10. Zu weit getriebene Kindlichheit

[88] Dseng Schen4 behackte einst Gurken. Aus Versehen durchhieb er eine Wurzel. Sein Vater Dseng Si geriet darüber in solchen Zorn, daß er einen großen Prügel nahm und ihn dermaßen auf den Rücken schlug, daß Dseng Dsï zu Boden fiel und lange Zeit bewußtlos liegenblieb. Als er nach einiger Zeit wieder zu sich kam, stand er mit heiteren Mienen auf, trat vor seinen Vater und sprach: »Ich habe mich eben gegen Euch verfehlt, Vater, und Ihr mußtet mit Gewalt mich belehren, hoffentlich habt Ihr Euch dabei nicht wehe getan.«

Darauf ging er in sein Zimmer zurück, spielte die Laute und sang, damit sein Vater es höre und erfahre, daß er keinen dauernden Schaden davongetragen habe.

Als Meister Kung die Sache hörte, wurde er böse und sagte zu seinen Jüngern: »Wenn Dseng Schen kommt, so laßt ihn nicht herein!«[88]

Dseng Schen war sich keiner Schuld bewußt, darum ließ er durch einen Freund den Meister Kung nach dem Grund fragen.

Meister Kung sprach: »Hast du nicht gehört, daß einst Gu Sou einen Sohn hatte mit Namen Schun? Schun diente seinem Vater so, daß, wenn jener etwas von ihm wollte, er stets an seiner Seite stand. Wenn er ihn aber suchte, um ihn umzubringen, da war er nie zu finden. Wenn er ihn mit einem dünnen Stock schlug, so hielt er still und ließ es über sich ergehen, wenn er ihn aber mit einem großen Prügel schlagen wollte, so wich er aus und lief weg. Darum fiel Gu Sou nicht in die Sünde, sich als ein unmenschlicher Vater zu zeigen, und Schun verlor nicht die Gelegenheit zu täglich zunehmender Ehrfurcht. Du aber hast deinem Vater also gedient, daß du dein Leben gering nahmst, um eine rohe Behandlung über dich ergehen zu lassen. Du hättest dich totschlagen lassen, ohne auszuweichen. Wenn du ums Leben gekommen wärest, so hättest du deinen Vater in die Lage gebracht, daß er eine Pflichtverletzung begangen hätte. Welche Pietätlosigkeit gibt es, die größer wäre als diese! Bist du denn nicht auch ein Untertan des Himmelssohns? Was für eine große Schuld kommt aber auf den, der einen Untertan des Himmelssohns tötet!«

Als Dseng Schen dies hörte, da sagte er: »Meine Schuld ist wirklich groß.« Daraufhin trat er vor den Meister Kung und bat um Verzeihung.

4

Dseng Schen war unter Kungs Jüngern als derjenige bekannt, der die Kindesehrfurcht am meisten pflegte. Das Hiau Ging ist ihm zugeschrieben. Vgl. auch Buch der Sitte S. 101ff.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 88-89.
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