Drittes Kapitel (164. und 165. Gegenstand).

Tötung der Hauptleute im Heer des Feindes und Aufstachelung seines Staatenkreises.

[600] Hinterhältler, die in ein nahes Dienstverhältnis zum Könige und zu seinen Lieblingen getreten sind, sollen in freundschaftlichem Vertrauen unter den (Offizieren des feindlichen Heeres), welche die Stelle von Freunden bei ihnen einnehmen, erzählen: »Der König ist zornig auf die Hauptleute der Fußsoldaten« – »der Wagenkämpfer« – »der Elefantenstreiter«. Wenn [600] die Sache unter die Leute gekommen ist,1 sollen Bravi, nachdem sie Vorsichtsmaßregeln gegen die Nachtstreifwache getroffen haben,A1 sprechen: »Ihr sollt auf Befehl des Königs in sein Haus kommen«, und über sie herfallen, sowie sie heraustreten. »Auftrag vom Herrn!« sollen jene nahestehen- Diener (des Königs oder seiner Lieblinge, d.h. eben jene Bravi) sprechen. Und zu denen, die dabei nicht abgetan worden sind,2 sollen die Hinterhältler sagen: »Da habt ihr ja, was wir euch gesagt haben! Wer am Leben bleiben will, muß sich davonmachen«.

Und zu solchen, denen der König nicht gibt, um was sie bitten, sollen die Hinterhältler sprechen: »Der König hat zum Heimlandhüter gesagt: ›Um eine Sache, die man nicht begehren darf, bitten mich der und der. Weil ich sie zurückwies, haben sie sich mit meinen Feinden verbunden. Laß dir es angelegen sein, diese auszutilgen.‹« Dann verfahre man wie angegeben (d.h. die Hinterhältler sollen die Betreffenden in die eben beschriebene Falle locken, die Bravi sie töten usw.).

Und zu solchen, denen der König, wenn er gebeten worden ist, wirklich gibt, sollen die Hinterhältler sprechen: »Der König hat zum Heimlandhüter gesagt: ›Um eine Sache, die man nicht begehren darf,3 bitten mich der und der. Ich habe ihnen diese Sache gewährt, um ihr Vertrauen zu haben – mit den Feinden haben sie sich verbunden! Laß dir es angelegen sein, sie auszutilgen‹«. Darauf verfahre man, wie eben dargelegt.

Und zu solchen, die ihn um eine Sache, um die man bitten soll, nicht bitten, sollen sie sprechen: »Der König hat zum Heimlandhüter gesagt: ›Um eine Sache, um die man bitten soll, bitten mich der und der nicht. Was könnte das anders sein als argwöhnische Angst wegen einer Verschuldung? Laß dir es angelegen sein, sie auszutilgen‹«. Darauf verfahre man wie vorher dargelegt worden ist.

Damit ist das Nötige gesagt über die ganze Partei derer, die man zu sich herüberziehen kann (d.h. sie sollen in der geschilderten Art verhetzt werden).

Oder ein Hinterhältler, der in nahem Dienstverhältnis zum (feindlichen) König steht, bringe ihm bei: »Dieser und dieser von deinen Großwürdenträgern wird von Leuten des Feindes gesprochen«. Geht er darauf ein, so soll er ihm Verräter (dem König aufsässige Untertanen)A2 als Botschaftsüberbringer zeigen und sprechen: »Da hast du es«.

Oder Offiziere und gemeine Soldaten (prakṛitipurusha)A3 soll er mit Land oder Geld verlocken und sie dadurch veranlassen, gegen ihre eigenen Leute kriegerisch vorzugehen, oder soll sie so zu sich herüberziehen.

[601] Wenn ein Sohn von ihm (dem feindlichen König) in dessen Nähe oder in einer Burg weilt, dann soll er ihm durch einen Hinterhältler einflüstern lassen: »Du bist der mit Vorzügen glänzender ausgestattete Sohn. Dennoch wirst du zurückgesetzt.4 Was siehst du darum ruhig zu? Zeig deine kriegerische Kraft und nimm dir (was dir gehört), ehe der Kronprinz dich vernichtet«.

Oder er soll einen Thronbewerber oder einen Unterdrückten aus der Familie (des feindlichen Königs) mit Geld verlocken und zu ihm sprechen: »Vernichte die Streitkräfte im Innern des Reiches oder seine Heeresabteilung an den Grenzen«.5

Die Waldstammhäuptlinge (des Feindes) soll er mit Gut und Ehrung an sich bringen und dessen Reich verwüsten lassen. Oder zu dem Feind in dessen Rücken soll er sagen: »Ich bin der Damm für euch. Bin ich zerbrochen, dann wird die Hochflut, der König, euch alle wegspülen«A4. Oder: »Last uns zusammentreten und seinen Kriegszug zunichte machen«.6 Er möge an alle mit ihm (dem Gegner) Zusammengeschlossenen und an die nicht mit ihm Zusammengeschlossenen Botschaft senden: »Es ist klar, wenn dieser König mir den Garaus gemacht hat, wird er sein Werk an euch tun. Wacht auf! Es ist das Beste, daß ihr mir zu Hilfe eilt«.7

Oder er sende Botschaft an den Mittelfürsten oder auch an den Unbeteiligten, daß er sich zum Zweck der Rettung vor dem Herangenahten ihm mit allem, was er besitze, anvertraue.

Fußnoten

1 Oder: »nachdem sie das öfters gemacht haben« (wörtl.: nachdem es vielfältig geworden, – vorgekommen ist) und ebenso vorher 384, 1? Vgl. die Anm. zu 363, 17.


2 Lies cāpravāsitās.


3 Es ist doch wohl besser ayācyam artham anzusetzen.


4 Antarhita wie z.B. MBh. XII, 111, 79.


5 Vgl. 388, 9. Ist pratyantaskandhamantam Akkus. von pratyantaskandhamant: »die Grenzregimenter enthaltend«, also: »die Grenzbesatzung«. Oder doch: »Verwüste die Truppen im Innern, die Heeresabteilung an der Grenze und die Grenze«? Warum aber dann nicht pratyantaṃ?A5


6 Oder: »wollen seine Politik vereiteln, ihm das Handwerk legen« (asya yātrāṃ vihanāma).A6


7 Abhyavapadyate zu Hilfe eilen wie Rām. III, 67, 17; 68, 22; V, 26, 17; 35 VI, 100, 24. Bei Kauṭ. sonst gewöhnlich: sich einem ergeben. Vgl. aber vyasanasāhāyyam abhyavapattiḥ 73, 1.


A1 Vielleicht wäre die wörtliche Übersetzung: »Vorsichtsmaßregeln für die nächtliche Umherstreiferei« (rātricāra). So Gaṇ. Vgl. cārarātri 146, 8. Siehe aber auch die Zusatzanmerkung zu 242, 15–18, wo cāra »Polizei« zu bedeuten scheint. Der Sinn ist natürlich im Grunde immer gleich.


A2 Welcher König ist gemeint? Wohl der unserem »Eroberer« feindliche. Weil er die Betreffenden als ihm abhold kennt, glaubt er um so eher, daß sie solche verräterische Botendienste tun. Oder haben die Hinterhältler Untertanen ihres eigenen Herrn, des Eroberers, die diesem verhaßt sind, mitgebracht, ihnen Briefe an den Großwürdenträger gegeben und sie dann »abfangen« lassen? So Gaṇ.


A3 Nach Gaṇ.: »Heerbeamte, Minister und Angestellte« (senāmukhyaprakṛitipurushān). Wahrscheinlich aber ist weder meine noch seine Auffassung richtig. »Gemeine« oder Angestellte niederen Ranges (purusha) gehören wohl nicht hierher; wir brauchen wichtige Leute. So mögen sowohl hier, wie in 330, 1 im Gegensatz zu den Offizieren höhere Verwaltungsbeamte im Heer gemeint sein mit den prakṛitipurusha. In Meghadūta 5 sieht man den prakṛitipurusha für einen »Minister« an. Etwas ähnliches wäre er an unseren beiden Stellen. Also wohl besser: »Offiziere und hohe Verwaltungsbeamte im Heer«.


A4 Statt »wegspülen« vielleicht besser: ersäufen. Wegen plāvayishyati vgl. 388, 16.


A5 Gaṇ. liest anyaṃ vā statt antaṃ vā. Das ist weit besser. Also: »die Truppen im Innern oder die Heeresabteilung an der Grenze oder eine andere«. Der betreffende Herrscher ist ja nicht selber im Lande, sondern gegen den Eroberer ausgezogen. Zum Schutz seines Reiches, besonders im Innern und an den Grenzen hat er Truppen stationiert, natürlich möglichst zuverlässige. So trifft Gaṇ.'s maula (ererbte) in der Sache das richtige.


A6 Laut Gaṇ.'s Text kommt in Zeile 12 nach »Rücken soll er sagen« noch hinzu: dieser König wird offenbar, nachdem er mich vernichtet hat, dich vernichten. Fall ihm in den Rücken. Wenn er sich da gegen dich umwendet, werde ich ihm in den Rücken fallen. Oder er spreche zu seinen Freunden: »Ich bin der Damm« usw.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 600-602.
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