Fünftes Kapitel (168. bis 170. Gegenstand).

Übermeisterung (des Feindes) durch Hinterlist, Übermeisterung durch Gewalt und Sieg eines Einzigen.

[605] Bei einem Götteropfer oder einer Prozession gibt es, während er in Verehrung begriffen ist, viele Anlässe, wo man an den Widersacher herankommen kann.1 Seine fromme Hingebung nutzend, wende man da Hinterlisten gegen ihn an.2 Wenn er in einem Tempel eingetreten ist, lasse man eine verborgene Wand oder einen Stein auf ihn fallen, dadurch, daß man eine mechanische Vorrichtung lockert (mit der man das Betreffende vorher befestigt hat). Einen Regen von Steinen und Waffen lasse man vom obersten Stockwerk auf ihn niedersausen oder einen abgehobenen Türflügel oder einen an der Wand angebrachten, an einem Ende angebundenen Torriegel. [605] Oder er schleudere auf ihn von oben Waffen, die sich an den Bildern oder den AbzeichenA1 von Gottheiten befinden.3 Oder man praktiziere an den Orten, wo der Feind steht, sitzt oder geht, zusammen mit der Kuhdüngerbeschmierung oder der Besprengung mit duftigem Wasser4 Gift mit ein. Oder zusammen mit einer Darbringung von Blumen oder wohlriechendem Pulver. Oder durch Duftmittel versteckt bringe man ihm starkgiftigen Dampf bei. Oder man lasse ihn in einen Brunnen mit Spießen oder in eine Fallgrube stürzen, dadurch, daß man die Keile löst unter seinem Lager oder Sessel, indem dessen Boden mit einer mechanischen Vorrichtung versehen ist.5

Oder sind die Waldstammtruppen und die vom Feinde stammenden Truppen (des heranziehenden Gegners) genaht, dann führe er vom Lande die Leute, die für die Absperrung (in einer Belagerung) tauglich sind, (in seine Burg) hinüber. Und aus seiner Burg entferne er die Leute, die nicht tauglich sind für die Absperrung. Er schicke sie in Feindesgebiet oder in Gebiet, das wieder herausgegeben werden muß. Und sein Landvolk halte er an einen Ort gesammelt, in Berg-, Wald- oder Flußburgen oder an Orten, die durch Waldwildnisse abgetrennt sind, gehütet von seinem Sohn oder Bruder.6

[606] Die Gründe (eines Fürsten, die ihn) zur Verschanzung in einer Burg (bewegen können) sind im Kapitel vom Verfahren des unterworfenen Fürsten dargelegt worden.7 Gras und Holz setze er auf ein Yojana hinaus in Brand. Und die Wasser verderbe (vergifte) er und lasse sie abfließen. Fanggruben und Stacheldrähte lege er draußen (vor seiner Burg) an.8 Einen unterirdischen Gang mit vielen Öffnungen mache er hin zu dem Standort des Feindes und lasse Vorräte oder HauptleuteA2 herausholen oder auch den Widersacher selber. Oder in einen vom Gegner gebrauchten unterirdischen Gang hinein lasse er Gräben graben, an dessen Ende Wasser (zum Hineinströmenlassen) sich befindet. In den Brunnenschuppen oder die Mauer entlang stelle er an verdächtigen Orten leere Krüge oder Messinggefäße hin, um zu erfahren, ob da ein Luftzug sei.9 Hat er so erfahren, wo ein unterirdischer Gang (des Feindes) durchführt, dann lasse er einen Gegentunnel machen. In der Mitte ihn durchbrechend, lasse er (giftigen) Dampf oder Wasser hineinströmen.

Oder nachdem er (d.h. der bisher besprochene von einem Stärkeren Angegriffenen) für eine Burg die nötige Vorsorge getroffen und seinen Erben in sein Stammland (mūla) gesetzt hat, mag er in der Richtung seines Widerparts gehen,10 wo er entweder mit Bundesgenossen, Verwandten oder Waldstämmen zusammentreffen kann, oder mit mächtigen Widersachern oder Verrätern des Gegners, oder wo er ihn von seinen Bundesgenossen trennen oder wo er ihn im Rücken packen oder ihm die Herrschaft entreißen oder ihm Proviant, Zuzug und Transport11 aufhalten kann, oder wo er mit herabgeschleudertem Gestein12 und Bäumen ihn anzugreifen vermag, oder wo er sein eigenes Reich retten oder seinem Stammland (seiner Basis, mūla) Verstärkung zukommen lassen kann. Oder wo er einen erwünschten Frieden zu erlangen imstande ist, dahin mag er gehen.

[607] Oder es sollen solche, die mit ihm ausgezogen sind, an den Feind Botschaft senden: »Dieser dein Hasser ist uns in die Hände gefallen. Schicke unter dem Vorwand einer Warensendung oder eines Vergeltungszuges Geld und Kerntruppen aus dem Innern.13 Ihnen wollen wir ihn übergeben, gebunden oder umgebracht (pravāsita)«. Nimmt er es an, dann eigene er sich das Geld und die Kerntruppen zu.

Oder ein Grenzhüter soll mit Hilfe der (absichtlichen trügerischen) Übergabe seiner Burg (an den Mächtigen) einen Teil seines eigenen Heeres listig hinüberführen (zum Feinde) und den Vertrauensvollen (mit Hilfe der so Eingeschmuggelten) töten. Oder er soll einen Heerhaufen des Widersachers herbeilocken, (angeblich) damit dieser das an einem Ort zusammengedrängte Volk (des Schwachen) vernichte. Diesen führe er an einen abgeschlossenen (d.h. wohl umstellten) Ort hinüber und vernichte ihn, da er nichts ahnt.14

Oder einer, der sich als Freund des Feindes draußen vor der Burg stellt, soll Botschaft an ihn schicken: »Aufgezehrt ist hier in unserer Burg Getreide, Öl, Zucker und Salz. Das alles wird (in neuer Auflage) an dem und dem Orte und zu der und der Zeit hereinkommen. Fangs ab!« Darauf sollen Getreide, Öl, Zucker und Salz, alles mit Gift durchsetzt, verräterische oder dem Feinde [608] abgenommene oder Waldstammtruppen (des bedrängten Fürsten) herführen oder andere, die zum Tode verurteilt worden sind.15

Damit ist alles Abfangen von Waren und Proviant angedeutet (d.h. so soll der Belagerte oder sonst Bedrängte auch andere Sachen abfangen lassen).

Oder wenn er (der schwächere Fürst unter schweren Bedingungen) Frieden gemacht hat, möge er nur einen Teil des Geldes (d.h. des Friedenspreises, des Tributs) geben, hinzögernd den Rest. Darauf hin mag er die Vorkehrungen zum Schutz des Landes (des betreffenden Feindes) schwächen oder mag mit Feuer, Gift und Waffen (der Geheimdiener auf den Sieger) losgehen oder mag des Feindes Günstlinge, die da Geld entgegennehmen, sich verpflichten.16

Oder er mag, wenn er ganz erschöpft ist, ihm seine Burg übergeben und sich davon machen. Durch einen unterirdischen Gang, oder durch einen SpaltA3 in der Befestigungsmauer, durch den er sich durchzwängen kann, mag er entfliehen.17

[609] Er mag des Nachts einen Überfall machen, und hat er Erfolg, dann bleibe er. Hat er keinen, dann mag er auf einem Seitenweg entweichen.A4 Oder er mag als Ketzer (d.h. als ketzerischer Mönch) vermummt mit geringem Gefolge entfliehen. Oder er mag als »Toter« von den Geheimdienern hinausgebracht werden. Oder er mag im Gewande einer Frau dem toten (Gatten zur Leichenstätte) folgen. Oder (er mag entwischen) bei Gelegenheit von Darbringungen an Gottheiten, Totenmählern (çrāddha) oder Festlichkeiten, indem er mit Gift vermischte Speisen und Getränke zurückläßt.18 Hat er durch Leute, die sich als Verräter an ihm stellen (und es öffentlich mit dem Feinde halten, in Wirklichkeit aber heimlich für ihren Fürsten arbeiten), Aufwiegelung (bei den Feinden) zustande gebracht, dann mache er einen Ausfall und schlage zusammen mit einem (von seinen Leuten) versteckten Heere auf den Feind los. Oder wenn seine Burg (dafür zu) fest umschlossen ist,19 möge er ein Heiligtum aufrichten, das er mit Speise zum Essen versieht (prāçyaprāçaṃ), dann in die Höhlung des Götterbildes schlüpfen und drinnen ruhig warten, oder hinter eine geheime Wand oder in ein unterirdisches Gemach, das mit dem Götterbild verbunden ist.20 Denkt man dann an nichts mehr, so mag er des Nachts durch einen unterirdischen Gang in des (feindlichen) Königs Schlafgemach eindringen und den schlafenden Widersacher töten. Oder er mag ein Ding, das sich mittels einer mechanischen Vorrichtung lösen läßt, lösen und es auf ihn niedersausen lassen.21 Oder er mag den Widersacher, wenn er in einem Gemach, das mit einer Mixtur von flüssigem Feuer (rasāgniyoga) bestrichen ist, oder in einem Harzhause schläft, verbrennen.22

[610] Oder wenn er (der feindliche Fürst) im Lustwald oder an einem anderen Vergnügungsorte sorglos ist,23 mögen ihn Bravi töten, die durch ein unterirdisches Gemach oder einen unterirdischen Gang oder eine geheime Wand eingedrungen sind. Oder heimlich dazu Angestellte mit Gift. Oder wenn er an unbehindertem24 Orte schläft, mögen »geheime Weiber«25 Schlangen, flüssiges Feuer (rasāgni) oder (giftige) Dämpfe auf ihn loslassen. Oder hat sich eine Gelegenheit dazu eingestellt, dann möge jener, der heimlich hin- und hergehen kann,26 irgend etwas, was ihm gerade zur Hand kommt, gegen den Widersacher anwenden, wenn dieser sich im Frauengemach befindet. Darauf möge er ganz heimlich davon gehen. Und das Zeichen der eigenen Leute (des feindlichen Fürsten) möge er ihnen vormachen.

Die Türsteher, die Haremswächter und die anderen, (all) die heimlich beim Feinde27 angestellten Leute soll er durch die (verabredeten) Zeichen mit Instrumenten herbeirufen und nur noch Reste vom Feinde übrig lassen.A5

Fußnoten

1 Von den verschiedenen Besserungen des sinnlosen pūjyāmagama –, die mir eingefallen sind, verdient wohl pūjāyām āgama – den Vorzug. Oder pūjyābhigamasthānāni nach 397, 14: »gibt es viele Anlässe, wo er zu Personen oder Dingen, tritt die verehrt werden müssen«?A6


2 Eigentlich: »er« d.h. der König durch seine Mordbuben. Statt Hinterlist wäre Mordlist oder Mordmittelchen eine eher der Sache entsprechende Wiedergabe, aber eine zu undiplomatische. Auch Hinterlist ist zu – unzart. Yoga heißt einfach Applikation und schon »Mittel« dürfte den staatsmännischen Takt verletzen. List, Zauberlist, Zauber usw. heißt ja yoga oft.


3 Das Verständnis der Stelle wird gefördert durch 400, 19: »Oder sie sollen Angriffs- und Abwehrwaffen zusammen mit (oder: mit Hilfe von) Götterabzeichen und Götterbildern herbeibringen«. Gewisse Gottheiten tragen ja Waffen, so daß man nicht allein an Waffen zu denken braucht, die im Innern der Götterbilder versteckt sind. So führt der öfters im Arthaçāstra genannte und offenbar viel verehrte Skanda einen Speer (çakti), diesen jedenfalls ursprünglich als Phallussymbol. Übrigens wäre auch möglich, ja noch wahrscheinlicher: »Oder man lasse von oben die Bilder (wörtlich: Körper) oder die Abzeichen (Standarten) oder die Waffen von Gottheiten auf ihn niederstürzen.« So natürlich, wenn man mit B dhvaja statt stha liest.


4 Oder nach der Lesart des Textes: »mit reinem Wasser«.


5 Oder: »indem dort der Boden unter seinem Lager oder Sessel mit einer mech. Vorrichtung versehen ist«. Im anderen Falle ist dies noch obendrein nötig, damit er in die Tiefe hinabstürzen kann.


6 Das ca in Zeile 16 zeigt, daß der Text nicht vollständig ist. Obwohl er sich auch so, wie er dasteht, ganz gut übersetzen läßt, selbst ohne daß man wie Sham. die Grammatik mißachtet, kommt doch in der Sache vielfach recht Unglaubliches heraus. Zum Glück liefert eine einzige Variante in Sham.'s zweiter Textausgabe, wie mir scheint, den Schlüssel, und zwar gerade da, wo das befremdende ca steht. Mit Besserung dieses janapadārjanam avarodha – lese ich also janapadāj janam avarodha –. Daß der indische Kriegsherr seine Waldstammtruppen und seine dem Feinde abgenommenen Soldaten voraussendet und sie Burgen und allerlei Hindernisse (kaṇṭaka) überwältigen macht usw., haben wir aus 341, 20 bis 342, 8 und aus Kām. XIX, 22f. vernommen. Sowie also diese vorausgeschickten Heeresabteilungen des feindlichen Eindringlings in das Land herangezogen kommen, soll der Bedrohte sich fertig machen für die ihm bevorstehende Belagerung. Wenn er dabei seine Untertanen wie Schachbrettfiguren hinschiebt, wo es ihm gefällt, obwohl sie doch natürlich meistens Bauern und mit dem Boden verwurzelt sind, so stimmt das mit gar manchem, was wir schon gehört haben. Aṭavyamitram ist also = aṭavyamitrabalam. Vielleicht muß man aṭavyamitrabale lesen. Unbedingt nötig aber ist das keineswegs.


7 Wörtl.: »Die Gründe der Einschließung«. In Buch VII, Kap. 15 hat Kauṭ. die Gründe (kāraṇa, dessen Synonym ja hetu ist) angegeben, die einen Fürsten bewegen können oder dürfen, Zuflucht in einer Burg zu suchen.


8 Ubjayati muß nach 389, 8 »niederlegen, anlegen, herrichten, bereiten« heißen, nicht »zerstören«, wie man wohl erwarten dürfte und wie Sham. übersetzt. All die genannten Anstalten sollen natürlich dem Belagerer draußen vor der Burg verderblich werden. Wegen kaṇṭakinī, Stacheldraht vgl. 52, 15 (Übers. 68, Anm. 6) und 362, 1, wo kaṇṭakinī, bezw. kaṇṭakapratisara in gleicher Verbindung vorkommt.


9 Von der Ritze eines heimlichen unterirdischen Ganges her. Da sollen wohl die Krüge usw. von der kälteren Luft beschlagen.A7


10 Natürlich um besser gegen den Feind arbeiten zu können. Aber man wird wohl pratilomām asya diçam: »soll in eine dem Gegner feindliche Himmelsgegend gehen« lesen müssen. Pratilomam asya deçam wäre zwar noch natürlicher: »er soll in eine jenem feindliche Gegend gehen«. Oder pratilomām diçam »in eine entgegengesetzte Himmelsrichtung« d.h. eine Gegend, die der, wo der Widersacher sich jetzt befindet, entgegengesetzt ist?


11 Oder am Ende eher: »und Furagierstreifzüge« (prasāra).


12 Statt des mir unverständlichen ākshika lese ich āçmika.A8


13 Vgl. 386, 6–7. Die Leute, die den bedrängten Fürsten begleitet haben, als er sein Land verließ und hinauszog, Rettung zu finden, stellen sich mithin als Verräter an ihrem Herrn und locken so dem Angreifer tüchtig Geld und Truppen ab, die dann dem Schwachen nützen.


14 So nach der sehr genauen Entsprechung 405, 16–17. Aber die zwei Sätze sind nicht klar. Subjekt muß wohl in beiden der Grenzhüter sein. Dann aber machen der gleiche Bau der Sätze und die nächstliegende Auffassung es wohl nötig, den ersten Satz so zu übersetzen: »Oder ein Grenzhüter des (Schwächeren) soll mit Hilfe der (trügerisch versprochenen) Übergabe seiner Burg einen Teil des (feindlichen) Heeres hinüberführen (auf sein Gebiet, in seine Burg) und ihn (d.h. diesen Teil des feindlichen Heeres), während er vertrauensvoll nichts ahnt, vernichten«. Aber warum haben wir dann nicht amitrabalaikadeçam wie im folgenden amitrānīkam, oder doch etwas Ähnliches? Denn natürlicherweise muß man sonst doch annehmen, daß des Grenzhüters eigene Truppen gemeint seien. Sodann warum nicht āvāhya oder etwas ihm Entsprechendes statt atinīya? Andererseits aber spricht das zweite atinīya (in Zeile 21) für diese Auffassung, und wahrscheinlich ist sie doch die richtige. Atinayati bedeutet gewöhnlich (listig) hinbringen, – beibringen, einschmuggeln. Siehe 244, 8; 389, 14, 16; 397, 9; 405, 16. Ebenso atinayana das Einschmuggeln 305, 7. Viçvastam könnte auch Adverb sein: »in aller Gemütsruhe«. Aber wahrscheinlich ist das hier nicht.

Auch tad avaruddha – eröffnet verschiedene Möglichkeiten, je nachdem man es zusammenschreibt oder trennt, ja sogar, wenn man sich auf die natürlichere, die zweite Alternative beschränkt und 392, 2; 396, 4 vergleicht. Wahrscheinlich soll man an diesen beiden Stellen aniruddhe lesen und übersetzen: »nicht behindert«, d.h. frei von Störungen (durch hinzukommende Retter des Opfers oder Zeugen der Untat). Anders wird man diese Stellen nicht verstehen dürfen. Denn niruddha »abgeschlossen, abgesperrt« geht da zwar, ist aber weit minder gut. Also dürfte auch hier in anavaruddham zu ändern und zu übersetzen sein: »an einen unbehinderten Ort«.


15 Nach dem Text etwa: »die offenkundig dazu bezeichnet (angestellt) worden sind«. Da wüßte also der Feind, daß die und die diese Sachen in die Burg bringen sollen. Das ist ja nicht ganz ohne. Aber da die genannten Bedeckungstruppen alle von der Art sind, daß an ihnen wenig verloren ist, wenn der Gegner beim Abfangen des Transports, wie zu erwarten steht, sie niederhaut, so muß man wohl die kleine Änderung in abhityaktāḥ vornehmen. Die Verwechslung der zwei Wörter kommt auch sonst öfters im Kauṭ. vor.A9


16 D. h. also, die sich bestechen lassen. »Aber gibt es denn andere?« mag ein Politiker in seinem Herzen sich fragen, natürlich ein morgenländischer. Also wird am Ende hiraṇya das hiraṇya von Zeile 6 sein. Dann: »die das Geld (d.h. die Abgaben) entgegennehmen« (und zu diesem Zweck an den Hof des Unterworfenen geschickt werden). Der Starke wird nun, da er seinen Gegner niedergeworfen hat, selber nicht mehr so angelegentlich für den Schutz seines Landes sorgen wie früher; auch wird dieser jetzt Gelegenheit finden, durch seine eigene Tätigkeit dessen Reichsverteidigung zu schwächen.


17 Ich lese da also suruṅgayākukshipradareṇa zusammen, zweifle aber, ob meine Übertragung richtig ist. Die Stellung des zeigt, daß nur zwei Entweichungswege gemeint sind, und da muß der zweite der wohl zu diesem Zweck in die Mauer gemachte Spalt sein. Wörtlich also: »durch eine Maueröffnung, die ihm nicht den Bauch zerreißt«. Die Warnung mag nicht überflüssig sein, denn Schneiderbäuche gehen eher wo durch als so ein fürstlicher, und gerade zu rührend ist Kauṭilyas Besorgnis um solch ein kostbares Reichsgut. Aber abgesehen von der Komik der ganzen Sache, die vielleicht dem alten Inder nicht zum Bewußtsein kam, erweckt diese Bedeutung des Kompos., obwohl sie ja möglich ist, wenig Vertrauen. Pradara ist gewöhnlich ein Spalt, besonders in der Erde, und dieser Instrum, könnte ja dem folgenden untergeordnet sein: »vermittelst eines Bauchspalts durch einen Mauerdurchbruch«.A10 Hieße das: mittels einer ausgehöhlten Öffnung eines Höhlungstunnels durch die in der Theorie sehr dicke Mauer? Wenn nun der bedrängte Fürst zu diesem Zweck ein Loch in die Mauer hat machen lassen, dann ist schon wegen der stets drohenden Verrätergefahr nötig, daß diese Öffnung verdeckt werde bis zu dem Augenblick, wo er sie benutzt. Prastara bezeichnet einen Stein, besonders auch einen flachen, wie er gebraucht wird, heimliche Öffnungen zu verschließen (prastarapidhāna). Also ist vielleicht kukshiprastareṇa zu lesen: »... sich davonmachen durch einen unterirdischen Gang. Oder durch einen Mauerdurchbruch, dessen Bauchhöhlung mit einem flachen Stein verdeckt ist, mag er entfliehen«.


18 Natürlich sollen sich die Feinde, die dann in die verlassene Burg einziehen, daran den Tod essen und trinken. O sancta simplicitas sapientum! Aber so muß man immer und immer wieder bei den Schlauheiten des Arthaçāstra ausrufen. Als ob der feindliche Fürst nicht auch seinen Kauṭilya gelesen hätte! Und doch: Es gibt ja auf Erden keine noch so greifbar dumme Pfiffigkeit der Politiker, auf die die Menschen nicht hineinfielen.


19 Evaṃ gṛihīta – müßte etwa heißen: »so gepackt, so (in des Feindes) Gewalt seiend« (daß kein anderer Ausweg mehr da ist). Ich möchte aber saṃgṛihīta – lesen: »zusammengeschlossen, gepackt, preisgegeben«. Aber auch Gaṇ. hat evaṃ. Also möchte ich alles an parikshīṇo vāsmai in 391, 9 (Übers. 609, 6) anknüpfen und damit auf meine allererste Auffassung zurückkommen: »Ist so seine Burg (vom Feind) eingenommen worden, dann möge er, nachdem er schon vorher ein Heiligtum aufgerichtet und mit der für ihn zum Essen nötigen Speise versehen hat, in die Höhlung des Götterbildes schlüpfen« usw.


20 Aus dem unterirdischen Gemach kann man also in das hohle Innere des Götterbildes gelangen, daraus hervorkommen und den ahnungslosen Feind erschlagen. Vgl. auch 40, 4ff.; 58, 1ff.


21 Wörtl.: »mag eine Maschinenloslösung loslösen und hinabstürzen machen« (kaum: dadurch den Feind hinabstürzen machen).


22 Woher aber sollte der feindliche Fürst in einem Harzhaus schlafen! Jedoch der Inder hat ja den einen Fuß immer auf der Schwelle des Märchenschlosses. Aus der Erzählungslit. ist dieser Kniff, den Gegner umzubringen, ihm auch allzuwohl bekannt. Vgl. MBh. I, 141ff.; Hindu Tales 21. Noch mehr tummelt sich die Einbildungskraft indischer Fabulierer in unterirdischen Gängen und Gemächern herum. Doch waren die sicherlich in der Wirklichkeit eher vorhanden als so ein Harzhaus. Immerhin aber kann man sich die Sache so denken, daß der schwache Fürst für den Fall der Eroberung vorsorglich mit »flüssigem Feuerpräparat« getränkte Gemächer oder Häuser und solche, die mit Mengen Harz oder mit Harzholz hergerichtet sind, in Bereitschaft gesetzt hat. Schläft dann der ahnungslose Widersacher an solch einem Ort, was ja geschehen mag, dann kann er bequem verbrannt werden.


23 Wörtl. wohl eher: »bei irgendeinem Vergnügensanlaß (einer Vergnügensgelegenheit) des Lustwaldes oder der Vergnügensorte« als: »an irgendeinem Vergnügensorte unter diesen: Lustwald und Vergnügensstätten«. Vihāra ist z.B. auch der Ring- oder Sportplatz der Jünglinge (MBh. XII, 69, 11).


24 So also, wenn man vāniruddhe zusammenliest. Sonst: »an einem (für andere) abgeschlossenen Orte«.


25 Die gūḍhāḥ striyaḥ werden wohl die weiblichen Gegenstücke zu den gūḍhapurusha sein, d.h. Frauen, die heimlich im Dienste des einen Fürsten stehen und sich bei einem andern einnisten, um ihn zu schädigen.


26 Gūḍhasaṃcāraḥ »heimliches Hin- und Hergehen habend, eine heimliche Passage habend«. Saṃcāra Spion hat Kauṭ. meines Wissens nur einmal. Gūḍha wäre da vollkommen überflüssig. Auch gehört so etwas, wie das hier Beschriebene nicht zu den Aufgaben eines »umherziehenden Spions«. Vgl. auch arakshisaṃcāra 398, 1. Es hat ganz den Anschein, als sei der schwache, der verschwundene Fürst selber der hier gemeinte Rachevollstrecker. Auch wird bei ekavijaya Sieg durch einen Einzigen, der ja als Gegenstand des letzten Teils des Kapitels in der Überschrift angekündigt worden ist, gewiß nur an den »Eroberer« gedacht sein. So kehrt also wohl Kauṭ. nach der kleinen Abschweifung in den zwei vorhergehenden Sätzen zum »Führenden«, der hier in schlimme Not geraten ist, zurück und läßt ihn das Kapitel wirkungsvoll abschließen.


27 Statt des nur durch starken Zwang verständlichen paraiḥ lese ich pare.


A1 Man streiche »oder den Abzeichen« (also nur: »die sich an den Bildern von Gottheiten befinden«). Auch Gaṇ. hat nur devatādehasthapraharaṇāni.


A2 Nach Gaṇ.'s vicayamukhyān (statt des verdächtigen nicayamukhyān), also etwa: »Beaufsichtigungsleiter« (statt: »Vorräte oder Hauptleute«).


A3 Statt »Spalt« setze man »Durchbruch«.


A4 Ich habe pārçva nach Kām. XVII, 4 mit »Seitenweg« übersetzt. Gaṇ. sagt: »durch ein hinterlistiges Mittel«. Diese Bedeutung findet sich ja in den Lex.


A5 Gaṇ. bietet ghātayet statt kārayet dar: »und auch die Reste des Feindes soll er töten«. Das ist im Sinn weit besser. Mall. zitiert zu Çiçup. II, 35: »Von einem Feuer, von einer Schuld und von einem Feinde soll man keinen Rest übrig lassen.« Und in Nītiv. 137, 2f. lesen wir: »Wie von einem Feuerrest, so kommt von einem Menschenrest in der Zukunft unfehlbar Gefahr.« Beide beziehen sich auf MBh. XII, 140, 58; vgl. I, 140, 12, 86f. und besonders 13–17; Çukran. III, 216. Dagegen warnt XII, 133, 16–20 vor dem »Keinenrestlassen« mit dem Schlußsatz: »Wer keinen Rest läßt, dem droht beständig Gefahr, daß auch von ihm kein Rest gelassen werde.« Siehe auch MBh. V, 72, 61–63; 66. Der vorhergehende Satz hieße nach Gan.: »Und das mit seinen eigenen Leuten verabredete Zeichen möge er geben,« natürlich damit sie kommen und helfen. So hatte ich ursprünglich selber übersetzt, und der Zusammenhang scheint dies unbedingt zu fordern. Aber prarūpayati heißt bei Kauṭ. sonst immer betrügerisch vormachen.


A6 So nach Gaṇ., der das mit meinem pūjyābhigamasthānāni gleichbedeutende, dem Texte Sham.'s fast völlig gleiche pūjyāgamasthānāni liest.


A7 Gaṇ. zieht kūpaçālāṃ vā zum vorhergehenden Satz und liest wie Jolly khātābhijñanārtham »um zu erfahren, ob da miniert sei«. Natürlich ist das der Zweck. Aber wieso verhelfen denn diese leeren Gefäße zu solcher Kunde? – Mit der ganzen Stelle 606, 10–607, 14 vgl. die vorzügliche Schilderung MBh. XII, 69, 33–51; auch III, 15, 2ff.


A8 Gaṇ. liest ākshikavad apakshepeṇāsya statt Sham.'s ākshikapādapakshepeṇāsya. Das soll nach ihm heißen: Wo er wie ein Würfler durch das Werfen falscher Würfel ihn treffen kann. Das klingt höchst unwahrscheinlich in der Sache und sprachlich recht unannehmbar. Apakshepa gebraucht Kauṭ. in 274, 5 im Sinne von Vertreibung, Unterdrückung; apakshepaṇa, heißt in 248, 19 Wegreißung, Wegnehmung. Immerhin ließe sich für apakshepa »Abwurf«, vom Rechte abweichender Wurf hinweisen auf apakīrti, apapātha, apadevatā, apanaya usw.


A9 Gaṇ. hat abhityaktaḥ.


A10 So Gaṇ., der erklärt: »wo in einer Ausbauchung der Mauer (prākārasya kukshau) ein Spalt ist, da durchbrechend«. Wer läßt aber Spalten in einer Stadtmauer, besonders wenn der Feind draußen liegt?

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 605-611.
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