Zweites Kapitel (161. Gegenstand)[596] A1.

Kampf durch Staatskunst (mantrayuddha).

Wenn er (der stärkere Feind) nicht auf einen Friedensvertrag eintritt,1 spreche er (durch den im vorigen genannten Sendling) zu ihm: »Sieh, die Könige, die in der Gewalt der sechs (innern) Feinde2 standen, sind zugrunde gegangen. Wandle du doch nicht diesen selbstbeherrschungslosen Toren auf ihrem Wege nach! Und schaue auf Recht und eigenen Vorteil. Unter der Maske von Freunden (mitramukha) sind die deine Feinde, die dich zu Tollkühnheit, Unrecht und Verstoß gegen deinen eigenen Vorteil verleiten. Mit Helden, die das eigene Leben in die Schanze schlagen (wie mein König und seine Leute, wenn sie zur Verzweiflung getrieben werden), zu kämpfen, ist Tollkühnheit, Verlust von Menschen auf beiden Seiten zu verursachen gottloses Unrecht, den Vorteil, den man in der Hand hält, und einen schuldlosen, treuen Freund (wie mein Herr ist) aufzugeben ein Verstoß gegen den eigenen Vorteil. Und mein König hat viele Freunde, und mit diesem Reichtum (den er dir jetzt anbietet) wird er weiterhin Freunde (gegen dich) auf die Beine bringen,3 die von allen Seiten auf dich eindringen werden. Und er steht auch nicht vom, Mittelfürsten und vom Unbeteiligten und von seinem Staatenkreise verlassen da, du aber wohl.4 Höre du doch nicht auf die als Freunde maskierten Feinde, die ruhig zusehen, wie du dich in kriegerische Unternehmungen begiebst, indem sie denken: ›Möge er sich nur noch mehr in Verluste und Ausgaben stürzen, und möge er von seinem Freunde abtrünnig werden.5 Dann wollen wir ihn, der den Boden unter den Füßen verloren hat, in aller Gemächlichkeit vernichten‹. Setz nicht deine Freunde in Schrecken und deine Feinde in Vorteil und renne nicht in Lebensgefahr und Schaden.«

So soll er ihn zurückhalten. Wenn er sich dennoch ans Werk macht, dann soll er (der schwächere Fürst gegen den Verstockten) einen Aufruhr seiner Staatsfaktoren, wie im Kapitel vom Verfahren mit den Verbänden (Buch XI) und im Kapitel »Entledigung durch Hinterlist« (Buch XIII, [597] Kap. 2) dargelegt, ins Werk setzen und die Anstellung von Bravi und Vergiftern. Für die Abwehr, die gelehrt ist im Kapitel vom Schutz der eigenen Person (des Fürsten, Buch I, Kap. 18) soll er Bravi und Giftmischer anstellen.6 Dirnenpfleger sollen mit Hilfe von Weibern, die in herrlichster Schönheit und Jugend prangen, die Hauptleute des feindlichen Heeres toll machen. Wenn viele oder auch nur zwei Hauptleute gegen eine (ekasyāṃ) in Liebe entbrannt sind, sollen die Bravi Streithändel unter ihnen hervorrufen. Die in den Streithändeln unterliegende Partei sollen sie dazu bringen, anderswohin zu ziehen oder ihrem Herrn bei seinem Feldzug Beistand zu leisten.7

Oder als zaubergewaltige Heilige verkappte Spione sollen verliebte Frauen veranlassen, den Hauptleuten, um diese durch liebeerzeugende Kräutertränke an sie zu ketten, Gift zu geben.8

Oder ein als Händler Verkappter, soll eine Dienerin, die der bevorzugten Gemahlin (des feindlichen Königs) persönliche Dienste leistet, mit Gut überschütten, um ihre Liebe zu gewinnen, und sie dann verlassen. Ein als zaubergewaltiger Heiliger Verkappter, der von einem als Diener eben dieses Kaufmanns verkappten Spion belehrt worden ist, soll ihr ein liebeerzeugendes Kräutermittel geben mit den Worten: »Das mußt du dem Händler beibringen«.9 Ist ihr die Sache gelungen,10 dann wird sie auch die Favoritin diesen Zauber11 lehren und sagen: »Du mußt das Mittel dem Könige beibringen«. So soll er ihn durch Gift hinüberlisten (in die andere Welt).

Oder ein als Wahrsager Verkappter soll in sorgfältig vorbereiteter Weise (kramābhinītam) einem Großwürdenträger (des feindlichen Fürsten) erklären, er sei mit den Körpermerkmalen eines Königs ausgestattet, und seiner [598] Gemahlin (soll) eine Bettelnonne (sagen): »Du wirst eines Königs Gemahlin und eines Königs Mutter sein«.12

Oder eine als eines bestimmten Großwürdenträgers Gattin verkleidete Frau soll zu ihm sprechen: »Der König will mich offenbar zu seinem Kebsweib machen. Von einer Wanderasketin (als Botin) ist in dein Haus dieser Brief und dieser Schmuck gebracht worden«.13

Oder ein als Suppenkoch oder Speisekoch Verkappter soll zu ihm (d.h. zu einem solchen Großwürdenträger des Feindes) eine zum Vergiften dienende Sache (d.h. Speise), und zwar (angeblich) auf Befehl des Königs, und eine solche, die ihn gelüstet, herbeibringen. Das soll ihm (dem zu Vergiftenden) ein als Händler Verkappter nachweisen (d.h. er soll ihm die Geschichte »entdecken«) und soll ihm sagen, wie die Angelegenheit glücklich auszuführen sei (d.h. er soll ihn zur Rache an dem »Verräter« anleiten).

Auf diese Weise mag er mit einem Mittel, mit zweien, mit dreien (je nachdem) jeden einzelnen hohen Würdenträger des Feindes dazu bringen, Krieg gegen ihn zu führen oder ihn zu verlassen.14

Und in seinen festen Städten sollen Hinterhältler, die in nahes Dienstverhältnis zu seinem Hüter des von ihm selber verlassenen Landes getreten sind, unter den Städtern und den Landleuten (vorgeblich) aus Freundschaft zu ihnen bekannt machen: Der Hüter des vom Herrscher verlassenen Landes hat sowohl zu den Kriegern als auch zu den Beamten gesprochen: »Der König, der in eine schlimme Lage geraten ist, mag lebend heimkehren oder auch nicht. Erwerbt mit Gewalt Reichtümer und tötet eure Widersacher«.15 Wenn dies unter die Leute gekommen ist, sollen Bravi die Städter bei Nacht ihnen tüchtig Geld bringen16 lassen und sollen auf hervorragende Männer einhauen mit den Worten: »So geschieht denen, die dem Hüter des vom König verlassenen Landes nicht gehorchen!« Und an den Amtsstätten des Heimlandhüters sollen sie blutbefleckte Waffen, Eigentumsgegenstände17 und Fesseln hinwerfen. Dann sollen Hinterhältler verkünden: »Der Heimlandhüter mordet und raubt«.

[599] In dieser Weise sollen sie auch die Landleute vom Oberverwalter des Staatshaushaltes (dem »Obereinnehmer« oder samāhartar) abspenstig machen. Nachdem aber Bravi die Leute des Obereinnehmers bei Nacht mitten in den Dörfern getötet haben, sollen sie sprechen: »So geschieht denen, die das Land durch Ungerechtigkeit schädigen!« Haben sie »Verschuldung« der beiden hervorgebracht, dann sollen sie den Heimlandhüter oder den Oberverwalter des Staatshaushaltes durch einen Aufruhr der Untertanen umkommen machen. Einen aus seiner Familie, der nach seiner Stelle strebt, oder einen von ihm Unterdrückten sollen sie dazu bewegen, die Sache in die Hand zu nehmen.18

Sie sollen die innere Burg (d.h. des Königs Wohnung oder den Harem), das Stadttor, Güter, Getreide und königliche Gebäude verbrennen oder sie (die Leute, die zur Hut dieser Dinge angestellt sind) obendrein töten und Klagreden führend sagen, es sei seine Tat.

Fußnoten

1 Der Ausdruck hieße nach seinem gewöhnlichen Gebrauche: »wenn er nicht beim Frieden verharren will«, was hier auf dasselbe hinausläuft. Der Eroberungssüchtige hat bisher im Friedensverhältnis mit dem schwachen Fürsten gelebt, will jetzt aber über ihn herfallen. Der Bedrohte bietet ihm einen neuen Vertrag mit Tribut an, doch der Übermütige will nichts davon wissen.


2 Liebe, Zorn, Habgier, Dünkel, freudige Erregung (harsha), Übermut.


3 Vgl. das bald folgende samudyukta. Udyojayati »zum Krieg bereit machen, ausrüsten, zusammentrommeln« findet sich oft im Epos, z.B. MBh. V, 4, 7; Rām. VI, 57, 20 und udyoga Kriegsrüstung Rām. VI, 126, 48; VII, 6, 45 usw.


4 Lies parityaktaḥ mit Punkt dahinter statt parityakto.


5 Dieser Freund ist natürlich der schwächere Fürst, der bedrohte König, der Herr des redend eingeführten Gesandten.


6 Am Hof des feindlichen Herrschers, um den von dort ausgehenden Gefährdungen ihres Herrn entgegenzuarbeiten.


7 »Anderswohin« heißt: zu dem bedrohten König, zu dem Schwachen (vgl. 385, 5), und der »Herr« ist der Herr der Bravi. Wenn die Aufgestifteten im eigenen Lande bleiben, sollen sie gegen ihren eigenen Herrscher und für den fremden tätig sein. – Natürlich muß man parājitapakshaṃ lesen.


8 Natürlich geben die Frauen den Männern Gift, weil die Heiligen ihnen vorschwindeln, es seien Liebestränke. Ich lese kāmavaçā statt kāmavaçān oder kāmavaçād. Dem Text läßt sich nur mit viel Not ein Sinn abgewinnen und dazu nur ein recht absonderlicher. Abhisaṃdhānāya wird übrigens kaum richtig sein; wenigstens kenne ich eine solche freilich an sich sehr wohl denkbare Bedeutung von abhisandhāna nicht. Wahrscheinlich sollte man abhisaṃvāsya lesen: »nachdem sie sie durch (vorgebliche) Liebestränke an sich gelockt haben«, Vgl. 236, 18; 378, 12; 395, 19. Oder atisandhānāya.


9 Wörtlich: an oder in seinem Leib niederlegen, »an seinem Leibe anwenden«. Vgl. 408, 14.


10 D. h. hat die Verlassene dem Ungetreuen das Liebesmittel beigebracht und er sich gestellt, als sei er wieder in sie verliebt. Lies siddhe. Doch gäbe der Abl. siddheḥ denselben Sinn.


11 Oder: dies Mittel. Oder: diese Mixtur (yoga).


12 Wie auch der Inder sehr wohl weiß, hilft das noch mehr, als wenn man den Ehrgeiz des Mannes selber entflammt. Vgl. z.B. Weib im altind. Epos 346. Natürlich wird nun der Betreffende anfangen, auf den Sturz seines Herrn hinzuarbeiten.


13 Wörtlich: »in deine Nähe, zu dir.« Welch eine Frechheit und Beleidigung! So wird der mahāmātra dazu gebracht, gegen seinen Herrn Zettelungen anzufangen.


14 Ich lese ekaikam asya.


15 Denn da der König wohl doch nicht wiederkehrt und dann alles drunter und drüber geht, so droht keinem Strafe dafür. Statt hataḥ muß natürlich hata gesetzt werden.


16 Diese Bravi haben sich also in die Dienste des Heimlandshüters eingeschlichen und erpressen nun von den Leuten Geld unter dem Versprechen, dann wollten sie es dahin bringen, daß ihr gewissenloser Herr sie schone.


17 Vitta. Das Wort sieht nicht vertrauenerweckend aus. Ist etwa vṛitta zu lesen: »gebrauchte Fesseln« (vgl. den aus B zu 365, 7 hinzukommenden Text). Dann aber wäre eher der Dual zu erwarten, von anderem zu schweigen. Also vielleicht vastra: »blutige Waffen, Kleidungsstücke und Fesseln«.


18 Oder: sollen sie an die Stelle setzen. Der Satz ist dunkel, weil man nicht weiß, ob dieser Satz zu dem Vorhergehenden gehört oder etwas ganz Neues bringt. Der Schlußçloka wird sich wohl auf den ÖdlandshüterA2 oder auf den Obereinnehmer beziehen, in jedem Fall aber auf einen hohen Beamten. Dann gewiß auch das den Versen Vorhergehende. Schwierigkeit macht da aber tatkulīna und avaruddha. Diese zwei Wörter bezeichnen sonst Männer aus der königlichen Familie, die entweder wirklich oder doch in der Meinung des Fürsten Absichten auf den Thron haben, und deshalb von ihm eingekerkert, verbannt oder sonstwie verfolgt werden (avaruddha). Çaṅk. sagt zu Kām. XVIII, 52 avaruddha = nirvāsita. Doch ist das gewiß zu eng. Was aber soll ein Thronprädentent oder gar ein avaruddha bei diesen Beamten des Königs? Zwar läßt sich ja denken, wie in der Übersetzung angenommen ist, der Betreffende strebe nach dieser hohen Stelle, und kommt einer durch die Hilfe von anderen in so eine fette Pfründe, dann wird er sich erkenntlich zeigen. Aber der Ausdruck befremdet sehr. Natürlich würde er, soviel ich weiß, nur wenn man übersetzte: »Sie sollen einen Prätendenten aus der königlichen Familie gegen den Fürsten auf die Bahn bringen«, auf den Thron setzen. Dann müßte man sich hinzudenken: In der Verwirrung, die der Tod der Stellvertreter des vom kriegführenden König verlassenen Landes verursacht.


A1 Lies: 163. Gegenstand in der Überschrift und am Kopf der Seiten bis 599.


A2 lies Heimlandhüter (çūnyapāla) statt »Ödlandhüter«.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 596-600.
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