ›Kräften‹ Ausgestattete erst seinen Widersacher ausgetilgt, dann möchte er auch den Fersenpacker austilgen« (dadurch aber, daß der Fersenpacker ihm Hindernisse bereitet, rettet er sich vor dieser Gefahr). »Nicht aber der Mann mit den zu geringen Kräften, der keinen Erfolg erringt« (und sowieso nun dem anderen nichts tut). Im folgenden dann: »Sind die ›Kräfte‹ der beiden Kriegführenden gleich, so hat der den Vorteil, welcher dem die großen Unternehmungen Verfolgenden in den Rücken fällt. Denn der mit großen Unternehmungen möchte, nachdem er seinen Widersacher vernichtet hat, auch den Angreifer im Rücken vernichten, nicht aber der Mann mit den kleinen Unternehmungen.« Aber: 1. da wäre statt pārshṇigrāha überall apārshṇigrāha das einzig Logische, also »der, der ihm nicht in den Rücken fällt«. Denn nur wenn der betreffende Fürst dem Kriegführenden nicht im Rücken Schaden zufügte und ihn so schwächte, träfe ihn die Vernichtung. Nun könnte man ja vielleicht der logischen Schärfe genug tun, wenn man an allen drei Stellen (299, 13; 16; 300, 5) apārshṇigrāham läse. Doch 2.: Bei dieser Auffassung wird durch das reinlich durchgeführte atisandhatte zwar der äußere Schematismus starrer, aber die wichtigere innere schematische Geschlossenheit leidet bedenklich. Gerade diese aber wird vollkommen gewahrt durch meine Übertragung. Bei ihr werden wir nicht bald auf den einen Standort: die Vorsorge gegen eine mögliche Gefahr in der Zukunft, bald auf den anderen: das leichte Spiel mit dem Angefallenen hingeschleudert, sondern da bleiben wir immer auf dem zweiten. 3. Kauṭ. selber lehrt ja genau wie andere: Auch der schwache Feind darf nicht vernachlässigt werden, sondern man muß ihm bei der ersten guten Gelegenheit den Garaus machen. 4. Der Angelpunkt für das Gesamtverständnis scheint mir in 300, 6 zu liegen. Alle Ausgaben lesen da pārshṇigrāhe ca pratinivṛittasthitenāmitreṇāvagṛihyate. Nach Gaṇ. hieße das: »Und bei einem Rückenangriff (den der eine der Fürsten auf den Angreifer des in der Burg Verschanzten unternimmt) wird er (d.h. dieser im Rücken Angreifende) vom Widersacher, der (wegen des Abpralls an der Festung) sich umwendet und (gegen seinen Angreifer im Rücken) einen festen Stand einnimmt, zu Boden gedrückt.« Welches Wirrsal von Ungereimtheiten, auch abgesehen von dem unbequemen Subjektwechsel! Sodann: pārshṇigrāha bedeutet bei Kauṭ. sonst immer »Schädiger im Rücken«, nie aber »Angriff im Rücken«. Dafür braucht er pārshṇigrahaṇa. Und woher könnte sthitāmitra im vorhergehenden Satz in seiner richtigen, hier aber, und hier allein, in einer anderen Bedeutung gebraucht sein! Denn sthitāmitra und calāmitra sind öfters vorkommende starre termini technici des Arthaç. Alles wird klipp und klar, wenn man die völlig unverfängliche Änderung in sthitaḥ vornimmt, sowie die in atisaṃdhīyate, und übersetzt wie ich. Muß dieser Satz aber verstanden werden, wie ich ihn verstehe, dann auch die anderen. Kauṭ. sagt uns ja selber, dieser Satz gelte ebenfalls von allen vorhergehenden Politikern, d.h. auch da müssen wir ergänzen: wenn sie sich gegen den Angreifer im Rücken wenden, nimmt der anfangs von ihnen Angegriffene die Gelegenheit wahr und wirft sie nieder. Somit zwänge uns Kauṭ. selber, durchweg den einen Gesichtspunkt des im einen Fall freien, im anderen Fall hochgefährlichen Fahrwassers beim Rückenanfall festzuhalten. Allein all meinen Gründen steht die Tatsache gegenüber, daß die Ausgaben alle atisaṃdhatte haben. Es geht auch damit, obschon weniger gut wie mit meiner Änderung.


A4 Es gilt halt: It is easier to forgive an Enemy than to forgive a Friend. Blake, Jerusalem ed. Maclagan & Russell, London 1904, p. 113. Vgl. Çiçup. II, 105. Mit mitrābhiyoginaḥ, wie Gaṇ. liest, also: »Handelt es sich um zwei, von denen der eine den Freund, der andere den Widersacher angreift, so hat der den Vorteil, der den Fürsten im Rücken packt, welcher den Freund angreift. Denn der den Freund Angreifende wird leicht einen Friedensvergleich erlangen und möchte dann (in seinem Übermut) auch den vernichten, der ihn im Rücken packt (d.h. in Wirklichkeit: den der so unvorsorglich ist und ihn nicht im Rücken packt).« Bei Jolly aber finde ich ebenfalls 'mitrābhiyoginaḥ.


A5 Gaṇ.: pratighāte balavato »bei einem Angriff von seiten des Starken zieht er sich in eine Burg oder in eine Waldwildnis zurück«. Aber abgesehen davon, daß pratighāta »Angriff« Bedenken erregt, liest ja Gaṇ., im 18. Kapitel (S. 364, Z. 4 seiner Ausgabe) selber sāmanto balavataḥ pratighāto 'ntardhih, und im Scholion dazu zitiert er unsere Stelle so: pratighāto balavato durgāṭavyapasāravān! Übrigens bringt er zwei Fürsten heraus: einen pratighātaḥ, d.h. pratihantā des Starken, 2. einen zwischen den Eroberer und seinen Nebenbuhler eingezwängten Kraftlosen. Nītiv. 115, 3–5 sagt: »Der Fürst, dessen Sein und Wirken hineingestellt ist zwischen den Staatenkreis des Eroberers und den seines Nebenbuhlers, der da von beiden Seiten Sold, erhält (ubhayavetana) und durch Berg oder Wald einen festen Halt (apāçraya) hat, ist der Zwischensetzling (antardhi).« Was unser netar anlangt, so haben wir dies auch in Kirāt. XVI, 42, wo Capellers ›Heerführer‹ falsch ist, ebenso in XVII, 27, wo man übersetzen muß: »Zerspaltung im Innern, Versperrung der Wege und Zerstörung – was nur immer der ›führende‹ Fürst dem Volk Seiner Feinde antut, das tat Çiva dessen (Arjunas) Pfeilen an, unerforscht in seinen Maßnahmen.« Diese sind politische beim »Führenden« oder »Eroberer«, zauberische bei Çiva, dem großen Oberherrn der Zauberei. Ebenso wird nāyaka in Çiçup. II, 92 gebraucht, wie auch Mall.'s Zitat aus Viçva erhärtet. Dagegen heißt netar im Mudrār. »Staatskanzler« (ed. Hillebrandt S. 48, 1; 196, 14; 200, 5).


A6 Gaṇ., der naitram statt netram liest, versteht die Stelle so: »Wenn der Eroberer Fersenpacker oder Angreifer von vorn oder Anzugreifender wird (d.h. diese Rollen spielen muß oder will), dann soll er die folgende Richtschnur haben: In den Rücken falle der führende Fürst einem Feinde, der seinen Freund angreift, nachdem er (der ›Führende‹) zuerst gegen des Feindes Beistand im Rücken (ākranda) den dem Fersenpacker feindlichen Hilfsgenossen im Rücken des Eroberers in den Krieg geschickt hat.« Im folgenden, Çloka dann: »Greift er selber von vorne an, dann wehre er mittels seines Beistandes im Rücken den Fersenpacker ab« usw. (vgl. Kām. VIII, 46). Auch mir ist diese Möglichkeit in den Sinn gekommen. Aber woher sollte der Eroberer auf einmal nur dann, wenn der Feind seinen Freund (sei dies nun des Feindes oder des Eroberers Freund), angreift, als Fersenpacker Lorbeeren zu pflücken suchen, wo doch soeben eine Menge Fälle für solch ehrenvolle Betätigung genau dargelegt worden ist! Sodann kann zwar āsāra sowohl einen Freund als einen Feind des »Führenden« bezeichnen und hat natürlich auch der Gegner des Eroberers seinen ākranda. Aber ākranda ist sonst immer ein Genosse des Eroberers. Vgl. z.B. Kām. VIII, 43. Endlich sehe ich nicht, wie der pārshṇigrāhābhisārin, natürlicherweise nur der »Beistand des Fersenpackers«, einen Freund des »Führenden« bedeuten kann. Es wird also in unserem Kapitel zuerst das Verhalten des Fersenpackers selbst und dann (von 302, 8 an) das Verhalten gegen ihn behandelt, im Einklang mit einer nicht seltenen Gepflogenheit des Arthaç. Daß in den Schlußversen unseres Kapitels der Eroberer nur als Angegriffener in Betracht kommt, sagt ja Kauṭ. selbst in dem anknüpfenden Eröffnungssatz des nächsten Kapitels.


A7 Wenn ich Gaṇ.'s Umschreibung viçeshataḥ prāptāny api = atiçayenopasthitāny api richtig verstehe, so faßt auch er den Ausdruck als: »sogar wenn sie vorzüglich angetreten sind«.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 462-466.
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