Viertes Kapitel (166. und 167. Gegenstand).

Spionenlisten mit Waffen, Feuer und Gift und Abschneidung des Proviants, des Zuzugs und der Furagierstreifzüge.[602] 1

Und seine als Händler verkappten Spione in den festen Städten des Feindes, seine als Bauernhausväter verkappten in den Dörfern, seine als Viehhirten und[602] als Büßer verkappten an den Landesgrenzen sollen zusammen mit Kaufmannsgut2 Botschaft an Grenzvasallen, Waldhäuptlinge, Prätendenten aus des feindlichen Herrschers Familie und von ihm unterdrückte Prinzen senden: »Dies Land kannst und sollst du dir nehmen«. Und wenn deren Geheimagenten in die Stadtburg gekommen sind, sollen sie sie mit Geld und Auszeichnung ehren und ihnen die Blößen der Reichsfaktoren (des Feindes) zeigen. Mit ihnen zusammen sollen sie auf sie einhauen.

Oder in des Feindes Heerlager soll ein als Schenkwirt Verkappter einen dem Tod Geweihten (einen zum Tode Verurteilten) als seinen »Sohn« unterbringen, ihn zur Zeit eines Überfalles mit Gift aus dem Wege räumen und dann mit den Worten: »Es ist eine Bewirtung zur Feier der Totenwasserspende« mit Betäubungssaft3 vermischte Krüge Rauschtrank hundertweis darreichen. Oder er möge einen Tag lang reinen Rauschtrank oder sehr milden (māndya) Rauschtrank und darauf mit Gift zugerichteten reichen. Oder er möge den Hauptleuten des Heeres zuerst reinen Rauschtrank geben und dann zu der Zeit, wo sie trunken sind, mit Gift hergerichteten reichen.

Oder ein als Offizier im (feindlichen) Heere Verkappter soll den eben angegebenen Kniff mit dem »Sohne«, dem zum Tod Verurteilten, ausführen.

Oder die als Verkäufer von gekochtem Fleisch, als Händler mit zubereitetem Reis, als Schenkwirte, als Kuchenverkäufer Verkappten sollen eine besondere Ware im Wettbewerb miteinander ausrufen oder unter der Ankündigung: »Es ist wohlfeiler, weil es ein Ausverkauf ist« die Feinde anlocken und dann ihre Waren mit Gift vermischt absetzen.4 Oder die Frauen sollen Likör, süße Milch, saure Milch, Schmelzbutter und Sesamöl, nachdem sie dergleichen bei den damit Handelnden erworben haben in ihre eigenen Gift enthaltenden Gefäße umgießen, indem sie sagen: »Um diesen Preis oder noch vorteilhafter sollt ihr noch mehr abgeben«. In eben diesen Gefäßen sollen eben diese Sachen die als Händler Verkappten oder solche, die im Einzel-Warenverkauf sie ins Haus liefern, unter die Leute bringen.5 Den Elefanten [603] und Pferden sollen solche, die als Knechte zu ihnen gelangt sind, im Beifutter (vidhā) und im Grünfutter Gift geben. Oder als Arbeiter Verkappte sollen mit Gift vermischtes Grasfutter und Wasser verkaufen.

Oder als aus langem Verkehr bekannte Viehhändler sollen sie Herden von Rindern, Ziegen und Schafen zu den Zeiten, da der Feind einen Angriff macht, an Orten, wo sie Verwirrung anrichten, loslassen.6 Ebenso von Pferden, Eseln, Kamelen, Büffeln solche, die bösartig sind. Oder ebenso Verkappte (d.h. als Viehhändler) sollen Tiere, deren Augen mit dem Blute von Moschusratten bestrichen sind, oder als Jäger Verkappte sollen reißende Raubtiere (bes. Tiger) aus Käfigen (auf die Feinde) loslassen.A1 Oder Schlagenfänger sollen tötlich giftige Schlangen oder Elefantentreiber Elefanten oder solche, die von Berufswegen mit Feuer umgehen, Feuer unter die Feinde bringen.

Oder Geheimdiener sollen die Offiziere der Fußsoldaten, der Reiterei, der Wagenkämpfer oder der Elefantentruppen niedermachen, wenn sie den Rücken gekehrt haben, oder sollen die Wohnungen der Offiziere anzünden. Oder dazu Ausgesandte, die sich als Verräter, Feinde oder Waldwilde (ihres Herrn, des schwachen Fürsten) aufspielen, sollen sie von hinten überfallen oder ihre Verstärkungen abfangen (avaskandhapratigraha)A2. Oder im Wald Versteckte sollen die Heeresabteilung an der Grenze zu sich herauslocken und dann sie überfallen oder auf einem engen Wege, wo nur ein Mann gehen kann, Proviant, Zuzug oder Furagierstreifzüge (des Feindes).7

Oder sie sollen nach einer Verabredung (mit Verrätern im Feindesheer) in einer nächtlichen Schlacht viel Instrumente ertönen lassen8 und rufen: »Wir sind eingedrungen! Das Reich ist unser!«

Oder nachdem sie sich in des (feindlichen) Königs Wohnung eingeschlichen haben, sollen sie ihn im Gewirre töten. Oder an allen Orten sollen ihn, wenn er dahingeht, die Truppenführer von Barbaren oder Waldwilden aus der Deckung durch einen Hinterhalt oder aus der Deckung durch einen Pfostenzaun umbringen.9 Oder als Jäger Verkappte sollen beim Wirrwarr eines Überfalls mit den Mitteln des heimlichen Kampfes über ihn herfallen. Oder wenn er auf einem Wege, der nur für einen Mann Raum hat, oder im Gebirge oder bei einem Pfostenzaun (stambhavāṭa) oder in einem Moor oder drinnen [604] in einem Gewässer (ist),10 sollen sie ihn mit einer auf günstigem Gelände aufgestellten Streitmacht angreifen. Oder sie sollen ihn durch die reißende Flut eines Dammbruchs in Fluß, See, Teich oder Wasseranlage ersäufen. Oder sie sollen ihn, wenn er in einer Wüsten- oder einer Waldfestung oder in einer Niederungsfestung weilt, mit Giftfeuer und Giftrauch verderben. Hat er sich in einen Engpaß begeben, sollen sie ihn mit Feuer, hat er sich in eine Wüste begeben, mit Rauch, hat er sich zur Rast begeben,11 mit Gift, hat er sich ins Wasser getaucht, durch tückische Krokodile oder durch Bravi, die im Wasser Schwimmkünste üben,12 abtun. Oder wenn er aus seiner angezündeten Wohnung herausstürzt.

Durch die beiden Mittel: Mordlist und Entledigung mit Hinterlist oder durch irgendein anderes der vielen Mittel übermeistere er den Feind, wenn er an den angegebenen Orten anderweitig in Anspruch genommen und behindert ist.

Fußnoten

1 Prasāra. Praṇidhi kann heißen: Spion oder (heimliche, listige) Maßnahme. Beide Bedeutungen kommen bei Kauṭ. vor, häufiger die zweite. In der Sache kommen beide auf das gleiche hinaus; denn diese hinterlistigen Mittel liegen ja in den Händen der Spione.


2 Dessen Übersendung als Deckmantel und als Lockung dient.


3 Vielleicht besser: »mit Madanasaft (mit Giftsaft)«; denn hier sollen die betreffenden, wie es scheint, unmittelbar dadurch umgebracht werden.


4 Apacāreyuḥ. Vgl. 247, 11; 376, 10, wo es kaum »verleiten, verführen zu« bedeuten wird, wie so gewöhnlich bei Kauṭ. Vielleicht ist avacāreyuḥ »passieren machen, einschmuggeln« zu lesen. Vgl. avacārayati in 247, 11 (Übers. 385, 3. 27) und samavacārayati hinübergehen machen, einschmuggeln 389, 13. Kālika auf eine Zeit beschränkt, wegen gewisser Zeitumstände billiger verkauft. Vgl. 19, 12; 377, 14.


5 Avakireyuḥ »sollen ausstreuen« scatter broadeast among the people. Der Ausdruck ist wohl gewählt, die durch den Einzelverkauf überall im Volk umher bewirkte Verbreitung der vergifteten Sachen zu bezeichnen. Eine Menge Menschen wird so umgebracht. Ich setze also den Punkt hinter iti in Zeile 17 und einen zweiten hinter in Zeile 19. Die Frauen und Kinder (wohl der Spione), die die Sachen einkaufen und vergiften, geben als »unschuldige Seelen« natürlich dem Ganzen noch ein harmloseres Aussehen.A3


6 Die unter die Feinde hineinrennenden Tiere bringen ihre Reihen in Verwirrung. Hier ist wohl kaum beabsichtigt, daß die Angreifer sich nun auf die Tiere stürzen sollen, um sie zu kapern. Das im Folgenden genannte Blut von Bisamratten macht toll (411, 6–8).


7 Oder Transporte (prasāra)?


8 Bhūritūryam āhatya. Vgl. z.B. MBh. IV, 65, 15.


9 Oder: der Deckung durch einen Pfeiler oder einen Zaun? Oder: durch einen Baumstamm (Baumstumpf, stambha)? Das bald folgende stambhavāṭa (wie man statt stambhapaṭa lesen muß) kann kaum etwas anderes als Pfostenzaun, Baumstammzaun oder Zaun aus Baumstümpfen bedeuten.


10 Vgl. 393, 3.


11 Oder: »Zauberfeuer« und »Zauberrauch« (yogāgni, yogadhūma). Im 14. Buch des Arthaçāstra werden wir mehr von diesen Mordlistfeuern usw. hören. Zu nidhānagataṃ »rastend« vgl. Stellen wie 389, 12f. Doch nidhāna »Rast«, ist zweifelhaft und die Lesart mag verkehrt sein. Auch nipāna -»Tränke« würde nicht gut passen.A4


12 Lies tīkshṇaiḥ.A5


A1 Das Blut von Bisamratten macht toll und verursacht Beißwut (411, 6–8).


A2 Jolly und Gaṇ. lesen avaskandapratigraha. Aber aus Gaṇ's Erklärung läßt sich kein Verständnis gewinnen. Trotzdem wird dieser Text den Vorzug verdienen. Da heißt es wohl: »oder einen Überfall von ihnen in Empfang nehmen«. Nämlich sie verabreden mit den Feinden ihres wirklichen Herrn: »Da und da könnt ihr die Leute unseres früheren Gebieters in der Falle fangen« u. dgl. mehr. Erscheinen dann die »Genossen«, dann liegen sie selber im Hinterhalt und bereiten den Arglosen einen gesalzenen Empfang.


A3 Gaṇ. hat dieselbe Interpunktion und im wesentlichen dieselbe Auffassung der Sätze wie Sham. Dieser macht wenigstens einen Versuch, einigermaßen Verstand in die Geschichte zu bringen. Freilich durch den Sanskritwortlaut wird seine Übersetzung unmöglich gemacht, und auch der Sinn hinkt entsetzlich. Gaṇ. unterläßt die Aufhellung ganz.


A4 Auch Gaṇ. hat nidhāna und sagt, es heiße »verborgener Ort für den Schatz«. Das ist unwahrscheinlich.


A5 Gaṇ. liest ebenfalls tīkshṇāḥ. Der Sinn bleibt derselbe, die Übersetzung aber lautet dann: »Hat er sich in einen Engpaß begeben, sollen ihn Bravi mit Feuer ... durch tückische Krokodile oder (gelber) mit Hilfe von Wassergeherkünsten abtun.« Die Künste, im Wasser zu gehen oder zu stehen (udakacaraṇa) werden in 392, 2ff. beschrieben. Aber die dort genannten Dinge passen so wenig hierher, daß sie trotz Gaṇ. nicht gemeint sein können. Es werden Künste sein, wie wir sie gegen Schluß des 122–123. Gegenstandes gefunden haben und wie sie besonders aus dem Daçak. bekannt sind.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 602-605.
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